Dollars

Auf der einen Seite wachsen die Guthaben ins Unermessliche, auf der anderen Seite nehmen die Staatsschulden in besorgniserregender Weise zu. © digiart / Depositphotos.de

Marktwirtschaft im Strudel der Guthaben

Werner Vontobel /  32 Millionen Euro für einen Fussballer. 44 Milliarden Dollar für Twitter. Warum uns dies Angst machen sollte.

Der norwegische Fussballer Erling Haaland soll bei seinem neuen Verein Manchester City ein Grundsalär von 31,4 Millionen Euro verdienen. Mit Siegprämien und Werbeeinnahmen läppern sich weit über 50 Millionen zusammen. Der 260 Milliarden Dollar schwere Tesla-Gründer Elon Musk hat für 44 Milliarden Dollar Twitter gekauft. Die beiden Ereignisse hängen so zusammen: Fussballer wie Haaland, Tennisstars wie Federer, UBS-Chef Ralph Hamers, Ex-UBS-Chef Sergio Ermotti und viele Millionen Grossverdiener sind das «Kleinvieh», mit deren Mist Grossinvestoren wie Elon Musk, Warren Buffett oder Larry Fink von Blackrock die ganze Welt kaufen können – und damit noch mächtiger werden. 

Das Grundübel ist die einseitige Verteilung

Das Grundübel der globalisierten Marktwirtschaft ist die einseitige Einkommensverteilung.

Portale wie TripAdvisor beispielsweise kassieren weltweit 10 bis 25 Prozent auf den Zimmerpreis. Das schenkt ein. Die rund 3’000 Angestellten verdienen mit gut 100’000 Dollar jährlich doppelt bis vierfach so viel wie die Leute, die in der Reisebranche die eigentliche Arbeit machen. Und CEO Stephen Kaufer hat seit der Gründung vor 20 Jahren 919 Millionen Dollar kassiert. Federer, Haaland, Kaufer und Konsorten können auch bei bester Spendierlaune nur einen Bruchteil ihrer Einkommen konsumieren. Der grosse Rest bleibt als Guthaben stehen und wird – zum Beispiel – in Anteilscheine von Berkshire Hathaway investiert, dem 960 Milliarden Dollar schweren Anlagefonds von Warren Buffett. Und weil man mit viel Geld viel bewegen kann, fuhren Buffets Aktionäre im Schnitt der letzten 50 Jahre 20 Prozent Rendite ein. Da rollt ein Schneeball.

Wie das geht? Ganz einfach. Grossinvestoren können mit Zu- oder Verkäufen oder mit Übernahmegerüchten jederzeit die Kurse bewegen. Manchmal reicht auch schon lautes Denken. Das Finanzgenie Musk hat auf Twitter 80 Millionen Follower. Als er im Februar 2021 verkündete, dass Tesla im grösseren Stil in Bitcoin investiert habe, stieg deren Kurs von 40’000 auf zeitweise über 60’000 Dollar. Ein paar Monate später twitterte Musk, Bitcoin schade der Umwelt, worauf der Kurs zeitweilig wieder auf 30’000 Dollar sank. Einsteigen, aussteigen, kassieren.

Guthabenberge treiben die Mieten hoch

Das ist noch die harmlose Variante. So lange die grossen Spekulanten bloss die kleinen übertölpeln, hält sich der soziale Schaden in Grenzen. Doch die Investoren kaufen sich nicht nur gegenseitig ihre Aktien und Kryptowährungen ab. In ihrem Anlagenotstand investieren sie ihre Billionen auch in die Immobilienmärkte. Die bringen zwar – in der Schweiz – nur 3 Prozent Rendite plus 3 Prozent Wertsteigerung. Doch für die Mieter geht das ans Lebendige. In den Ballungszentren – dort, wo es Arbeit gibt – müssen die ärmeren Haushalte nicht selten 40 Prozent und mehr ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Um die Verarmung in Grenzen zu halten, muss immer stärker der Staat einspringen. 

Was die Haalands und Federers , geschweige denn die Kaufers, Buffets und Musks an Guthaben anhäufen, findet in den Staatsschulden sein Gegenstück. Der Vermögensverwalter Janus Andersen schätzt die globalen Staatsschulden auf 71’200 Milliarden Dollar und die jährliche Zunahme auf 6’000 Milliarden, wovon etwa ein Fünftel auf die Zinsen entfällt. An eine Rückzahlung der Staatsschulden denkt niemand ernsthaft. Das würde ja einen entsprechenden Abbau der Guthaben bedingen. Es geht nur noch darum, in den Augen der Grossinvestoren kreditwürdig zu bleiben – etwa indem man die Sozialausgaben einschränkt. Was wiederum die Ungleichheit akzentuiert, neue Schulden schafft und die Kluft zwischen Geldkapital und dem Realkapital weiter vertieft.

Guthaben wachsen viel schneller als das BIP

Am Beispiel der Schweiz sieht das so aus: Das Nettovolkseinkommen (von rund 580 Milliarden Franken) wird von den Arbeitskräften und dem physischen Produktionskapital produziert und zu etwa drei Vierteln als Arbeitslohn- und zu einem Viertel (130 Milliarden) als Einkommen aus Kapital und Miete verteilt. Die Finanzguthaben stellen also einen Anspruch auf das BIP dar und beruhen auf Besitzansprüchen an das produktive Kapital. Dieses hat offiziell einen Wert von rund 1’800 Milliarden und wächst pro Jahr um rund 25 Milliarden an. Die Finanzguthaben allein der privaten Haushalte belaufen sich aber auf 5’400 Milliarden und sind im Schnitt der letzten zehn Jahr nicht um 25, sondern um fast 200 Milliarden Franken gestiegen.

Die Finanzguthaben haben fast keine reale Grundlage. Sie beruhen einerseits darauf, dass sich die Kapitalisten in Ermangelung realer Anlagemöglichkeiten die Preise der Wertschriften und der Immobilien hochtreiben. Zweitens beruhen sie auf dem Eigentumsrecht, das die Bodenbesitzer berechtigt, von den Wohnungssuchenden und Gewerbetreibenden eine Bodenbenutzungsgebühr einzutreiben. Diese fällt für die meisten Schweizer inzwischen höher aus als die Einkommenssteuer. Wie einträglich diese private «Steuerhoheit» ist, zeigt die Tatsache, dass der Marktwert von Immobilien in den letzten zehn Jahren rund 1’960 Milliarden gestiegen ist, obwohl netto nur rund 150 Milliarden in Hochbauten investiert worden sind.

Falsche Anreize – spekulieren statt arbeiten

Die unablässige Anhäufung von Guthaben und Schulden setzt aber auch falsche Anreize und untergräbt die Effizienz der Marktwirtschaft. Bleiben wir beim Beispiel von Twitter. Die rund 7’000 Mitarbeiter würden mit einer traditionellen Tätigkeit als Bäuerin, Lehrer oder Krankenpflegerin vielleicht 500 Dollar täglich an Wert schaffen, zusammen also 3,5 Millionen. Wenn die Twitter-Aktie aber auch nur ein Prozent an Wert gewinnt oder verliert (oft sind es pro Tag mehr als vier Prozent) werden aber schon 440 Millionen verschoben. 440 gegen 3,5 Millionen – kein Wunder träumen die jungen Leute von heute davon, Day-Trader, Vermögensverwalter oder Bankökonomen zu werden. Doch wer macht dann die Arbeit?

Und wer bisher geglaubt hatte, die Marktwirtschaft brauche ein demokratisches Fundament, kommt ebenfalls ins Grübeln. Fondsriesen wie Blackrock halten wichtige Beteiligungen querbeet in allen Branchen – Banken, Pharma, Rohstoffe, Detailhandel …. und in den Massenmedien. In Frankreich etwa gehören praktisch alle wichtigen Organe den Oligarchen. Um ihren Präsidenten wählen zu lassen, brauchen sie keine Parteien, sondern lassen ein «Mouvement» aufmarschieren – La République en Marche. Musk hat Twitter nicht gekauft, weil er sich davon viel Gewinn erhofft, sondern weil Oligarchen wissen, wie sie ihre Macht festigen und ausbauen können.

Es war einmal das Halljahr

Unsere Gesellschaft wurde schon immer durch gegenseitige soziale Pflichten organisiert. Die sind aber mit dem Tod erloschen. Mit der Erfindung des  Geldes – einer aus dem sozialen Kontext losgelösten Form der Verpflichtung – haben wir uns ein Problem eingehandelt.  Doch solange die Wirtschaft noch Sache der Kirche war, wurde diese Klippe mit dem Hall- oder Jubeljahr (alle Schulden werden vergeben) umschifft: «Und vergib uns unsere Schulden, so wie auch wir….»

Doch heute, da wir die Schulden- und Guthabenwirtschaft auf eine groteske Spitze getrieben haben, wird das Problem der unablässig steigenden Guthabenberge noch nicht einmal erkannt. In den Lehrbüchern der Ökonomik steht dazu nichts. Da muss man schon Infosperber lesen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form zuerst im «Blick».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 6.05.2022 um 10:24 Uhr
    Permalink

    Oligarchen hier und anderswo. Schön zu hören, dass die gleichen Phänomene in den verschiedenen Weltgegenden mit dem gleichen Epithet bezeichnet werden.

    Vor ein paar Jahrzehnten waren es noch Jean Ziegler’s 37 Familien, etwas früher die «Seven Sisters», bzw. die Ölbarone … heute sind es eben Oligarchen.

    Das Problem exzessiver Vermögenskonzentration ist aber wohl im wesentlichen gleich geblieben. Heute natürlich technisch perfektioniert.

    Macht- und Geldkonzentration sind eben im wesentlichen Synonyme.

    Wie ein Blogger auf Infosperber vor ein paar Wochen so schön sagte:
    Im kapitalistischen System hat Macht, wer Geld hat. Im autokratischen System hat Geld, wer Macht hat. Der Vermögens-Konzentrationsprozess funktioniert aber so oder so.

  • am 6.05.2022 um 18:23 Uhr
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    Guter Bericht, der leider das wichtigst Problem auslässt: Das Geldsystem selbst mit seinem inhärenten Geldmengen-Wachstum, bzw Wachstumszwang.

  • am 6.05.2022 um 20:43 Uhr
    Permalink

    Hat nicht ein gewisser Karl Marx vor vielen Jahren schon die Konzentration des Kapitals in immer weniger Hände thematisiert und theoretisch begründet? Leider haben sich die auf seiner Analyse beruhenden Ideologien – zumindest in ihrer praktischen Umsetzung- als ungeeignet erwiesen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

  • am 6.05.2022 um 21:46 Uhr
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    Die Grundsteine für die heutigen Probleme wurden schon vor langer Zeit gelegt. Zuerst beim Boden, ein Naturgut, welches schon immer da war wurde zum Privateigentum gemacht. Seither wurde der Boden zum Spekulationsgut. Der Nicht-Bodenbesitzer muss den Bodenbesitzer für den Aufenthalt auf seinem Grund «entschädigen. Dabei sollte es umgekehrt sein der Bodenbesitzer müsste den Nichtbesitzer dafür entschädigen, dass er diesem das Naturgut Land weggenommen hat.
    Nächstens kommt der Zins- und Zinseszins. Manche Religionen kennen ein Zinsverbot. Man hatte sich dabei schon etwas gedacht. Denn bei der Kreditvergabe wird nur das Geld für den Kredit selbst «geschöpft» nicht aber das für den Zins. Interessant dazu dieser Link:

    https://www.youtube.com/watch?v=nHMq_PFkrho&list=PLZHj_T7f_WNfxzd7r9c3M7cjTafqdSBQE&index=3

    Abhilfe könnten progressive Steuern sein. Da könnten jedoch Betroffene abwandern. Daher müssten die Steuern schon vor das Geld der «Steuerzahler» überhaupt bekommt abgegriffen werden.

  • am 7.05.2022 um 08:18 Uhr
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    Liebe Redaktion des Infosperber!
    Dieser Artikel liest sich wie Satire – über ein eigentlich todernstes Thema.

    Danke an Werner Vontobel für den Lacher – der hat mir grad den Tag gerettet;)

    Und Gratulation an Herrn Vontobel und die Infosperber- Redaktion! Macht weiter so:))

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