Peter Maurer Carolina Frischkopf

Peter Maurer und Carolina Frischkopf © zvg

Das Völkerrecht darf nicht machtpolitisch interpretiert werden

Tim Guldimann /  Die «internationale Ordnung» war schon als «Pax Americana» eine Unordnung, die sehr viele Menschen ausschloss, sagt Peter Maurer.

Red. Der frühere Schweizer Diplomat Tim Guldimann fasst sein neustes Podcast-Gespräch zusammen. Diesmal mit Carolina Frischkopf und Peter Maurer.

Der frühere Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer, widerspricht der Behauptung, wir seien «in einer Welt aufgewachsen, als diese noch in Ordnung war: «Die sogenannte internationale Ordnung […] hat für ganz viele Leute einfach nicht gespielt, aber das wurde nicht zur Kenntnis genommen.»

Carolina Frischkopf, designierte Direktorin des Hilfswerks der evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS), stimmt zu: «Es ist eine Welt in Unordnung, die immer in Unordnung war. […] Bis jetzt hatten wir eine klare Ordnung, wer Macht hat, die Pax Americana. Die Amerikaner haben die Weltordnung so nutzen können, wie es für sie stimmte […] In dieser von Amerika dominierten Weltordnung gelang es nicht, die wirtschaftliche Entwicklung für alle zugänglich zu machen.» China habe dies für China geschafft.

Was sich geändert habe, meint Peter Maurer, «ist der Konsens darüber, wer sich mit dieser Unordnung beschäftigen soll und kann. Die Leadership-Funktion der westlichen Welt ist in Frage gestellt […] Was nicht in Frage gestellt wird, sind die Zielvorstellungen, die sich Gesellschaften machen bezüglich Frieden, Respekt von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht […] Was abgelehnt wird, ist eine machtpolitische abgestützte Interpretation dieser Normen, aber nicht die Normen selbst.»

Weil die machtpolitische Ordnung heute nicht mehr allgemein anerkannt werde, müssten auch Normen wieder neu verhandelt werden.

Für Maurer gibt es ein Entwicklungsparadox: «Es hat noch nie in der Geschichte der Menschheit so viele Leute gegeben, die gesund, wohlhabend, miteinander verbunden und ausgebildet waren. Und gleichzeitig hat es noch nie auf der Welt so viele Menschen gegeben, die ausgeschlossen sind von politischen Entscheidungsprozessen, die in Armut verharren, die die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf sich vereinigen.»

Dies sei die eigentliche Problematik, mit der sich das internationale System heute beschäftigen müsse. Umso mehr, als das System «von fragilen Kontexten durcheinander gerüttelt» werde: Klimawandel, strukturelle Armut, Korruption, Auswirkungen von Pandemien: «So haben wir Orte auf der Welt, die praktisch nicht mehr regierbar sind und die ausserhalb des internationalen Systems sind.» Die betroffenen Menschen würden sich heute zu Wort melden. Sie seien verbunden mit der Welt und würden sagen: «Euer Diskurs stimmt nicht». Das stelle die Legitimation des Systems in Frage.

Auch die Entwicklungshilfe muss überdacht werden

«Es braucht einen fundamental anderen Ansatz, wie wir ein Hilfesystem aufbauen, das auch den lokalen Begebenheiten Rechnung tragt», erklärte der langjährige IKRK-Präsident. Dafür brauche es «mehr als Augenhöhe», argumentiert Frischkopf: «Der Lead für die Entwicklung muss bei den Ländern selber sein und bei den lokalen Partnern, weil sie am besten wissen, was sie brauchen und was bei ihnen funktioniert oder nicht. Und das steht im Gegensatz zu dem, was bei uns Geldgeber oder auch Staaten an Entwicklungspolitik machen wollen.»
Maurer bestätigt diesen Befund: «Ich habe stark gespürt in den zehn Jahren, als ich IKRK-Präsident war, wie die Legitimität westlicher Helferei fundamental in Frage gestellt wurde […] Man hat eingesehen, dass dies die falsche Hilfe ist, die nicht den Bedürfnissen entspricht.»

In der globalen Unordnung mit Schurken verhandeln?

Ist es legitim, in der globalen Unordnung mit Gaunern und Schurken als Partner zu verhandeln? «Das war immer so, das hat sich nicht geändert», antwortet Frischkopf. «Man hat mit Saddam Hussein und Ghaddafi gut verhandelt. Das hat realpolitisch immer funktioniert.»
Maurer ergänzt aus seinen Erfahrungen mit autoritären Regimen: «Wir haben die unangenehme Gewohnheit, sie als Diktaturen und als korrupte Regierungen (zu bezeichnen), wie wenn es Korruption bei uns nicht gäbe, wie wenn es autoritäre Bestrebungen bei uns nicht gäbe.» Frischkopf ergänzt: «Ich habe das in China erlebt und das hat mich sehr beeindruckt […] Wenn man mit Chinesen zusammensitzt, wollen sie von einem lernen.»

«Debatte zu dritt»

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4 Meinungen

  • am 10.01.2024 um 12:38 Uhr
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    Zum Glück schalten sich solche anerkannten Persönlichkeiten wie Peter Maurer + Tim Guldimann in die Debatte zur Welt-Ordnung ein. Sie ist längst aus dem Gleichgewicht geraten, sprich zugunsten des Westens + inzwischen noch krasser zugunsten der USA verzerrt worden.
    – Seit der Kolonial-Zeit nehmen wir im Westen uns Vorrechte heraus, welche mit einer fairen Ordnung nichts zu tun haben.
    – Inzwischen stürzen die USA auch West-Europa in einen wirtschaftlichen + militärischen Abgrund, aus welchem wir uns so leicht nicht mehr rausschaffen können. Und wir machen Anstand-los mit. How come?

    Es ist dringend (vielleicht schon zu spät) dafür, dass wir vom hohen (westlichen) Ross absteigen + dem Rest der Welt Zugang auch zu allen unseren Rechten, nicht nur der Pflichten verschaffen. Und es ist dringend, dass West-Europa sich vom Diktat + vom militärischen Pseudo-Schutz über die USA lösen, sprich unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen samt unsere eigene Verteidigung an die Hand nehmen.

  • am 10.01.2024 um 17:02 Uhr
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    In den letzten Zehn Jahren hat der Afrikanisch Kontinent $ 4.100 Milliarden Entwicklungshilfe erhalten!

  • am 10.01.2024 um 20:46 Uhr
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    Eine internationale Ordnung hat es wirklich nie gegeben; der Kalte Krieg hat durch das Gleichgewicht des Schreckens einen Dritten Weltkrieg und eine weitere Ausbreitung der USA verhindert. Die Völker haben aus dem 2. WK nichts gelernt. Gleich nach dessen Ende gingen der Indochinakrieg, die Kriege der Entkolonialisierung, die arab-isr. Kriege, der Koreakrieg los; mit Millionen Toten, Vertreibungen, Gemetzel, totaler Zerstörung von Städten und Infrastruktur. Im massenhaften Töten von Zivilisten und Bombenteppichen schlimmer als im 2. WK waren die USA sofort wieder dabei, erst in Korea dann in Vietnam. Daneben tragen sie noch die Verantwortung für die hunderttausenden Opfer der südam. Todesschwadronen ihrer dortigen verbündeten Diktaturen und der anti-kommunistischen Hysterie. Eine Pax Americana hat es nie gegeben, höchstens eine Metzelei Americana. Folgerichtig hat Le Duc Tho den Friedensnobelpreis abgelehnt, den ein Obama wg. der us-am. Drohnenmorde nie hätte erhalten dürfen.

  • am 10.01.2024 um 22:31 Uhr
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    Diese Tatsachen sind schon lange bekannt. Leider wird seitens der ersten Welt nicht entsprechend gehandelt. Es scheint zu viele Akteure zu geben, die wenig Interesse an einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in der dritten und vierten Welt haben.

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