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Indische GAP-Arbeiterinnen und -arbeiter protestieren gegen Ausbeutung © SLD

Die Ausbeutung in der Textilindustrie geht weiter

Daniela Gschweng /  Vor drei Jahren starben bei einem Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch 1‘100 Menschen. Geändert hat sich seither wenig.

Wer früher ein T-Shirt für fünf Franken kaufte, mache sich selten Gedanken darüber, wie dieses Allerweltsprodukt so günstig in die Läden kommt. Seit 2013 hat sich das geändert. Bei einem Brand in der Textilfabrik «Rana Plaza» in Bangladesh starben 1‘100 Menschen aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen.

Unter den Trümmern begraben
Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen der asiatischen Textilarbeiter standen am Pranger (Infosperber berichtete). Die Textil-Konzerne gelobten Besserung.

Doch ausser vollmundigen Ankündigungen hat sich für die Arbeiter und Arbeiterinnen in Indonesien, Bangladesch, Indien und Kambodscha inzwischen viel zu wenig verbessert. Ausbeutung ist der Normalfall, die Bedingungen grenzen in vielen Zulieferfabriken an Zwangsarbeit. Das zeigen mehrere Berichte der «Asia Floor Wage Alliance» (AFWA), einer Gruppe aus Gewerkschaften, Menschenrechtsvertretern und NGOs. Bei der Herstellung von Billigtextilien setzen die Produzenten weiter Leben und Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen aufs Spiel.

Eine Katastrophe wie die im «Rana Plaza» kann sich jederzeit wiederholen

Die nach der Katastrophe von 2013 angekündigten Vereinbarungen der Textilkonzerne haben bisher offensichtlich zu wenig gebracht. Die schwedische Firma H&M hatte in Bangladesch zusammen mit 200 anderen Marken eine Vereinbarung unterschrieben, die dort 1‘600 Firmen betrifft. Für Arbeitskonflikte ist eine bindendes Schiedsgericht vorgesehen. Die US-Textilgiganten Walmart und Gap gründeten zusammen mit 24 anderen Textilgrosshändlern eine freiwillige Allianz zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Von den 1‘600 Unternehmen unter der H&M-Vereinbarung setzten bisher sieben Verbesserungen die Tat um, schreibt der «Guardian» – das sind 0,4 Prozent. Ein H&M-Sprecher sagt, bei 60 Prozent der 1’600 Unternehmen unter der H&M-Vereinbarung sei die Sicherheit verbessert worden.
«78‘842 Menschen in Bangladesch arbeiten noch immer in H&M-Gebäuden ohne Notausgänge», stellte Anannya Bhattacharjee, internationale Koordinatorin der Allianz, Ende Mai fest. «Ich sehe nicht, wie H&M so ein anderes «Rana Plaza» verhindern will», sagte sie der «New York Times». Die Verzögerungen bei der Verbesserung der Sicherheitsbedingungen seien inakzeptabel.

Fehlende Transparenz und Rausschmiss bei Schwangerschaft

Die Arbeitsbedingungen in den Werkstätten sind nach wie vor inhuman. Bhattacharjee stellt ein «System aus Terror, Unsicherheit und ein hohes Mass an Verletzlichkeit der Arbeiter» fest. Diese würden beschimpft und geschlagen, weibliche Angestellte berichteten von Belästigungen, denen sie sich nicht entziehen können.

Arbeiterinnen, die schwanger werden, drohe nahezu ausnahmslos die Kündigung, was viele dazu bringe, sich einer Abtreibung zu unterziehen. «H&M akzeptiert unter keinen Umständen eine Kündigung wegen Schwangerschaft», sagt eines der betroffenen Unternehmen dazu.

Schuften für ein Fünftel des Existenzminiums

In einer Fabrik, die an Gap liefert, seien die Arbeiterinnen mehrmals gezwungen worden, mehr als 100 Stunden pro Woche zu arbeiten – zu Hungerlöhnen. Dies verletze die Vorgaben des Konzerns, meinte Gap-Sprecherin Laura Wilkinson in der New York Times. Laut AFWA-Bericht bekämen Arbeiter in Bangladesh und Sri Lanka generell Löhne, die nur etwa einem Fünftel des Existenzminimums entsprechen.

In einigen Fällen werde nicht einmal der landesübliche Mindestlohn ausbezahlt. Auch dort, wo Löhne nominell gestiegen sind, seien die Reallöhne aufgrund von Inflation gesunken. In Ländern ohne oder mit rudimentären Sozialsystemen müsse ein arbeitender Erwachsener mindestens zwei weitere Personen unterstützen.

Während H&M die Verhältnisse zum Teil transparent macht, sind bei der Walmart-Kette, die auch in den USA wegen Verletzungen des Arbeitsrechts mehrmals in der Kritik stand, die Zustände bei den Zulieferern schwieriger zu bestimmen. Unterlagen über Zulieferer macht Walmart der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die von AFWA durchgeführte Studie stützt sich auf Interviews mit mehreren hundert Arbeitern und Arbeiterinnen aus Bangladesh, Kambodscha und Indien.

Massenohnmachten wegen schlechter Bedingungen

In allen 14 untersuchten kambodschanischen Zuliefer-Fabriken gälten Arbeitszeiten von 10 bis 14 Stunden, berichteten die befragte Arbeiterinnen und Arbeiter – gesetzlich festgelegt sind 8 Stunden an sechs Wochentagen. Oft gebe es keine oder zu wenige Pausen, es herrsche häufig unerträgliche Hitze ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser, heisst es im jüngsten Bericht der AFWA. Wer krank sei, müsse trotzdem arbeiten. In den Fabriken sei es bereits zu Massenohnmachten gekommen.

Hungerlöhne und Kurzzeitverträge

Im «Guardian» behauptete eine ein Walmart-Sprecher: «Wir kümmern uns um die Männer und Frauen in unserer Supply Chain…Walmarts Standards umfassen unsere sozialen und umweltpolitischen Anforderungen an Zulieferer. Speziell diejenigen, die Arbeitsbedingungen, Zwangsarbeit, sichere Arbeitsplätze und Arbeitnehmerorganisationen betreffen».

Befristete Verträge über wenige Monate seien üblich, so dass Arbeitnehmer ständig vom Verlust der Arbeitsstelle bedroht sind. Die Hälfte von 121 dazu befragten Arbeitern für eine Walmart-Fabrik in Bangladesch berichtete von unbefristeten Kündigungen. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass Gekündigte ausstehenden Lohn nicht mehr erhalten hätten.

Selbsthilfe ist fast nicht möglich

Sich selbst helfen können die Betroffenen nur schwer. Nationale Gesetze werden regelmässig umgangen oder ignoriert. Die Mitgliedschaft in einer Arbeitnehmerorganisation wird meist mit Kündigung bestraft. In Kambodscha wurden während eines einwöchigen Streiks im Januar 2014 wenigstens fünf Arbeiter erschossen, die für eine Lohnerhöhung von monatlich 20 Dollar demonstrierten.

Die Regierungen der betroffenen Länder stehen unter Druck. 60 Prozent der Bekleidungsexporte weltweit stammten 2013 aus zehn asiatischen Ländern. Bangladesch ist nach China die zweitgrösste Textilexportnation und erwirtschaftet 17 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts mit Textilien. T-Shirts, Hosen, Jacken und Pullover stellen 81 Prozent der Exporterlöse. Fast zwei Drittel davon gehen nach Europa.

Die «Zustände in der Industrie»

H&M räumt ein, dass es Verbesserungspotential gibt. Das milliardenschwere Unternehmen rechtfertigt die schleppenden Fortschritte mit «den Zuständen in der Industrie». Ein H&M-Sprecher erklärte, die aufgedeckten Schwachstellen seien nicht nur in der H&M-Vertragsgruppe, sondern «in der ganzen Branche» festzustellen.

2018 laufen die selbstgesetzten Verbindlichkeiten der Textilindustrie aus. Ein T-Shirt ist weiter für fünf Dollar zu haben.
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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts der «New York Times» und anderer Quellen erstellt. Schweizer Medien haben bisher nicht darüber berichtet.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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