Die EU will sich mehr in die russische Innenpolitik einmischen
Litauen ist ein klassisches Auswanderungsland. Hatte das Land im Jahr 1995 noch über 3,6 Millionen Einwohner, waren es im Jahr 2020 gerade noch 2,8 Millionen, gut 22 Prozent der Bevölkerung sind in diesen 25 Jahren ausgewandert, vor allem natürlich junge Menschen. Über 26 Prozent der Bevölkerung gelten als von Armut oder Ausgrenzung bedroht – von den Ländern der EU haben nur Lettland, Griechenland, Rumänien und Bulgarien einen noch höheren Anteil an Gefährdeten. Ist Litauen also ein aufstrebendes, ein glückliches EU-Land? Oder doch eher ein Land, in dem es viele ungelöste Probleme gibt – «Herausforderungen», wie das heutzutage so schön heisst? Ein Land, in dem sich die Politiker und Politikerinnen vor allem um die landesinternen, doch eher traurigen Verhältnisse kümmern müssten?
Litauen hat im 705-köpfigen EU-Parlament 11 Sitze, ein Sitz davon gehört Andrius Kubilius, der sich zu den Parteimitgliedern der Europäischen Volkspartei – sprich: zu den Christdemokraten – zählt. Ihn scheint sein eigenes Land wenig zu interessieren, umso mehr dafür die Beziehung der ganzen EU zu Russland. Aufgrund eines Vorstosses von ihm nämlich empfiehlt die Aussenpolitische Kommission des EU-Parlamentes jetzt eine neue, klarere Strategie der EU gegenüber Russland. Die Politik gegenüber Putin und dem Kreml soll härter werden, in der russischen Bevölkerung dagegen sollen die Aktivitäten zur Stärkung der Demokratie intensiviert werden. Wörtlich heisst es in der offiziellen Verlautbarung:
Die EU muss
- zwischen der russischen Regierung und dem russischen Volk unterscheiden
- die Arbeit mit Partnern zur Stärkung demokratischer Impulse in Russland intensivieren
- mehr Unterstützung für Russlands Nachbarländer leisten
Und weiter ist da zu lesen: «In einer neuen Einschätzung der Richtung der politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland machen die Europa-Abgeordneten deutlich, dass das EU-Parlament zwischen dem russischen Volk und dem Regime von Präsident Wladimir Putin unterscheidet. Letzteres sei eine ‹stagnierende autoritäre Kleptokratie, die von einem Präsidenten auf Lebenszeit geführt wird, der von einem Kreis von Oligarchen umgeben ist›, so die Abgeordneten.»
Eine «Kleptokratie», eine «Herrschaft der Diebe», wie die Aussenpolitische Kommission des EU-Parlaments Russland nennt? Der reichste Russe, Wladimir Potanin, verfügt gemäss «Forbes» über 19,7 Milliarden Dollar und ist auf der Liste der reichsten Menschen weltweit auf Platz 41. Unter den zehn Reichsten der ganzen Welt aber sind acht US-Amerikaner, an erster Stelle Jeff Bezos von Amazon mit einem Vermögen von 177 Milliarden Dollar, neunmal mehr als das Vermögen des reichsten Russen …
Recht anschaulich ist auch diese Passage der offiziellen Information der Aussenpolitischen Kommission: «Die Abgeordneten betonen jedoch, dass Russland eine demokratische Zukunft haben kann und dass der Rat eine EU-Strategie für ein zukünftiges demokratisches Russland verabschieden muss, die Anreize und Bedingungen zur Stärkung demokratischer Tendenzen im Land umfasst.» Man beachte: Es müssen «Anreize zur Stärkung demokratischer Tendenzen» geschaffen werden. Ebensogut könnte da stehen, oppositionelle Gruppierungen und westlich orientierte NGOs sollten finanziell stärker unterstützt werden. Belarus lässt grüssen.
Der Beschluss der Aussenpolitischen Kommission wurde (bei 5 Abwesenden) mit 56 Ja- zu 9 Nein-Stimmen gefällt. Nun kommt dieser Beschluss der zuständigen Kommission als formeller Antrag ins Parlament.
Andrius Kubilius‘ Kommentar nach der Abstimmung in der Aussenpolitischen Kommission: «Die EU muss eine umfassende Reihe von Prinzipien und eine geeignete Strategie ausarbeiten, die auf den Grundwerten basiert, die die EU fördert. Die Verteidigung von ‹Democracy First› in den Beziehungen der EU zu Russland ist unsere erste Aufgabe. Die EU [ …] braucht deshalb mehr Mut, gegenüber dem Kreml-Regime eine harte Haltung einzunehmen, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht. [… ] Es geht darum, die innenpolitische Repression zu beenden, dem Volk die Wahl zurückzugeben und alle politischen Gefangenen freizulassen.»
Wie war es – umgekehrt – mit der russischen Einmischung in den USA?
Das Thema russische Einmischung in die US-amerikanische Innenpolitik und insbesondere in die Wahlen von 2016 ist in den USA noch immer aktuell, obwohl nachträgliche Analysen der Posts in den Sozialen Medien ergaben, dass der Einfluss – quantitativ – vernachlässigbar klein war. (Infosperber hat darüber detailliert berichtet, siehe hier und hier oder unten an diesem Text unter «Weiterführende Informationen».) Was aber ist der jetzt zu erwartende Beschluss des EU-Parlamentes anderes als eine sogar offiziell beschlossene politische Einflussnahme in die Innenpolitik Russlands?
Nicht vergessen dabei werden sollte auch, dass speziell die USA mit ihren Sendern «Radio Free Europe» und «Radio Liberty» schon seit Jahrzehnten Einfluss auf die russische Politik nehmen – ursprünglich sogar hochoffiziell unter Beteiligung der CIA. Auch darüber hat Infosperber berichtet. Aber noch werden US-Interventionen – auch militärische! – in fremden Staaten immer mit dem Schlagwort «Demokratie» gerechtfertigt. Wie die vielgerühmte «Demokratie» im Westen funktioniert, hat man kürzlich bei den Präsidentschaftswahlen in den USA wieder beobachten können. Ein kleines Beispiel: Im Jahr 2020 wurden in den USA mehr als 4 Milliarden Dollar für parteipolitische Werbung ausgegeben …
Darf man die Verletzung der Menschenrechte in Russland nicht kritisieren, wenn man nicht gleichzeitig über irgendwelche Zustände in andern Ländern schreibt? Natürlich ist es nicht sehr diplomatisch, wie es das EU-Parlament gemacht hat und man kann sich fragen, was dieses Vorgehen denn bringt. Die Situation in Russland scheint mir tatsächlich sehr heikel, insbesondere das Verhältnis zwischen Putin und seiner Partei und den Oligarchen. Was bedeuten solche Interventionen in diesem speziellen Machtgleichgewicht? Solche Fragen sind wichtiger zu beantworten, als die Auswüchse des Kapitalismus auf der einen Seite gegen die Auswüchse auf der andern aufzurechnen.
Unter einem ‘Vereinten Europa’ verstehen, vor allem deutsche Bildungs-Kreise, ein kulturell und geistig gleich-geschaltetes und zentralistische Europa. Also eine gut lenk- und kontrollierbare Grossmacht Europa, inkl. Russland, mit Deutschland als bestimmende Supermacht.
Angesprochen von der EU sind Menschen und Kreise, vor allem im deutschsprachigen Teil Europas und in der Schweiz, welche sich zu autoritären, elitären, feudalistischen, hierarchischen Systemen mit für und über sie bestimmenden Führerfiguren hingezogen fühlen. Mit Verachtung für den «Pöbel» der aus ihrer Sicht unfähig ist Zusammenhänge zu erkennen und «gute» Entscheidungen zu treffen:
« … die Angelsachsen, die haben Zivilisation und Demokratie und damit potenziell die Herrschaft des Pöbels. Wir Deutschen brauchen das nicht, wir haben Bildung, wir haben Kultur ….. Möglich, dass die Barbarei [gemeint das Nazi-Regime] durch die hohe Kultur beflügelt wurde» So Volkhard Knigge.
Die Führungsriege der EU hat es inzwischen zu Genüge bewiesen. Für sie ist Dialog auf gleicher Ebene mit dem «Pöbel», also Demokratie undenkbar. Was für sie Gültigkeit haben sind: Autorität, Drohungen, Einschüchterung, Macht, Gewalt und Dergleichen.
Zur Intransparenz der EU beachte man das Interview mit Franz Piribauer bei INTERNATIONAL:
https://www.youtube.com/watch?v=c2zJIWDdS70
Der Werte Westen nimmt sich das Recht heraus souveränen Staaten vorzuschreiben, welche Gesellschaftsform denn zu wählen die richtige sei. Ansonsten wird gecancelt.
«… wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht.»
Fast schon zynisch, denn gerade diejenigen die Freiheit für die Welt fordern begehen selbst doch arg viele Verletzungen des Menschenrechts.
Wir sollten wirklich damit beginnen, Flüchtlinge an Hand der Rüstungsbudgets der Länder auf die Länder aufzuteilen.
Mehr Mut dem Kreml gegenüber eine harte Haltung einzunehmen braucht es indes nicht. Es braucht aber eindeutig mehr Mut für Entspannung einzutreten. Genauso wie dies in den 80ern Herr Gorbatschow getan hat. Oder verübeln wir dem Kreml wirklich, dass wir (der Westen) uns nicht an die Vereinbarungen (wenn auch nur mündlich) gehalten, alles hinter dem eisernen Vorhang was nicht niet- und nagelfest war geplündert haben, und uns deshalb nicht mehr so ganz vertraut? Nachdem der Kreml über 10 Jahre eine Politik der Annäherung und Kooperation gesucht hat?
Nein wir brauchen eindeutig mehr Mut, entschieden gegen Menschen aufzutreten die immer und immer wieder an der Gewaltspirale drehen.
Einer Website des EU Parlamentes entnehme ich beim Thema Gasimporte folgende Informationen: «Russland war der Gashauptlieferant (47 Prozent), gefolgt von Norwegen (34 Prozent), Algerien und Libyen (gemeinsam 8,6 Prozent)» Stand 2018 – Hoffen wir, dass in der nächsten Zeit der Kreml keinen härteren Kurs gegen die EU einnimmt, wenn Deutschland aus eigener Kohle und Atom aussteigt. – An einer Reduktion der russischen Gaslieferungen hätte natürlich die Konkurrenz aus dem Westen Freude. Dazu braucht es aber noch ein wenig politisches Marketing. Am besten verbunden mit Menschenrechten und Demokratie.
Der Westen, die NATO-Staaten, würden gerne über die reichen Ressourcen Russlands verfügen. Man hat versucht, die Ukraine der EU und letzlich auch der NATO einzuverleiben. Auch Weissrussland hätte man gerne in Stellung gebracht gegen Russland. «Menschenrechte, Demokratie, Pressefreiheit, Meinungsäusserungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit etc.» sind dem Westen nur Mittel zum Zweck. Es geht, wie es Brzezinski vor gut 20 Jahren gesagt hat um die amerikanische Strategie der Vorherrschaft als einziger Weltmacht. Die ganze Propaganda gegen Russland sehe ich unter diesem Blickwinkel.
Wie kann es sein dass der gescheite Autor Müller noch nicht gelernt hat, dass der _pöhse_ Putin an allen Übeln dieser Welt die alleinige Schuld trägt?