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Wahlmanipulationen zugunsten von Erdogans Partei AKP – das haben Wahlbeobachter festgestellt. © gk

Türkei: Hunderte Soldaten zum Wählen in kleine Dörfer gebracht

Red. /  In Bussen wurden Soldaten zu den Wahllokalen gefahren. Das Ziel: Ein Sieg für die Partei von Präsident Erdogan.

mdb. Eine internationale Delegation von 120 Wahlbeobachtern, darunter auch Mitglieder des «Komitees Brückenschlag Zürich-Amde/Diyarbakir», weilte über Ostern in der Südosttürkei und beobachtete die Kommunalwahlen. Die Delegation bestand aus nichtprofessionellen Wahlbeobachtern. Sie will in den nächsten Tagen einen detaillierten Bericht erarbeiten. Infosperber veröffentlicht an dieser Stelle ihre ersten Informationen.

Eine unabhängige Delegation von Politiker*innen, Journalist*innen, Forschenden und Aktivist*innen aus der Schweiz und anderen Ländern haben die Kommunalwahlen in der Südosttürkei beobachtet. Die Oppositionsparteien hatten befürchtet, dass in den mehrheitlich kurdischen Gebieten faire und freie Wahlen in Gefahr seien. Diese Vermutung hat sich bestätigt. Die unabhängigen Wahlbeobachter*innen haben verschiedene Verstösse festgestellt:

  • Tausende von Soldaten wurden in umkämpfte Wahlbezirke transferiert. So sollten die Ergebnisse von 2023 zugunsten der Regierungspartei gekippt werden. An mehreren Orten waren Kolonnen von Bussen, in denen Soldaten zu Wahllokalen gefahren wurden, zu beobachten. In kleineren Dörfern wie Hamzali, 100 km nordöstlich von Diyarbakir, wo 630 Menschen wohnen, wurden 366 Soldaten, Polizisten, Gefängniswärter und Paramilitärs neu als Wähler registriert. In Igdir sahen die Beobachter*innen Listen, auf denen 798 Soldaten als Wähler in zwei einfachen vierstöckigen Häusern registriert waren.
  • Präsenz von Militär, Polizei, Paramilitärs und bewaffneten zivilen Personen schüchterten die Wähler*innen ein. Militär befand sich trotz Verbots bewaffnet und in Uniform in den Wahllokalen.
  • An verschiedenen Orten kam es zu Schiessereien, in einem Dorf in der Provinz Sert/Sirt wurde eine Person erschossen. Den Wahlbeobachter*innen wurde vom Besuch von Dörfern in der Provinz Egil aus Sicherheitsgründen abgeraten.
  • Der oberste Wahlverantwortliche von Kulp, nördlich von Diyarbakir, fing Wahlbeobachter*innen ab und führte sie zu weniger kritischen Wahllokalen und antwortete nicht wahrheitsgemäss auf kritische Fragen zum Wahlprozess.
  • Die Behörden verweigerten Beobachter*innen in verschiedenen Provinzen den Zutritt zu Wahllokalen.
  • Frauen nahmen sichtbar weniger an den Wahlen teil.

Diese Punkte – insbesondere der Transfer von Soldaten – führen zu einer Verfälschung der Wahlergebnisse. Verschiedene Oppositionsparteien legten dagegen Beschwerden ein.


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Keine
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4 Meinungen

  • am 1.04.2024 um 12:33 Uhr
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    Soweit ich mich erinnere, gibt es seitens der EU immer noch eine theoretische Beitrittsperspektive für die Türkei. Wenn erstens Wahlen offensichtlich derart mit Gewalt gefälscht werden und zweitens es offenbar nicht möglich ist, seitens der EU oder OSZE oder sonstwas die Wahlen professionell zu beobachten, dann sollte diese Beitrittsperspektive endlich gekündigt oder suspendiert werden. Die Türkei ist ja auch noch Mitglied der «Wertegemeinschaft» Nato. Mal sehen, ob Jens Stoltenberg dazu eine Bemerkung riskiert.

    Nebenbei qualifiziert sich der Präsident auf diese Weise als Vermittler im Ukrainekonflikt.

  • am 1.04.2024 um 12:48 Uhr
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    die Türkei den Türken – eine junge gebildete Stadtbevölkerung mit starken Wurzeln, die dieses grosse reiche Land historisch-kulturell-wirtschaftlich tragen können.

    Die Gegenwart und Geschichte zeigt, dass Einmischungen von Drittstaaten zu sehr komplizierten Bruchstellen führen können.

  • am 1.04.2024 um 14:32 Uhr
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    Mir sind Erdogan und Orban lieber als eine zweite Sanna Marin.
    Und Wahlbeobachter fände ich in den USA indizierter, wenn es wohl auch nichts nützen würde.
    Dw.com schrieb 29.10.2020: Bei der US-Präsidentschaftswahl am 3. November sind nur in 32 der insgesamt 50 Bundesstaaten internationale Wahlbeobachter in den Wahllokalen zugelassen. «Dieses Manko haben wir bereits in der Vergangenheit kritisiert», sagte Michael Georg Link, einer der Leiter der Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Da jeder US-Bundesstaat ein eigenes Wahlrecht habe, seien in 18 Bundesstaaten am Wahltag keine internationalen Beobachter in den Wahllokalen erlaubt, so der FDP-Bundestagsabgeordnete.

  • am 2.04.2024 um 11:53 Uhr
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    Sehr einverstanden mit den Kommentaren von Jules Duess und Wolfang Reuss. Was bildet sich die EU eigentlich ein gegenüber einer kulturell und historisch mindestens ebenbürtigen Türkei?
    Und Wahlbeobachter hätte es in den USA hundertmal dringender gebraucht.
    Das westliche Überlegenheitsgefühl ist arrogantes Machtgehabe.

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