USA vs CHINA

Führt der wirtschaftliche Wettstreit zwischen den USA und China zum Konflikt oder zur Zusammenarbeit? © telecomreview

Machen wir uns keine Illusionen über China

Steven Rattner /  Chinas Wirtschaft wächst immer noch viel stärker. Die wirtschaftlichen Aussichten Chinas dürfen nicht unterschätzt werden.

Red. Autor und China-Kenner Steven Rattner war Berater des US-Finanzministers unter der Obama-Regierung und ist heute CEO von Willet Advisors.


Auf meiner kürzlichen ersten Chinareise seit mehr als drei Jahren sah ich eines Morgens beim Aufwachen einen untypischen, strahlend blauen Pekinger Himmel. Forsythien und Kirschbäume standen in voller Blüte, und in der Stadt vibrierte das Leben.

Das erschien mir als passende Metapher, zumindest teilweise, für meinen einwöchigen Besuch in diesem Frühling. Auf vielen Ebenen ist China wieder da. Die Büros waren voller Angestellter, deren Arbeitstag kein Ende zu nehmen schien. Die Manager strahlten meistens Optimismus aus. Interessante neue Start-Ups erweckten den Eindruck, dass China auch weiterhin führend bei Innovationen sein wird. Die Energie und Antriebskraft, die mich bei vielen früheren Besuchen so fasziniert hatten, waren im Überfluss vorhanden. 

Ja, zweifellos steht China vor wirtschaftlichen Herausforderungen. Dazu zählt insbesondere die Frage, wie sehr Präsident Xi Jinping sich weiterhin dafür einsetzt, das Land auf dem Weg zur Marktwirtschaft voranzubringen. Oft scheint ihm Kontrolle wichtiger zu sein als wirtschaftliches Wachstum. Diese Signale geben Anlass zur Sorge, denn ich betreue einige grosse Investitionen in China.

Aber während die westlichen Medien zunehmende Skepsis äussern, glaube ich, dass der Wohlstand in China weiter wachsen wird. Unser grösster strategischer Rivale wird es dieses Wachstum dazu benutzen, um sich im Südchinesischen Meer oder mit Spionageballons oder bei den unfairen Handelspraktiken stärker durchzusetzen.

Weit stärkeres Wachstum als in den USA

Trotz der grobschlächtigen Covid-Massnahmen mit den überzogenen Lockdowns war Chinas ökonomische Entwicklung unserer eigenen weit überlegen. Von Anfang 2020 bis Ende 2022 ist die chinesische Wirtschaft inflationsbereinigt, also real, um 14 Prozent gewachsen, diejenige der USA hingegen um weniger als 6 Prozent.

Für das laufende Jahr wird in China ein Wachstum von 5,6 Prozent erwartet, verglichen mit 1,6 Prozent in den USA. Und während wir in den USA verbissen gegen eine Inflationsrate von mehr als 4 Prozent ankämpfen, werden die chinesischen Preise wahrscheinlich in diesem Jahr nur um 2 Prozent steigen. Als Folge davon bleiben die Zinsen niedrig, was dort weitere Investitionen erleichtert.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit

Allerdings ist Chinas Erholung von Covid schwächer ausgefallen, als viele erwartet hatten. Zudem hat das Land ein deutliches Arbeitslosen-Problem: In der Altersgruppe der Erwerbstätigen zwischen 16 und 24 sind 20,4 Prozent arbeitslos. Die Wirtschaft müsste noch mehr auf Touren kommen, um alljährlich die knapp 10 Millionen neuen Hochschulabsolventen aufzunehmen und zu beschäftigen.

Während meines Besuches gaben sich die chinesischen Offiziellen anscheinend besondere Mühe, gastfreundlich zu sein. Auf dem China Development Forum (vergleichbar dem World Economic Forum in Davos), wo kaum Amerikaner, europäische Führungskräfte hingegen reichlich anwesend waren, hielten die Gastgeber sorgfältig formulierte Reden, in denen sie ihr Engagement für eine solide Wirtschaftspolitik betonten und auch ihre Offenheit für ausländische Investitionen und Regulierungsformen.

Äusserst strenge Sicherheitsmassnahmen

Ihr Optimismus stand im Widerspruch zu der offensichtlichen Anspannung. Fast bei jedem Meeting mit Investoren und Geschäftsleuten kam das Verschwinden des prominenten Investmentbankers Bao Fan zur Sprache – manchmal von uns thematisiert, manchmal auch auf defensive Weise von unseren chinesischen Gesprächspartnern. Die Sicherheitsmassnahmen, die in China immer scharf waren, schienen noch schärfer geworden zu sein. Mit Kameras und Gesichtserkennungstechnologie war die Überwachung allgegenwärtig zu spüren. Schon für eine kurze Zugfahrt ist es erforderlich, den Pass einzuscannen, und zwar sowohl beim Ein- wie auch beim Aussteigen.

Chinesische Investoren und Unternehmer beobachten stärker als in der Vergangenheit jedes Signal der Regierung. Sie sorgen sich, dass Xi plötzlich irgendeinen launenhaften und unerwarteten Eingriff in den privaten Sektor verkünden könnte. Die Gründung von Internetplattformen für Konsumenten wird kleingeredet. Priorität haben Investitionen in neue Technologien wie erneuerbare Energien oder in die Künstliche Intelligenz.

Anti-China-Stimmung hat Folgen

Zumindest auf einigen dieser Gebiete hat China bemerkenswerte Erfolge erzielt. Es kontrolliert 77 Prozent der weltweiten Batterieproduktion. Mehr als 80 Prozent aller Solarkollektoren der Welt werden in diesem Land produziert, den amerikanischen Handelsbeschränkungen zum Trotz. Im Jahr 2022 wurden fast 60 Prozent aller Elektro-Autos in China verkauft. 

Die Tage vergingen, der Himmel über Peking nahm allmählich wieder die gewohnte schiefergraue Farbe an. Deshalb begann sich meine anfangs heitere Stimmung etwas einzutrüben. China im Jahr 2023: Unter dem Selbstvertrauen, das ich immer mit dem Land verbunden hatte, spürte ich eine gewisse Unsicherheit. Ursächlich dafür ist die feindselige Haltung, die von Washington verbreitet wird, und die bei manchen Chinesen zu einer Distanzierung von den USA führt. 

Während Xi Chinas Rolle als unabhängige Supermacht betont, scheinen sich die Vorlieben der chinesischen Konsumenten zu verändern. Früher bevorzugten sie ausländische Markenprodukte, von Nike bis zu BMW, aber heute neigen sie eher zu lokalen Produkten wie Anta-Turnschuhen oder BYD-Autos.

Üblicherweise laufen unsere Meetings in China so ab, dass mein Team und ich Fragen stellen. Aber auf dieser Reise kehrten unsere chinesischen Kollegen zeitweise diese Rollenverteilung um und befragten uns darüber, welche Pläne die USA wohl hinsichtlich Taiwan oder möglicher Handelsbeschränkungen verfolgen. Einige meinten, China sei eine Art unschuldiges Opfer der amerikanischen Herrschaftsansprüche.

Doch solche leichten Differenzen blieben eine Randerscheinung. Zumindest meinen Gesprächen zufolge ist die chinesische Geschäftswelt nach wie vor an amerikanischen Investitionen und einem kontinuierlichen Handel mit uns interessiert.

Allerdings hatten die von den US-Präsidenten Trump und Biden initiierten Handelsbeschränkungen doch spürbare Auswirkungen: Exporte in die USA von Waren wie Möbel oder Elektrogeräte, auf welche die USA einen 25prozentigen Strafzoll erheben, sind im Vergleich zu 2017 um 20 Prozent zurückgegangen.

Auch die US-Handelsbeschränkungen für High-Tech-Produkte verursachen in China Probleme. Wie chinesische Experten einräumen müssen, werden die Fortschritte bei der KI-Entwicklung durch das Einfuhrverbot für fortgeschrittene Halbleiter stark behindert.

Die USA müssen ihre Hausaufgaben machen

Man muss der Biden-Regierung zugutehalten, dass sie neben ihrer harten Haltung gegenüber China auch Friedenssignale aussendet. In einer sehr nachdenklichen Rede forderte Finanzministerin Janet Yellen kürzlich «konstruktive Beziehungen» mit China – im Grunde genommen ist dies der Versuch, eine Win-Win-Situation zu erreichen.

Dieses ehrgeizige Ziel werden wir am ehesten erzielen, wenn wir unser eigenes Haus in Ordnung bringen. China hat bewiesen, dass es auch in Zukunft schneller wachsen kann. Um dem Land effektiv Konkurrenz zu machen, müssen wir unsere eigene Wachstumsrate erhöhen, indem wir Probleme wie unser bedenklich hohes Haushaltsdefizit reduzieren oder Vorschriften ändern, die den Ausbau von Industrieanlagen behindern. 

Ferner sollten wir unser Humankapital stärken, indem wir die Zahl der MINT-Absolventen erhöhen, um so unseren technologischen Vorsprung zu behalten. Die Einwanderungspolitik sollte neu strukturiert werden, um talentierte Menschen aus der ganzen Welt anzuziehen und die vielversprechendsten ausländischen Studenten im Land zu behalten.

Vor allem aber dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, China würde unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Für die USA wie für ihre Gegner besteht die entscheidende Frage darin, ob diese Rivalität destruktiv sein muss, oder ob eine kooperative Zukunft zu beiderseitigem Nutzen noch möglich ist.

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Dieser Beitrag erschien am 1. Juni 2023 in der «New York Times». Übersetzung und Bearbeitung von Klaus Mendler.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Steven Rattner ist Vorsitzender und CEO von Willett Advisors, der Investmentgesellschaft für das persönliche und philanthropische Vermögen des ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Michael R. Bloomberg. Früher war Rattner Berater des Finanzministers in der Obama-Regierung. Seine neuesten Updates und Beiträge unter stevenrattner.com.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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