Sperberauge

Gesundheitsgipfel in New York: «Was für eine Verschwendung»

Sperber © Bénédicte Sambo

Martina Frei /  Letzte Woche fassten hochrangige Politiker Beschlüsse zur Gesundheitspolitik. Der «Lancet»-Chefredaktor entlarvt ihre Worthülsen.

Vom 20. bis 22. September 2023 fand ein «High-Level-Meeting» im Rahmen der UN-Generalversammlung zu wichtigen Gesundheitsthemen statt. Es ging um die Bekämpfung der Tuberkulose, der weltweiten Gesundheitsversorgung, der Pandemievorsorge. Angekündigt wurde es von der Weltgesundheitsorganisation WHO als «historische Gelegenheit für die Staats- und Regierungschefs der Welt». 

Unter den Geladenen: «His Excellency Alain Berset», der Direktor der WHO, der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach, die Präsidenten von Kuba, Tansania, Zimbabwe und weitere wichtige Staatschefs. 

Alain Berset vor der UNO
Alain Berset, hier in seiner Rede vor der UNO.

Das Ergebnis der Beratungen, die mit drei Deklarationen endeten, fasst Richard Horton, Chefredaktor der Ärztezeitschrift «The Lancet», in der aktuellen Ausgabe mit seinen Worten zusammen. 

«Diese Erklärungen enthalten nichts Neues. Sie bieten keine neuen Verpflichtungen. Sie recyceln alte Versprechen. Schlimmer noch, sie sind durchsetzt mit Clichées und Lügen.»

Richard Horton, Chefredaktor «The Lancet»

Horton zerpflückt die schön klingenden «Clichées» in den Deklarationen:

  • «Sicherstellen, dass niemand zurückgelassen wird» – «Die Schwächsten werden immer zurückgelassen», kontert Horton.
  • «Die Notwendigkeit, die Entwicklungsländer zu unterstützen» – «Nach COVID-19 wurden die ärmsten Länder im Stich gelassen», wendet Horton ein.
  • «Universeller Zugang zu sexueller und reproduktiver medizinischer Versorgung» – Doch sichere Abtreibung bleibe unerwähnt, kritisiert Horton.
  • «Die Einbeziehung der Interessengruppen stärken» – «Was bedeutet diese Aussage überhaupt?», fragt der Chefredaktor. 
  • «Sicherstellen eines regierungs- und gesellschaftsweiten Ansatzes» – Eine weit verbreitete Plattitüde, die häufig nicht beachtet werde, so Horton. 
  • «Globale Solidarität» – in Worten Hortons: «Das verhängnisvolle Gegenteil der Realität.»
Richard Horton
Richard Horton, der Chefredaktor der bekannten Medizinzeitschrift «The Lancet» (Foto von 2016).

Anschliessend kommt der «Lancet»-Chefredaktor zu «den Lügen»: 

  • «Es gibt keine Entschlossenheit, das Versprechen einzulösen, ‹das Recht jedes Menschen, ohne irgendeinen Unterschied, auf das erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit zu bekräftigen›.» 
  • «Es gibt keinen Plan, um ‹den Zugang zu medizinischen Gegenmassnahmen, einschliesslich Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika› zu gewährleisten.»
  • «Es gibt keine systematischen Bemühungen zur ‹Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme›.»
  • Auch sei man «weit davon entfernt, die Länder in die Pflicht zu nehmen, um ‹die Pandemieprävention, -bereitschaft und -reaktion zu stärken›. Stattdessen würden die Mitgliedstaaten den Lehren aus COVID-19 gerne den Rücken zukehren – «und die globale Gesundheitsgemeinschaft schweigt zu ihrer Selbstgefälligkeit», so Horton. 
  • «Die Behauptung, dass ‹Gleichheit [und] soziale Gerechtigkeit von grundlegender Bedeutung› seien, wird nicht mit Vorschlägen für Massnahmen untermauert», moniert er. 
  • «Die Aufforderung, ‹auf die besonderen Bedürfnisse und Schwachstellen von Migranten, Flüchtlingen und Binnenvertriebenen einzugehen›, ignoriere die «grausame und rassistische Behandlung eben dieser Menschen durch die Mitgliedsstaaten». 
  • Die Forderung, ‹bessere Chancen und menschenwürdige Arbeit für Frauen zu schaffen›, vernachlässige die allgegenwärtige Diskriminierung und Ausgrenzung, der Frauen in vielen Ländern ausgesetzt seien. 
  • Die Verpflichtung, ‹die Massnahmen zur Verringerung der tuberkulosebedingten Todesfälle dringend zu verstärken›, biete keine Garantie, dass dies auch geschehe. 

Hortons Fazit: Anstatt den anwesenden Politikern konkrete Versprechen abzuringen, würden «Fototermine der harten […] Arbeit vorgezogen. Die einzigen Zusagen sind die Versprechen, 2026, 2027 und 2028 nach New York zurückzukehren. Das Ergebnis der theatralischen Scharade dieser Woche? Drei verpasste Gelegenheiten. Was für eine tragische Verschwendung.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Übersetzung mit Hilfe von deepl.com
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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2 Meinungen

  • am 26.09.2023 um 12:01 Uhr
    Permalink

    Ich stimme zu, eine weitere Verschwendung öffentlicher Gelder.
    Interessant zu wissen wäre, was hinter den Kulissen bilateral besprochen wurde bei diesem Treffen.

    Dafür findet sich in der Schweizerischen Ärztezeitung ein 8-seitiger Hochglanzprospekt mit dem Titel: «33rd ECCMID-Kongress, 15.-18.4.2023, Kopenhagen, Dänemark; COVID-19: Was ist der aktuelle Stand?»
    Das werden sicher zahlreiche vielbeschäftigte Ärzte als «gute» Zusammenfassung gerne lesen – das Ganze ist aber inhaltlich verantwortet und finanziert von Pfizer AG, Schärenmoosstrasse 99, 8052 Zürich, wie in der letzten Zeile kleingedruckt steht.
    Aus Sicht von Pfizer AG ist das sicher eine sehr gute Investition.
    Kommentar überflüssig.

  • am 29.09.2023 um 10:15 Uhr
    Permalink

    Danke für den Beitrag.
    Und an eine solche demokratisch nicht legitimerte Organisation sollen wir nun also im Rahmen des WHO-Pandemievertrages wichtige Kompetenzen abtreten? Es wäre ein verhängnisvoller Fehler!

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