Kommentar
Der NZZ-Chefredaktor beschimpft das Stimmvolk
Letzten Samstag hielt NZZ-Chefredaktor Eric Gujer an der Generalversammlung der «AG für die Neue Zürcher Zeitung» eine Rede. Die Rede war offenbar so gut, dass die Redaktion anschliessend gleich zwei Seiten leerräumte, um sie gestern in der Zeitung abzudrucken. Titel: «Die Linke schwelgt im Machtrausch.»
«Der Homo Helveticus ist vernünftig»
Zunächst lobt Gujer uns Schweizer und Schweizerinnen: «Der Homo Helveticus ist in allen Lebenslagen vernünftig und rational. Das ist keine Selbstbeweihräucherung, kein Eigenlob, keine billige Schmeichelei. Die Fakten sind nun einmal so. Wir sind nun einmal so. Zumindest konnten wir das in der Vergangenheit mit relativ gutem Gewissen behaupten.»
Und dafür hat er auch gleich ein Beispiel bereit: «2012 lehnten es die Stimmbürger ab, den gesetzlichen Ferienanspruch auf sechs Wochen zu erhöhen. In keinem anderen Land wäre das möglich gewesen. Überall hätte der Eigennutz gesiegt. Die Schweizer aber dachten an die Wirtschaft.»
«Ein Schluck aus der Rentenpulle»
Doch neuerdings fremdelt Gujer ein bisschen mit uns Schweizern. Er findet: «Das schöne Bild hat Risse bekommen.» Denn: «Zunächst genehmigten sich die Schweizer einen tüchtigen Schluck aus der Rentenpulle und stimmten für eine 13. AHV-Auszahlung.» Er wolle «das gar nicht kritisieren», behauptet er. Aber drei Sätze später tut er es doch.
Er schreibt, die Schweizer seien keine «Staatsbürger» mehr, sondern «Staatskonsumenten». Und: «Sie wollen keine Verantwortung übernehmen, sondern staatliche Leistungen verzehren.»
Infosperber staunt: Gujer hat offenbar nicht gemerkt, dass die Schweizer Pensionskassen ihre Umwandlungssätze seit Jahren senken. Und dass die versprochenen Renten aus der 2. Säule deshalb schrumpfen und schrumpfen. Ist es da nicht vernünftig, dass das Stimmvolk diesen Rentenverlust mit einer 13. AHV-Rente ausgleicht?
«Nationalstrassenfonds ist prallvoll»
Auch auf die zweite grosse Abstimmungsniederlage im letzten Jahr kommt Gujer zu sprechen: den Ausbau der Autobahnen. «Im Herbst», schreibt er, «lehnten die Stimmbürger den Ausbau der Autobahnen ab, obwohl der Nationalstrassenfonds prallvoll ist.» Sein Fazit: «Wir haben etwas abgelehnt, was bereits bezahlt ist.»
Infosperber korrigiert: Die neuen Autobahnen sind nicht bezahlt. Wäre ja auch dumm, wenn sie im Voraus bezahlt worden wären. Was jedoch stimmt: Das Geld für den Autobahnausbau ist vorhanden. Aber heisst das, dass wir die Autobahnen ausbauen sollen? Nur weil das Geld vorhanden ist? Selbst dann, wenn wir den Ausbau falsch finden?
«Wer in Bern lebt, ist beim Staat angestellt»
Der NZZ-Chefredaktor hat es nicht nur auf die Schweizer im Allgemeinen, sondern auch auf die Berner im Speziellen abgesehen: «Wer in Bern lebt, ist entweder beim Staat angestellt oder bei staatsnahen Betrieben wie Swisscom und SRG oder bei einer NGO, die das Geld des Staates ausgibt. Da hat man natürlich ein inniges Verhältnis zur Obrigkeit. Hohe Löhne, hohe Steuern und hohe Schulden sind in Bern das Rezept für eine florierende Wirtschaft.»
Infosperber fragt: Ist das Qualitätsjournalismus? Oder die Rede eines Wutbürgers?
«Nirgends bequemer»
Gujer – obwohl bei der NZZ angestellt – tut so, als wüsste er, wie es sich als Beamter lebt. Er schreibt, «dass man nirgends bequemer sitzt als an einem Schreibtisch der öffentlichen Verwaltung».
Infosperber lässt die Worte wirken…
«Vor der Geburt»
Der NZZ-Chefredaktor zählt auch auf, was für Privilegien die Schweizer Städte ihren Angestellten angeblich bieten: «Schwangerschaftsurlaub schon vor der Geburt, sechs Wochen Ferien für alle, 39-Stunden-Woche, bis zu fünf Tage Menstruationsurlaub – selbstverständlich pro Monat –, acht Wochen Vaterschaftsurlaub, sechs Wochen bezahlte Elternzeit, sechs Brückenferientage, Rente mit 63, und wenn es nicht klappt: ein Jahreslohn als Abgangsentschädigung. – Ich komme ganz ausser Atem bei der Aufzählung.»
Infosperber rät: Ruhig durchschnaufen! Auch wenn man sich als Chefredaktor der NZZ gerade ein bisschen aufregt. Und anschliessend: Rückbesinnung auf den Biologieunterricht. Dann merkt man vielleicht, dass ein Schwangerschaftsurlaub – wenn schon – vor der Geburt nötig ist. Keineswegs danach. Denn nach der Geburt sind Frauen nicht mehr schwanger.

«Jedes Lastenvelo bekommt eine Fachstelle»
Nach den Bernern bekommen auch die Zürcher ihr Fett weg. Unter anderem wegen der Verkehrspolitik. «Jedes Lastenvelo bekommt seine eigene Fachstelle», schreibt Gujer.
Infosperber hakt nach: Wie war das schon wieder mit dem Qualitätsjournalismus und dem Wutbürger?
«Jans und Cassis mit der Kettensäge?»
Mittlerweile überzeugt den NZZ-Chefredaktor die Politik in Argentinien und in den USA fast mehr als die unsrige. Jedenfalls findet er: «Auch der Schweiz würde ein bisschen mehr Musk und Milei gut tun.» Und er fragt: «Aber können Sie sich Beat Jans oder Ignazio Cassis mit der Kettensäge vorstellen?»
Infosperber antwortet: Nein. Und das ist gut so.
«Bergpredigt, Vulgärmarxismus und Sozialkitsch»
Schliesslich zielt NZZ-Chefredaktor Eric Gujer auch noch auf seine Berufskollegen: «Drei Viertel der Schweizer Journalisten bezeichnen sich als links. So sehen auch viele Texte und TV-Berichte aus: eine Mischung aus Bergpredigt, Vulgärmarxismus und Rosamunde Pilchers Sozialkitsch.»
Infosperber fragt sich: Lieber Pilcher oder Gujer?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor wohnt in Bern. Aber er ist nicht beim Staat angestellt.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Je weiter rechts einer steht umso linker sieht er alle anderen.
Traurig, was aus dem einstigen «Intelligenzblatt» geworden ist.
Nur schade, dass viele seiner Stammleser noch glauben, da sei seriöser Journalismus.
Kein Wunder, denn dieser ist auch in den anderen Medien immer weniger zu finden.
@H. Sigrist, ergänzend zum Thema seriöser Journalismus: je unseriöser die unseriösen sind, desto seriöser wirken die weniger unseriösen.
Je weiter links jemand steht, umso rechter sieht er alle anderen. Kein Wunder, dass viele Politiker und Journalisten heute meinen, wir hätten ein wachsendes Problem mit Rechtspopulisten.
Die Rede von Herrn Gujer vor den Aktionären war wahrscheinlich diejenige eines Wutbürgers, wie Infosperber mutmasst. Wut über den Zerfall des NZZ-Aktienkurses in den letzten zwei Jahren von knapp Fr. 8000 auf Fr. 5000. Ob das wohl mit seiner redaktionellen Ausrichtung und Nähe zu gewissen rechtsgerichteten Regierungen im Ausland zusammenhängt?
Wutbürger Gujer kann seinen Frust wenigstens sehr prominent los werden.
«Staatskonsument» Otto Normalverbraucher hat diese Möglichkeit nicht. Diese nutzen gegenwärtig vor allem die Hochstapler, Überflieger, sehr Reichen und all jene, welche sich über ihrem wahren Wert verkaufen.
Die Staatskonsumenten bezahlen diesen Staat mit ihren Steuern. Etliche bezahlen ziemlich viel und konsumieren im Verhältnis recht wenig. Zum Beispiel viele Alte…
Vielleicht könnten aus dem prall vollen Autobahn-Topf – statt neue Autobahnen zu bauen – die Folge-Kosten unserer Übermobilität finanziert werden: Zum Beispiel die Unfallkosten, Klimaveränderung, Gebäudesanierungen etc.
Die Stimmbürgerinnen und Staatskonsumentinnen haben beim Autobahn-Ausbau wohl sehr weise und eigenständig entschieden, wie auch bei der 13. AHV.
Sie täuschen sich. 2022 verkaufte die nzz-Gruppe 15 Prozent der Anteile an CH-Media, was Phantasien für eine höhere Gewinnausschüttung weckte und den Kurs in die Höhe trieb. Der ehemalige NZZ-Präsident Etienne Jornod inszenierte denn auch seinen Abtritt im Frühling 2023 mit einer Verdreifachung der durchschnittlichen Dividende auf 600 Fr. Nach der Auszahlung ist der NZZ-Kurs wieder auf durchschnittliche 5000 Fr gesunken. – Die einen denken nur ans Geld, die andern nur an die Ideologie, und ein paar bemühen sich darum, Fakten zu erkennen. So läuft das „Mediengeschäft“.
lieber herr gujer
ich fühle mich als schweizer staatsbürger durch sie nicht beleidigt.
jedoch als dumm hingestellt zu werden ist, gelinde gesagt, eine frechheit.
nur, wen wundert es, dass die nzz, deren gesicht sie sind, ihren liberalismus zur seite legt, um in deutschland bei afd-nahen gruppen neue marktanteile zu gewinnen.
da wundert es nicht, dass in der schweiz die nzz weniger gekauft wird.
vielleicht sind die schweizer*innen doch nicht so dumm.
Ordentlich schwache Replik, Herr Diener.
Bitte begründen! Danke
Dass das Geld für den Autobahnausbau ja vorhanden sei, ist nur ein Aspekt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass für jedes neue Bauwerk (ob Hoch-oder Tiefbau) nach der Erstellung jedes Jahr 10% der Erstellungskosten aufgewendet werden muss. Das wird in der Regel viel zu wenig beachtet.
Ich habe mich beim Lesen des Artikels in der NZZ bestens amüsiert. Nicht vergessen, dieser Artikel war ursprünglich eine Rede. Natürlich sind verschiedene Punkte teilweise übertrieben dargestellt. Insgesamt fand ich den Artikel resümiert gut, was in der Schweiz verbessert werden sollte: weniger und einfachere Administration und die Steuern eher senken als erhöhen. Und vielleicht wäre es ja auch für Bern eine gute Idee einen ausgeglichenen Haushalt zu haben und mal in den Finanzausgleich einzuzahlen statt nur zu beziehen.
Die Realität : Einkommenssteuern, die hauptsächlich hohe Einkommen belasten, sinken seit 30 Jahren. Unternehmenssteuern wurden reduziert,Vermögenssteuern drastisch gesenkt und Erbschaftssteuern teilweise sogar abgeschafft. 1990 zahlte man auf einen Franken noch 4.1 Rappen Erbschaftssteuer, heute sind gerade noch 1.4 Rappen fällig. All das setzten rechtsbürgerliche Mehrheiten durch.
Hingegen sind Konsumsteuern und KK Prämien massiv gestiegen. Die Mehrwertsteuer stieg von 6,5 auf 8,1 Prozent , die durchschnittliche Krankenkassenprämie erhöhte sich um 158 Prozent von 173 auf 427 Franken. Vor allem wenig Verdienende haben damit zu kämpfen. Fazit : Seit Jahrzehnten gibt es eine Finanzumverteilung von unten nach oben.
Vielen Dank für diesen Artikel 👍.
Bei Gujer sollte man immer auf Tiefschläge gefasst sein 😉
Jeder vernünftige Unternehmer wüsste sofort, was zu tun ist, wenn in einem Bereich das Geld für eine benötigte Massnahme (AHV) knapp ist, und in einem anderen Bereich mehr Geld da ist, als man gebrauchen kann (Autobahnen): Man nimmt das Geld und setzt es dort ein, wo es gebraucht wird!