Kommentar

Sind wir dem Terror ausgeliefert?

Erich Gysling © zvg

Erich Gysling /  Den IS-Terror vom Westen fernhalten. Mit Luftangriffen in Syrien und Irak? Mit Grenzkontrollen? Einfache Antworten gibt es nicht.

Die Terrorakte in Paris führen, klar, in der Öffentlichkeit zur Frage: Was kann getan werden, um die Gewalt wieder einzudämmen? Grenzkontrollen einführen? Flüchtlinge ausgrenzen? Die Stellungen des IS in Syrien und Irak noch intensiver bombardieren? Sich mit Assad verständigen, um dessen Regime zu konsolidieren?
Eine eindimensionale Antwort gibt es nicht – aber es gibt zumindest einige Ansätze, um den toten Punkt zu überwinden.
1. Der Konflikt in Syrien und die Lage in Irak
Die Terroristen des so genannten Islamischen Staats kontrollieren in beiden Ländern derzeit etwa zwölf Millionen Menschen. Der selbst ernannte Kalif al-Baghdadi finanziert seine Herrschaft (geschätzt) zu etwa zwei Dritteln selbst, durch Steuern, Erpressung, Verkauf von Erdöl. Das fehlende Drittel kommt aus ausländischen Quellen. Woher? Wohl auf dem Umweg über Stiftungen, die mehrheitlich aus der Golfregion alimentiert werden. Und die Waffen, die im Syrienkrieg eingesetzt werden, die stammen fast zu hundert Prozent aus dem näher liegenden Ausland.
Was also läge näher, als zu versuchen, all diese ausländischen (regionalen) Geld- und Waffenquellen zum Versiegen zu bringen?
Nur: Der Westen wünscht sich weiterhin gute Beziehungen zu allen in den ölreichen Staaten am Golf. Daher gibt’s keinen Druck auf Saudiarabien, die Emirate, Qatar (dessen Herrscher letztes Jahr hemmungslos sagte, er helfe gerne al-Qaida in Syrien im Kampf gegen den Diktator al-Assad) etc.
US-Schätzungen besagen, dass der IS auf rund 30’000 ausländische Kämpfer zählen könne (davon ca 3000 aus Tunesien, etwa 2000 aus Europa). Das Assad-Regime anderseits wird direkt unterstützt (wiederum US-Angaben) durch rund 3000 iranische Pasdaran-Militärberater – und, geschätzt, rund 5000 Hizballah-Kämpfer.
Kurz-Analyse: Könnte man nur schon die ausländischen Helfer und Kämpfer auf beiden Seiten neutralisieren und die Finanzströme stoppen, würde der Syrienkonflikt innert Monaten sozusagen ausdörren.
2. Potentielle Täter im Visier
Bisher gibt es keine Anzeichen, dass die Terroristen aus Kreisen von Flüchtlingen stammen. Das menschliche Reservoir bei den Attentätern konzentriert sich offenbar auf Möchte-Gern-Jihadisten in den trostlosen Banlieus Frankreichs oder Belgiens, allenfalls auf Rückkehrer aus dem so genannten Jihad, also aus Syrien oder Irak. Womit sich die Frage stellt: Können solche Kreise besser kontrolliert werden? In Frankreich ist das offenkundig schon arithmetisch schwierig: Die Geheimdienste haben mehr als 11’000 Verdächtige im Visier, aber um so Viele zu überwachen, müsste man einen Polizeistaat aufziehen. Da gibt es offenkundig Grenzen des Möglichen.
3. Einflussnahme auf Muslime in Westeuropa
Man liest ja oft, die Moscheen müssten noch besser kontrolliert werden, um so genannte Hassprediger auszugrenzen. Nur: Möchte-Gern-Jihadisten müssen sich ja nicht in Moscheen treffen, ihre Ideen können sie genau so gut (wohl eher besser) im privaten Kreis entwickeln.
Natürlich kann man darüber diskutieren, ob der «Islam an sich» mitschuldig sei an der Ideen-Entwicklung der Terroristen. Da gibt’s zwei Denkrichtungen: a) im Koran würde da und dort zu Gewalt aufgerufen, b) der Islam sei rein friedens-orientiert und würde von den Extremisten missbraucht. Beides stimmt und beides ist falsch. Es gibt im Koran (und in den Hadithen, den Überlieferungen dessen, was der Prophet gesagt und getan hat) sowohl das eine wie das andere. Militante Aufrufe findet man dort, wo Mohammed zeitlich und lokal bedingte eigene Konflikte mit rivalisierenden oder feindlich eingestellten Volks-Gruppierungen hatte. Die Friedens-Appelle finden sich in anderen Text-Stellen.
Wir, westlich denkende Menschen, trennen beim Lesen etwa des Alten Testaments die zeitlich ausgerichteten Textstellen (Krieg der Israeliten gegen andere Stämme zum Beispiel) problemlos von den anderen Kapiteln. Und beim Lesen des Neuen Testaments ist es noch einfacher, denn da ist nur von friedlicher Grundhaltung die Rede (oder doch nicht ganz? Was heisst konkret «Macht euch die Erde Untertan?»). Für die Mehrzahl der Muslime und Musliminnen aber gilt: Der Koran ist ein Gesamtkunstwerk, nichts darin kann falsch sein. Das heisst, man hat Mühe, den Koran in seiner ganzen Vielfalt zu lesen und zu unterscheiden zwischen dem, was eben zeitbedingt verstanden werden müsste und dem, was man als «ewig» betrachten kann. Woraus wir, die westlichen «Beobachter», schliessen: Im Islam fehlt eine Aufklärung, um das den Muslimen heilige Buch mit Distanz kritisch zu beurteilen.
Wenn ich schreibe «im Islam» muss ich beifügen: Es gibt Kreise, welche diese kritische Distanz kennen – aber sie sind, leider, innerhalb der Welt des Islams (vorläufig noch) hoffnungslos minoritär.
4. Die jetzt fälligen Prioritäten
Ja, man muss wohl, leider, an den Grenzen besser kontrollieren, wer einreist. Vielleicht fängt man dabei mal ab und zu einen «Jihad»-Rückkehrer, aber wahrscheinlich ist das nicht. Die Terror-Kandidaten werden sich wahrscheinlich andere Einreisewege ausdenken.
Die Flüchtlinge generell unter Verdacht stellen: Nein, denn ein Terrorist muss wissen, dass er da oder dort auch in einem grossen Flüchtlingsstrom identifiziert werden kann.
Die Bombardierungen der IS-Stellungen (und jene von al-Qaida oder der an-Nusra-Front, beide schon fast, zu unrecht, als nebensächlich behandelt) intensivieren: Ja, leider scheint das unumgänglich. Aber mit Luftangriffen kann der IS nicht überwältigt werden. Er hat sich auch in Grossstädten etabliert – und könnte sich jemand vorstellen, Städte wie Mossul oder Raqqa flächenmässig zu bombardieren? Dresden im Jahr 2015? Sicher nicht. Schon die bisherigen US-Attacken forderten eine entsetzlich grosse Zahl von Todesopfern in der Zivilbevölkerung.
Die regionalen Mächte zur Verantwortung ziehen: Ja, das ist wohl (wäre wohl) vordringlich. Wäre… Geschehen wird es nicht.
Die Konflikte in Syrien und in Irak sind, das kann man nicht ignorieren, an der Wurzel des jetzt Europa erreichenden Terrors. Einen «Islamischen Staat», einen Terrorstaat also, würde es nicht geben, hätten die USA und Grossbritannien (unterstützt durch einige andere europäische Länder, aber ohne Uno-Mandat) im Jahr 2003 Irak nicht attackiert. Das bestätigte vor wenigen Wochen sogar Tony Blair, damals Premierminister – und Mitverantwortlicher des Kriegs. Er fügte allerdings bei, er erachte diesen Krieg noch immer als gerechtfertigt…

Siehe:
«Terroristen schüren gezielt irrationale Ängste»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

ISISKmpfer_2

Der «Krieg gegen den Terror» im Irak forderte 500'000 Todesopfer

USA, Iran, Türkei, Saudis, Europa und Russland mischten und mischen im ölreichen Irak mit. Noch immer sind Teile des Landes besetzt.

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