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Rote Karte für Falschspielen © AmirPhoto / Depositphotos

Israel und die USA erwiesen sich als Falschspieler

Andreas Zumach /  Die USA hatten nach Oslo ihre Rolle als «ehrliche Makler» verspielt. Nachher ging das Doppelspiel mit den Palästinensern weiter.

Andreas Zumach 400
Andreas Zumach

Red. In einem ersten Teil legte Andreas Zumach dar, wie Donald Trump als Präsident eine Zwei-Staaten-Lösung endgültig torpediert hat, im zweiten Teil, was nach dem Teilungsplan der Uno von 1947 bis 2001 geschah. Jetzt geht es um die Doppelbödigkeit der USA und Israels bei Vorschlägen und Verhandlungen über Friedensabkommen. Es ist ein Auszug aus dem im Jahr 2021 veröffentlichten Buch «Reform oder Blockade – welche Zukunft hat die Uno?». Zumach war über 30 Jahre lang Korrespondent bei der Uno in Genf.

Auch nach dem endgültigen Scheitern des Oslo-Prozesses, mit dem sich die Rolle der USA als angeblich «ehrlicher Makler» endgültig erledigt hatte, sahen sich die meisten anderen Uno-Mitgliedstaaten nicht veranlasst, eigenständige Initiativen zur Beilegung des Nahostkonflikts zu ergreifen. Und dies, obwohl die Frustration der Palästinenser nach dem provokativen Besuch Scharons auf dem Tempelberg zu einer zweiten Intifada im Westjordanland und im Gazastreifen eskalierte. 

Insbesondere die Mitgliedstaaten der EU verweigerten eine eigenständige politische Initiative im Nahen Osten weiterhin mit der feigen wie bequemen Begründung, nur die USA hätten den Einfluss und die Instrumente zur Beilegung des Konflikts. 

Friedensplan arabischer Länder: Anerkennung Israels als Staat

Im März 2002 legte Saudi-Arabien einen Friedensplan vor, der wenig später auch die Unterstützung der Arabischen Liga und der Organisation der Islamischen Staaten (OIC) erhielt. Nach dem saudischen Plan sollte sich Israel aus den seit 1967 besetzten Gebieten Westjordanland, Gazastreifen und Ostjerusalem sowie von den syrischen Golanhöhen zurückziehen. 

Der Plan liess die Möglichkeit kleinerer Grenzkorrekturen, eines Gebietsaustauschs sowie einer israelischen Oberhoheit über den jüdischen Teil der Jerusalemer Altstadt einschliesslich der Klagemauer offen. Im Gegenzug würden die Arabische Liga und deren 22 Mitgliedstaaten den Staat Israel anerkennen. 

Der saudische Friedensplan stiess zwar auf rhetorischen Beifall bei US-Präsident George Bush, bei der EU in Brüssel und bei PLO-Führer Arafat. Selbst die israelische Regierung reagierte zunächst nicht negativ, sondern abwartend. Doch aktive Unterstützung erhielt der Plan in keiner der westlichen Hauptstädte und auch nicht in Tel Aviv. 

Und angesichts der im Frühsommer 2002 beginnenden politischen Eskalation hin zum angloamerikanischen Krieg gegen Irak vom März 2003 geriet der saudische Friedensplan bald wieder in Vergessenheit. 

Neuer «Fahrplan zum Frieden» («Roadmap for Peace») war eine Alibiübung

Wie zur Kompensation ihres völkerrechtswidrigen Krieges gegen Irak im April 2003, den eine grosse Mehrheit der 193 Uno-Mitglieder kritisierte, präsentierten zunächst US-Präsident George Bush und der britische Premierminister Tony Blair im April 2003 einen «Fahrplan zum Frieden» («Roadmap for Peace») im Nahen Osten. Nach einigen unwesentlichen Korrekturen stellten sich auch Russland, die EU sowie die Uno – durch Generalsekretär Kofi Annan – hinter die Roadmap, die seit Mai 2003 als eine gemeinsame Initiative des Nahostquartetts gilt. 

Ziele des «Fahrplans zum Frieden»: Die «endgültige und umfassende Beilegung» des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern bis 2005. Dazu soll ein «unabhängiger, demokratischer und lebensfähiger palästinensischer Staat» errichtet werden. Die 1967 von Israel besetzten Gebiete sollen zurückgegeben werden (Westjordanland, Gazastreifen und Ostjerusalem). Diese Ziele sollen in drei Stufen erreicht werden.

  • 1. Stufe: Beide Seiten müssen ein klares Bekenntnis zu den Zielen des Friedensplans abgeben, das heisst das Existenzrecht des israelischen und eines zu errichtenden palästinensischen Staates anerkennen und der Gewalt abschwören. Die palästinensische Autonomiebehörde soll jeden verhaften, der einen Anschlag auf Israeli plant oder ausführt, und «terroristische Infrastrukturen» zerschlagen. Alle Sicherheitskräfte sind dem palästinensischen Innenminister zu unterstellen. Die Autonomiebehörde soll freie Wahlen abhalten. 
    Israel muss den Ausbau jüdischer Siedlungen in den Autonomiegebieten beenden und Siedlungen, die nach März 2001 illegal errichtet wurden, auflösen. Die Streitkräfte sollen aufhören, die Häuser militanter Palästinenser zu zerstören und aus den Autonomiegebieten abziehen.
  • 2. Stufe (ab Ende 2003): Israel soll den Palästinensern «ein möglichst zusammenhängendes Territorium» garantieren. Nach der Ratifikation einer palästinensischen Verfassung soll eine internationale Konferenz die Gründung eines Staates mit vorläufigen Grenzen einleiten. Die Mitglieder des Nahostquartetts (USA, EU, Uno sowie Russland) verpflichten sich, für die internationale Anerkennung und eine Uno-Mitgliedschaft Palästinas zu werben. 
  • 3. Stufe (2004 bis 2005): Eine zweite internationale Konferenz entscheidet über den endgültigen Status des palästinensischen Staats ab 2005. Dabei sollen die Grenzen festgelegt und die Frage der Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge, der Status Jerusalems sowie der Umgang mit den verbleibenden Siedlungen geklärt werden. Israel und die arabischen Staaten sollen Frieden schliessen. 

Als Mitglied des Nahostquartetts war die Uno zwar nominell wieder beteiligt an den Bemühungen zur Beilegung des Nahostkonflikts. Doch die Durchsetzung der in der Roadmap formulierten Schritte und Ziele überliess Uno-Generalsekretär Kofi Annan weiterhin allein den USA. Auch die Quartett-Mitglieder EU und Russland entwickelten hierzu kein eigenständiges Engagement. 

Das Nahostquartett – das offiziell bis heute fortbesteht – und sein «Fahrplan zum Frieden» waren eine reine Alibiübung. Um den Schein von Kompromissbereitschaft zu wahren, beteiligte sich die israelische Regierung bis zum Jahr 2009 zwar an Verhandlungen. Zugleich aber trieb sie den Bau illegaler Siedlungen im Westjordanland immer stärker voran. 

Inzwischen ist die Realität in Israel und in den besetzten Gebieten noch viel weiter von den in der Roadmap formulierten Zielen entfernt als bei ihrer Verkündung im Mai 2003. Die Zahl der illegalen Siedler in der Westbank und im Grossraum Ostjerusalem wurde in den letzten zwölf Jahren von 310’000 auf inzwischen über 650’000 mehr als verdoppelt (2021). Minister der Koalitionsregierung von Benjamin Netanjahu, der im März 2009 erneut Ministerpräsident wurde, machten immer unverhohlener deutlich, dass sie keinen palästinensischen Staat wollen, sondern ein Grossisrael auf dem gesamten Gebiet vom Mittelmeer bis zum Jordan anstreben. 

Obama schürt und enttäuscht Hoffnung auf «gerechten Zweistaaten-Frieden» 

Im April 2009 verkündete US-Präsident Barack Obama in seiner Kairoer Rede zwar die Absicht, in seiner Amtszeit einen «gerechten Zweistaaten-Frieden» zwischen Israel und den Palästinensern herbeizuführen. Und als «Vorbedingung» für Verhandlungen zwischen beiden Seiten forderte der US-Präsident von der Regierung Netanjahu einen Stopp des Siedlungsbaus. 

Doch Washington unternahm erneut nichts, um diese Forderung auch durchzusetzen. Unter dem Einfluss der wohlorganisierten israelischen Regierungslobby in den USA liess die Obama-Administration die «Vorbedingung» für Verhandlungen bereits im Herbst 2009 wieder fallen. 

Hillary Clinton, die damalige Aussenministerin und wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten im November 2016, wies die Forderung aus Obamas Kairoer Rede sogar als «unakzeptable Vorbedingung der Palästinenser» zurück. Zugleich setzte die Obama-Administration den Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde weiter unter Druck, sich wieder auf Verhandlungen mit der israelischen Regierung einzulassen. 

Letzte Verhandlungsrunde 

Zur bislang letzten Verhandlungsrunde nach fast dreijähriger Unterbrechung kamen Israeli und Palästinenser Mitte August 2013 zusammen. Initiiert wurde die neue Runde von US-Aussenminister John Kerry. Die Obama-Administration sah sich unter internationalem Druck, zumindest den Schein von Bemühungen um eine Friedenslösung zu erwecken. Denn am 29. November 2012, dem 65. Jahrestag der Uno-Teilungsresolution 181 von 1947, hatte die Generalversammlung mit grosser Mehrheit für die Aufwertung «Palästinas» von einer Organisation mit Beobachterstatus bei der Uno zum «beobachtenden Nichtmitgliedstaat» gestimmt. Diesen Status des «beobachtenden Nichtmitgliedstaats» hatte auch die Schweiz bis zu ihrem Beitritt als Vollmitglied der Weltorganisation im Jahr 2002. 

Diplomatische Niederlage der USA vor der Uno

139 der 193 Mitglieder der Uno-Generalversammlung stimmten für den von Mahmud Abbas eingebrachten Antrag auf Aufwertung Palästinas, darunter auch die EU-Staaten Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Österreich, Dänemark und Luxemburg. Auch die Schweiz und Norwegen votierten mit Ja. 41 Länder, unter ihnen Grossbritannien und Deutschland, enthielten sich der Stimme. Lediglich die USA, Israel sowie Mikronesien und sechs weitere Pazifikinseln und Kleinstaaten stimmten mit Nein. 

Dieses Abstimmungsergebnis in der Uno-Generalversammlung war eine herbe diplomatische Niederlage für die USA. Zunächst war es der Obama-Administration auch mit massivem Druck auf Palästinenserführer Mahmud Abbas nicht gelungen, ihn von der Einbringung des Antrages auf Aufwertung Palästinas abzubringen. Auch von den Drohungen Israels mit finanziellen Repressalien liess sich Abbas nicht einschüchtern. Daraufhin versuchte die Obama-Administration in Demarchen an die Regierungen fast aller anderen 192 Uno-Mitgliedstaaten, sie zur Ablehnung des Antrages zu bewegen. 

Der Vorgang zeigt, dass die Mitgliedstaaten der Uno-Generalversammlung mit entsprechendem politischem Willen bei der Überwindung des Nahostkonflikts durchaus eine Rolle spielen könnten. 

Als die Obama-Administration wenige Wochen nach der Abstimmung vom 29. November 2012 ihre Initiative für neue Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern ankündigte, verbreitete sich in der Generalversammlung erneut die Illusion, derartige Verhandlungen könnten zu einer gerechten Zweistaatenlösung führen. 

US-Aussenminister Kerry schürte diese Illusion mit seiner Vorgabe für die neue Verhandlungsrunde, die dann im August 2013 eröffnet wurde: Innerhalb von sechs bis neun Monaten – also spätestens bis Ende April 2014 – sollten sich beide Seiten auf ein Friedensabkommen einigen sowie auf die Schaffung eines «unabhängigen Palästinenserstaats». Genauere Vorgaben für die Grenzen dieses Staates machte Kerry allerdings nicht. Auch von einem Stopp des anhaltenden israelischen Siedlungsbaus in der besetzen Westbank, den US-Präsident Barack Obama noch im April 2009 zur «Vorbedingung» für Verhandlungen erklärt hatte, war keine Rede mehr. 

Kerry kündigte zudem an, dass im Unterschied zu allen früheren Verhandlungsrunden diesmal «sämtliche Kernfragen des Konflikts» auf den Tisch kommen sollten, wie die Grenzziehung, das Flüchtlingsproblem, der Status von Jerusalem, Sicherheitsregelungen und die Wasserverteilung. 

Nahost-Vermittler der USA ruft zum innerislamischen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten auf 

Als direkten Vermittler entsandte US-Aussenminister Kerry den ehemaligen US-Botschafter in Israel zu Zeiten der Regierung von Präsident Bill Clinton (1992 bis 2000), Martin Indyk, an den Verhandlungstisch. Schon diese Personalentscheidung führte bei Kennern der US-Diplomatie im Nahen Osten zu erheblichen Zweifeln an einem Verhandlungserfolg und am Willen der Obama-Regierung, tatsächlich eine gerechte Zweistaatenlösung herbeizuführen.

Denn auf einer grossen Nahost-Tagung der grünen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin im Jahr 2004 hatte Indyk zwar die Politik des amtierenden Präsidenten George Bush und insbesondere dessen Krieg gegen Irak schärfstens kritisiert. Zugleich behauptete der US-Diplomat damals jedoch, das «zentrale Problem» der Nahostregion sei nicht der israelisch-palästinensische Konflikt, sondern die «Bedrohung durch die schiitische Achse des Bösen, bestehend aus Iran, Syrien, der Hisbollah in Libanon und der Hamas im Gazastreifen».

Es müssten «alle verfügbaren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen» auf die «Bekämpfung und Zerstörung dieser schiitischen Achse des Bösen konzentriert werden», forderte Indyk. Der Kampf gegen diese «schiitische Achse des Bösen» lasse sich «nur gewinnen durch eine Achse des Guten, bestehend aus den USA, Israel, den gemässigten sunnitischen arabischen Staaten und Europa». 

Bei den zahlreichen Tagungseilnehmern aus Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und anderen arabischen Ländern stiess der Aufruf des US-Diplomaten zum innerislamischen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten auf blankes Entsetzen. Inzwischen ist dieser Krieg nicht nur in Irak und Syrien zur blutigen Realität geworden. 

Der «unabhängige Staat Palästina» schrumpft von 46 auf 6 Prozent des ursprünglich vorgesehenen Territoriums 

Die sehr fragwürdige Person des Vermittlers für die letzten israelisch-palästinensische Verhandlungen ist jedoch nur einer der Gründe, warum diese Verhandlungen von vornherein zum Scheitern verurteilt waren und warum zu keinem Zeitpunkt der neunmonatigen Gespräche auch nur der Hauch einer Chance bestand für ein tragfähiges Ergebnis zu einer dauerhaften Lösung und Befriedung des israelisch-palästinensischen Konflikts. 

Denn die von Premierminister Netanjahu geführte israelische Regierung wäre bei der letzten Verhandlungsrunde nur zu einer minimalen Korrektur der seit 1967 durch völkerrechtswidrige Besatzung und Besiedlung geschaffenen Fakten bereit gewesen. Das zeigt ein ursprünglich geheimes Dokument, das US-Aussenminister Kerry schon Monate vor Verhandlungsbeginn im August 2013 mit Netanjahu vereinbarte. In dem inzwischen durch eine Indiskretion bekannt gewordenen Dokument legten die USA und Israel die Parameter für ein künftiges Abkommen fest. 

Danach sollte die über 750 Kilometer lange, aus hohen Mauern oder einem Zaun bestehende Sperranlage, die Israel seit 2003 errichtete und die zu über 80 Prozent bis zu sechs Kilometer tief auf besetztem Gebiet der Westbank verläuft, künftig als «Sicherheitsgrenze» Israels dienen und als «vorläufige Grenze des palästinensischen Staates». Lediglich innerhalb dieser Sperranlage sollte ein Tausch umstrittener Gebiete ausgehandelt werden – allerdings von «nicht mehr als acht bis zehn Prozent» des gesamten Territoriums der von Israel besetzten Westbank. 

Der Bau neuer Siedlungsprojekte in der Westbank sollte laut diesem zwischen Washington und Tel Aviv vereinbarten Dokument lediglich in den Aussenposten einiger bestehender Siedlungen eingefroren werden. 

Diese Bestimmung sollte allerdings nicht für Bauprojekte in den grossen Siedlergemeinden in der Umgebung von Jerusalem und im Jordantal sowie in «anderen dicht besiedelten jüdischen Wohngebieten» gelten. Siedler in Aussenposten, deren weiterer Ausbau eingefroren wird, sollten entscheiden können, ob sie die israelische Staatsbürgerschaft annehmen. 

Mit Blick auf die über fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge, die nach den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 das Individualrecht auf Rückkehr haben, heisst es in dem Dokument, dass lediglich «einigen Familien» die Rückkehr in ihre Heimatorte in der Westbank oder im Gazastreifen erlaubt werden soll. Der Rest solle finanziell entschädigt werden oder «in arabische Staaten, insbesondere in die Golfstaaten emigrieren und die dortige Staatsbürgerschaft erhalten». 

Das von Israel besetzte Ostjerusalem sollte zunächst für zehn Jahre einer gemeinsamen israelisch-palästinensisch-jordanischen Verwaltung unterstellt werden. Auch hier sollten die israelischen Einwohner ihre künftige Staatsbürgerschaft wählen können. Mit der Unterzeichnung eines künftigen Abkommens sollten die Palästinenser Israel als den «Staat des jüdischen Volkes anerkennen». 

Nach diesen zwischen den USA und Israel vor Verhandlungsbeginn vereinbarten Parametern für ein künftiges Abkommen wären für einen «unabhängigen Staat Palästina» statt der im Uno-Teilungsplan von 1947 festgelegten 46 Prozent des ehemaligen Mandatsgebietes Palästina nur noch 6 Prozent übriggeblieben. 

Für die Regierung Netanjahu diente die Teilnahme an der letzten Verhandlungsrunde lediglich zur Camouflage für die fortgesetzte Besiedlung der Westbank. Mit der Ankündigung mehrerer neuer illegaler Siedlungsprojekte kurz vor Verhandlungsbeginn Mitte August 2013 machte der israelische Regierungschef deutlich, dass er kein Interesse an einem Abkommen mit den Palästinensern über eine Zweistaatenlösung hat. Es ging nur darum, den Palästinensern in den Augen der Weltöffentlichkeit die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zuzuschieben. 

Gewalteskalation nach Verhandlungsabbruch 

Seit dem Abbruch der Verhandlungen nach Ablauf der von Kerry gesetzten Frist Ende April 2014 haben sich die politische Lage und das Gewaltniveau in Israel und in den besetzten und belagerten Gebieten Westbank, Gazastreifen und Ostjerusalem noch weiter verschärft. Nach der Ermordung zunächst dreier jüdischer Siedler durch die Hamas und dann eines palästinensischen Jugendlichen in der Westbank durch jüdische Siedler eskalierte die Situation zum zweiten Gazakrieg zwischen Israel und der Hamas seit der Jahreswende 2008/09. Erst nach 51 Tagen konnte der Krieg durch Vermittlung des damaligen ägyptischen Präsidenten Mursi beendet werden. Mehr als 2100 Palästinenser im Gazastreifen wurden durch die Angriffe der israelischen Luftwaffe getötet, etwa dreimal so viele Menschen verletzt. Auf israelischer Seite wurde 71 Menschen durch Raketen der Hamas getötet. 

Die Zahl der Todesopfer war noch höher als beim Gazakrieg 2008/09, der 1416 Tote auf palästinensischer Seite und 13 Tote in Israel forderte. Im Sommer 2014 zerstörte oder beschädigte die israelische Luftwaffe nach Angaben des Uno-Koordinationsbüros für humanitäre Angelegenheiten (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, OCHA) in Genf über 18’000 Wohnhäuser im Gazastreifen und grosse Teile der überlebenswichtigen Infrastruktur des von mehr als 1,5 Millionen Menschen bewohnten Territoriums. 

Auf einer Geberkonferenz zur Finanzierung des Wiederaufbaus im Gazastreifen im Oktober 2014 versprachen die 30 Teilnehmerstaaten insgesamt 4,3 Milliarden Euro. Bis Ende Januar 2015 waren aber erst zehn Prozent der versprochenen Summe tatsächlich eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt, als im Gazastreifen der Winter mit Schnee, Stürmen und eisigen Temperaturen einsetzte, waren noch mehr als 100’000 Menschen, deren Häuser im Krieg völlig zerstört wurden, ohne feste Unterkunft, weil den humanitären Organisationen der Uno das Geld fehlte für die Errichtung von Notunterkünften. Mindestens fünf Menschen starben bis Mitte Januar den Kältetod. 

Andreas Zumach: «Reform oder Blockade – Welche Zukunft hat die Uno?

Buch-Cover Zumach
Buch-Cover

Rotpunktverlag 2021. Printausgabe 24.80 CHF24 Euro. e-Book 25.00 CHF.
Aus dem Verlagstext: «Die Uno befindet sich in der schwierigsten Lage seit der Gründung vor 75 Jahren. Ihr mächtigstes Mitglied, die USA, hat mit der Uno-feindlichen ‹America-first›-Politik von Trump die Weltorganisation erheblich geschwächt. Zugleich stellt die Corona-Pandemie die 193 Mitgliedsstaaten sowie die Weltgesundheitsorganisation und die anderen humanitären Programme der Uno vor bislang ungekannte Herausforderungen. Wichtige Reformvorhaben zur Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit liegen unerledigt auf dem Tisch. Zudem beschädigt das Versagen des Sicherheitsrates im nun schon zehn Jahre währenden Syrienkrieg die Glaubwürdigkeit der Uno. Mit dem rasanten Machtzuwachs Chinas sowie dem Konflikt zwischen Washington und Peking droht erneut eine Totalblockade des Sicherheitsrates und anderer Teile des Uno-Systems wie im Kalten Krieg. Über all die Probleme geraten die vielen grossen Verdienste der Weltorganisation aus dem Bewusstsein. Und es wachsen die Zweifel, ob multilaterale Kooperation, wie sie 1945 mit der Uno institutionalisiert wurde, unter veränderten Rahmenbedingungen überhaupt eine Chance hat. Wird die Weltorganisation sich reformieren können und wieder handlungsfähig sein?»

Lesen Sie demnächst die vierte und letzte Folge von Andreas Zumach:
Vom Uno-Hilfswerk UNRWA bis zur «Genfer Initiative» für einen Frieden


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Atommacht Israel und ihre Feinde

Teufelskreis: Aggressive Politik auf allen Seiten festigt die Macht der Hardliner bei den jeweiligen Gegnern.

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2 Meinungen

  • am 29.07.2024 um 14:39 Uhr
    Permalink

    Daß Israel sein alttestamentarisches Konzept auch nach 5000 Jahren nicht für überdenkenswert ansieht ist schon verblüffend – aber man kann eine zumindest interne Logik notfalls zuerkennen.
    Daß Deutschland bei der Beurteilung der Strategie der israelischen Regierung sehr zurückhaltend ist und ggf. in die Neutralität ausweicht hat den bekannte historischen Hintergrund – auch wenn sich Deutschland diesen Dispens von der Pflicht zum Primat der globalen politschen Vernunft nicht wird auf Dauer leisten können. Was aber völlig fragwürdig ist : Wieso ruinieren die USA ihren demonstrativ erhobenen Anspruch auf die Verteidigung der humanitären Demokratie durch die für jeden erkennbar leeren Beschwörungen und Appelle an Israel zur humanitären Zurückhaltung gegenüber der palästinensischen Bevölkerung – wo sie doch wirksame Mittel hätten, diese Fordeung durchzusetzen. Für mich sind die USA auch in ihrer Europa-Politik gerade durch ihr Verhalten in Nahost völlig unglaubwürdig geworden.

  • am 30.07.2024 um 16:39 Uhr
    Permalink

    Soweit ich das beurteilen kann, ist bisher keine europäische Alternative zur us-amerikanischen Waffen-und-Bündnis-Diplomatie erkennbar. Daher kommen die Arabische Liga und die Organisation der Islamischen Staaten nicht über einzelne Initiativen hinaus.
    .
    Gleichzeitig sehen sich die USA und Israel einem iranischen Netzwerk gegenüber, in dem die Hamas nur eine untergeordnete Rolle spielt.
    .
    Zudem haben Hamas und Fatah ihren Zwist augenscheinlich beendet.
    .
    Der Konflikt scheint in seiner Dimension unüberschaubar zu werden, und wird nur durch vermehrten Einsatz von Waffen nicht zu lösen sein.

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