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Das nationale Netzwerk der chemischen Industrie (inklusive Pestizidproduzenten) © scienceindustries

Landwirtschafts-Amt im Netz der Pestizidindustrie

Kurt Marti /  Das Zulassungsverfahren für Pestizide ist eine Blackbox und das zuständige Bundesamt tanzt nach der Pfeife der Pestizidlobby.

Anfang Mai 2013 läuten beim Syngenta-Konzern und bei Scienceindustries, dem Wirtschaftsverband Chemie Pharma Biotech, die Alarmglocken. Die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) will das erst kürzlich ausgesprochene EU-Verbot für drei bienengefährliche Pestizide (sogenannte Neonikotinoide) auf weitere Insektizide ausdehnen und folgert: «Die Landwirtschaft hat Alternativen, das beweisen der extensive IP-Anbau und der Biolandbau.» Eine entsprechende Motion kommt anderthalb Monate später im Nationalrat zur Abstimmung. Höchste Zeit also für eine PR-Offensive der Pestizid-Lobby.

Symbiose von BLW und Pestizidindustrie

Bereits am 19. Mai präsentiert sich der Abwehriegel unter der Leitung von Scienceindustries vor den versammelten Medien, allen voran Syngenta-Vertreter Georg Diriwächter und – man höre und staune – Eva Reinhard, die Vizedirektorin des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) und damit oberste Chefin der Zulassungstelle für Pestizide. Der Tenor der Medienkonferenz ist klar: Pestizide, insbesondere Neonikotinoide, seien in der Schweiz für die «Land- und Ernährungswirtschaft unverzichtbar», um den heutigen Selbstversorgungsgrad halten zu können.

Der gemeinsame PR-Auftritt lieferte ein überaus treffendes Bild für die enge Symbiose von BLW und Pestizidindustrie. Die Medien berichteten brav über die PR-Medienkonferenz, ohne Reinhards Interessenkollision zu erwähnen. Einzig die Rundschau von SRF stellte die Vizedirektorin drei Wochen später zur Rede, worauf sie allen Ernstes einen Interessenkonflikt mit der Begründung verneinte: «Für das Bundesamt für Landwirtschaft ist es extrem wichtig, dass wir mit allen reden und diskutieren.»

Jahrelang hatte das BLW zur Freude der Pestizidproduzenten keine «unannehmbaren» Risiken für die Neonikotinoide festgestellt. Doch im Januar 2013 publizierte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einen alarmierenden Bericht, der die Gefährlichkeit für die Bienen bestätigte. Ende April beschlossen die EU-Staaten ein Verbot der drei bienenschädlichen Neonikotinoide Imidacloprid, Clothianidin und Thiametoxam, nachdem die europäische Pestizidlobby massiven Druck ausübt hatte, allen voran die European Crop Protection Association (ECPA), bei der auch Scienceindustries assoziiertes Mitglied ist.

Schneider-Ammann warnt vor «dramatischen Konsequenzen»

Nach dem EU-Verbot musste auch das Bundesamt für Landwirtschaft zähneknirschend nachziehen und vernebelte in einer zweideutigen Medienmitteilung sein Dilemma: «Obwohl diese Pflanzenschutzmittel kein unannehmbares Risiko für Bienen darstellen, erachtete das BLW die Sicherheitsmarge als klein.»

Ende Mai gab es im Kampf gegen die Ausweitung des Verbots auch noch Schützenhilfe vom zuständigen Bundesrat höchstpersönlich: In seiner schriftlichen Antwort auf die WBK-Motion warnte Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vor «dramatischen Konsequenzen für die Landwirtschaft», das heisst vor einer «drastischen» Senkung der landwirtschaftlichen Produktion. Die Antwort atmete untrüglich den Geist der Chemielobby und des Bauernverbands. Am 19. Juni konnte die vereinigte Pestizidlobby jubeln: Die WBK-Motion wurde im Nationalrat knapp mit 99 zu 85 Stimmen abgelehnt. Vor allem die CVP war gespalten.

PR-Büro Dynamics Group im Auftrag von Syngenta

Bei seinem Lobbying setzt der Schweizer Pestizidgigant Syngenta auf die Dienste der PR-Agentur Dynamics Group AG. Auf deren Auftragsliste stehen auch Scienceindustries und die Parlamentarische Gruppe Bildung, Forschung und Innovation, die vom Zuger CVP-Nationalrat Gerhard Pfister präsidiert wird. Das Sekretariat der parlamentarische Gruppe wird von Scienceindustries geführt. Alle drei Mandate werden von der Dynamics-Partnerin und früheren Tagesanzeiger-Redaktorin Bettina Mutter betreut, die neuerdings mit einer Zutrittsberechtigung von Pfister im Nationalrat ausgerüstet ist.

Auf Einladung der parlamentarischen Gruppe referierte anlässlich der letzten März-Session Gerardo Ramos, der Pestizid-Verantwortliche von Syngenta, der die Entwicklungskosten für ein neues Pestizid auf 260 Millionen US-Dollar bezifferte. Die Botschaft an Politik und Behörden war klar: Ein Verbot vernichtet Investitionen und Arbeitsplätze.

Intransparentes Zulassungsverfahren

Angesichts dieses Drucks der Industrie auf die Zulassungsbehörde im BLW stellt sich die brisante Frage, inwiefern diese noch unabhängig entscheiden kann. Auch angesichts der Problematik, dass das BLW beim Zulassungsverfahren nicht auf unabhängige Forschungsresultate zurückgreifen kann, sondern nur auf Studien, die im Auftrag der Antragsteller erstellt wurden. Auf die heikle Frage, ob auch schon Zulassungsgesuche abgelehnt wurden, schafft das BLW leider keine Transparenz und antwortet nur: «Wir führen keine Statistik bezüglich dieses Punkts.»

Das Zulassungsverfahren für Pestizide durch den «Fachbereich nachhaltiger Pflanzenschutz» im Bundesamt für Landwirtschaft ist eine Blackbox. Es gibt keine Statistik über akzeptierte, abgelehnte oder modifizierte Gesuche, wie das BWL auf Anfrage bestätigt.

Die Natur ist zu einem grossen Freiland-Versuchslaber der Pestizidindustrie geworden. Weil das Risiko vieler Pestizide zum Zeitpunkt der Zulassung viel zu niedrig eingeschätzt wird, müssen aufgrund neuer Erkenntnisse laufend gefährliche Pestizide vom Markt genommen werden. In den letzten vier Jahren hat das BLW 36 Wirkstoffe widerrufen, mehrheitlich im Nachvollzug zur EU. Seit 2005 wurde sogar über 100 Wirkstoffen die Zulassung entzogen.

Bhopal-Gift: Widerruf in der Schweiz um Jahre verzögert

Die Strategie der Pestizidindustrie in der Schweiz ist offensichtlich: Es gilt erstens zu verhindern, dass das Bundesamt für Landwirtschaft schärfere Zulassungsbedingungen als die EU fordert, und zweitens pestizidfreundliche Sonderregelungen durchzuboxen. Etliche der gefährlichen Pestizide waren in der EU längst verboten, als sie auch in der Schweiz widerrufen wurden. Beispielsweise die beiden Herbizide Dichlobenil und Trifluralin, die in der EU schon seit 2004 beziehungsweise 2007 verboten sind. In der Schweiz wurden die beiden Pflanzengifte erst 2013 aus der Pestizidliste des BLW gestrichen. Im Widerrufs-Entscheid für Trifluralin kam die EU-Kommission bereits im Jahr 2007 zum Schluss, dass Trifluralin «stark toxisch auf Wasserorganismen» wirke, vor allem auf Fische.

Auch der Wirkstoff Aldicarb wurde in der EU bereits 2007 verboten. Laut dem Widerrufs-Entscheid der EU besteht «ein hohes Risiko» für Kleinvögel und Erdwürmer. Trotzdem stehen in der Schweiz immer noch zwei Aldicarb-Pestizide der Firmen Bayer und Omya auf der BLW-Liste, weil das BLW im Jahr 2007 dem Druck des Verbandes der Zuckerrübenpflanzer nachgegeben hat und seit acht Jahren beide Augen zugedrückt hat. Aldicarb ist eines der beiden Gifte, die in der Chemie-Katastrophe 1984 im indischen Bhopal freigesetzt wurden. Schätzungsweise 20‘000 Menschen sind seither direkt oder an den Spätfolgen gestorben.

Zulassungsberichte geheim, Widerrufsberichte gibt es nicht

Während in der EU die Widerrufsberichte mit wissenschaftlicher Begründung publiziert werden, setzt das BLW auf Geheimhaltung im Interesse der Pestizidindustrie: «Wir publizieren keine derartigen Berichte.» Einzig der Name der widerrufenen Pestizide steht ohne weitere Angaben in den Änderungs-Entscheiden des Bundesrats. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) hat Infosperber vom BLW die Herausgabe der Zulassungs- und Widerrufsberichte für Aldicarb, Dichlobenil und Trifluralin verlangt, sowie den Zulassungsbericht für das Monsanto-Gift Glyphosat inklusive die diesbezügliche Korrespondenz zwischen Monsanto und dem BLW.

Die Antwort von Olivier Félix, Leiter Fachbereich nachhaltiger Pflanzenschutz im BLW, zeigt deutlich, wie intransparent das Bewilligungs- beziehungsweise Widerrufsverfahren abläuft:

  • Die Zulassungsberichte für die Wirkstoffe Aldicarb, Dichlobenil, Trifluralin und Glyphosat bleiben unter Verschluss, weil sie alle zwischen 1968 und 1976 bewilligt wurden und weil alle Dokumente, die vor dem 1. Juli 2006 erstellt wurden, nicht dem Öffentlichkeitsgesetz unterliegen.
  • Die Widerrufs-Verfügungen für die Wirkstoffe Aldicarb, Dichlobenil und Trifluralin, welche das BLW herausgab, enthalten eine simple Widerrufsfeststellung. Wissenschaftliche Begründungen der Widerrufe fehlen. Dazu erklärt BLW-Mitarbeiter Félix: «Wir haben effektiv keine ausführlichen Berichte für den Widerruf der Wirkstoffe Dichlobenil, Trifluralin und Aldicarb. Die Widerrufe erfolgten, weil kein Bewilligungsinhaber eines Pflanzenschutzmittels mit diesen Wirkstoffen ein Gesuch um Reevaluation eingereicht hat.» Im Klartext: Die drei Wirkstoffe wurden erst dann widerrufen, als die Produzenten als Folge der EU-Verbote kein Interesse mehr am Verkauf in der Schweiz zeigten.
  • Das Gesuch um Einsicht in die Korrespondenz zwischen dem BLW und dem Glyphosat-Produzenten Monsanto will das BLW prüfen. Zunächst kann Monsanto dazu Stellung nehmen und laut BLW «möglicherweise auf Zugangsverweigerungsgründe gemäss Artikel 7 BGÖ hinweisen». Eine Antwort liegt erst in rund drei Monaten vor.

Glyphosat: BLW und Scienceindustries harmonieren

Wie gut BLW und die Pestizidlobby selbst in der Formulierung ihrer Medienmitteilungen harmonieren, zeigte sich letzten März, als die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) zum Schluss kam, der weltweit am meisten verkaufte Wirkstoff Glyphosat sei «wahrscheinlich krebserregend für den Menschen». (siehe Infosperber: WHO: Monsanto-Gift «wahrscheinlich krebserregend»). Sofort schalteten das BLW und die Pestizidindustrie auf Verteidigung. Dabei stimmte die Medienmitteilung von Scienceindustries auffallend gut mit jener des BLW überein.

Beispielsweise die folgende Passage hat Scienceindustries wortwörtlich aus der BLW-Medienmitteilung kopiert, die drei Tage vorher publiziert wurde: «In der Schweiz wird Glyphosat insbesondere in bodenschonenden pfluglosen Anbauverfahren eingesetzt. Diese Anbaumethode fördert indirekt die Bodenfruchtbarkeit. Die Anwendung von Glyphosat kurz vor der Ernte, wie dies beispielsweise im Ausland u.a. zur Reifebeschleunigung in Getreide möglich ist, ist in der Schweiz nicht zugelassen.»

Studien testen das falsche Produkt

Die Diskussionen um die IARC-Studie legt das methodische Grundproblem der geheimen Zulassungs-Gutachten offen: Es werden nur isolierte Tierversuche mit dem Wirkstoff durchgeführt, nicht aber mit dem Pestizidprodukt, das in den Handel kommt. Beispielsweise das Monsanto-Produkt Roundup enthält neben dem Wirkstoff Glyphosat zahlreiche weitere Stoffe, die das Pestizidprodukt laut kritischen Wissenschaftlern viel giftiger für Mensch und Umwelt machen als der Wirkstoff allein.

Zudem wird nicht berücksichtigt, dass die Pestizide selten allein eingesetzt werden, sondern mit einer Vielzahlt weiterer Pestizide. Im Klartext: Die Studien testen das falsche Produkt in einem unrealistischen Kontext. Die IARC-Studie ist nicht von der Industrie bezahlt und stützt sich auf die Beobachtungen konkreter Folgen der Pestizide auf Mensch und Umwelt. Die Pestizidkonzerne reagieren auf solche kritischen Wissenschaftler und deren Studien immer gleich: Mit Drohungen, Klagen, persönlichen Verunglimpfungen und mit Gegenstudien (siehe Infosperber: Die unzimperlichen Methoden der Pestizidlobby).

«Guter, produktiver Tag. Gute Sache»

Und so hat sich das Szenario der WBK-Motion zu den Neonikotinoiden nun auch beim gesundheits- und umweltschädlichen Pestizid Glyphosat wiederholt: In der Beantwortung mehrerer Vorstösse beschied der Bundesrat im Juni, dass er Glyphosat weiterhin als nicht krebserregend betrachte. Zudem sei es auch für sämtliche Tiere unschädlich. Währenddessen nehmen alarmierende Missbildungen und Krankheiten bei Tieren und Menschen, die hohen Glyphosat-Konzentrationen ausgesetzt waren, weltweit markant zu. Auch deshalb haben Coop und Migros mittlerweile alle glyphosathaltigen Produkte aus ihrem Sortiment gekippt.

Zurzeit erarbeiteten mehrere Arbeitsgruppen in einem verwaltungsinternen Prozess einen nationalen Aktionsplan zur Risikoreduktion der Pestizide. Die Federführung liegt nicht etwa bei den Schutzämtern des Bundes, also beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) oder Bundesamt für Gesundheit (BAG), sondern einmal mehr beim pestizidfreundlichen BLW. Ausgerechnet BLW-Vizedirektorin Eva Reinhard lud im April 2014 die interessierten Kreise zu einem Workshop. Das präventive Wünschen und Wehklagen der Pestizid- und Bauernlobby war im Workshop allseits präsent. Am Schluss des Workshops zeigte sich laut Protokoll der Vertreter von Scienceindustries hoch erfreut: «Guter, produktiver Tag. Gute Sache.» Der Bericht soll nächstes Jahr vorliegen.

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Der Artikel ist eine erweiterte Fassung eines Artikels, der im Pro Natura Magazin vom Juli 2015 erschienen ist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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2 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 13.08.2015 um 11:17 Uhr
    Permalink

    Klingt irgendwie nach «Mais im Bundeshuus». Leider nur allzu realistisch.

    Besten Dank für diese klare Darstellung.

    Ich könnte mir immerhin vorstellen, dass die Ernteausfälle durch das Aussterben der Bienen massiv erhöht würden. Das interessiert natürlich nur die Bauern, die auf natürliche Bestäubung ihrer Pflanzen angewiesen sind.

    Immerhin habe ich in diesem Bericht nichts mehr von Exportlizenzen für in der Schweiz verbotene Chemieprodukte mehr gelesen. Weist das auf einen möglichen Fortschritt im CH-Rechtsempfinden hin, oder hat die Europäische Rechtssprechung auch hier das Geschäft «vermiest» ?

    Nochmals, besten Dank für die klare Aussage. Vielleich wäre ein Film zur Pestizid-Lobby doch von Interesse.

  • am 13.08.2015 um 11:51 Uhr
    Permalink

    Lieber Infosperber, ich schliesse mich dem Dank von Josef Hunkeler an. Danke.
    Solange es in der Schweiz (noch) eine grosse Zahl redlicher Bürger gibt, die tatsächlich glauben, in Bern residiere eine dem Wohl des Volkes und der Umwelt verfplichtete Regierung, wird sich nichts Wesentliches ändern. Und mit TTIP und TISA wird sich die Lage noch deutlch verschärfen. Und die Mainstreammedien und die Politik schweigt wie gewohnt, auch die sogenannten Umwelt-schützer(?).
    Xaver Schmidlin

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