Verbier1

In Verbier fressen sich die Chalets wie ein Krebsgeschwür den Berg hinauf © -

Walliser Raumplanung braucht Nothilfe von aussen

Kurt Marti /  Mit Hammer und Sichel kämpft die Walliser Baulobby gegen die Zweitwohnungsinitiative statt auf den Ruf des Bundesgerichts zu hören.

Als vor zehn Tagen eine Umfrage der Arena des Schweizer Fernsehens eine Ja-Mehrheit von 60 Prozent für die Zweitwohnungsinitiative ergab, ist die Walliser Bau- und Spekulantenlobby aufgeschreckt und schickte die Politiker auf die Piste. In allen Winkeln des Kantons Wallis traten unter anderen die vier bürgerlichen Staatsräte auf und warnten die Einheimischen vor dem drohenden Weltuntergang.

Ein Mann mit Stalin-Schnauz fuchtelt mit Hammer und Sichel

Dabei entwickelten sie eine bis anhin nie gesehene und auch schmerzlich vermisste Aktivität, was die Raumplanung betrifft. Allen voran die raumplanerisch verantwortlichen Staatsräte der letzten fünfzehn Jahre, namentlich der amtierende CVP-Staatsrat Jean-Michel Cina und der ehemalige CVP-Staatsrat und heutige Ständerat Jean-René Fournier.

Unübertrefflicher Höhepunkt der Kampagne ist ein ganzseitiges Inserat (siehe unten), welches letzte Woche in einigen Deutschschweizer Zeitungen erschienen ist: Ein Mann mit Stalin-Schnauz zerstört mit Hammer und Sichel das Dach eines Ferienchalets und am Schluss steht die Warnung: «Nein zum Tod der Freiheit und Eigenständigkeit! Nein zur Planwirtschaft mit dem Ziel zur Bildung von Reservaten!» Das Inserat lässt schwer vermuten, dass die Nachricht vom Fall der Berliner Mauer bis heute noch nicht in alle Winkel Europas gelangt ist.

Das Inserat warnt vor einer Völkerwanderung aus den Bergen in die Städte

Doch damit nicht genug! Das Inserat malt in SVP-Manier den Teufel der Völkerwanderung an die Wand. Die Annahme der Initiative bewirke «den wirtschaftlichen Ruin der Bergkantone». Massenwanderungen aus den Berggebieten in die Städte drohten. Die Mieten würden ebenso steigen wie die Arbeitslosenzahlen. In den öffentlichen Verkehrsmitteln und auf den Strassen würde es noch enger. In Tonart und Aufmachung erinnert das Inserat an die Kampagnen der SVP, auf deren Homepage es ebenfalls auftaucht. Unterzeichnet ist das Inserat mit «NEIN zur Zweitwohnungsinitiative».

Wer ist der Urheber des ominösen Hammer-und-Sichel-Inserates?

Erstaunlicherweise wird ein gleichnamiges Komitee «NEIN zur Zweitwohnungsinitiative» vom Kanton Wallis, vom Walliser Gewerbeverband und den Parteien CVP, FDP und SVP unterstützt. Aushängeschilder des Komitees sind der Walliser Tourismus-Minister Jean-Michel Cina und der Walliser CVP-Ständerat Jean-René Fournier. Aber auch SVP-Nationalrat Oskar Freysinger und FDP-Nationalat Jean-René Germanier sind dabei.

Handelt es sich also um dasselbe Komitee, welches das ominöse Inserat aufgegeben hat. Auf Anfrage von Infosperber erklärt Bernard Reist, der Informationschef des Kantons Wallis vielsagend: «Es ist uns nicht bekannt, ob es sich beide Male um dasselbe Komitee handelt.»

«Das gibt eine wirtschaftliche Katastrophe für das Wallis und die Schweiz»

Auf jeden Fall die Sprüche gegen die Zweitwohnungsinitiative decken sich. Beispielsweise Ständerat Fournier, der auch Präsident des Walliser Gewerbeverbandes ist, sieht bei Annahme der Initiative die Apokalypse heraufziehen: «Das gibt eine wirtschaftliche Katastrophe für das Wallis und die Schweiz». Staatsrat Cina bevorzugt «vielfältige und an die lokalen Gegebenheiten angepasste Ideen» und verweist darauf, dass man im Wallis das Problem der kalten Betten längst erkannt und Massnahmen ergriffen habe. Im Klartext: Die Gemeindeautonomie bleibt sakrosankt. Eine Einmischung von aussen verbittet man sich gefälligst. Weiterwursteln ist angesagt.

Ausgerechnet die Avenir Suisse stellt ein vernichtendes Zeugnis aus

Die jüngere Geschichte lehrt: Der Kanton Wallis braucht in Sachen Raumplanung dringend Nothilfe von aussen, denn der amtierende Staatsrat Cina und der frühere Staatsrat Fournier sind die beiden politisch Hauptverantwortlichen der unrühmlichen Raumplanung am Rhonestrand. Fournier war von 1997 bis 2005 zuständig für die Walliser Raumplanung, Cina von 2005 bis heute.

Ausgerechnet die neoliberale Denkfabrik Avenir Suisse stellte der Walliser Raumplanung vor zwei Jahren ein vernichtendes Zeugnis aus: Die Bauzonen sind die grössten der Schweiz (siehe Grafik unten), die Zunahme des Siedlungsgebietes und der Zweitwohnungsanteil ist weit überdurchschnittlich, die raumplanerischen Instrumente praktisch inexistent beziehungsweise wirkungslos und der kantonale Richtplan hoffnungslos veraltet. Letzterer werde im Wallis als blosse «Pflichtübung» angesehen.

Eine Privatperson bekommt Schützenhilfe aus Bern und Lausanne

Ein Urteil des Bundesgerichtes (1C_35/2011) zeigt die Wirkungsweise der realexistierenden Walliser Raumplanung schonungslos auf, insbesondere mit welcher Verbissenheit sich der Walliser Staatsrat und das Walliser Kantonsgericht für überrissene Bauzonen einsetzen.

Ein Privater reichte gegen die Nutzungsplanung der Gommer Gemeinde Ernen eine Beschwerde beim Walliser Staatsrat ein und anschliessend eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht. Dabei kritisierte er die völlig überdimensionierte Bauzone im Gebiet Steinhaus. Sowohl der Walliser Staatsrat also auch das Kantonsgericht wiesen die Beschwerde ab.

Schliesslich gelangte der Private mit einer Beschwerde ans Bundesgericht. Nachdem das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) ebenfalls zur Stellungnahme eingeladen wurde, erhob es ebenfalls Beschwerde und beantragte die Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichts und die Nichtgenehmigung der Nutzungsplanung für das Gebiet Steinhaus. Entgegen der eidgenössischen Raumplanungsverordnung schickte übrigens der Kanton Wallis den Staatsrat-Entscheid nicht ans ARE.

Bundesgericht pfeift die Walliser Regierung und das Kantonsgericht unsanft zurück

Das Bundesgericht ging mit der Walliser Raumplanung unter der Federführung von Staatsrat Cina hart ins Gericht und hiess die Beschwerden des Privaten und des ARE gut. Das Urteil des Kantonsgerichts Wallis und der homologierte Nutzungsplan für das Gebiet Steinhaus der Gemeinde Ernen wurden aufgehoben. Laut Bundesgericht ist die «überproportionale Erweiterung der Bauzone» nicht mit den Zielen und Planungsgrundsätzen des Raumplanungsgesetzes vereinbar. Deshalb sei die Genehmigung der Planung zu verweigern.

Die Walliser Behörden halten den Kritiker zum Narren

Das Urteil des Bundesgerichtes gibt einen guten Einblick in die Feinmechanik der Walliser Raumplanung und Rechtssprechung: Weder die kantonale Dienststelle für Raumplanung, noch der Staatsrat und das Kantonsgericht nahmen eine konkrete Überprüfung der Rechtmässigkeit der geplanten Ausweitung der Bauzone vor.

Stattdessen hielten sie den Kritiker zum Narren und verlangten von ihm den Nachweis. Laut Bundesgericht und ARE ist es aber ganz klar «nicht die Aufgabe des Beschwerdeführers, sondern der planenden Behörde, den Nachweis zu erbringen, dass die von ihr ausgeschiedenen Bauzonen den Vorgaben des übergeordneten Rechts entsprechen».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Leerwohnungen_Zweitwohnungen-1

Zweitwohnungen

Nach der Abstimmung wollen Gegner der Franz-Weber-Initiative den Begriff «Zweitwohnung» neu erfinden.

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Eine Meinung zu

  • am 1.03.2012 um 21:42 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank für diesen ausgezeichneten Beitrag. Sehr gute Recherche, gut kommentiert, zeichnet ein deutliches Bild. Schade nur, dass er wahrscheinlich nicht von vielen gelesen wird, weil Ihr ein kleines Medium seid. Weiter so! Merci für die «schriftliche Unterstützung"! Haben Euch auf http://www.zweitwohnungsinitiative.ch und auf http://www.facebook.com/zweitwohnungsinitiative verlinkt.
    In 10 Tagen wissen wir Bescheid, wie die Abstimmung ausgegangen ist. Es wird spannend! Vielen Dank für jede Form von Unterstützung, die wir in diesen letzten Tagen noch kriegen können!
    Silvio Baumgartner

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