Sperberauge

Grüne machen auf Russophobie

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Die Fussballer, die Fans und das grosse Publikum sollen ihre Show haben, die Politiker aber sollen passen. Aha!

Es war nicht nur eine Geschmacklosigkeit, es war ein Beispiel krassen Mangels an Geschichtskenntnis. Der britische Labour-Abgeordnete Ian Austin verglich anlässlich des Skripal-Polit-Theaters die Fussball-Meisterschaften in Russland mit Hitlers Olympischen Spielen 1936 und rief zu einem totalen Boykott auf. Der britische Aussenminister Boris Johnson nahm den Vergleich auf und erklärte in einer Rede, der Vergleich sei zutreffend. Man müsse über einen Boykott nachdenken.

Zur Erinnerung: 1936 waren von Hitlers Buch «Mein Kampf» bereits mehr als 2 Millionen Exemplare verkauft worden. Wer also wissen wollte, was Hitler beabsichtigte, konnte es Schwarz auf Weiss nachlesen. Dass Hitler die Juden eliminieren wollte, war längst bekannt. Auch an den Olympischen Spielen 1936 selbst waren Juden unerwünscht. Trotzdem beschloss die ganze Welt, ihre (nichtjüdischen) Sportler nach Deutschland zu schicken.

Und heute?

Natürlich haben die Briten ihren Fussballern die Teilnahme am World Cup in Russland trotz Boris Johnsons Aufruf nicht verboten. Noch immer gilt ja für die Politiker rund um die Welt die Empfehlung, ihren Wählern Brot und Spiele zu offerieren, wenn sie wiedergewählt werden wollen. Sie beschlossen allerdings, dass keine Politiker hingehen sollen. Und dann traten in Deutschland die Grünen auf und forderten ebenfalls einen Politiker-Boykott der Fussball-Weltmeisterschaft. Rebecca Harms, die prominente Grünen-Politikerin, hatte schon die Massen-Ausweisung der russischen Diplomaten nach dem (nach wie vor ungeklärten) Skripal-Anschlag als richtig bezeichnet. Putin habe den World Cup nur nach Russland geholt, um für sich selber in Russland Propaganda machen zu können. Dieses Spiel sollen die westlichen Politiker Putin nun aber durch Abwesenheit spürbar vermiesen.

Und jetzt also kommt auch noch die Präsidentin der Schweizer Grünen und fordert dasselbe. Die Fussballspieler sollen gehen dürfen, auch die Fussball-Fans, die Show soll stattfinden, aber ohne Politiker.

Panem et Circenses, Brot und Spiele. Jetzt sind also auch die Grünen dort angelangt. Erwartet hatte man von ihnen eigentlich, dass sie sich um den Klimaschutz und um andere ökologische Probleme kümmern – um «grüne» Politik eben. Dann gäbe es einen anderen Politiker, der da zu boykottieren wäre, als ausgerechnet Putin: einen mit deutlich mehr Macht und mehr Einfluss auf die zu wenig grüne Wirtschaft, einen, der bewusst Entscheidungen zur Schonung der Umwelt seines Vorgängers widerruft. Aber ein bisschen nach Deutschland zu schielen und an die eigene Popularität zu denken, ist natürlich einfacher.

Auch Fabian Molina von der SP stösst ins gleiche Horn. Die Wähler sollen ihre Show haben, die Politiker selber aber sollen verzichten, sich zu zeigen. Heuchelei pur.

Siehe auch

  • Lernen aus der Geschichte (auf Infosperber)

    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    Es gibt keine Interessenkollisionen.

Zum Infosperber-Dossier:

Putin_FlorisLooijesteijn_DSC01202_cc

Der Umgang mit Putins Russland

Russland zwischen Europa, USA und China. Berechtigte Kritik und viele Vorurteile.

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2 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 26.05.2018 um 10:07 Uhr
    Permalink

    Gegen Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens. Aber Profilierungsnöte führen zu offenbar zu immer skurrileren Blüten.

    Immerhin war auch die Idee Kondome an Afrikaner zu verschenken, um das Klima in der Schweiz zu schützen in dieser Hinsicht bereits rekordverdächtig.

    Dabei gäbe es doch so viele echte Anliegen, welche der Unterstützung bedürften. Moderne Politik ist auch nicht mehr, was sie einst zu sein vorgab. ist das Fake-Politik ? Sauglattismus allemal.

  • am 27.05.2018 um 01:02 Uhr
    Permalink

    Grossmut war nie die Stärke der Schweizer Politiker. Ich wünsche mir die Zeiten zurück, als die Grünen ihrem Kerngeschäft nachgingen: Pfingstmärsche organisieren und in den Städten Parkplätze zählen.

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