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Buch-Cover «Justice on Demand» © Kolchis

Ein Sprung ins Jahr 2031

Red. /  Eine Zukunftsnovelle von Werner van Gent: Als Medea die Schweiz in Aufruhr versetzte.

Red. Der Journalist und Griechenland-Korrespondent Werner van Gent hat soeben einen verwegenen Blick ins Jahr 2031 gewagt. Seine Zukunftsnovelle «Justice on Demand» konfrontiert uns mit Entwicklungen, die uns heute noch Angst machen. Im Folgenden eine Einleitung des Autors und dann einen Kapitelauszug. Infosperber hatte über die Buchvernissage berichtet.
von Werner van Gent

Eine der Hauptpersonen meines Buches ist der ambitiöse Alexander von Knöppeldick (AvK), der es ohne allzu grosse Rücksichtnahme und mit einem umstrittenen Parteiwechsel zum Bundesrat gebracht hat. Im Jahre 2031 hat er keine einfache Aufgabe. Die Alpengletscher sind da schon grösstenteils geschmolzen, die Ankoppelung des Schweizer Frankens an den Renminbi ist ein, alle sehen es ein, gigantisches Desaster. Und, wie wenn dies noch nicht genug wäre, tritt ein frecher Asylbewerber – Ahmet P. aus Süd-Wasiristan – dafür ein, dass das Zürcher Grossmünster in eine Moschee mit Doppelminarett umgewandelt wird! «Wir nicht brauchen Minarett – schon zwei da» soll er gesagt haben.

An dieser Stelle tritt der Mann fürs Grobe, die graue Eminenz Dr. Hans-Joachim Sauerdonner – im Bundesbern besser bekannt als Hansi – auf den Plan. Er entwirft eine grandiose Intrige für seinen Chef AvK. Seit sich sogar die Kirchenpflege des Grossmünsters für einen sanften Religionswechsel ausgesprochen hat, veranlasst Hansi über befreundete Kanäle in der Justiz zunächst den sofortigen Abriss der beiden Glockentürme alias Minarette…

Damit löst er schwerste Krawalle in der Limmatmetropole aus. Fast zeitgleich haben amerikanische Finanzkontrolleure, die seit mehr als einem Jahrzehnt freien Zugang zu den Tresoren aller Geldinstitute der Schweiz haben, unter dem Paradeplatz einen gigantischen Goldschatz entdeckt. Sie fordern dessen sofortige Auslieferung an die USA, weil angeblich Steuerbestimmungen der USA nicht eingehalten worden seien.

Beim Schatz handelt es sich, aller Wahrscheinlichkeit nach, um das legendäre «goldene Vlies», das einst aus dem fernen Kolchis ins antike Griechenland entführt wurde. Als rechtmässige Inhaberin wird die Prinzessin und Halbgöttin Medea genannt. Ihr will Hansi nun den Prozess machen, damit das Gold in der Schweiz bleibt. Dabei ist es ein Leichtes, AvK zu einer Grundsanierung der Schweizerischen Justiz zu überreden. Im neuen, zukunftsweisenden System von «Justice-on-Demand» sollen Richter, Ankläger und Verteidigung kostensparend in einer Person konzentriert werden.

Die Schweizerische Öffentlichkeit soll von dieser Grundsanierung der Gerichtsbarkeit besser nichts erfahren, daher die Grossmünsterkrawalle. Damit auch die Amerikaner nichts mitbekommen, soll der Jahrtausendprozess um das Gold der Medea ferner an einem Ort stattfinden, wo nicht mal die Spähsatelliten der NSA hinschauen: Knütteldingen!

Medea ist mit fadenscheinigen Begründungen in die Schweiz vorgeladen worden. Ihr Grossvater, Helios, fliegt seine schwerreiche Enkelin höchstpersönlich in die Schweiz, nach Knütteldingen…
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Kapitel «Medea fliegt in die Schweiz»
Die Gäule waren ausser sich vor Freude. Die ganze Zeit über hatten sie in höheren Fluglagen galoppieren müssen. Wenig Sauerstoff, neblige Aussichten: Es war ihnen stinklangweilig. Nur hie und da einen Jetpiloten mit einem schnellen Kurswechsel zu verschrecken war das Heu nicht wert, mit dem Helios sie bei der Stange zu halten suchte. Seit sie Schweizer Hoheitsgebiet erreicht hatten, konnten sie endlich wieder aus dem Vollen schöpfen.
Pontresina hatten sie in noch beachtlicher Höhe überflogen. Dann lockerte Helios allmählich die Zügel. Die sechs Pferde legten sofort einen steilen Sinkflug ein. Ihre Hufe berührten beinahe den Kunstschnee der Diavolezza. Bukhma, die führende Stute links vorne, war wild darauf, Skifahrer auf dunkelschwarzen Pisten einen Riesenschrecken einzujagen. Dazu drosselte sie zunächst die Geschwindigkeit und hängte sich an die Fersen eines konzentriert nach unten sausenden Skifahrers. Mit einem kurzen Nicken signalisierte sie nach einer Weile den anderen fünf Pferden maximale Beschleunigung, um laut wiehernd nur knapp über den behelmten Köpfen der Skifahrer hinwegzudonnern. Toll! Die erbosten Gesichter. Das wütende, hilflose Gebaren. Nicht wenige waren in Panik sogar von der Piste geraten und in irgendwelche Abgründe gebrettert. Wenn Helios’ Sechsspänner im Tiefflug durch die Alpen fegte, hatten die Rettungsflieger viel zu tun. Helios mochte die Menschen nicht besonders. Das makabre Hobby seiner Gäule war ihm darum ziemlich gleichgültig. Hauptsache, sie transportierten ihn in seiner sonnengöttlichen Mission immer wieder in Windes-, pardon Sonneneile zu den Hotspots. Davon gab es viele, vor allem in jüngster Zeit.
Seiner Sonne ging es schon seit einer Weile nicht besonders gut, das wirkte sich negativ auf die Menschheit und ihre Belange aus. Vor allem aber war es ein Anzeichen göttlicher Unprofessionalität. Eine Sonne, die vom Sonnengott nicht richtig gewartet wird, stellte die Legitimität der gesamten olympischen Welt in Frage. Gigantische Auswürfe an Magma, angetrieben von meist in Klumpenform auftretenden Phantomphotonen, hatten das innere Gleichgewicht der Sonne in jüngster Zeit empfindlich gestört. Brauchte ein Photon sonst Lichtjahre, um sich aus der Gravität des Sonnenkerns zu befreien, gelangten jetzt im Bruchteil einer Nanosekunde gigantische Energiestösse unkontrolliert an die Oberfläche und ins Weltall.
Als Sonnengott war Helios extrem gefordert. Die hämischen Kommentare der Kolleginnen und Kollegen auf dem Olymp waren ihm nicht verborgen geblieben. Vor allem dieser Journalist und Viehdieb Hermes, der sich neuerdings als Chef des Nachrichtendienstes bei Zeus eingeschmeichelt hatte, machte ihn wütend. Man mobbt keinen Gott, sagte er jedem, der es hören wollte. Dabei wusste Helios genau, was er falsch gemacht hatte. Seit dem Urknall kontrollierte er mit seinen komplexen Algorithmen die Magnetfelder der Sonne, um die brüllenden Magmamassen und Photonenstürme zusammenzuhalten. Doch gelegentlich misslang ihm die Kalkulation. Das geschah vorwiegend dann, wenn er mit Anliegen ausserhalb seines engeren Kompetenzbereiches konfrontiert wurde.
Seine Enkelin, Medea, war so ein Fall. Er fühlte sich für sie verantwortlich. Immerhin war sie eine Halbgöttin und ihr Vater, sein Sohn Aietes, ein Halunke. Medea hatte – die Götter wussten es! – kein einfaches Leben in Kolchis gehabt.
Auch später musste er immer wieder einspringen, wenn im Leben der hübschen Prinzessin etwas völlig schiefgelaufen war. Wie in Korinth, als Medea sich mit Kreon, dem durchtriebenen Fürsten, angelegt und dieser eine schmierige Intrige gegen sie gesponnen hatte, mit dem Ziel, sie auszuschalten und ihre zwei Söhne zu steinigen.

Helios war mit der kniffligen Vorbereitung einer beginnenden Sonnenfinsternis beschäftigt gewesen, als der Notruf aus Korinth einging. «Grosspapa, die wollen meine Söhne umbringen und mich dann für den Rest der Geschichte als Kindsmörderin darstellen!», hatte Medea geflüstert. Die Stimme seiner sonst so selbstbewussten Enkelin hatte gezittert, das hatte Helios weich gemacht.
«Gut, gut, ich bin schon unterwegs», hatte er gebrummt und Bukhma gebeten, eine Kursänderung vorzunehmen. Dabei war ihm die Sache mit der Sonnenfinsternis kurz entglitten. Diese hatte sich unkontrolliert entwickelt und die Erde für Wochen in Dunkelheit getaucht. Kollege Hephaistos musste einspringen, indem er gleich drei Vulkane explodieren liess. So hatten die Menschen zumindest eine einigermassen glaubwürdige Begründung für die vielen Missernten und Heuschreckenschwärme bekommen. Aber es war eine Behelfslösung. Auf dem Olymp hatte die Geschichte mit der Sonnenfinsternis verärgerte Gesichter ausgelöst. Dem von Hermes nun straffer geführten Nachrichtendienst war auch nicht verborgen geblieben, dass die Menschen seither an mehreren Orten mit neuen Religionen zu experimentieren begonnen hatten, die vorgaben, mit nur einem einzigen Gott auskommen zu können.
«Alberne Sparübungen», brummte Helios, «das führt doch zu nichts. Die Sonne braucht einen eigenen Gott, die Meere auch. Die Erde sowieso. Dezentralisierung und Outsourcing sind die Gebote der Stunde, nicht die Bündelung aller Aufgaben in einer einzigen Person. Die werden noch ihr blaues Wunder erleben, wenn sie uns abschaffen und durch einen einzigen Gott ersetzen!»

Auch jetzt wieder hatte Medea ihn angebettelt, ihr zu Hilfe zu kommen.
«Die Amerikaner wollen sich mein Gold unter den Nagel reissen. Grosspapa, tu was, bitte!»
«Ach was», hatte Helios zunächst unwirsch geantwortet. Er hielt wenig von der Geschäftigkeit, mit der Medea seit ihrer Flucht mit Jasons Argonautenclique aus Kolchis das Goldene Vlies – diesen milliardenschweren Superschatz – verwaltete.
Dass seinem Sohn Aietes das Gold geklaut worden war, na gut, dafür war er Medea dankbar. Doch ihre Aktivitäten als Hedgefondsverwalterin, die nach Belieben die Preise von Gold und anderen Edelmetallen manipulierte und ganze Volkswirtschaften in den Ruin stürzte, sah er nicht gerne. So etwas geziemte sich nicht für göttliche Gestalten, auch nicht für eine Halbgöttin.
Der bärtige Helios war noch ein Gott vom alten Schlag. Etwas mürrisch meistens, und nicht immer vollkommen ehrlich. Böses wollte er aber nicht bewirken. Und Medea? Na ja, das Mädchen hatte viel mitmachen müssen… Er warf einen schnellen Blick über seine Schulter. Medea schlief zusammengerollt auf der Ledercouch, die Helios speziell für sie im hinteren Teil der Karosse hatte anfertigen lassen. Ihre langen schwarzen Haare wehten im Flugwind.
«Grosspapa, ich kann doch nicht mit diesen hässlichen Aludingern der Menschen in die Schweiz fliegen!», hatte sie ihn angefleht. Da war er schon wieder eingeknickt, Photonenstürme hin oder her.
Natürlich kannte er den wirklichen Grund. Medea führte immer einen Kanister mit einem flüssigen Konzentrat aus Colchicum autumnale mit sich. Die Fluggesellschaften der Erdbewohner weigerten sich aber standhaft, das Zeug zu transportieren. Terrorgefahr, Sie wissen schon. Colchicum autumnale – auch bekannt als Herbstzeitlose – war tatsächlich sehr gefährlich, letal schon in kleinsten Dosen.

Nur um ein Pferdehaar verfehlte Bukhma eine scharfe Felskante. Dahinter wurde am Rand des letzten noch existierenden Alpengletschers eine Aussichtsterrasse sichtbar. Eine chinesische Touristengruppe war angesichts des heranbrausenden Fuhrwerks kreischend und kopflos in alle Richtungen gerannt. Die robusten Balustraden hinderte sie aber daran, sich auf dem Gletscher in Sicherheit zu bringen.
Der einst so stolze Glacier hätte den Ansturm einer weiteren Touristengruppe auch nicht mehr verkraftet, war er doch auf wenige hundert Meter zusammengeschrumpft. Ein endgültiges Abschmelzen dieses letzten glazialen Monuments der Alpen versuchte man mit Plastikfolien und unzähligen Tunneln, über die man sich von unten an den Gletscher herangegraben hatte und in denen hocheffiziente Kühlanlagen installiert waren, zu verhindern. Obwohl dieses Tunnelsystem ein Meisterwerk der Schweizer Ingenieurskunst war und viel Begeisterung ausgelöst hatte, war ziemlich schnell klar geworden, dass es die Stabilität des Landes gefährden würde, wenn man auf diese Weise die gesamten Alpen unterhöhlen würde. Diesbezügliche Pläne waren deshalb nach langen Kontroversen durch ein Referendum gestoppt worden.
Pardar, ein junger Hengst in Reihe drei, hatte es sich nach Bukhmas Manöver, als das Fuhrwerk schon wieder an Höhe gewann, nicht nehmen lassen, noch kurz den Inhalt seines Verdauungstraktes über der Zuschauerterrasse abzulassen. Der chinesische Touristenführer tippte verärgert in sein To-do-Board:
«Schweizer Agent verklagen – Pferdedreck auf viertausend Meter Höhe!»
Medea war wegen des chinesischen Gekreisches aufgewacht.
«Grosspapa.»

«Ja, meine Süsse?»
«Was geht hier vor?»
«Ach, das Übliche, die Menschen verlieren wieder mal die Contenance.»

Medea band sich die Haare zusammen, während sie zurückblickte.
«Geht’s denn eigentlich noch lange?»
«Nein, Süsse, in weniger als zwanzig Minuten sind wir in Knütteldingen.»
«Wieso Knüttel-was-auch-immer? Mein Gold liegt in Zürich.»
«Schon. Die Verhandlungen finden aber in Knütteldingen statt.» Helios wusste, dass er jetzt höllisch aufpassen musste. Medea konnte explosiv reagieren, wenn man versuchte, sie mit Ausflüchten abzufertigen.
«Irgendetwas ist los in Zürich, schwere Unruhen oder so, das Übliche, wenn Menschen sich zusammenrotten.»
«Aber ich will mein Gold, Grosspapa!»
«Das kriegst du auch. Was glaubst du, wieso wir diesen Anhänger mit uns rumschleppen? Mach dir mal keine Sorgen, meine Süsse.»
—–

Die Zukunftsnovelle «Justice on Demand» hier bestellen, Kolchis-Verlag, 24.90 CHF

Siehe:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Werner van Gent ist Kommentator für das Schweizer Fernsehen und Organisator der Spezialreisen von Treffpunkt Orient.ch.

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