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In der Radio-Bingo-Show gibt es spezielle Preise zu gewinnen. © SRF

Laien am Schiffs-Steuer: BLS foutiert sich ums Gesetz

Marco Diener /  Auf Radio SRF 1 gab es kürzlich «eine Fahrt am Steuerrad des Raddampfers Lötschberg» zu gewinnen. Ein illegales Angebot der BLS.

Der Raddampfer Lötschberg ist ein stattliches Schiff: 57 Meter lang, 13 Meter breit, 245 Tonnen schwer. Er ist fast 110 Jahre alt und bietet Platz für 800 Passagiere. Wer ein solches Schiff steuern will, braucht eine gute Ausbildung und viel Erfahrung. Könnte man meinen.

«Die Erfüllung eines Lebenstraums»

Doch die Lötschbergbahn (BLS), welche die Schiffsflotte auf dem Brienzersee BE betreibt, und Radio SRF 1 sehen das anders. Kürzlich schrieben sie für die Radio-Bingo-Show von Kabarettist Beat Schlatter «eine Fahrt am Steuerrad des Raddampfers Lötschberg» als Hauptgewinn aus. Es winke «die Erfüllung eines Lebenstraums». Der Gewinner oder die Gewinnerin dürfe «das Steuerrad in die Hand nehmen».

Gesetz ist klar

Dürfen sie das wirklich? Im Bundesgesetz über die Binnenschifffahrt steht: «Wer ein Schiff ohne den erforderlichen Führerausweis führt, wer die mit dem Ausweis im Einzelfall verbundenen Beschränkungen oder Auflagen missachtet, wer ein Schiff einem Führer überlässt, von dem er weiss oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen kann, dass er den erforderlichen Ausweis nicht hat, wird mit Busse bestraft.» Mit anderen Worten: Der Gewinner oder die Gewinnerin macht sich strafbar; der Kapitän oder die Kapitänin ebenfalls.

Der Gewinner darf nicht ans Steuer

Deshalb wollte Infosperber von der BLS wissen: «Darf der Gewinner oder die Gewinnerin das Schiff wirklich steuern?» Die BLS verneinte: «Bei diesem Angebot darf man für eine längere Zeit zum Kapitän und in den Maschinenraum. Der Kapitän gibt Auskunft über das Schiff und über den nautischen Bereich. Der Kunde darf nicht das Schiff steuern.»

Oder etwa doch?

SRF beantwortete die genau gleiche Frage ganz anders: «Die offizielle Stelle der BLS schrieb uns im Vorfeld der Sendung: ‹Das Steuern des Schiffes können wir so nicht garantieren. Dies liegt immer im Ermessen des Kapitäns. Normalerweise ist dies schon möglich.›» Mit anderen Worten: Wenn der Kapitän nicht sein Veto einlegt, dann dürfen Laien einen 245-Tonnen-Koloss steuern.

BAV drückt beide Augen zu

Beim Bundesamt für Verkehr (BAV) sieht man die Sache aus der Ferne entspannt: «In unseren Augen ist es nicht so, dass der Laie die Lötschberg wirklich steuert — vielmehr hält er das Steuerrad und darf vielleicht eine Kurve in einer verkehrsarmen Situation machen.» Infosperber fragt sich allerdings, wie man mit einem Schiff eine Kurve machen kann, ohne es zu steuern. Das BAV schreibt: «Wir gehen davon aus, dass der Kapitän danebensteht und jederzeit eingreifen kann.» Ein Gesetzesverstoss liege nicht vor.

Keine Bagatelle

Man kann es auch anders sehen. «Was würde man machen, wenn ein Busfahrer das Steuer einem Fremden ohne Führerausweis überlassen würde?», fragt ein Infosperber-Leser. Und: «Vom Unglück vor der Insel Giglio wissen wir ja, wozu es führen kann, wenn ein Kapitän jemandem Eindruck machen will.»

Lange Ausbildung

Die Ausbildung zum Dampfschiffkapitän ist eine langwierige Sache. Anwärter beginnen als Hilfsmatrose und Matrose. Dann kommt die Ausbildung auf einem kleinen Motorschiff für Passagiere, später auf einem grösseren und dann erst auf dem Dampfschiff. Die Ausbildung dauert mindestens 285 Fahrtage. Meist geht sie deutlich länger. Ausser für den Gewinner der Radio-Bingo-Show.

Für 650 Franken

Eine Fahrt im Steuerhaus eines BLS-Schiffs gibt es nicht nur für den Gewinner der Radio-Bingo-Show — es gibt sie auch zu kaufen. «Einmal im Leben Dampfschiffkapitän:in» heisst das Angebot der BLS. Es kostet 650 Franken, 600 mit Halbtax oder 550 mit GA für gut zwei Stunden. Wenn die Radio-Bingo-Show also Preise verspricht, «die es nirgends zu kaufen gibt, auch wenn man Millionär ist», dann stimmt das nicht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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6 Meinungen

  • am 11.08.2023 um 11:46 Uhr
    Permalink

    Bei all den guten Beiträgen kann sich Infosperber auch einen Ausreisser leisten.
    Solche Haarspaltereien können sie uns ersparen!

  • am 11.08.2023 um 12:32 Uhr
    Permalink

    «Das BAV schreibt: «Wir gehen davon aus, dass der Kapitän danebensteht und jederzeit eingreifen kann.» Ein Gesetzesverstoss liege nicht vor.»
    Das ist völlig korrekt so! Das heisst ja nicht, dass der Gewinner an der Ländte mit dem Schiff anlegen darf. Die Kompetenz, der Gewinnerin, dem Gewinner die Erlaubnis zu erteilen, die Hände ans Steuer legen zu dürfen, liegt beim jeweiligen Schiffsführer!
    Es ist auch erlaubt, ein Boot mit mehr als 8 PS (in der Schweiz) zu steuern, ohne über den nötigen Schiffsführerschein zu verfügen, sofern eine Person auf dem Schiff über die entsprechende Bewilligung (Schiffsführerschein) verfügt. Trotzdem vielen Dank für den Artikel, er hilft mir, die Texte von INFOsperber wieder etwas kritischer zu lesen.

  • am 11.08.2023 um 16:33 Uhr
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    Viel heisse Luft um nichts! Und an den Haaren herbeigezogene Vergleiche: Bus fahren auf Strassen ist was völlig anderes, als Schiffsruder auf einem See festhalten.
    Warum muss aus einer Mücke immer ein Elefant entstehen?

  • am 11.08.2023 um 16:50 Uhr
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    Meine Buben, 8- und 10-jährig, durften in Irland auf dem Lough Leane spontan ein 100-plätziges Ausflugsboot während 5 Minuten steuern, während der Kapitän auf Vögel aufmerksam machte. Hat mir und meiner Frau grossen Eindruck gemacht. Die anderen Passagiere (wegen Nebensaison waren es nur ca. 10 Personen) waren sehr nett und haben sich mit uns gefreut. Ein unvergessliches Erlebnis. Wir fühlten uns sicher.

    Natürlich kann man immer diskutieren, ob nicht etwas hätte passieren können.

  • am 13.08.2023 um 12:20 Uhr
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    Dieser Bericht ist Haarspalterei und etwas lächerlich. Ist ja schön, wenn wir in der Schweiz keine grösseren Probleme haben. Aber das ist nun wirklich nicht Infosperber-würdig – oder ist immer noch Sommerpause?

  • am 14.08.2023 um 10:26 Uhr
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    In den Philippinen hatte ich einmal das Glück, vom Captain das Ruder einer vollgeladenen Fähre spontan auszuleihen». Er konnte sowieso innerhalb kürzeste Zeit beobachten, wie ich mit den starken Strömungen umgehen konnte. Und weil er gleich neben mir stand, konnte er jede Sekunde wieder voll übernehmen. Einer Kommerzialisierung würde ich trotzdem abraten. Der hiesige Anreiz wäre sofort zu hoch, die entstehende Einkommensquelle zu maximieren, bis es tatsächlich gefährlich wird. Aber seien wir ehrlich, wenn der See noch flach ist, besteht definitiv ein viel kleinere Gefahr, als wenn sich der Captain durch eine Hübsche auf einem anderen Schiff oder sein Handy ablenken lässt. Nicht alle sind Schetinos und trotz Sommerflaute, kann auch Infosperber, diesen qualifizierten Berufsleuten, wenigstens diesen winzigen Freiraum schenken.

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