Liz Truss 5.10.22.SRF

Liz Truss am 5. Oktober vor dem Parteitag der Konservativen in Birmingham © srf

Truss: «growth, growth, growth» – egal, was denn wachsen soll

Urs P. Gasche /  Die Konservativen hätten drei Ziele: «Wachstum, Wachstum, Wachstum», sagte Truss. Das ist ein Rezept des vergangenen Jahrhunderts.

Nach der Rede der britischen Premierministerin Liz Truss vor dem Parteitag der Konservativen in Birmingham äusserten Ökonomen und grosse Medien erhebliche Zweifel, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik von Truss zum angestrebten Wachstum führe. Im Gegenteil: Sie prognostizieren für 2023 ein geringeres Wachstum des Bruttoinlandprodukts als im laufenden Jahr mit im Moment nominal rund drei Prozent. Der Weltwährungsfonds erwartet für Grossbritannien im nächsten Jahr ein Wachstum von sogar nur 0,5 Prozent (IMF).

Offensichtlich ist es völlig gleichgültig, wie das Wachstum zustande kommt

Das Bruttoinlandprodukt kann nur steigen, wenn mehr konsumiert und investiert wird oder wenn mehr Produkte und Dienstleistungen ins Ausland verkauft werden können. Liz Trust verlor kein Wort darüber, welcher Konsum und welche Exporte denn angekurbelt werden sollen. Es genüge, Steuern zu senken und zu deregulieren (d.h. Vorschriften zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit zu lockern). Dann würde das Wirtschaftswachstum automatisch in Gang gesetzt.

Die Realität sieht anders aus: In den letzten 25 Jahren wurde Wirtschaftswachstum in Grossbritannien und den meisten Industriestaaten weder mit Steuergeschenken noch mit Subventionen noch mit Deregulierung erreicht, sondern fast ausschliesslich auf Pump – mit einer entsprechend noch höheren Verschuldung von Staaten und Privaten. Auch der «Trickle-down»-Effekt ist längst widerlegt (siehe Infosperber und Hoppe/Limberg).

Im Vordergrund aber sollte eine andere Frage stehen: Welcher Mehrkonsum soll denn zu einem Wirtschaftswachstum führen? Das Mantra, dass mehr Wirtschaftswachstum per se gut sei, egal was wächst, ist längst überholt. Zwar könnte eine noch verschwenderischere Wegwerfgesellschaft zu dem von Truss erhofften Wachstum beitragen, aber

  • wenn nur Reiche und Superreiche von Wachstum profitieren, ist Wachstum sozial und politisch gefährlich;
  • wenn noch kurzlebigere Produkte konsumiert, Kleider, Möbel und elektronische Geräte noch schneller weggeworfen werden (müssen), noch mehr tonnenschwere Autos statt kleine gekauft werden usw., dann zerstört Wachstum die Umwelt und ist nicht enkeltauglich.

Das gängige Mantra lautet: Ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum sei nötig, um Armut und Hunger zu beseitigen, Renten zu sichern, genügend Erwerbsarbeit zu schaffen sowie die nötigen Mittel für den Umweltschutz und die Gesundheitsversorgung bereitzustellen. Wäre dies wirklich der Fall, würden wir längst im Paradies leben. Dies gilt ganz besonders für die USA mit dem fünfthöchsten Pro-Kopf-BIP. Der dortigen Bevölkerung müsste es ausgezeichnet gehen. Doch die Realität zeigt, dass in den entwickelten Industriestaaten das weitere Wachstum des Bruttoinlandprodukts BIP untauglich ist, um den allgemeinen Wohlstand zu messen, geschweige denn Glück und Lebensqualität.

Ökonomen, Politiker und Medien sollten aufhören, die Öffentlichkeit mit guten oder schlechten Wachstumszahlen zu betäuben und den Wachstumszielen alles unterzuordnen: die Steuer- und die Sozialpolitik, die Umweltpolitik, das Ausrichten von Subventionen, ja sogar demokratische Rechte. Immer wieder werden vernünftige, auch gesellschaftspolitisch innovative Vorschläge abgeblockt mit dem Argument, sie würden dem Wirtschaftsstandort und dem Wachstum schaden.

Die entwickelten Industriestaaten sollten die Vorstellung begraben, dass 2 Prozent Wachstum besser sei als 1 Prozent oder als 0 Prozent. Es kommt vielmehr darauf an, welcher Konsum denn zugenommen und welcher zurückgegangen ist. Wenn weniger, aber langlebigere Produkte gekauft werden, wenn weniger geflogen und generell weniger Energie verbraucht und verschwendet wird, sind das gute Nachrichten für unseren künftigen Wohlstand – auch wenn deshalb das Bruttoinlandprodukt weniger stark oder gar nicht mehr wächst.

«Radikaler Kurswechsel nötig»

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Der Ökonom und Glücksforscher Richard Layard, früher Professor an der London School of Economics, fordert einen radikalen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik: Staaten sollten nicht versuchen, das Wachstum zu steigern, sondern das Glück ihrer Bürger.

Ziel des Wirtschaftens sei nicht, möglichst grossen materiellen Reichtum anzuhäufen, sondern dass

  • sich möglichst viele Menschen zufrieden und glücklich fühlen;
  • möglichst wenig Armut und Elend herrscht.

Um mit seinem Leben zufrieden und glücklich sein zu können, seien einige externe und einige interne Faktoren entscheidend:

  • Externe Faktoren: 1. Persönliche Beziehungen und Freundschaften. 2. Das Klima am Arbeitsplatz. 3. Kontakte beim Einkaufen und in der Freizeit. 4. Das Gefühl, andern Menschen vertrauen zu können. 5. Das Gefühl, in einer gerechten Gesellschaft zu leben und mitbestimmen zu können.
  • Interne Faktoren: Gesundheit, auch psychische Gesundheit. Keine Angstzustände, Depressionen oder Demenz.

Das Regierungsprogramm von Liz Truss mit den drei primären Zielen «growth – growth – growth» gehört ins Repertoire des letzten Jahrhunderts.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Urs P. Gasche ist mit Hanspeter Guggenbühl Co-Autor des Buches «Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr», Rüegger-Verlag, 2010, 16.80 CHF;  15.00 Euro.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

Geht uns die Arbeit aus, wenn wir nicht ständig mehr konsumieren? Oder sind die Renten in Gefahr?

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5 Meinungen

  • am 7.10.2022 um 12:04 Uhr
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    Ich bin zuversichtlich, dass eine Mehrheit der LeserInnen von Infosperber mittlerweile weiß, dass wir ein System-Problem haben und kurz vor einem globalen Finanzsturm von epischen Ausmaßen stehen: https://goldswitzerland.com/de/globaler-finanzsturm-von-epischen-ausmassen/

    Epische Geldschöpfung durch das Monopol des Bankensystems hat zu irrem Wachstum und diesem Chaos inkl. Umweltprobleme, Demokratie-Zerstörung, Kriegen und Geldentwertung geführt: https://insideparadeplatz.ch/2022/10/07/ausverkauf-am-paradeplatz-cs-verramscht-perlen/?unapproved=629070&moderation-hash=

    Falls wir dieses zerstörerische System definitiv ablehnen, dann sollten wir uns dringend bessere Alternativen anschauen – jenseits des bestehenden Systems.

    Ich würde deshalb vorschlagen, dass Infosperber eine neue Rubrik mit Vorschlägen dazu eröffnet und empfehle als ersten Beitrag die Humane Marktwirtschaft: https://apolut.net/plan-b-die-humane-marktwirtschaft-doku-2022/

  • am 7.10.2022 um 13:53 Uhr
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    Wenn die Premierministerin in einem halben Jahr noch im Amt steht, dann dürfte nicht nur die Tory-Regierung marode sein! Auf jeden Fall wird Liz Truss Theresa May nicht schlagen, sie war vom 13. Juli 2016 bis zum 24. Juli 2019 als Premierministerin des Vereinigten Königreichs im Amt.
    Where’s the beef, Mrs. Truss? Es gibt im Vereinigten Königreich weit mehr Schafe als Rinder, so auch in der Politik!

  • am 7.10.2022 um 15:02 Uhr
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    Als Allheilmittel wird, nicht nur von Truss, immer wieder Wachstum angepriesen. Es lohnt sich Wachstum auch in grösseren Zeiträumen zu betrachten.
    Die Saurier lebten 150 Millionen Jahre lang auf der Erde mit ihren beschränkten Ressourcen. Das nenne ich nachhaltig. Erst ein Meteoriteneinschlag beendete ihren Erfolg.
    Schon bei einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum der Anzahl Saurier von 0.00002 % hätten sie Rücken an Rücken nach 150 Millionen Jahren die ganze Erdoberfläche bedeckt. Noch Fragen?

  • am 7.10.2022 um 18:39 Uhr
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    Ich will es einfach nicht glauben: es gibt immer noch Politiker, die vom Wachstum faseln. Dabei stehen sich Wachstum und Klimaschutz diametral gegenüber. Mehr Wachstum bedeutet mehr Energie- und Materialbedarf und ist eine ökologische Katastrophe. Degrowth muss das Ziel sein. Die Frage ist nicht: wie decken wir den ständig steigenden Energiebedarf, sondern sie muss lauten: wie können wir den Bedarf senken? Verzicht ist die Devise. Darauf müssen wir uns einstellen, bei Strafe unseres Untergangs. Die fetten Jahre sind vorbei, glaubt es endlich! Und wes Geistes Kind eine Truss ist, muss hier nicht erörtert werden. Unser Wirtschaftssystem verlangt die exponenzielle Erhöhung von Produktion und Verbrauch, deshalb müssen wir schleunigst das System ändern (schöne Illusion). Der Kapitalismus selbst muss recycelt werden. Und «grünes Wachstum» ist ein schönes Märchen. Der Materialverbrauch ist heute höher als je zuvor. Vgl. hierzu: Jason Hickel: Weniger ist mehr. oekom Verlag 2022.

  • am 8.10.2022 um 17:05 Uhr
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    Danke, es freut mich sehr dass hier Richard Layard erwähnt wird. Er hat mit seinen Ausführungen recht. Die Wähler/innen haben es noch nicht verstanden, die Politiker/innen zu wählen, welche um des Gemeinwohles willen in die Politik einsteigen. Es werden immer noch Ellenbogenprofiteure gewählt, solche welche es verstehen, sich selber gut zu verkaufen. Oder solche, welche eigentlich heimlich Vertreter/innen von Lobbys sind, und der Herrschaft der reichen Familien dienen. Solange der Privatbesitz nicht reguliert wird, wird die Minderheit der Superreichen uns durch ihre Hintertüre mitregieren. Vielleicht sollte man stillstehendes Kapital ab einer gewissen Höhe zu 50% versteuern müssen, und die bisherigen Steuern sollten durch eine 50% Mehrwertsteuer ersetzt werden. Wer mehr konsumiert, belastet auch mehr die Umwelt. Krankenkassen, Energiewesen und Bildung sind zu wichtig, um sie einer Casinopolitik zu überlassen, sie gehören in die Hände des Staates. Gleiche Bildungschancen für alle.

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