Schwingen

Die Schwingfest-Arena im Aufbau bei Payerne – zehn Kilometer südöstlich von Estavayer © Nikon-Foto: Niklaus Ramseyer

Estavayer-le-Bluff oder: Schalten Sie Ihr Navi aus

Niklaus Ramseyer /  Das Eidgenössische Schwingfest findet gar nicht in Estavayer statt – am Lac (de Neuchâtel) sowieso nicht.

Der Begriff «Lügenpresse» wäre bestimmt zu krass. Von einem klaren Fall von Etikettenschwindel kann hier hingegen mit Fug berichtet werden. «Erleben Sie das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Estavayer», titelt etwa der neuste «SonntagsBlick».

Schlagzeile im «SonntagsBlick» vom 31. Juli 2016
Und die Zeitungen der Berner Espace Media AG (vom «Bund» bis zum «Thuner Tagblatt») bedienten ihre Leserschaft jetzt schon mit einer zwölf Seiten starken Beilage zum Fest in Estavayer-le-Lac. Konkret macht darin etwa ein früherer Bund-Chefredaktor zur Geschichte des Städtleins am Südufer des Neuenburgersees eine ganze Seite voll. Mit viel historischem Brimborium: Von der «Adelsfamilie d’ Estavayer» geht das über den «mehr als 33 Meter hohen Bergfried mit seinen drei Meter dicken Mauern» bis zum «Dominikanerinnenkloster am Südrand der Altstadt von 1379». Illustriert wird die Seite durch ein stark beschönigendes Romantik-Foto, das vom See her über dem Schilfgürtel am unverbauten Ufer vorab das Schloss (mit Bergfried) zeigt – und die Kirche St-Laurent (erbaut 1525). Dazwischen hinter viel Grün ein paar unverdächtige, neuere Häuser.
Campingplatz mit Wasserskilift
Die Zeile im Bund-Feuilleton vom 28. Juli zum «Estival» in Estavayer (ab 29. Juli) war viel näher an den Fakten: «Estavayer mutiert für ein Wochenende vom Campingplatz zum Open Air». Ein Campingplatz ist Estavayer nämlich über weite Strecken: Das Ufer vor und beidseits neben dem Städtchen ist ziemlich verbaut mit Wochenendhäuschen jeglicher Form und Farbe. Weitläufige Zelt- und Wohnwagenstellplätze sowie eine grosse Yacht-Marina prägen Estavayer.
Und vor allem der Wasserskilift: Dafür ist das Freizeit- und Wochenendparadies am Neuenburgersee weitherum bekannt: Statt hinter einem lärmigen Motorboot können sich die Wasserskifahrer und Wakeborder da von einem horizontal in den See hinaus gebauten Drahtseillift über die Wellen ziehen lassen. Eine eigentlich gute, weil ökologische Sache. Doch selbst dieses Wahrzeichen Estavayers verheimlicht die Schwingfest-Beilage der Espace Media ihren Lesern.
«Luftwaffe 2016» oder «Parmelin 2016»
Wie auch eine schöne Doppelseite in der Mitte, die das Festgelände zeigt, mit schon fast bösartiger Akribie verschweigt, wo das Fest ab 26. August tatsächlich steigt: nicht etwa in Estavayer oder an einem See (le Lac) nämlich. Sondern auf dem Stützpunkt Payerne der Schweizer Luftwaffe rechts der Autobahn Murten—Yverdon. Da werden derzeit neben der zentralen Schwing-Arena unzählige Festhallen und Bierzelte mit viel Gerüsteisen und Zeltplanen hochgezogen.
Grosse Flächen stehen zwischen der Autobahn und Payerne für ein Zelt- und ein Wohnwagenlager bereit. Gehornusset wird auch entlang der Autobahn. (Steht nur zu hoffen, dass da nicht ab und zu ein fehlgeschlagener, oder vom Winde verwehter Nouss einem vorbeirasenden Touristen die Windschutzscheibe zertrümmert!) So oder so geht alles mitsamt Jubel, Trubel, Wein, Bier, Wurst und viel Volksmusik auf dem Bundeseigenen Festgelände ab. Und nicht zu knapp: Stände, Bars und Beizen machen jeweils erst um 03.00 Uhr in der Nacht zu – und gehen schon um 5.30 Uhr wieder auf. Geschwungen wird ja schon ab Punkt 08.00 Uhr.
Und in Estavayer? Nicht einmal das Steinstossen findet hier statt. Wer dennoch hinfährt, erlebt gemäss Festprogramm höchstens einen «Fahnenempfang» am Freitag 26. August um 13.30 Uhr. Hinter dem weitläufigen Festgelände lächelt entsprechend auch kein See (le Lac) und ladet zum Bade, wie dies die Bund-Beilage suggeriert. Da plätschert höchstens das Bächlein Petite Gâne – in dem sich erhitzte und angeheiterte Festbrüder oder -schwestern zu später Stunde natürlich auch spontan erfrischen können.
Ins fast 10 Kilometer entfernte Estavayer (hinter einem breiten Hügelzug) werden sich die 50’000 vaterländischen Besucher hingegen kaum je verirren. Die nächsten Dörfer beim Festplatz heissen Morens, Bussy, Rueyres-les-Prés oder Grandcour (hübsches Landschlösschen da). Und natürlich Payerne, wo Zeltler und Camper in Einkaufszentren Cervelats, Bier und Brot beschaffen werden. Auch ihnen dürfte Estavayer in den drei Festtagen total in der Mitte zwischen Hemdkragen und Absätzen vorbei gehen. Nix Bergfried oder Nonnenkloster – Kirchlein aus dem 16. Jahrhundert schon gar nicht! Korrekt sollte das Fest darum «Morens 2016» heissen, oder «Luftwaffe 2016» . Oder gleich «Parmelin 2016» – zu Ehren des Chefs des VBS auf dessen Gelände die Fete ja steigt.
«Schalten Sie Ihr Navi aus!»
«Estavayer 2016» hingegen ist ein Etikettenschwindel: Estavayer-le-Bluff. Und an all diesen Fakten haarscharf vorbei zu schreiben, grenzt an eine journalistische Meisterleistung. Immerhin verrät die Schwingfestbeilage der Leserschaft, dass Bahnreisende ans Fest nicht in Estavayer aussteigen sollten, sondern in Payerne oder Corcelles-Nord. Und dass Autofahrer von Bern her die Ausfahrt Payerne nehmen müssen, oder schon jene in Avenches. «Schalten Sie Ihr Navi aus!» So rät das Blatt den Festbesuchern zudem fett gedruckt. Glaubt der Teufel: Wer da irgendwo in der Eidgenossenschaft «Estavayer» eingibt, staunt nicht schlecht, wenn ihm die nette Frauenstimme am Schluss der langen Reise sagt: «Sie sind an Ihrem Ziel angekommen.» An diesem Ziel nämlich gibt es in etwa einen Campingplatz mit Bergfried, auf dem fast gar nichts stattfindet – jedenfalls kein Eidgenössisches Schwing- und Älplerfest.

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