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Beim Unteraargletscher sollen geschützte alpine Landschaften durch Staudämme unter Wasser gesetzt werden. Sie sind danach biologisch tot. © Nick Roellin

Hier will das Parlament Schutzgebiete zerstören

Catherine Duttweiler /  Am Montag entscheidet das Parlament über den Bau von 15 Staudämmen. Infosperber stellt die Projekte und ihre Probleme exklusiv vor.

Nach dem Ständerat wird am Montag auch der Nationalrat 15 sofort zu realisierende Staudammprojekte in den Anhang zum Stromversorgungsgesetz schreiben – für Rechtsspezialisten eine Verletzung der Gewaltentrennung. Mit Ausnahme der stark umstrittenen Projekte am Grimselpass, an der Trift und am Gornergletscher wurden die Bauvorhaben bisher inhaltlich nicht näher diskutiert.

Über ein Dutzend Schutzgebiete opfern?

Wer die 15 Projekte studiert, stellt sofort grosse Unterschiede bezüglich Planungsstand, Realisierbarkeit, ökologischen Auswirkungen und Stromgewinnung fest. Zahlreiche Schutzgebiete von nationaler Bedeutung sollen geopfert werden, und damit will das Parlament die Schutzbestimmungen grundsätzlich und speziell für Gletschervorfelder und Auengebiete aushebeln – entgegen den Absichten des Runden Tisches Wasserkraft von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Dieser hatte in seiner Schlusserklärung nämlich festgehalten, dass «weder die Bewilligungsverfahren noch das Verbandsbeschwerderecht» durch seine Empfehlungen tangiert würden. Der Runde Tisch forderte zudem vertiefte Abklärungen und Ausgleichsmassnahmen. 

Dass die 15er-Liste des Runden Tisches Wasserkraft manipulativ erstellt wurde, hat Infosperber bereits beschrieben. Namhafte Professoren hatten Methodik und Vorgehen scharf kritisiert. Doch wie sehen die Projekte überhaupt aus? Welche Schutzgebiete für Landschaft, Gewässer und Wild sind betroffen? Und welche Energiekonzerne – mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand – würden von den stark subventionierten Bauten profitieren? 

Infosperber dokumentiert die Projekte des Runden Tisches und deren Auswirkungen aufgrund von offiziellen Projektbeschrieben und Zusatzrecherchen – und verweist auf einen wichtigen Unterschied bei dieser Beschleunigungsvorlage: Während die mit dem «Solarexpress» vom Parlament beschlossenen Erleichterungen für den Bau von Photovoltaik-Grossanlagen nur für wenige Jahre gelten und sich die Solarpanele problemlos zurückbauen lassen, ist dies bei den 15 Staudämmen bisher weder vorgesehen noch vorfinanziert. Staudämme hinterlassen nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer hässliche Betonmauern und dahinter tote Täler – erst recht wenn sie dereinst wegen Klimawandel und Gletscherschmelze ausgetrocknet sind. Denn in einem Stausee überleben nur wenige Kleinstlebewesen. 

Hier die 15 Projekte in alphabetischer Reihenfolge:


Neuer Chummensee-Stausee in Grengiols/Binntal (VS)

Das Chummibort-Tal ist eine weitgehend unberührte Landschaft. Der Neubau einer Staumauer von 120 Metern Höhe würde einen massiven Eingriff innerhalb des Landschaftsparks Binntal darstellen, eines regionalen Naturparks von nationaler Bedeutung gemäss Bundesgesetz für Natur- und Heimatschutz (NHG); der Bau würde gegen die Pärkeverordnung verstossen und käme zudem in einer kantonalen Landschaftsschutzzone zu liegen.

Dank einem komplexen Stollensystem über Dutzende von Kilometern soll das Wasser aus dem Chummensee durch mehrere Talschaften transportiert und mehrfach turbiniert werden: Mit riesigem Aufwand kann nur wenig zusätzlicher Strom produziert werden. Dank starker Subventionierung ist das Projekt trotzdem lohnend. 
Das Projekt ist eng verknüpft mit dem stark umstrittenen grössten Solarpark in den Schweizer Alpen: mit der alpinen Grossanlage in Grengiols. Strom aus der Anlage im Umfang von 130 Fussballfeldern soll unter anderem den Pumpbetrieb fürs Kraftwerk sichern. Gegen das gigantische Photovoltaik-Projekt, das bereits im nächsten Winter in Betrieb gehen soll, wehrt sich eine Interessengemeinschaft.

Investor: Gommerkraftwerke AG (Groupe E hält 96 % der Aktien)
Winterproduktion: 165 GWh
Mehrproduktion übers Jahr netto: 18 GWh

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Das Chummiborttal im Naturpark Binntal soll unter einer 120 Meter hohen Staumauer verschwinden.


Erhöhung der Staumauern am Curnera- und Nalpssee (GR)

Im  Bündner Oberland sollen in der Nähe des Oberalppasses die zwei bestehenden Staumauern um 20 Meter (Curnera) und um 25 Meter (Nalps) erhöht werden. Beim Lai da Nalps wären dadurch mehrere Schutzgebiete betroffen: ein Landschaftsschutzgebiet, regionale Flachmoorgebiete, Gewässerschutzbereiche sowie eine Wildschutzzone.  Zudem liegt in unmittelbarer Nähe ein Flachmoorgebiet von nationaler Bedeutung (Objekt Nr. 1672)

Eigentlich wurden die beiden Projekte ursprünglich als getrennte Ausbauprojekte Curnera und Nalps aufgelistet. Sie wurden zusammengelegt, um eine bessere Bewertung zu erreichen; allerdings «vergass» man, die Umweltbeeinträchtigung von Nalps mit Curnera zu addieren. Damit ist die Umweltbewertung in diesem (wie auch anderen Fällen) grob fehlerhaft.

Investor: Kraftwerke Vorderrhein AG (Axpo hält 81,5% der Aktien)
Winterproduktion: 99 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 0 GWh


Neue Staumauer an der Gletscherzunge des Gornergletschers (VS)

Der mit Abstand grösste neue Stausee soll 650 Gigawattstunden zusätzlichen Winterstrom bringen – das ist dreimal mehr als der geplante Triftstaudamm. Im Bereich der völlig unberührten Gletscherzunge und des Gletschervorfelds ist neu eine Staumauer von 85 Metern Höhe und einer Breite von 285 Metern geplant – im engeren Gornertal, in welchem bisher keine Infrastrukturbauten bestehen und welches grosse touristische Bedeutung hat. Das Projekt wäre ein grosser Eingriff in geschützte inventarisierte Objekte von nationaler Bedeutung: 

  • Es wäre eine grosse Fläche betroffen, welche im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler aufgeführt ist: Dent Blanche – Matterhorn – Monte Rosa: BLN Objekt Nr. 1707
  • Zudem ein alpines Auengebiet ausserhalb Bundesinventar: Gornergletscher Objekt Nr. 1141
  • Sowie eventuell Trockenwiesen von nationaler Bedeutung: Usser Gornerli Objekt Nr. 7700

Wegen des «dramatischen Eingriffs in die Natur» hat die Stiftung für Landschaftsschutz, welche am Runden Tisch Wasserkraft teilgenommen hatte, die Unterschrift unter das Schlussdokument verweigert. Geschäftsführer Raimund  Rodewald spricht von einem «Tabubruch» und kritisiert insbesondere, dass die Gletscherzunge unter Wasser gesetzt würde und so «aktiv abgeschmolzen» werde.  

In einer ersten Bewertung hatte der Gornerstaudamm wegen der grossen Umwelteingriffe sehr schlecht abgeschnitten. Dann aber entschied die Begleitgruppe, das Projekt in die 15er-Liste aufzunehmen – anstelle der Erhöhung der bestehenden Staumauer Grande Dixence. Die Begründung: Beide Projekte können nicht realisiert werden, weil dafür zuwenig Wasser im Einzugsgebiet vorhanden ist. Man entschied sich fürs Gornerprojekt, weil dieses 400 GWh mehr zusätzlichen Winterstrom generiert als die Erhöhung der Grande Dixence, dem mit 285 Metern bereits höchsten Bauwerk der Schweiz. Der Plan: Das am Gornergletscher gewonnene Wasser soll über einen Stollen in den Sammelkanal der bestehenden Grande-Dixence-Staumauer geleitet und dort turbiniert werden.  

Investor: Grande Dixence SA (Mehrheitsaktionärin Alpiq, Beteiligungen von Axpo, BKW und IWB)
Winterproduktion: 650 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 200 GWh


Erhöhung des Staudamms am Lac de Moiry im Seitental des Val d’Anniviers (VS)

Oberhalb von Grimentz soll die bestehende Staumauer um 22 Meter erhöht werden, um das Wasser des Bergbachs Gougra noch besser nutzen zu können; zudem soll die Pumpkapazität in Mottec um 23 MW erhöht werden. Die ökologischen Auswirkungen dieses Projekts werden von Umweltschutzorganisationen als weniger schädlich beurteilt als andere Projekte: Es wäre voraussichtlich nur eine kommunale Landschaftsschutzzone betroffen. Aktuell ist kein organisierter Widerstand bekannt; Fachleute gehen davon aus, dass auf der kleinen Schwemmebene möglicherweise die stark gefährdete und nach NHG geschützte Schwemmufergesellschaft mit der Zweifarbigen Segge – dem wertvollsten Vegetationstyp der Gletschervorfelder – vorkommt.

Investor: Alpiq
Winterproduktion: 120 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: minus 17 GWh


Erhöhung der Staumauer am Griessee beim Nufenenpass (VS)

Die bestehende Staumauer des Griessees soll um 16 Meter aufgestockt, ein neues Ausgleichsbecken und eine neue Pumpzentrale sollen bei Altstafel erstellt werden. Zudem soll hier ein Windpark entstehen. Es wäre ein kommunales Landschaftsschutzgebiet betroffen. Kein Widerstand bekannt. 

Investor: Maggia SA (mit den Aktionärinnen Axpo (30%), Kanton Tessin (20%) sowie Alpiq, IWB, BKW, ewz, ewb)
Winterproduktion: 46 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 12 GWh


Erhöhung Staumauer am Grimselsee

Geplant ist die Erhöhung der bestehenden Staumauer um 23 Meter, dazu soll die Grimselpassstrasse verlegt werden. Es würden wertvolle Moorbiotope, Schwemmebenen und Auengewässer im Vorfeld des Unteraargletschers zerstört, das Grimselgebiet ist sowohl BLN-Gebiet wie auch kantonales Naturschutzgebiet und liegt in unmittelbarer Nähe zum UNESCO-Weltnaturerbe Aletsch.  

Der Grimselverein bekämpft das Vorhaben seit Jahren bis vors Bundesgericht und stellte sich im letzten September gegen den Richtplan, den der Kanton Bern auf Geheiss der Lausanner Richter erstellen musste. 

Investor: KWO
Winterproduktion: 240 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 12 GWh

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Idyllische Gebiete am Grimselsee sollen für die Stromproduktion geflutet werden.


Erhöhung der Staumauer am Lac d’Emosson oberhalb von Martigny (VS)

Die Staumauer soll um 10 Meter erhöht werden, dadurch wären in den Gemeinden Salvan und Finhaut mehrere Schutzgebiete betroffen: Der Parc naturel régional de la Vallée du Trient sowie ein regionales Landschaftsschutzgebiet.

Investor: alpiq
Winterproduktion: 58 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 0 GWh


Erhöhung der Staumauer am Lac de Toules beim Grossen St. Bernhard (VS)

Die Erhöhung der bestehenden Staumauer um 10 Meter würde zwar kantonale Natur- und Landschaftsschutzzonen beeinträchtigen. Allerdings ist der Standort auf Gemeindegebiet von Bourg-St-Pierre bereits stark durch bestehende Infrastrukturen geprägt: Die Passstrasse zum Grossen St. Bernhard führt dem Stausee entlang, unter der Staumauer bestehen umfassende Strassen- und Infrastrukturbauten, und seit Anfang Dezember 2019 besteht auf dem See eine schwimmende Photovoltaik-Pilotanlage.

Investor: alpiq, mit Romande Energie (und Unterstützung der ABB für die Solarpanels)
Winterproduktion: 53 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 10 GWh


Erhöhung der Staumauer am Lago del Sambuco bei Fusio (TI)

Dieses Projekt wird in der Gemeinde Lavizzara bisher nicht bestritten, es dürften keine Schutzgebiete von der Erhöhung der bestehender Staumauer um 10 bis 12 Meter betroffen sein. Das Kraftwerk Peccia soll erweitert werden. Die angrenzende Strasse muss wegen der Erhöhung verlegt werden. 

Investor: Maggia SA
Winterproduktion: 46 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 5,5 GWh


Erhöhung der Marmorera-Staumauer am Julierpasse (GR)

Von einer Erhöhung der bestehenden Staumauer um 14 Meter wären ein regionaler Naturpark von nationaler Bedeutung sowie mehrere Gewässerschutzzonen betroffen; die stark befahrene Julier-Passstrasse müsste verlegt werden. Gegen die Erhöhung spricht die instabile geologische Situation. Der Erddamm grenzt an einen Bergrutschkegel und liegt auf Kies und Triebsand.  
Das ewz als Besitzerin des Stauwerks hat noch keine vertieften Abklärungen getroffen und ist nicht erpicht auf den Ausbau, der nun gesetzlich festgelegt werden soll. Zu Verunsicherung führen zudem die Aussagen des Kantons Graubünden, dass er bei Ablauf der Konzession im Jahr 2035 vom Heimfall Gebrauch machen wolle, den Stausee also ins Kantonseigentum überführen will.  Solange diese Frage und allfällige Entschädigungen nicht geregelt sind, hat das ewz kein Interesse an den nötigen Grossinvestitionen, zumal es wegen des Klimawandels zu einem Leistungseinbruch kam: Der Stausee konnte letztes Jahr nur noch einmal statt zweieinhalb Mal gefüllt werden. Das ewz fordert daher zuerst eine Machbarkeitsstudie.

Investor: ewz
Winterproduktion: 55 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 0 GWh


Erhöhung des Mattmark-Stausees oberhalb von Saas Almagell (VS)

Von der Erhöhung des Staudamms um 10 Meter wären alpine Auengebiete ausserhalb des Bundesinventars betroffen (Objekt Nr. 1087, Schwarzberggletscher, & evtl. 1090, Allallingletscher).

Investor: KW Mattmark AG
Winterproduktion: 65 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 0 GWh


Erhöhung der Staumauer am Oberaarsee bei Guttannen am Grimselpass (BE)

Der bestehende Stausee, durch den eine wertvolle Schwemmebene zerstört worden ist, soll um 10 Meter erhöht werden. Das Projekt basiert lediglich auf einer ETH-Masterarbeit und wurde vom Runden Tisch mit einer Nutzwertanalyse ergänzt. Offen ist daher, wie stark die vergrösserte Seefläche in den Perimeter des UNESCO-Weltnaturerbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch hineinragen würde. Der Oberaarsee liegt wie der benachbarte Grimselsee sowohl in einem BLN-Gebiet (Nr. 1507 «Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn-Gebiet») wie auch in einem kantonalen Naturschutzgebiet. Im Uferbereich wären kleine Flachmoore betroffen, die bisher nicht kartiert worden sind.

Investor: KWO
Winterproduktion: 65 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 0 GWh


Neuer Speichersee beim Oberaletschgletscher Nähe Riederalp (VS) 

Das Projekt sieht den Neubau eines Speichersees unterhalb des Oberaletschgletschers vor, zudem eine neue unterirdische Zentrale beim Gebidemsee. Es sollen keine zusätzlichen Gewässer gefasst werden, der neue Stausee liegt aber mitten in der Region des UNESCO-Weltkulturerbes, ist im BLN aufgeführt und beeinträchtigt Auengebiete ausserhalb des Bundesinventars. Es droht ein Entzug des Labels durch die Unesco, welche bereits informiert wurde. Das Gebiet hat grosse touristische Bedeutung. 

Investor: Electra-Massa, EnBAG
Winterproduktion: 50 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 100 GWh


Erhöhung eines bestehenden Staudamms und Erstellung einer Reusskaskade (UR)

Dieses Projekt für die Erhöhung des Staudamms am Göscheneralpsee um 15 Meter wird erst durch die nationalen Förderprogramme rentabel: 2011 scheiterte die Erhöhung um 8 Meter, weil sich die Kantone mit der Betreiberin nicht einigen konnten. Damals hatten Umweltschutzorganisationen wie Pro Natura und WWF die  halb so grosse Erhöhung unterstützt. Durch die nun geplante Erhöhung um 15 Meter wären nationale Schutzgebiete betroffen:

  • Bundesinventar Moorlandschaft (rote Schraffur) Objekt Nr. 204: Flachmoor (türkis) und Hochmoor (hellgrün) nationaler Bedeutung
  • Bundesinventar Auengebiet nationaler Bedeutung (Pastellfarben), Gletschervorfeld Dammagletscher Objekt Nr. 1219
  • Am Westende des Sees wären Flachmoore betroffen, die bisher noch nicht begutachtet worden sind.

Zusätzlich haben die Betreiber die Option auf einen Ausbau des Kraftwerks Wassen mit einer parallelen Stufe. 

Investor: CKW, SBB
Winterproduktion: 96 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 44 GWh


Neuer Staudamm am Fuss des Triftgletschers (BE)

Geplant ist ein neuer Stausee mit einer Mauer von 177 Meter Höhe: Damit würden der grösste natürliche Gletschersee der Schweiz sowie das Gletschervorfeld überflutet – eine der letzten vom Menschen kaum berührten Hochgebirgslandschaften. Das Gebiet ist selbst gemäss Einschätzung der Kraftwerkbetreiberin KWO «einzigartig, schützens- und erhaltenswert», unabhängige Studien dokumentieren einen «stark erhöhten Schutzbedarf», und Mary Leibundgut, eine führende Expertin für Gletschervorfelder, kam nach einer Inventarisierung vor Ort letztes Jahr zum Schluss, dass eine alpine Aue im Umfang von 500 Fussballfeldern ins nationale Aueninventar aufgenommen und geschützt werden müsste. Zudem soll beim Steingletscher eine neue Fassung und eine neue unterirdische Zentrale erstellt werden, dazu mehrere neuer Stollen. Die gestauten Gewässer sollen ins bestehende KWO-System eingespiesen werden. Das Projekt wird vom Triftkomitee, vom Grimselverein sowie weiteren Organisationen bekämpft.

Investor: KWO
Winterproduktion: 215 GWh
Mehrproduktion übers Jahr: 145 GWh

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Bedrohter Triftgletscher mit Wasserfall – am Fuss soll eine 177 Meter Staumauer entstehen.


Fazit:

Die 15 Vorhaben weisen aufgrund der verzerrenden Selektionskriterien bezüglich Umweltschäden riesige Unterschiede auf, weil Wirtschaftlichkeit und Winterproduktion höher gewichtet wurden. Bezüglich ökologischen Auswirkungen sind einzelne Stauseen unbestritten, während der Schaden gerade bei den grossen Projekten Gorner, Chummen und Trift enorm wäre. Die Projekte haben zudem einen unterschiedlichen Planungsstand. Bei einzelnen Staudämmen, die im Gesetz verbindlich vorgeschrieben werden sollen, wurde noch nicht einmal die Machbarkeit abgeklärt, wie das Beispiel des Marmorerasees zeigt – andere haben den Projektierungsstand einer Masterarbeit. 


Geheimniskrämerei des Bundesamts für Energie BFE weckt Misstrauen


Seit nunmehr 15 Monaten verhindert das Bundesamt für Energie mit allen Mitteln, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie die unumstrittene 15er-Liste des Runden Tisches konkret zustande kam. Die Infosperber-Autorin wurde Ende Februar für ihre hartnäckigen Recherchen mit dem zweiten Platz beim «Prix Transparence» ausgezeichnet. 

Bereits haben zwei Schlichtungsverhandlungen beim Eidgenössischen Datenschützer und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) stattgefunden. Bisher musste das BFE Angaben zu Methodik, Bewertungskriterien und Formeln zur Beurteilung der Kraftwerkprojekte herausgeben – ebenso wie eine  zunächst geheim gehaltene Liste von 17 weiteren Projekten. Weitere Dokumente hält es noch immer unter Verschluss. 

Pikant: In der ersten Verhandlung berief sich das BFE auf angebliche Vertraulichkeitsabmachungen aufgrund wirtschaftlicher Interessen. Doch es konnte keinerlei Belege dafür vorlegen, und der EDÖB verwies zurecht darauf, dass mehrere Konkurrenten gemeinsam am Runden Tisch sassen und damit vollen Einblick hatten. 

In der zweiten Verhandlung wechselte das BFE die Strategie und berief sich neu auf die Vertreterin einer nicht namentlich genannten Umweltschutzorganisation, welche angeblich Vertraulichkeit verlangt habe. Die Behördenvertreter gaben zu, dass es keine Dokumente dazu gebe, sondern nur «Hinweise»: eine private handschriftliche Notiz eines Mitarbeiters sowie eine Powerpointfolie des früheren EU-Botschafters Michael Ambühl, der den Runden Tisch moderiert hatte. Beide Papiere konnten oder wollten die BFE-Männer nicht vorlegen, sagten aber, dass der Wortlaut der Powerpoint-Folie sinngemäss laute: «Die Diskussionen sind vertraulich. Sie werden bis am Schluss nicht mit der Öffentlichkeit diskutiert.»

Vergeblich wurde das BFE während der Schlichtung daraufhin gewiesen, dass nicht die Diskussionsbeiträge von Einzelpersonen und die Entscheidfindung im Detail interessierten, sondern das Ergebnis: die Wahl der Berechnungsvariante (es wurden deren fünf berechnet, aber nur eine kommuniziert). Fachleute haben errechnet, dass die Auswahl vermutlich so konstruiert und nachträglich abgeändert wurde, dass rentable Grossprojekte bevorzugt werden. Die Bestätigung dafür dürfte sich in den zurückgehaltenen Berechnungen finden.

Der EDÖB hat in beiden Verhandlungen auf Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Bundesgerichts verwiesen, wonach Vertraulichkeit explizit vereinbart werden muss. Im Moment spielt das BFE indes erneut auf Zeit, indem es eine zweite Konsultationsrunde bei den Vertreter:innen des Runden Tisches durchführt. Daher ist das Verfahren derzeit bis Ende März sistiert.  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Sperber.NurKopf.vonLinks.IS-Hintergrund

Des Sperbers Überblick

Kompaktes Wissen: Hier finden Sie die wichtigsten Fakten und Hintergründe zu relevanten Themen.

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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7 Meinungen

  • am 12.03.2023 um 12:45 Uhr
    Permalink

    Die weltweite Zerstörung der Biodiversität, der Vielfalt das Lebens auf unserer Erde, wird von Fachleuten als noch bedrohlicher denn die Klimakrise eingeschätzt. Möglicherweise ist es die größte Katastrophe unserer Zeit – so krass es klingen mag, wahrscheinlich schlimmer als alle Kriege, Repressionen und Klimakrise.

    Der Verlust der Vielfalt weise auf einen Grad der Zerstörung von Ökosystemen hin, der auch für die menschliche Zivilisation zur Existenzfrage werde: «Wir höhlen die Fähigkeit des Planeten aus, menschliches Leben und das Leben im Allgemeinen zu erhalten», wurde der mehrfach international ausgezeichnete Wissenschaftler Prof. Gerardo Ceballos von der Autonomen Uni Mexikos 2020 in der «New York Times» zitiert.

    Biodiversität umfasst nicht nur Artenvielfalt, sondern u.a. auch die Vielfalt natürlicher Lebensräume.

    Selbstzerstörerisch, wenn gerade der Niedergang der Lebensvielfalt und die Klimakrise, die sich gegenseitig bedingen – immer mehr gegeneinander ausgespielt werden.

  • am 12.03.2023 um 12:53 Uhr
    Permalink

    Schutzgebiete-Zerstörung für Staudämme-Boost ohne Wasser – das nenne ich Worst Case (GAU). Den Bauern fehlt der Regen, den E-Werken das Stauwasser.
    https://www.suedostschweiz.ch/wirtschaft/generalversammlung-engadiner-kraftwerke-ag-weniger-wasser-weniger-strom-weniger-geld
    https://www.blick.ch/schweiz/wer-kriegt-wasser-berggebiete-fordern-strategie-fuer-duerre-sommer-id18375582.html
    Rückläufige Schneefälle, Gletscher, Regenfälle. Schlagzeilen im (vormaligen) «Wasserschloss Schweiz»:
    https://www.blick.ch/schweiz/westschweiz/jura/boote-sitzen-auf-dem-trockenen-der-lac-des-brenets-im-jura-ist-komplett-verschwunden-id17798409.html ; «Rekordtiefe Wasserpegel in der Aare»; «Steinwüste statt Naturpool: Fluss im Verzascatal versiegt komplett – in gerade mal 5 Tagen» 13.8.2022 https://www.bluewin.ch/de/news/schweiz/fluss-im-verzascatal-versiegt-komplett-in-gerade-mal-5-tagen-1335354.html
    Ich fordere: Strassen-Rückbau. Chlorophyllfüllemaxima. Aktion gegen max. Stromverbraucher Chemieindustrie.

  • am 12.03.2023 um 15:14 Uhr
    Permalink

    Warum muss das BFE seine Berechnungen geheim halten?
    1. Weil, ausser den 3 grösseren Projekten Gornergletscher, Triftgletscher und Grimselsee, es sich um lächerliche «erzwungene» Projektlein handelt:
    Das BFE kann und will offensichtlich nicht zeigen, wie es für diese Projektlein die Energieproduktion «hochgerechnet» hat, um doch noch einen Drittel der verlorenen Jahresenergie von Mühleberg «wiedergutzumachen». Note ungenügend.

    2. Weil solche Projektlein nichts mit «Strategien für die Energie-Zukunft» zu tun haben. Das (durchschnittliche) Beispiel SBB Kraftwerksausbau «Reusskaskade» zeigt die unternehmerische Absurdität: Es wird mit viel Steuergeld, das die SBB nie zurückzahlen kann, viel Natur zerstört, die nie mehr renaturiert werden kann, um ein uraltes Bahn-Kraftwerk auszubauen. Mit der gewonnen Mehrleistung, kann man im fernen Unterland 1(!) Schnellzug mehr antreiben und im Winter noch heizen.
    Sofern die veralteten Steuersysteme eine solche Erhöhung der Streckenbelastung erlauben!

  • am 12.03.2023 um 21:53 Uhr
    Permalink

    Ich bin schockiert über die Pläne des BFE! Danke einmal mehr, Infosperber, über die Aufdeckung dieser höchst abstrusen Absichten.

  • am 12.03.2023 um 23:42 Uhr
    Permalink

    Tatsächlich bleiben uns nur noch die Augen zum Weinen! Überall auf der Welt, auch in der schönen kleinen Schweiz, wirft die Geldgier Herz, Vernunft und Aufrichtigkeit über Bord.
    Verpassen wir es nicht, rechtzeitig auf die Barrikaden zu steigen!

  • am 13.03.2023 um 11:20 Uhr
    Permalink

    Ich kann die hier vorgestellten Projekte nicht beurteilen, und ich weiss auch nicht, ob man Windräder gegen Stauseen aufrechnen kann. Aber als ich letztes Jahr das erste Mal zu meiner Überraschung die grossen Windräder auf dem Gotthardpass erblickte, erschrak ich und dachte ich mir, dass ein paar erhöhte oder neu gebaute Staumauern weniger schlimm seien.

    • am 14.03.2023 um 11:24 Uhr
      Permalink

      Auf dem Gotthardpass finde ich Windräder O.K. Dort ist die Natur sowieso nicht mehr unberührt. Die mit dem Auto angereisten Touristen, welche sich über die optische Beeinträchtigung aufregen, könnten auch über die Naturzerstörung durch die Strasse nachdenken.
      Zum Glück kann man grosse Windräder nicht mit dem Heli anliefern. Das bremst die Verschandelung von sonst unberührten Landschaften auf «natürlichem» Weg.

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