Cisullo

Claudio Cisullo bringt das Prinzip der Industrialisierung ins Haus Ringier © Ringier

Es rumort in den Chefetagen der Schweizer Medien

Christian Müller /  Michael Ringier holt seinen Neffen ins Management und Cisullo in den VR. AZ-CEO Bauer geht. Es brodelt vor und hinter den Kulissen.

Eilmeldung:

Christoph Bauer geht zum deutschen Medienkonzern M DuMont Schauberg und wird dort per 1.1.2014 Vorstandsvorsitzender.

Dies meldet soeben (23.Mai 2013, 14.30 Uhr) der deutsche Branchendienst Kressreport.

Zurück zur alten Meldung:

Die Medienbranche ist in der Krise – wobei das Wort Krise hier im Sinne des altgriechischen Wortes Krisis verstanden werden will: die Zeit der Entscheidung. Das Internet, der freie Zugang zu Informationen rund um die Welt, brachte das eine Bein der Medienwelt zum Einknicken: die Erlöse aus Abonnements und aus den Verkäufen am Kiosk. Die Miniaturisierung der digitalen Lesegeräte, das Lesen der Inhalte auf den kleinen Smartphones, lässt nun auch noch das andere Bein, die Anzeigenerlöse, einbrechen. Die global unsichere Wirtschaftssituation leistet dabei noch Sterbehilfe.

In München gibt es die Firma Smartdigits. Ihr Kerngeschäft ist die Beratung, wie digitale Medienangebote profitabilisiert werden können. Einer ihrer Topberater, Dr. Harald Henzler, sagte am 10. November an einem Vortrag in München, etwas vereinfacht wiedergegeben: Der Inhalt – der Content, wie das neuerdings heisst – lässt sich übers Internet nicht mehr verkaufen. Geld machen kann man nur noch durch die Nutzung der bei der Verbreitung der News gewonnenen Nutzerdaten, oder aber durch andere Geschäfte, wie etwa Ringier in der Schweiz sie macht. Damit spielte er auf die direkte Verknüpfung von Star-Promotion, Ticket-Verkauf und Boulevard- Publizistik bei Ringier an.

Das war, wenn man genau hinhörte (der Autor dieser Zeilen sass im geschlossenen Publikum), nicht weniger als die Ankündigung des journalistischen Weltuntergangs: zwar nicht für den 21. Dezember 2012, aber für die nächsten paar Jahre. Für Content wird niemand mehr zahlen, hörte man da, aber weil der Nutzer beim Abrufen der News sein eigenes Profil verrät, lässt sich mit diesen Daten wieder Geld verdienen: man kann ihm, dem Nutzer, profilgerecht etwas ganz Anderes andrehen.

Umbruch statt Kontinuität

Die Verlagsbranche hat auf die kommenden Umwälzungen hin, und dies nicht nur in der Schweiz, vor allem mit einem rigiden Kostenmanagement reagiert. Fast überall wurden Leute im zweistelligen Prozentbereich abgebaut. Damit nicht zwei Journalisten sich um das gleiche kümmern, der eine für die Zeitung und der andere zum Beispiel für eine Radiostation, wurde der sogenannte Newsroom erfunden: ein Raum, in dem eingehende News mediengerecht auf die verschiedenen Kanäle verteilt werden. Aber auch das Recherchieren zu News wurde eingeschränkt. Immer öfter gelangen News, vor allem jene aus dem Wirtschaftsbereich, so zu den Lesern, Radiohörern und TV-Nutzern, wie sie von professionellen PR-Leuten vorbereitet worden sind. In den USA etwa standen gemäss Medien-Professor Stefan Russ-Mohl im Jahr 2008 100’000 Journalisten bereits 240’000 PR-Profis gegenüber, und die Verschiebung zugunsten von PR geht ungebremst weiter.

Und natürlich rollen in den Medienunternehmen auch Köpfe. Denn wo ein Medienhaus eine neue Strategie wählt, müssen neue Leute her, die ohne belastenden Rucksack mit «alten» Statements die neue Ausrichtung um- und durchsetzen können.

Heute, am 20. Dezember 2012, haben gleich zwei der noch vier grossen Schweizer Medienhäuser der Schweiz Veränderungen an oberster Stelle bekannt gegeben: das Haus Ringier und die AZ. Bei Ringier steigen zwei neue Leute ein, bei der AZ verlässt der operative Chef das Unternehmen.

Geld sparen mit Industrialisierung

Ringier meldet den Übertritt von Robin Lingg, einem Neffen von Michael Ringier, vom Verwaltungsrat ins Management. Der Vorgang ist in einem Familienunternehmen normal. Interessanter ist der Wechsel im VR: Dort nämlich nimmt Claudio Cisullo Einsitz, ein IT-Spezialist. Zurzeit ist er (neben anderen Positionen) Chef des «UBS Industrialization Advisory Board», jener Beratungseinheit bei der UBS, wo – der Name besagt es – die Industrialisierung der Bank vorangetrieben wird, sprich: die Ersetzung von Menschen durch Automaten.

Die Website insideparadeplatz.ch vermeldete am 4. Juni 2012 zur Personalie Claudio Cisullo: «Die entscheidende Rolle () spielte der Leiter des sogenannten ‹Industrialization Steering Committee› der UBS. Es handelt sich um einen IT-Selfmademan namens Claudio Cisullo. Der hat es vom Secondo aus bescheidenen Zürcher Agglo-Verhältnissen zum schwerreichen Unternehmer geschafft. Cisullo rühmt sich seiner Connections zu den Spitzen in der globalen Wirtschaft und Politik, darunter Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Medien-Tycoon Jürg Marquard und Rennstall-Besitzer Peter Sauber
Und zum Projekt der «Industrialisierung» der UBS meinte damals insideparadeplatz: «Mit weit reichenden Folgen: weniger Handarbeit, mehr Outsourcing, weniger Jobs. () Das Projekt geniesst oberste Priorität. An der letzten Generalversammlung wurde es von Ex-Präsident Kaspar Villiger mehrfach erwähnt.»

Ringier-Mitarbeitende tun gut daran, sich warm anzuziehen.

Persönliche Publizistik versus pekuniäre Profitabilität

Dass Christoph Bauer als CEO der AZ-Medien das Handtuch wirft, kommt nicht überraschend. Überraschend ist eher, dass es nicht schon früher geschah. Der Mehrheitsbesitzer und Verwaltungsratspräsident des AZ-Medienhauses Peter Wanner ist nämlich nicht bekannt dafür, Organigramm-gerecht letzte Kompetenzen abzugeben. Er redet gerne mit, und er hat seine eigenen Prioritäten – mit Vor- und Nachteilen für die betroffenen Manager und Journalisten. Dass PW, so sein brancheninternes Kürzel, selber publizistisch interessiert ist, kommt gelegentlich dem Journalismus im Hause zugute. PW ist Verleger, und dies nicht nur aus Verlegenheit. Oft entscheidet er nach einem publizistischen Kriterium, weil es ihn interessiert, aber gleichzeitig gegen das kommerzielle Ziel des Unternehmens, am Ende des Jahres einen zukunftsfähigen Gewinn auszuweisen. Das ist für einen ihm unterstellten CEO, der für die Profitabilität des Unternehmens verantwortlich ist, keine einfache Situation. Dass sich bei strategischen Entscheidungen aber meistens der Mehrheitsbesitzer und nicht der CEO durchsetzen und bei der AZ durchgesetzt haben, das konnte man auch von aussen beobachten: Der Zukauf von TeleZüri und TeleBärn durch die AZ-Medien und durch PWs persönliche Schattenfirma BT-Holding von der Tamedia etwa im August 2011 war kein Entscheid, um der AZ-Medien-Gruppe zusätzliche Ertragskraft zu verschaffen, sondern die Realisierung eines persönlichen Traums: für PW eine Lust, für das Unternehmen eine Last, um es kurz zu sagen. Und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten war es ein umso problematischerer Entscheid. (Siehe dazu den Artikel zum Verkauf des Langenthaler Tagblattes an die Tamedia auf Infosperber).

Der lange Arm des AZ-Übervaters PW ist aber auch bei personellen Entscheidungen spürbar. Wo infolge von sogenannten Synergien ein Mitarbeitender überzählig wird, wird nicht nach Qualifikation entschieden, sondern nach Haus-Zugehörigkeit. Das haben im Jahr 2009 nicht nur die Vogt-Schild-Leute in Solothurn schmerzlich zu spüren bekommen, das sieht man in den letzten Wochen zum Beispiel auch an den Abgängen bei TeleBärn, oder auch an dessen neuem Chefredaktor, der zwar kaum eine Affinität zu Bern glaubhaft machen kann, aber eben aus dem Hause Wanner kommt.

Die Medien-Manager werden immer rüppelhafter

Wie immer in schwierigen Situationen: die Macht rutscht nach oben. Waren im Hause Ringier Anfang der 1980er Jahre die Journalisten und Redaktoren zwar auch schon einem Chefredaktor unterstellt, so waren diese ihrerseits in der Hierarchie des Hauses aber doch ganz oben angesiedelt und direkt dem damaligen Direktionspräsidenten Heinrich Oswalt unterstellt. Tempi passati. Heute sind die Chefredaktoren den jeweiligen Verlagsmanagern unterstellt, die für die Erlöse aus dem Leser- und dem Anzeigenmarkt verantwortlich sind. Und neuerdings dürfen Verlagsmanager die eigenen Redaktoren und Journalisten sogar öffentlich abkanzeln, wie es sich kein Industrie-Manager gegenüber seinen Mitarbeitern erlauben dürfte. Rolf Bollmann etwa, der neue starke Mann der Basler Zeitung Medien, der Mitte September von der Tamedia zur BaZ gewechselt hat, sagte in einem Interview wörtlich: «Wissen Sie, ich habe schon viele Lebensläufe von Journalisten gesehen. Und sie können es mir glauben, eine grosse Anzahl haben ausser einem abgebrochenen Universitätsstudium nichts vorzuweisen. Selbst haben sie ihr Leben nicht im Griff, noch nie irgendwann, irgendwo für irgendetwas Verantwortung übernommen und erlauben sich, mit primitiven Artikeln über Menschen zu urteilen, die sie nicht kennen und mit denen sie nie gesprochen haben. () Wenn die Leser wüssten, welche zum Teil widerliche Figuren im Journalismus rumturnen und was für Taugenichtse solche Artikel schreiben, dann kämen bei ihnen einige Fragezeichen auf.»

Es fragt sich, ob eine Branche, in der oberste Chefs so über die Leute im eigenen und in anderen Häusern der Branche öffentlich reden dürfen, überhaupt erhaltenswert ist. Vielleicht muss das ganze Business um Nachrichten und Hintergrundberichte, um Analysen und Meinungen tatsächlich ganz neu erfunden werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war 25 Jahre Journalist, Redaktor und Chefredaktor und 20 Jahre Medien-Manager und Medien-Berater. Er hat sein Studium mit dem Dr.Phil. I in Geschichte und Staatsrecht abgeschlossen und an der Uni St. Gallen zusätzliche Studien in Betriebswirtschaft absolviert. Zu seinen Beziehungen zum Medienunternehmen Ringier und zur AZ-Medien-Gruppe gibt seine Website www.commwork.ch umfassend Auskunft.

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Eine Meinung zu

  • am 22.12.2012 um 15:10 Uhr
    Permalink

    Liebe Infosperber Redaktion und angeschlossene Journalisten, die Beiträge hier auf diesen Seiten belegen das gute Berichterstattung selbst auf dem Internet durchaus möglich ist. Was in Deutschland der Blog «Nachdenkseiten» ist, sehe ich in der Schweiz mit Infosperber realisiert. Das solche Seiten keine tragenden Geschäftsmodelle sind, liegt nicht an der Qualität der Berichterstattung und des Angebotes, sondern daran dass die Politik vergessen hat dass die «vierte Macht» im Gegensatz zur Justiz und Politik heute nur noch Kommerziell ein breites Publikum erreichen kann. Aus meiner Sicht gibt es die vierte Macht nicht mehr, weil man die Journalisten im Westen im Stich gelassen hat, sie können alleine auf den Marktwettbewerb gestützt, ihre Aufgabe nicht mehr genügend erfüllen. So kommt es dass solche Seiten wie Infosperber überhaupt entstanden sind. Wer immer an einer unabhängigen vierten Macht interessiert ist (und das sollten wir alle sein), der muss dafür sorgen dass solche Modelle wie Infosperber einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Alleine die Existenz auf einer Internet-Adresse reicht nicht, Links kosten heute Geld an prominenter Stelle gesetzt. Politiker die meinen Kommentar lesen, sie sollten sich überlegen, woher ihre eigene Unabhängigkeit kommt und was geschehen würde wenn auch die Politik nur noch von Werbung leben müsste -sie wäre ebenfalls keine unabhängige Macht mehr.

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