Milir.ins.Komplex. Shonagh Rae

Die Lobby der Rüstungsindustrie ist enorm mächtig. © Shonagh Rae

Wer den Krieg anheizt und von ihm profitiert

Matthew Hoh /  Wie der militärisch-industrielle Komplex Politik und Medien beeinflusst – Die Kosten und Risiken des Kriegs werden verdrängt.

upg. Keine westliche Provokation rechtfertigt den brutalen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Trotzdem stellt sich die Frage, ob das unermessliche Elend und die flächendeckenden Verwüstungen hätten vermieden werden können. 
In einem ersten Teil erinnerte Matthew Hoh an Warnungen schon vor Jahren. In diesem zweiten Teil geht es darum, wer vom Krieg profitiert, wer auf westlicher Seite die Information beeinflusst, welche Kosten und Risiken der Krieg verursacht und wie es um einen Frieden steht.


Neue Märkte für den militärisch-industriellen Komplex

Hinter dem diplomatischen Fehlverhalten und dem damit einhergehenden Grössenwahn (siehe 1. Teil) steht der militärisch-industrielle Komplex der USA (hier und hier und hier).

Dwight D. Eisenhower
Präsident Dwight D. Eisenhower am 17. Januar 1961 über die Gefahr des militärisch-industriellen Komplexes. Während des 2. Weltkriegs war er als General ein Supreme Commander für Europa.

Vor mehr als 60 Jahren hatte Präsident Dwight Eisenhower in seiner Abschiedsrede vor «dem Potenzial für den verhängnisvollen Aufstieg einer fehlgeleiteten Macht» gewarnt. Er beschrieb damit den immer grösser werdenden Einfluss, wenn nicht gar die Kontrolle der Politik des militärisch-industriellen Komplexes. 

Am Ende des Kalten Krieges befand sich der militärisch-industrielle Komplex in einer existenziellen Krise. Ohne einen Gegner wie die Sowjetunion wäre es schwierig gewesen, die massiven Rüstungsausgaben der USA zu rechtfertigen. Die NATO-Erweiterung eröffnete neue Märkte. Die osteuropäischen und baltischen Länder, die der NATO beitraten, mussten ihre Streitkräfte aufrüsten und ihre Bestände aus der Sowjetzeit durch westliche Waffen, Munition, Maschinen, Hardware und Software ersetzen, die mit den Armeen der NATO kompatibel waren. Ganze Armeen, Seestreitkräfte und Luftstreitkräfte mussten neu aufgestellt werden. Die NATO-Erweiterung war ein Geldsegen für eine Waffenindustrie, die ursprünglich die Not als Frucht des Endes des Kalten Krieges sah. 

Von 1996 bis 1998 gaben die US-Rüstungsunternehmen 51 Millionen Dollar (heute 94 Millionen Dollar) für Lobbyarbeit im Kongress aus. Weitere Millionen wurden für Wahlkampfspenden ausgegeben. Als die Waffenindustrie das Versprechen der osteuropäischen Märkte erkannte, war es vorbei mit dem Wunsch, die Schwerter zu Pflugscharen zu schlagen. 

In einem zirkulären und sich gegenseitig verstärkenden Kreislauf stellt der Kongress dem Pentagon Geld zur Verfügung. Das Pentagon finanziert die Rüstungsindustrie, die wiederum Think Tanks und Lobbyisten finanziert, um den Kongress zu weiteren Ausgaben für das Pentagon zu bewegen. Wahlkampfspenden der Waffenindustrie begleiten diese Lobbyarbeit. Das Pentagon, die CIA, der Nationale Sicherheitsrat, das Aussenministerium und andere Glieder des nationalen Sicherheitsstaates finanzieren direkt die Denkfabriken und sorgen dafür, dass jede Politik, die gefördert wird, die Politik ist, welche die staatlichen Institutionen selbst wollen. 

Präsenz in Medien, ohne Interessenkonflikte offenzulegen

Nicht nur der Kongress steht unter dem Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes. Die gleichen Rüstungsunternehmen, die Kongressabgeordnete bestechen und Think Tanks finanzieren, beschäftigen oft direkt oder indirekt die Experten, die in Cable News zu sehen sind und denen in Medienberichten viel Platz eingeräumt wird. 

Selten wird dieser Interessenkonflikt von den amerikanischen Medien erkannt. So treten in den Medien Männer und Frauen auf, die ihre Gehaltsschecks Lockheed, Raytheon oder General Dynamics verdanken, und plädieren für mehr Krieg und mehr Waffen. Diese Kommentatoren und Experten geben nur selten zu, dass ihre Wohltäter immens von der Politik für mehr Krieg und mehr Waffen profitieren. 

Drehscheibe zwischen Rüstungsindustrie und Regierung

Die Korruption reicht bis in die Exekutive hinein, da der militärisch-industrielle Komplex viele Verwaltungsbeamte beschäftigt. Ausserhalb der Regierung wechseln republikanische und demokratische Beamte vom Pentagon, der CIA und dem Aussenministerium zu Rüstungsunternehmen, Denkfabriken und Beratungsfirmen. 

Wenn ihre Partei das Weisse Haus zurückerobert, kehren sie in die Regierung zurück. Dafür, dass sie ihre Rotationskartei mitbringen, erhalten sie üppige Gehälter und Vergünstigungen. In ähnlicher Weise gehen US-Generäle und Admiräle, die aus dem Pentagon ausscheiden, direkt zu Rüstungsunternehmen

Diese Drehtür erreicht die höchste Ebene. Bevor sie Verteidigungsminister, Aussenminister und Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes wurden, waren Lloyd Austin, Antony Blinken und Avril Haines für den militärisch-industriellen Komplex tätig. Im Fall von Minister Blinken gründete er eine Firma, WestExec Advisors, die sich dem Handel und der Vermittlung von Einfluss für Waffenverträge widmete. 

Interessen auch der Öl- und Gasindustrie nicht ausblenden

Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg gibt es eine breitere Ebene der kommerziellen Gier, die nicht abgetan oder ignoriert werden kann. Die USA versorgen die Welt mit fossilen Brennstoffen und Waffen. Die US-Exporte von Erdölprodukten und Waffen übersteigen inzwischen die Exporte von landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnissen. 

Der Wettbewerb um den europäischen Brennstoffmarkt, insbesondere um Flüssigerdgas, war in den letzten zehn Jahren ein Hauptanliegen sowohl der demokratischen als auch der republikanischen Regierungen. Die Beseitigung Russlands als wichtigster Energielieferant für Europa und die Begrenzung der weltweiten Ausfuhren fossiler Brennstoffe aus Russland haben amerikanischen Öl- und Gasunternehmen grosse Gewinne gebracht. Neben umfassenderen kommerziellen Handelsinteressen sind die schieren Geldbeträge, die das amerikanische Geschäft mit fossilen Brennstoffen einbringt, nicht zu vernachlässigen.   

Die Kosten des Krieges

Hunderttausende sind wohl bei den Kämpfen getötet und verwundet worden. Die nachhaltigen psychologischen Schäden sowohl bei den Kämpfern als auch bei der Zivilbevölkerung könnten noch grösser sein. Millionen von Menschen wurden obdachlos und leben nun als Flüchtlinge. 

Die Umweltschäden sind unabsehbar, und die wirtschaftlichen Zerstörungen beschränken sich nicht nur auf das Kriegsgebiet, sondern haben sich auf die ganze Welt ausgeweitet, die Inflation angeheizt, die Energieversorgung destabilisiert und die Ernährungssicherheit beeinträchtigt. Der Anstieg der Energie- und Lebensmittelkosten führte zweifellos zu einer Vielzahl von Todesfällen weit über die geografischen Grenzen des Krieges hinaus. 

Der Krieg wird sich wahrscheinlich zu einer langwierigen Pattsituation mit sinnlosem Töten und Zerstörung entwickeln. Am Schlimmsten wäre es, wenn der Krieg eskaliert – vielleicht unkontrolliert zu einem Weltkrieg und möglicherweise zu einem Atomkonflikt. Egal, was die verrückten Realisten in Washington, London, Brüssel, Kiew und Moskau sagen mögen, ein Atomkrieg ist nicht kontrollierbar und schon gar nicht zu gewinnen. Selbst ein begrenzter Atomkrieg, bei dem vielleicht jede Seite zehn Prozent ihrer Arsenale abfeuert, wird zu einem nuklearen Winter führen, in dem wir zusehen müssen, wie unsere Kinder verhungern. Alle unsere Bemühungen sollten darauf gerichtet sein, eine solche Apokalypse zu vermeiden. 

Das Potenzial für Frieden

Die beiden Teile dieser Analyse sollten darlegen, wie Russland die bewussten Provokationen der USA und der NATO wahrnimmt. Russland ist eine Nation, deren derzeitige geopolitische Ängste von der Erinnerung an die Invasionen durch Karl XII., Napoleon, den Earl of Aberdeen, den Kaiser und Hitler geprägt sind. 

US-Truppen gehörten zu den alliierten Invasionstruppen, die im russischen Bürgerkrieg nach dem Ersten Weltkrieg erfolglos gegen die siegreiche Seite intervenierten. Historische Zusammenhänge zu kennen, den Feind zu verstehen und strategisches Einfühlungsvermögen für den Gegner zu haben, ist weder hinterlistig noch schwach, sondern klug und weise. Dies wird uns auf allen Ebenen des US-Militärs beigebracht. 

Es ist auch nicht unpatriotisch oder unaufrichtig, sich gegen die Fortsetzung dieses Krieges auszusprechen und sich zu weigern, Partei zu ergreifen.

Präsident Bidens Versprechen, die Ukraine «so lange wie nötig» zu unterstützen, darf kein Freibrief für die Verfolgung unklarer oder unerreichbarer Ziele sein. Eine solche Politik könnte sich als ebenso katastrophal erweisen wie die Entscheidung von Präsident Putin im letzten Jahr, seine kriminelle Invasion und Besetzung zu starten. 

Es ist moralisch nicht vertretbar, die Strategie zu unterstützen, Russland bis zum letzten Ukrainer zu bekämpfen. Und es ist auch nicht moralisch zu schweigen, wenn die USA Strategien und Politiken verfolgen, welche die erklärten Ziele nicht erreichen können. Dieses sinnlose Streben nach einer Niederlage Russlands im Geiste einer Art von imperialem Sieg aus dem 19. Jahrhundert ist unerreichbar. 

Nur ein sinnvolles und echtes Bekenntnis zur Diplomatie mit dem Ziel eines sofortigen Waffenstillstandes sowie Verhandlungen ohne disqualifizierende oder prohibitive Vorbedingungen werden diesen Krieg und das damit verbundene Leid beenden, Europa Stabilität bringen und das Risiko eines nuklearen Krieg ausschliessen.

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Dieser Beitrag erschien am 6. Juni in Substack und in Scheerpost am 9. Juni. Übersetzt und leicht gekürzt von Infosperber, auch mit Unterstützung von Deepl.

Autor Matthew Hoh

Hoh ist seit 2010 Senior Fellow am Center for International Policy in Washington. Im Jahr 2009 trat er aus Protest gegen die Entwicklung des Krieges in Afghanistan von seinem dortigen Posten zurück. Zuvor beteiligte sich Matthew an der Besetzung des Irak, zunächst 2004/5 in der Provinz Salah ad Din mit einem Team des Aussenministeriums für Wiederaufbau und Regierungsführung und dann 2006/7 in der Provinz Anbar als Kompaniechef des Marine Corps. Wenn er nicht im Einsatz war, beschäftigte sich Hoh bis 2008 im Pentagon und im US-Aussenministerium mit den US-Einsätzen in Afghanistan und in Irak.
2022 kandidierte Hoh als Aussenseiter der Green Party für einen Senatssitz in Washington, erhielt aber nur 1 Prozent der Stimmen.

Am 16. Mai 2023 veröffentlichte er als stellvertretender Direktor des Eisenhower Media Network in der NYT einen ganzseitigen offenen Brief unter dem Titel «The U.S. Should Be a Force for Peace in the World». Unterzeichnet hatten ihn 14 ehemalige US-Sicherheitsbeamte, darunter der US-Botschafter in Moskau unter Ronald Reagan. Sie forderten in der Ukraine eine diplomatische Lösung «bevor es zu einer nuklearen Konfrontation kommt». Kurz vorher hatte die Biden-Regierung jegliche Verhandlungen abgelehnt. Zuerst müsse die Gegenoffensive der Ukraine erfolgreich sein.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Siehe 1. Teil vom 22. Juni 2023:
Die lange Vorgeschichte von Russlands Angriffskrieg

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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4 Meinungen

  • am 24.06.2023 um 15:53 Uhr
    Permalink

    Danke für diesen Beitrag. Mutig und sachlich, alle Achtung. Bitte macht weiter so. Käme dieser Beitrag nicht aus den USA, würde man den Autor verklagen und als Verschwörungstheoretiker brandmarken. Folge dem Geldfluss, dann klärt sich einiges. Eigentlich sollte man das Wort US Finanziel-Militärischer Industriekomplex verwenden. Die Namen Black-Rock (Finanzgessellschaft) und Black-Waters ( Söldner und Privatarmee ) sind wohl kein Zufall.

  • am 25.06.2023 um 22:31 Uhr
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    Was mich immer wieder, egal aus welcher Perspektive ich es betrachtete, sehr irritiert:

    Die NATO hat die ca. 10x höheren Militärausgaben als Russland und könnte wohl auch 10x mehr Soldaten*innen rekurtieren als Russland. Ungeachtet dieser Übermacht, werden unsere Politiker nicht müde, irgendwelche «Mantras» vom einem agressiven Russland zu rezitieren.

    Und, passend zum Artikel, noch mit der immer wieder, auf allen Kanälen verbreiteten Aufforderung, doch die Rüstungsausgaben dringend weiter zu erhöhen.

    Weil scheins «übermächtige» Staaten, Regierungen nur die Absicht haben unsere Sicherheit zu bedrohen ???

  • am 26.06.2023 um 15:55 Uhr
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    Betreffend «Beeinflussung der Information auf westlicher Seite», die Brutkasten- und die Giftgaslüge sind hinlänglich bekannt. Der «Hufeisenplan» (Doku Es begann mit einer Lüge), ist wenig bekannt, obwohl er vor unserer Haustüre stattfand. Auf Zeitgeschehen-im-Fokus ein m.E. sehr aufschlussreicher Artikel von Dr. phil. Helmut Scheben auch im Hinblick auf den Ukrainekrieg: Hashim Thaçi und der Präzedenzfall Kosovo. https://www.zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-9-vom-15-juni-2023.html#article_1532
    Thaçi wurde von den Medien als Freiheitskämpfer gefeiert und jetzt steht er in Den Haag vor Gericht.

  • am 26.06.2023 um 16:08 Uhr
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    Der gute Ike, JFK, letztlich sogar Überpräsident LBJ waren gegen Ende ihrer Präsidentschaften bzw. ihres Lebens durchaus selbstkritisch, wussten genau, wie ihr Land funktioniert und warnten gelegentlich. Der furchtbare Vietnamkrieg war ein Dämpfer. Doch der scheint längst vergessen. Der Trick der USA ist es, extrem teure Waffensysteme zu verkaufen. Über die neuen NATO-Beitritte, die alle Arten von Auf- und Umrüstungen erfordern, wird vor allem sehr viel Geld verdient. Das war nicht immer so: nach der Wende wurde gutgepflegtes NVA-Gerät sehr günstig nach Griechenland, in die Türkei und ins neutrale Schweden abgegeben. Auch alte Jagdflugzeuge, Hubschrauber und Schiffe zirkulierten. Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechien betrieben eine eigene Waffenindustrie die sich mit Aufrüstung der alten Ostgeräte beschäftigte. Heute wird von den NATO-Staaten einmal mindestens die Anschaffung der F-35 erwartet, die mag ja gut sein, ist aber gnadenlos überteuert.

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