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Je grösser, stärker und exklusiver, desto mehr CO2-Ausstoss ist erlaubt: Aston Martin Rapide S © flickr.

Klimaschutz oder das Märchen vom 6-Liter-Auto

Hanspeter Guggenbühl /  Neuwagen in der Schweiz stossen rund anderthalb Mal so viel CO2 aus, wie das Gesetz vorsieht. Die Sanktionen sind ein Klacks.

«Neue Autos verbrennen 7 bis 8 Liter Benzin», behauptete Infosperber vor einem Jahr. Sorry, das war untertrieben. Die neusten Untersuchungen zeigen: Es sind im Schnitt sogar mehr als acht Liter. Das liegt zum kleineren Teil an den mangelhaften Vorschriften, zum grösseren Teil an der Differenz zwischen Prüfstand-Messung und Realität auf den Strassen. Doch der Reihe nach:

Das offizielle Ergebnis: 134,1 Gramm CO2

Unter dem Titel «CO2-Emissionen von Neuwagen – leichte Zunahme im Jahr 2017″, meldete das Bundesamt für Energie (BFE) am 28. Juni: «Die durchschnittlichen CO2-Emissionen von neuen Personenwagen stiegen 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht an», nämlich von 133,6 auf 134,1 Gramm CO2 pro Kilometer Fahrt (plus 0,4 %). Der mittlere Grenzwert von 130 Gramm CO2/km, der seit 2015 gilt, ist damit um rund drei Prozent überschritten worden. Diese Überschreitung sei mit «Sanktionen in der Höhe von rund 2,9 Millionen Franken gebüsst worden», teilte das BFE weiter mit. Diese Medienmitteilung ist korrekt, denn sie stützt sich auf das CO2-Gesetz und dessen Ausführungsverordnung, welche die Schweiz von der EU übernahm und gleichzeitig in Kraft setzte. Einige Zeitungen in der Schweiz haben darüber kurz berichtet.

Zum besseren Verständnis dieses Resultats zwei Vergleichszahlen:

  • 134 Gramm CO2 pro Kilometer entsprechen einem Treibstoffverbrauch von 5,87 Liter Benzin-Äquivalent pro 100 Kilometer Fahrt, aufgerundet also einem 6-Liter-Auto. Der Treibstoffverbrauch hat damit gegenüber dem Vorjahr (plus 1,3 %) etwas stärker zugenommen als der Ausstoss von CO2 (plus 0,4 %), weil der Anteil an Elektroautos und damit an Strom im Treibstoffmix gestiegen ist.
  • Die 2,9 Millionen Franken Sanktionszahlen, welche die Autoimporteure für die Überschreitung des Grenzwertes bezahlen mussten, entsprechen einem Anteil von bloss 0,023 Prozent am gesamten Schweizer Neuwagen-Umsatz in der Höhe von 12,8 Milliarden Franken. Diese Sanktionen tun also nicht weh. Hier die Umsatz-Rechnung: 2017 verkauften die Händler 316 000 Neuwagen zum Preis von durchschnittlich 40 500 Franken (Quelle BFE); das ergibt die Summe von 12,8 Milliarden.

Gesetz mit Abweichungen nach oben und unten

Beim gesetzlichen Grenzwert von 130 Gramm CO2 und beim jährlich erfassten CO2-Wert handelt es sich um Mittelwerte. Diese basieren auf einem vorgegebenen Fahrzyklus und optimiertem Fahrbetrieb auf dem Prüfstand (mehr dazu später in diesem Text). Dabei erhalten schwere Autos einen Bonus, leichte Autos einen Malus gegenüber dem Durchschnitt. Diese individuellen Werte nach Gewichtsklasse werden mit einer mathematischen Formel festgelegt und – nach Gewichts-Entwicklung der verkauften Fahrzeugflotten – jährlich neu kalibriert.
Beispiel: Ein Auto mit einem Leergewicht von einer Tonne darf heute 106 Gramm, ein 2,1 Tonnen schweres Auto hingegen 155 Gramm CO2 in die Atmosphäre puffen. Wer seine Kinder im BMW Modell X5 mit über zwei Tonnen Tara zur Schule fährt, kann also mit dem Segen des Gesetzgebers das Klima stärker aufheizen als Leute, die sich mit einem Kleinwagen begnügen.

Zusätzliche Boni (bis 310 Gramm CO2) erhalten Autos wie Ferrari, Aston Martin, Bentley und andere Nobelmarken, die als «Kleinserien» importiert werden. Zudem können Importeure von Autos, die im Schnitt mehr CO2 ausstossen als erlaubt, sich mit Importeuren «poolen», die wenig oder gar kein CO2 (Elektroautos) emittieren. Diese Ausnahmen und das Pooling helfen den Importeuren, den durchschnittlichen Ausstoss ihrer Neuwagenflotte tief zu rechnen und damit teurere Sanktionen zu vermeiden.

In der Berechnung des mittleren CO2-Ausstosses der Gesamtflotte hingegen sind alle Fahrzeuge berücksichtigt, also auch die (wenigen) Ferrari, Bentley, Aston Martin, etc. Das heisst: Auf dem Prüfstand emittierten alle im Jahr 2017 in der Schweiz verkauften Neuwagen im Durchschnitt 134 Gramm CO2. In der EU betrug der auf gleiche Weise ermittelte Durchschnittswert 118 Gramm CO2. Mit Betonung auf dem Wort Prüfstand-Messung.

Spezifischer Verbrauch auf der Strasse: 42 Prozent höher

Was in der Medienmitteilung des BFE vom 29. Juni nicht steht: Der Mittelwert von 134 Gramm CO2-Ausstoss, der auf dem Prüfstand ermittelt wurde, weicht von der Realität massiv ab. Das zeigt die wohl umfassendste Untersuchung über die Differenz zwischen Messungen von CO2-Ausstoss und Treibstoffverbrauch auf dem Prüfstand und im Strassenverkehr, die das «International Council on clean Transportation» (ICTT) im November 2017 veröffentlichte. Diese Studie mit dem Titel «From Laboratory to Road» fasst über ein Dutzend Einzelerhebungen zusammen und kommt zu folgendem mittleren Ergebnis:

  • Im Jahr 2016 war der CO2-Ausstoss der in Europa verkauften Neuwagenflotte auf der Strasse im Schnitt 42 Prozent höher als auf dem Prüfstand. Umgerechnet auf die Schweiz heisst das: Der durchschnittliche Neuwagen emittiert im Schnitt 190 Gramm CO2 pro Kilometer (134 Gramm mal 1.42). Das entspricht einem Benzinverbrauch von 8,3 Liter pro hundert Kilometer.
  • Die Differenz zwischen Messungen auf dem Prüfstand und auf der Strasse ist seit 2001 stetig grösser geworden. 2001 betrug diese Differenz erst 9 Prozent, 2016 wie erwähnt 42 Prozent.

    (Grafik Differenz Prüfstand und Strasse vergrössern)

  • Der Rückgang des CO2-Ausstosses und Treibstoffverbrauchs von Autos ist seit der Jahrtausendwende damit viel kleiner ausgefallen, als es die Messungen auf dem Prüfstand erwarten lassen. Konkret: Der CO2-Ausstoss von Neuwagen in der Schweiz sank von 2002 bis 2017 auf dem Prüfstand um 32 Prozent, im realen Strassenverkehr aber nur um 13 Prozent.

    Das ist mit ein Grund, dass die CO2-Emissionen aus Treibstoffen in der Schweiz 2017 nimmer noch um 3,5 Prozent über dem Stand im – klimapolitisch massgebenden – Jahr 1990 lagen. Darum wird die Schweiz das im CO2-Gesetz verankerte Ziel für die Reduktion aller Treibhausgase (minus 20 Prozent im Jahr 2020 gegenüber dem Jahr 1990) wohl deutlich verfehlen; dies im Unterschied zu den Pro-Kopf-Zielen im Energiekonsum (Infosperber berichtete darüber am 20. August 2017).

    Die Resultate sind mehrfach verfälscht

    Leserinnen und Leser mögen sich an dieser Stelle fragen, wie diese riesige Differenz zwischen Labor und Strasse zustande kommt. Antwort: Die Hersteller nutzen Löcher in den Vorschriften, und sie optimieren ihre Fahrzeuge für einen gesetzlichen Testzyklus, der von der Realität im Strassenverkehr stark abweicht. Im Unterschied zu den Schummeleien bezüglich Stickoxid-Emissionen bei Dieselfahrzeugen sind diese Optimierungen beim CO2-Ausstoss leider gesetzes- und verordnungskonform.

    Unter anderem senken folgende Testbedingungen den Verbrauch auf dem Prüfstand gegenüber der Praxis auf der Strasse:
    – Nach dem heute gültigen Testzyklus mit dem Kürzel NEFZ fahren die Fahrzeuge auf dem Prüfstand langsamer und beschleunigen weniger stark als im realen Strassenverkehr. Ein realitätsnäherer Testzyklus gilt erst ab 2018 und dürfte die Differenz zwischen Prüfstand und Strasse zwar etwas reduzieren, aber nicht eliminieren.
    – Die Hersteller lassen jene Ausführung ihrer Modelle testen, die am wenigsten Gewicht auf den Prüfstand bringt. Diese nur selten verkauften Light-Modelle können mehrere hundert Kilo leichter sein als die am meisten verkauften und mit vielen Extras ausgerüsteten Versionen. Das fällt ins Gewicht, weil nur schon hundert Kilo mehr Fahrzeuggewicht bei gleichem Motor den Spritverbrauch und CO2-Ausstoss um mehrere Prozent erhöhen.
    – Die Durchschnittstemperatur im Prüflabor beträgt 20 Grad. Bei dieser optimalen Temperatur bleiben Heizung und Klimaanlagen mit dem Segen des Gesetzgebers beim Test ausgeschaltet, ebenso Bordcomputer, Radio und weitere energiefressende Installationen, die heute zum Standard der meisten Autos gehören.
    – Die Hersteller optimieren ihre Motoreinstellungen für den Prüfzyklus, versehen die Autos mit dünnen Pneus, also kleinerem Rollwiderstand, etc. etc.

    Grössere Autos, höhere Fahrleistung, mehr CO2

    Neben der genannten Differenz von 42 Prozent zwischen dem spezifischen CO2-Ausstoss pro Kilometer auf dem Prüfstand und auf der Strasse gilt es, zwei zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen:

    • Elektroautos Die heutigen Vorschriften erfassen nur den direkten CO2-Ausstoss von Motorfahrzeugen. Elektroautos schlagen darum mit Null Gramm CO2 zu Buche. Ihr Anteil von immerhin schon drei Prozent an den Neuwagenverkäufen drückt damit den durchschnittlichen CO2-Ausstoss nach unten. Das ergibt aber ein verfälschtes Bild. Denn Elektroautos werden teilweise mit Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken betankt und verursachen damit indirekte CO2-Emissionen im Verkehr; diese indirekten Emissionen werden bei der Berechnung des Durchschnitts vernachlässigt.
    • Fahrleistung Schwere Autos mit starken Motoren dürfen wie erwähnt mehr CO2 ausstossen, Kleinwagen weniger als der Durchschnitt. Das wird beim gesetzlich festgelegten Mittelwert von 130 Gramm CO2/km und beim erfassten Mittelwert berücksichtigt. Nicht berücksichtigt aber wird, dass grosse Autos laut Verkehrserhebungen deutlich mehr Kilometer zurücklegen als kleine, die oft als Zweitwagen dienen. Wenn man nun die höhere Fahrleistung der Autos mit überdurchschnittlich hohen CO2-Emissionen in Rechnung stellt, steigt der mittlere CO2-Ausstoss im Gesamtverkehr pro Kilometer über die auf dem Prüfstand und auf der Strasse ermittelten spezifischen Werte hinaus.

    Das Fazit aus den diversen Studien

    Der spezifische CO2-Ausstoss von Neuwagen ist in der heutigen Praxis nicht nur 42 Prozent höher (ICCT-Erhebung), als es die offizielle, auf Prüfstandmessungen basierende Statistik ausweist. Insgesamt dürften CO2-Emissionen und Treibstoffverbrauch von neuen Autos rund 50 Prozent höher sein. Das trübt die klimapolitische Bilanz des Strassenverkehrs zusätzlich – und langfristig. Denn heute in Verkehr gesetzte Neuwagen bleiben im Schnitt zehn Jahre in Betrieb.


    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    keine

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    6 Meinungen

    • am 15.07.2018 um 11:58 Uhr
      Permalink

      Hatte mir Anfang der 90ziger Jahre überlegt, ob ich mir einen Kleinwagen mit 60 PS kaufe oder ob nicht 45 PS auch reichen.
      Solche Autos gibt es Heute, so gut wie gar nicht mehr !
      Selbst ein Kleinwagen wie VW Polo gibt es mit 200 PS Ausstattung.
      Wer braucht das ? Wohl nur die Hersteller, weil mehr Umsatz heraus springt !

    • am 16.07.2018 um 08:38 Uhr
      Permalink

      Die Analyse von Herrn Guggenbühl ist korrekt, nicht überraschend und das Ergebnis bedauerlich. Schnell ist auch der Schuldige gefunden: die Autoindustrie. Da sich diese jedoch gesetzeskonform verhält und keine Vorschriften missachtet, sehe ich das Problem doch eher beim Gesetzgeber und den ausführenden Behörden.
      Aber es passt halt besser in den Mainstream-Journalismus, den schwarzen Peter wieder einmal bei den gierigen Managern zu orten.

    • am 17.07.2018 um 06:51 Uhr
      Permalink

      Schuldig am Klimawandel ist die Autoindustrie…
      Schuldig an den Waffentoten die Rüstungsindustrie…
      Schuldig am Müllberg die Konsumindustrie…
      Überlegen Sie mal, ob Sie ohne diese Industrien morgen noch eine 8h-Anstellung und darauffolgender Freizeit hätten, oder wohl doch eher ihre Kartoffeln wieder selber anpflanzen und nach getaner 16h-Arbeit kaputt ins Bett fallen?

    • am 18.07.2018 um 14:06 Uhr
      Permalink

      Ich erinnere mich daran, dass um das Jahr 2000 sowohl VW als auch Audi jeweils ein 3 Liter Auto gebaut und angeboten haben. Inzwischen müssten ja Dank der technische Entwicklung noch bessere Motoren gebaut werden können.
      (achtung Ironie!)

    • am 18.07.2018 um 23:06 Uhr
      Permalink

      Den Kommentar von Herren Hurni finde ich nicht sehr hilfreich, aber demjenigen mit ähnlicher Aussage von Herrn Roth kann ich teilweise zustimmen. Grosse Konzerne sind inhärent «böse», können gar nicht anders, und müssen durch Gesetze, Regierungen und Behörden kontrolliert werden. Das haben früher auch Liberale gewusst.

      Die Regierungen und Behörden sind aber zu sehr auf der Seite der Konzerne, weil auch für sie kurz- und mittelfristige Profite vor Gerechtigkeit, Gesundheit und Zukunft kommen. Auch sozialdemokratisch denkenden, für welche organisierte Arbeitsplätze das höchste Gut darstellt.

      In Deutschland ist die Verflechtung der Autoindustrie mit der Regierung ja extrem schlimm, aber auch bei uns verhindert der Auto-Protektionismus auf allen Stufen irgendwelche Fortschritte, im Gegenteil wird es meistens immer schlimmer.

      "Schuld» sind also nicht primär die Fehlkonstruktionen der Autoindustrie, sondern die Behörden, welche diese zulassen, und die Kunden, welche den grössten Unsinn kaufen. Ausser wenn noch Betrug im Spiel ist, und da ist die Autoindustrie sehr wohl schuldig, und darum ging es ja auch im Artikel. (Und natürlich auch die meisten Printmedien, welche mit ihren Autoseiten das üble Spiel unterstützen.)

    • am 24.07.2018 um 22:07 Uhr
      Permalink

      Ich bin ja mit dem Autor in weiten Teilen einverstanden, wenn jedoch die Energieerzeugung beim Elektroauto eingerechnet wird, sollte das auch beim Verbrenner-Auto berücksichtigt werden.

      Zwei Beispiele:
      Bei kanadischem Ölsand werden bereits vor Ort bis zu 40% des Öls für die aufwendige Gewinnung verbraucht. Zudem eine grössere Menge Strom.
      Beim Erdgas geht nach neuesten Erhebungen nicht ein, sondern zwei Prozent durch Lecks und im Prozess verloren, also unverbrannt in die Atmosphäre. Dies ist weit klimawirksamer wie das eingesparte CO2 im Gasauto.

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