Migros selbstfahrender Lieferwagen

Von wegen selbstfahrend -- der Migros-Lieferwagen ist ferngesteuert. Von einem Chauffeur im Gamer-Stuhl. © SRF

Die Migros-Camionette ist ferngesteuert

Marco Diener /  In Ebikon liefert die Migros angeblich mit einem selbstfahrenden Fahrzeug. Doch die Camionette ist ferngesteuert.

«Der erste selbstfahrende Lieferdienst der Schweiz beginnt seine Testphase», kündigte die Migros diese Woche an. Und sie pries ihr Fahrzeug: «Fahrerlos, mit viel Swissness und nachhaltig.» Die Camionette fährt zwischen einer Migros-Filiale in Ebikon LU und dem Gelände des Lift- und Rolltreppenherstellers Schindler hin und her. Die Distanz: 500 Meter.

Ohne Mitfahrer

Neu ist: Das Fahrzeug ist unbemannt. Bei den bisherigen Tests auf öffentlichen Strassen – sei es von Postauto oder Bern-Mobil – fuhr immer ein Aufseher in den angeblich selbstfahrenden Fahrzeugen mit. Notfalls konnte er eingreifen. In Ebikon ist niemand im Fahrzeug unterwegs. Deshalb schloss die Sendung «10vor10» von Fernsehen SRF: «Es fährt selbständig».

Ein Homeoffice-Pilot

Doch das ist falsch. Das Fahrzeug hat sehr wohl einen Chauffeur. Nur sitzt dieser irgendwo in einem Gamer-Stuhl vor vier Bildschirmen. Er steuert den Lieferwagen aus der Ferne — ein Homeoffice-Pilot sozusagen. Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra), bestätigt: «In einer ersten Phase ist die Navette ferngesteuert. Wenn das erfolgreich ist, gehen wir in die nächste Etappe: Fernüberwachung.»

Migros selbstfahrender Lieferwagen
Die Empfänger können die Ware aus einem Fach nehmen.

Die Camionette fährt nur ein Mal täglich von Montag bis Freitag und ausschliesslich für Schindler-Angestellte. Diese können Bestellungen für ihre Waren online aufgeben. Migros-Angestellte in der Filiale füllen anschliessend die Fächer des Lieferwagens. Dieser fährt zu Schindler. Und dort können die Angestellten mit einem Code das Fach mit ihren Einkäufen öffnen. Dafür steht der Lieferwagen zwei Stunden auf dem Firmengelände.

«Ergebnisoffen»

Astra-Chef Jürg Röthlisberger ist begeistert vom Projekt. Es sei «völlig ergebnisoffen». Tobias Geisser, Projektleiter bei der Migros sagt: «Heimlieferungen sind möglich. Quartierlieferungen sind möglich. Das steht alles noch ein bisschen in den Sternen.» Doch das könnte genau das Problem sein — dass alles «ergebnisoffen» ist und «in den Sternen» steht.

Im Verkehrshaus

Seit Jahren pröbeln Firmen und Staatsbetriebe mit Paketrobotern, mit Drohnen und mit Kleinbussen herum — in vielen Fällen mit Steuergeldern finanziert. Aber niemand hat eine Ahnung, ob die Fahrzeuge jemals selbständig werden verkehren können. Und wenn doch: Ob überhaupt eine rationelle Nutzung möglich sein wird.

Auch bei der Migros-Camionette fragt sich: Wofür dieser ganze Aufwand? Es wäre doch viel billiger und schneller, wenn ein Kurier die Einkaufstaschen auf einen Veloanhänger laden würde und sie bei Schindler vorbeibrächte. Ganz ohne Fernsteuerung und ohne Code, aber ganz persönlich. Und im Gegensatz zum Homeoffice-Piloten, könnte der Kurier im Notfall auch einen «Platten» flicken.

Der «Matte-Schnägg» wie die Berner den aufreizend langsamen und pannenanfälligen Bus unten an der Aare nannten, fährt übrigens nicht mehr. Genauso wie die Postautos. Eines davon hat es immerhin ins Verkehrshaus geschafft.


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Keine
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