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Kleinere Verkehrsmenge, anders verteilt: Autos und Velos gewinnen, Bahn verlliert © Guggenbühl

Auto als Profiteur: Wie Corona den Verkehr umkehrte

Hanspeter Guggenbühl /  Die coronabedingten Einschränkungen reduzierten den Verkehr massiv. Dabei erhöhte das Auto seinen Marktanteil auf Kosten der Bahn.

Was wir mit Augen und Ohren wahrnahmen, bestätigen erste Zählungen: Der Gesamtverkehr in der Schweiz ist im ersten Halbjahr 2020 massiv geschrumpft. Schlecht ist diese Entwicklung für Bahn- und Flugzeugbetreiber sowie für Auto- und Treibstoffverkäufer. Gut ist die Nachricht hingegen für die Natur sowie die Mobilität von Personen, die sich mit körpereigener Energie fortbewegen. So hat der Verkehr zu Fuss und auf Velos entgegen dem allgemeinen Trend zugenommen; gemessen am Umfang des Gesamtverkehrs bleibt dieser muskelbetriebene Verkehrsanteil allerdings gering.

Doch die guten und schlechten Nachrichten sind zu relativieren: Der ökologisch erwünschte Verkehrsrückgang ist auf Massnahmen zurück zu führen, welche die Regierungen verordnet haben, um die Corona-Epidemie einzudämmen. Die Lockerung dieser Einschränkung, so zeigt die jüngste Entwicklung, lässt den Verkehr wieder ansteigen.

Abweichungen je nach Verkehrsträger

Der Rückgang betrifft alle motorisierten Verkehrsträger, aber unterschiedlich stark. Das zeigen erste Daten über die Entwicklung des Personenverkehrs (den Frachtverkehr klammern wir hier aus) im ersten Halbjahr 2020; dies immer gegenüber der gleichen Periode im Vorjahr. Nachstehend die von Infosperber aus verschiedenen Quellen ermittelten Resultate für die Schweiz:

  • Flugverkehr minus 57 %. Die Flugbewegungen über der Schweiz sanken im ersten Halbjahr 2020 um 57 Prozent. Das zeigen Daten der Schweizer Flugsicherung Skyguide: Während die Flugbewegungen im Januar und Februar noch leicht zunahmen, brachen sie ab Mitte März ein und lagen im April und Mai um mehr als 90 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Seit Juni nimmt die Zahl der Flugbewegungen wieder leicht zu. Noch stärker als die Zahl der Flugbewegungen hat die Zahl der Passagiere abgenommen, weil die wenigen Flugzeuge schlechter ausgelastet waren. Das heisst: Nicht nur der Umsatz, auch die Produktivität des Luftverkehrs hat abgenommen.
  • Bahnverkehr minus 37 %. Die Verkehrsleistung auf den Schweizer Schienen, gemessen in Personenkilometern (Pkm), sank im ersten Halbjahr um 37 Prozent. Das zeigen die Quartalserhebungen des Verbandes öffentlicher Verkehr und des Informationsdienstes Litra: Im ersten Quartal blieb der Rückgang mit 10 Prozent gering, im zweiten Quartal folgte ein Einbruch von 67 Prozent. Während die Nachfrage stark abnahm, blieb das Angebot der Bahnen hoch. So sank die Zahl der Trassenkilometer im ersten Halbjahr 2020 um weniger als 10 Prozent. Wie beim Flugverkehr sank die Produktivität also auch beim Bahnverkehr, weil die meisten Züge im zweiten Quartal schlecht ausgelastet waren.
  • Autoverkehr minus 20 %. Die Fahrleistung der Autos in der Schweiz sank im ersten Halbjahr um durchschnittlich 20 Prozent. Diese Schätzung (plus/minus 5 %) basiert auf Stichproben aus den automatischen Strassenverkehrszählungen des Bundesamtes für Strassen (Astra); diese täglichen Stichproben hat der Schreibende hochgerechnet, weil die Astra-Medienabteilung die erfragten Monatsdaten nicht innert nützlicher Frist liefern konnte.

Zeitlich verlief die Entwicklung des Autoverkehrs 2020 ähnlich wie jene im Bahn- und Luftverkehr: Den stärksten Rückgang gegenüber den Monaten im Vorjahr gab es im April (minus 60 %) und Mai (minus 40 %). Im Juni und vor allem in den Ferienmonaten Juli und August nahm der Autoverkehr wieder zu und blieb nur noch geringfügig unter dem Stand des Vorjahres.

Regional zeigen die Verkehrszählungen deutliche Differenzen: Auf den Nationalstrassen im Mittelland nahm der Autoverkehr im ersten Halbjahr 2020 weniger stark ab als auf den Transitrouten im Alpenraum sowie im Tessin, in der Ostschweiz weniger stark als in der Westschweiz. Der Auslastungsgrad der Autos war schon immer tief (im Schnitt 1,5 Personen) und dürfte sich in den letzten Monaten nicht wesentlich verändert haben. Das heisst: Fahr- und Transportleistung sind ähnlich stark gesunken.

Das Auto als Sieger unter den Verlierern

Die obigen Daten bestätigen den allgemeinen Eindruck: Der Autoverkehr ist weit weniger stark geschrumpft als die Verkehrsleistung des Flug- und Bahnverkehrs. Im Schweizer Verkehrsmix hat das Auto während der Corona-Epidemie also Marktanteil gewonnen. Noch stärker, so zeigen diverse Erhebungen, steigerten Velo- und Fussverkehr ihren Marktanteil; dies aber wie eingangs erwähnt auf tiefem Niveau. Flug- und Bahnverkehr hingegen haben im ersten Halbjahr 2020 Marktanteile verloren. In unsicheren Zeiten fühlen sich Verkehrsteilnehmer in der eigenen Blechkiste offensichtlich sicherer (Motto: «My car ist my castel») als in öffentlichen Verkehrsmitteln – auf Kosten des weniger umweltbelastenden Schienenverkehrs.

Die coronabedingte kurzfristige Entwicklung steht quer zum langfristigen Trend gemäss Schweizer Verkehrsstatistik, immer gemessen in Pkm. So konnten die Schweizer Bahnen ihren Anteil am Landverkehr von 2000 bis 2019 gegenüber dem Autoverkehr leicht erhöhen (von 14 % auf 17 %). In absoluten Zahlen hingegen nahm der Autoverkehr in den letzten beiden Jahrzehnten immer noch stärker zu als der Bahnverkehr, und er bildet weiterhin das dominierende Verkehrsmittel im Landverkehr. Am stärksten wuchs, gemessen in Pkm, zwischen 2000 und 2019 der internationale Luftverkehr. Diese Entwicklung bestätigt eine alte Weisheit: Je höher der Aufstieg, desto tiefer der Absturz.
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Weitere Informationen zu diesem Thema auf Infosperber


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keine

Zum Infosperber-Dossier:

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3 Meinungen

  • am 9.08.2020 um 12:55 Uhr
    Permalink

    Haben Sie noch Daten zu Änderungen im Velo- und Fussverkehr, Herr Guggenbühl?

    Dass der ÖV schwächelt, wundert mich nicht. Es ist eine «unheilige Allianz» von ängstlichen Leuten, die um ihr Leben fürchten, und anderen wie ich, welche die teilweise schikanöse (auch auf offenen Schiffsdecks!), teure und kontraproduktive Maskenpflicht ärgert. Der ersten Gruppe wurde mit der Maskenpflicht entsprochen auf Kosten der zweiten Gruppe (ich werde mein GA nicht erneuern, wenn die Maskenpflicht 2021 noch besteht), aber ohne die Maskenpflicht kommen weniger der ersten Gruppe. Eine dritte Gruppe schliesslich, obwohl nicht besonders ängstlich, will einfach die Maskengesichter nicht mehr sehen, und auch weil sie ständig daran erinnert, dass die Viren herumfliegen.
    Die Frage ist nun, ob die früheren ÖV-BenutzerInnen eher zum Auto oder zum Velo greifen, oder mehr zu Fuss gehen oder ganz zuhause bleiben. Wenn zum Auto, kostet das mehr Menschenleben als durch eine allfällige Reduktion von Ansteckungen vermieden werden können.
    Dabei wäre die Lösung einfach: eine *relative* Maskenpflicht, also nur unterhalb des Sicherheitsabstands zu fremden Menschen, statt die völlig unlogische *absolute* Maskenpflicht. (Ja ich weiss, die Aerosole halten sich nicht an die Abstandsregeln, aber hier nützen die einfachen Masken auch nicht viel.) So könnten sich zwei Gruppen einigermassen wohl fühlen, und die dritte ein bisschen weniger schlecht. Helfen würden auch Infos zu den in Fahrzeugen verwendeten Lüftungen.

    Antwort des Verfassers: Halbjahresdaten für die ganze Schweiz zum Velo-und Fussverkehr habe ich nicht. Meine Aussage, dass der Anteil des Velo- und Fussverkehrs zugenommen hat, stütze sich auf lokale Erhebungen, die einen deutlichen Zuwachs des Veloverkehrs zeigten. Gemessen an der gesamten Verkehrsleistung in Personenkilometer (Pkm) bleiben die Anteile von Velo- und Fussverkehr (wie im Artikel erwähnt) bescheiden, also unter zehn Prozent des Gesamtverkehrs. Hanspeter Guggenbühl

  • am 9.08.2020 um 17:24 Uhr
    Permalink

    Aus der Nachhaltigkeitsstudie 2019 von der Auto- Teilungs- Organisation Mobility:
    Wenn es Mobility nicht geben würde:
    35’500 weniger Auto’s auf den Strassen, 54’500 weniger Parkplätze, 31′ 000 weniger Co 2 Ausstoss, 250 weniger Terajoule aufgrund dessen eine Stromeinsparung für 17’150 Einfamilienhäuser.
    Diese Organisation hätte Subventionen verdient!

  • am 12.08.2020 um 21:19 Uhr
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    Dass die Fluggesellschaften zu den Verlierern gehören, haben sie in erster Linie ihrem arroganten Verhalten gegenüber Kunden zuzuschreiben. Ich hatte für den Juni nacheinander 3 Flüge gebucht und per Kreditkarte bezahlt, alle 3 Flüge wurden kurzfristig annulliert. Rückerstattung des Flugpreises wird nicht angeboten, obwohl das klar gesetzeswidrig ist. Angeboten wird nur Umbuchung, in meinem Fall klar keine Option. Die Rechnungen der Kreditkarte habe ich selbstverständlich nicht bezahlt. Schliesslich musste ich die Reise mit dem Auto antreten, 2850 km pro Weg. Also kein Wunder, dass das Auto klar im Vorteil ist in Zeiten von Corona.

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