Sperberauge

Tagesschau: «Begriff Gewerkschaftsboss ist nicht herabsetzend»

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  «Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard» würde «drohen», das EU-Paket des Bundesrats abzulehnen, erklärte die Tagesschau.

Auf die Frage von Infosperber, weshalb die Tagesschau die Präsidenten des Gewerkschaftsbundes und des Arbeitgeberverbandes nicht beide mit ihren offiziellen Funktionen bezeichne, antwortete die SRF-Tagesschau

«Gewerkschaftsboss steht umgangssprachlich für den Chef/Präsidenten einer Gewerkschaft. […] Dass der Begriff herabsetzend sein soll, ist uns neu.» 

Schliesslich würden auch Zeitungen diesen Begriff verwenden, argumentierte die Tagesschau.

Ein Blick in die Mediendatenbank zeigt, dass die Tagesschau noch kaum je vom «Arbeitgeberboss», von «Bankbossen» von «Versicherungsbossen» oder vom «Bauernverbandsboss» sprach. 

Historisch waren es Arbeitgeber, welche mit dem Begriff «Gewerkschaftsboss» den Gewerkschaften Selbstherrlichkeit und Machtbesessenheit unterschieben wollten. Der Begriff «Boss» wird häufig verwendet, wenn es um «Mafiabosse», «Drogenbosse» oder «Gangsterbosse» geht. Niemand möchte mit solchen assoziiert werden.

Das «Echo der Zeit» vom 9. Januar berichtete über «Drogenbosse» in Ecuador,  bezeichnete Maillard dagegen in der gleichen Ausgabe korrekt als «Präsidenten des Gewerkschaftsbundes».

Der betroffene Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard meinte gegenüber Infosperber zurückhaltend: «Ich mag diesen Ausdruck nicht sehr. Für Arbeitgeber wird er nicht benutzt.»

Nicht immer muss der Begriff «Boss» mit einer negativen Konnotation verbunden sein. Wer seinen Chef «meinen Boss» nennt, kann es liebevoll meinen. 

Es kommt darauf an, ob in einem bestimmten Zusammenhang die meisten Leute den Begriff abwertend oder herabsetzend verstehen. Die Tagesschau verwendete den Begriff «Gewerkschaftsboss» im Zusammenhang mit der «Drohung» (Tagesschau) oder der «Kritik» (SRF-online) des SGB-Präsidenten, das EU-Paket des Bundesrats abzulehnen.

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Tagesschau online

In seinen publizistischen Leitlinien schreibt SRF:

«Wir verbreiten keine diskriminierenden Stereotypen in Bild und Ton.»

Laut Duden ist ein Stereotyp «ein vereinfachendes, verallgemeinerndes Urteil, ein [ungerechtfertigtes] Vorurteil über andere». Die Lesenden können selber beurteilen, ob der Begriff «Gewerkschaftsboss» im obigen Zusammenhang ein diskriminierendes Stereotyp ist und ob das Fernsehen dazu beiträgt, dieses Stereotyp zu verfestigen. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • am 10.01.2024 um 11:30 Uhr
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    ‹Boss› ist schon näher beim ‹Diktator› und bei ‹Gewalt› als ‹Präsident›. ‹Präsident› klingt nach ‹gewählt›, nach ‹gut›. Auch ‹Drohung› klingt nach ‹Krieg›. Dabei geht es um Interessen, die die Gewerkschaft nicht genügend berücksichtigt findet und deshalb ablehnt.

  • am 10.01.2024 um 13:27 Uhr
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    Finde es sehr gut, hat Infosperber dieses Thema aufgegriffen. Häufig werden ohne zu studieren abwertende Begriffe wieder verwendet.

  • am 10.01.2024 um 15:25 Uhr
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    Zwei Interpretationen sind denkbar:
    – entweder ist den JournalistInnen tatsächlich die negative Konnotation von «Boss» – vor allem in Gegenüberstellung zum Begriff «Präsident», der für den anderen Sozialpartner verwendet wird – nicht bewusst. Dann fehlt ihnen schlicht die nötige sprachliche Sensibilität, die für ihren Job unerlässlich ist.
    – oder ihnen ist dies sehr wohl bewusst und sie haben den Begriff «Boss» bewusst in Gegenüberstellung zu «Präsident» eingesetzt. Dann betreiben sie schlicht Campaigning unter dem Deckmantel der News-Vermittlung.
    Beides ist nicht hinnehmbar, passt aber zur in allen Belangen unterirdischen Qualität der Newssendungen auf SF. So begräbt sich eine ehemals nationale Institution selber.

  • am 10.01.2024 um 21:53 Uhr
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    Die Antwort von SRF überzeugt nicht.
    Boss passt definitiv besser zum Oberhaupt eines Mafiaclans als Beispielsweise zum Bundespräsidenten.
    Tendenziös ist auch dieses ganze Framing, wonach die Gewerkschaften im Prinzip schon fast verpflichtet wären, dem neuen Verhandlungsresultat zuzustimmen. Als ob in einer Demokratie der Standpunkt, eine nähere Anbindung an die EU abzulehnen, nicht genauso legitim wäre wie der entgegengesetzte. Es gibt halt schon einige EU-Freunde, die meinen, die einzigen Hüter der Wahrheit zu sein.

  • am 10.01.2024 um 22:47 Uhr
    Permalink

    Zutreffende Beobachtungen. Zum Glück ist der SBG Präsident Maillard intelligent, erfahren und eine gute Besetzung, als höchster Arbeitnehmervertreter in unserem Land. Als VPOD Mitglied fühle ich mich bestens vertreten.

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