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Bei Annahme der BVG-Revision erhalten Geringverdiener fast 12 Prozent weniger Rente. © SRF

Das Magazin macht Propaganda mit falschen Zahlen

Marco Diener /  Kolumnistin Nadine Jürgensen wirbt im Magazin des Tamedia-Verlags für die BVG-Revision. Mit den Fakten nimmt sie es nicht so genau.

«Die stimmige Revision»: Unter diesem Titel hat das Magazin des Tamedia-Verlags in seiner jüngsten Nummer eine Kolumne von Nadine Jürgensen veröffentlicht. Jürgensen ist Juristin, Unternehmerin und FDP-Kandidatin für den Nationalrat. Aber mit den Fakten nimmt sie es nicht so genau.

«Immer älter» – stimmt nicht

Jürgensen schreibt: «Da die Gesellschaft immer älter wird, ist das Rentensystem überlastet.» Doch das stimmt nicht. Die Lebenserwartung stagniert. Das zeigen die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS): Seit 2018 ist die – für die Pensionskassen entscheidende – Lebenserwartung der 65-Jährigen nicht mehr gestiegen – weder bei den Frauen noch bei den Männern.

«Rente würde um 0,8 Prozentpunkte kleiner» – stimmt auch nicht

Weiter schreibt Jürgensen: «Der Mindestumwandlungssatz soll gesenkt werden, von 6,8 auf 6,0 Prozent. Das bedeutet, dass die jährliche BVG-Rente aus dem Altersguthaben für alle um 0,8 Prozentpunkte kleiner würde.» Das ist doppelt falsch.

85 Prozent der Versicherten sind laut der Pensionskassenstatistik 2021 (Seite 27) des BfS überobligatorisch versichert. Der Umwandlungssatz für ihre Rente liegt schon heute eher bei 5,0 als bei 6,8 Prozent. Eine Senkung des Umwandlungssatzes hätte kaum Einfluss auf ihre Rente.

Ganz anders sieht es hingegen bei den obligatorisch Versicherten aus. Meist sind das Geringverdienende. Sie träfe die Senkung mit voller Härte. Ein Beispiel:

  • Angenommen, eine Person hat ein Altersguthaben von 200’000 Franken angespart. Wenn sie in Rente geht, bekommt sie monatlich 1133.35 Franken.
  • Sollte sie nach Annahme der BVG-Revision in Rente gehen, bekäme sie genau 1000 Franken. Das sind beinahe 12 Prozent weniger!

Die ersten Leser machten die Redaktion unmittelbar nach Erscheinen auf den Fehler aufmerksam. Doch Tamedia brauchte zweieinhalb Tage bis zu einer halbherzigen Korrektur: «Wir bedauern die entstandene Verwirrung und haben das im Text klarer gemacht.»

«Fixer Koordinationsabzug» — stimmt wieder nicht

Weiter schrieb Nadine Jürgensen, der Koordinationsabzug sei «ein fixer Betrag von 25’725 Franken, der vom Lohn abgezogen wird, um die Pensionskassenbeiträge zu berechnen». Das heisse für tiefe Löhne, «dass nur ein kleiner Teil des Lohns — nämlich Lohn minus Koordinationsabzug — versichert werden kann.» Auch das ist falsch. Der Koordinationsabzug ist nicht fix. Pensionskassen können ihn schon heute reduzieren oder ganz streichen. Es kann also schon heute der volle Lohn versichert werden. Neu wäre bei Annahme der BVG-Revision, dass die Pensionskassen mindestens 80 Prozent des Lohns versichern müssten.


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Keine
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2 Meinungen

  • am 16.08.2023 um 16:37 Uhr
    Permalink

    Lieber Infosperber, danke für die Aufklärung.
    Meiner Meinung nach geht es nicht, dass N.J. weiter Kolumnen schreibt resp. im Magazin schreiben darf. Solch tendenziösen und verfälschten Berichte sind eine bewusste Täuschung der Leser:innen (und Wähler:innen) und passen (leider) zu der Partei, die sie vertritt.
    Ich hoffe, dass Menschen mit solchem Verhalten und solcher Einstellung kein Volksmandat bekommen und nicht gewählt werden.

    • am 17.08.2023 um 20:47 Uhr
      Permalink

      Herr Käppeli – ich teile ihre Meinung 100% — es darf nicht sein, dass solche Leute, die zudem von den Medien hochgepriesen werden, uns mit falschen Informationen bei so wichtigen Themen belügen.
      Wenn die Frau als Anwältin nicht fähig ist grundlegende Kalkulationen richtig darzulegen, gehört ihr auf keinen Fall ein politisches Mandat, in irgendwelcher Form. Die Glaubwürdigkeit unserer Regierung ist sowieso in den letzten Jahrzehneten durch Lobbyismus merklich geschwunden. Die angesprochene Partei ist selbstredend mitschuldig am erwähnten Verlust.

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