Shanghai

Abendstimmung in Shanghai © cc/ir57

«Nach Russland nicht auch noch China international isolieren»

German Foreign Policy /  In Asien werde China anders wahrgenommen als in grossen Medien Europas und den USA, analysiert ein Berliner Think Tank.

Beijing werde in Afrika, Asien und Lateinamerika als Kooperationspartner geschätzt und sei dort durchaus populär, sagt das Mercator Institute for China Studies (MERICS). Der auf China spezialisierter Think-Tank in Berlin warnt davor, die Volksrepublik ähnlich wie Russland international isolieren zu wollen. Die Haltungen zu China jenseits Europas und Nordamerikas unterschieden sich ganz erheblich «von den Mainstream-Narrativen» in der westlichen Welt, heisst es in einer Analyse des MERICS. Es sei «von hoher Bedeutung», zu verstehen, wie «Akteure ausserhalb der einschlägigen Gruppe reicher, liberaler Marktwirtschaften» die globalen Kräfteverschiebungen einstuften und wie sie über Europa dächten. Tatsächlich wird das äusserst negative Urteil der westlichen Öffentlichkeit über China jenseits des Westens weithin nicht geteilt; vielmehr geniesst die Volksrepublik zuweilen sogar deutlich grössere Popularität als die Vereinigten Staaten. Bei nichtwestlichen Eliten wird Beijing gewöhnlich geschätzt, weil es Regierungen in Afrika, Asien und Lateinamerika nicht belehrt und weil der chinesische Markt und chinesische Investitionen gewaltige Chancen bieten. Wolle die EU nicht gegenüber Beijing zurückfallen, dann müsse sie energisch aktiv werden, urteilt MERICS.

Das Feindbild China

Hintergrund der aktuellen Studie des Berliner Think-Tanks MERICS (Mercator Institute for China Studies) ist zum einen die Tatsache, dass im Westen und bei dessen engsten Verbündeten in der Asien-Pazifik-Region (Australien, Japan, Südkorea) negative Haltungen gegenüber China in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben und zum Teil Rekordwerte erreichen. Dies belegt etwa eine neue Umfrage des Pew Research Center in 19 Ländern, darunter 17 aus dem Westen. So werden «unvorteilhafte Ansichten» über die Volksrepublik von 87 Prozent der Japaner geteilt, 86 Prozent der Australier, 83 Prozent der Schweden, 82 Prozent der US-Amerikaner und 80 Prozent der Südkoreaner. In Deutschland sind es 74 Prozent. Aus dem Rahmen fallen lediglich die beiden nichtwestlichen Länder in der Pew-Untersuchung: In Malaysia haben 60 Prozent der Bevölkerung «vorteilhafte Ansichten» über China, in Singapur sogar 67 Prozent.[1] Die dramatische Verschlechterung des Chinabildes im Westen korreliert mit einer Medienberichterstattung, die exemplarisch in Deutschland untersucht wurde. Eine aktuelle Analyse der Berichterstattung der deutschen Leitmedien über die Volksrepublik kommt zu dem Ergebnis, diese sei «von teils noch aus kolonialen Zeiten herrührenden Klischees und Stereotypen geprägt», stelle China oft als «nicht gleichrangig dar» und führe «zur Tradierung von Klischees und Ängsten».[2]

Gegen Krieg, gegen Sanktionen

Hintergrund der MERICS-Studie sind zum anderen Erfahrungen aus dem eskalierenden Machtkampf gegen Russland. In diesem müssen die westlichen Mächte zurzeit feststellen, dass es ihnen zwar gelungen ist, negative Auffassungen über Russland in ihren eigenen Bevölkerungen ähnlich wie über China zu zementieren, dass das aber nicht dazu führt, dass die nichtwestlichen Länder ihnen darin folgen. So ist es dem Westen zwar gelungen, knapp drei Viertel der Staaten in der UN-Generalversammlung Anfang März zur Verurteilung des russischen Überfalls auf die Ukraine zu bewegen. Praktische Konsequenzen hat dies aber nicht: Ebenfalls drei Viertel aller Staaten – die Staaten jenseits des Westens und seiner engsten asiatisch-pazifischen Verbündeten – weigern sich bis heute konsequent, sich dem transatlantischen Sanktionskrieg gegen Moskau anzuschliessen (german-foreign-policy.com berichtete [3]). MERICS wirft nun die Frage auf, ob die Staaten, die den russischen Krieg verurteilen, in einem vergleichbaren Fall auch dazu bereit wären, China anzuprangern oder gar weiter reichende Schritte gegen Beijing zu unterstützen. Das sei stark zu bezweifeln, vermutet MERICS mit Blick nicht nur auf Chinas «erheblich stärkere wirtschaftliche Bindungen zu grossen Teilen der Welt», sondern auch auf die «wachsende Rolle» Beijings «als Sicherheitsdienstleister» in einer Vielzahl an Ländern.[4]

Eher Beijing als Washington

Um die Aussichten fundierter zu eruieren, China bei Bedarf isolieren zu können, nimmt MERICS systematisch acht Staaten in den Blick: die Türkei und Saudi-Arabien, Kasachstan, Bangladesch und Indonesien, Kenia und Nigeria sowie Chile. Zunächst ergibt sich, dass nur in zwei Ländern positive Ansichten über die USA verbreiteter sind als positive Ansichten über China – in Kenia (60 Prozent versus 58 Prozent) und in Indonesien (42 Prozent versus 36 Prozent).[5] Für Kasachstan liegen keine Daten vor. In den fünf übrigen Ländern ist die Volksrepublik teilweise erheblich populärer als die Vereinigten Staaten (Türkei: 37 Prozent versus 20 Prozent; Saudi-Arabien: 49 Prozent versus 37 Prozent; Chile: 51 Prozent versus 39 Prozent). Dies entspricht den jüngsten Statistiken des Afrobarometers, denen zufolge in den Staaten Afrikas 63 Prozent der Bevölkerung China einen positiven Einfluss auf ihr Land zuschreiben – mehr als den Vereinigten Staaten (60 Prozent) oder gar den einstigen Kolonialmächten aus Europa (46 Prozent).[6] Aus den MERICS-Angaben geht hervor, dass die positive Bewertung Chinas keineswegs auf unkritischer Zuneigung beruht. In Kenia beispielsweise wurde kritisiert, dass Beijing den Bau der neuen Eisenbahn aus Nairobi nach Mombasa von chinesischen Repressionskräften absichern liess; dies wurde zuweilen als Verstoss gegen Kenias Souveränität verstanden und scharf angeprangert.

Mit beiden Seiten

Auch in den Eliten der acht von MERICS untersuchten Staaten haben die westlichen Mächte keinen Vorsprung gegenüber China; im Gegenteil. Prinzipiell positiv aufgenommen werde, dass sich Beijing nicht in die inneren Angelegenheiten seiner Kooperationspartner einmische – ganz im Gegensatz zu den Bedingungen, mit denen die USA und die EU Hilfe und Investitionen verknüpften, heisst es in der MERICS-Analyse. Als Pluspunkt bewertet werde auch, dass Chinas riesiger Markt attraktive Chancen biete und dass die Volksrepublik ein Gegengewicht gegen die Vereinigten Staaten sei. Insgesamt dominiere in den meisten der untersuchten Länder die Hoffnung, China biete ihnen Chancen, ihre ökonomische und ihre geostrategische Stellung aufzuwerten. Auch die Finanzierung von Infrastrukturprojekten sowie technische Hilfe bei deren Realisierung durch die Volksrepublik werde überall günstig bewertet, ebenso sonstige chinesische Investitionen und die Chance, den Handel mit China zu intensivieren. Bezüglich der zunehmenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten sowie der Volksrepublik heisst es in dem MERICS-Papier, in den acht untersuchten Ländern dominiere der Wille, sich nicht zwischen Washington und Beijing entscheiden zu müssen; mit beiden Seiten kooperieren zu können, gelte allgemein als überaus vorteilhaft.

«Geopolitische Alternative»

Mit Blick auf Überlegungen, die jeweiligen Länder zu einer Entscheidung zwischen dem Westen und China zu zwingen zu versuchen, gibt die MERICS-Studie sich skeptisch. Beijing sei nicht untätig, heisst es in dem Papier; es reagiere darauf, dass die NATO und ihre Partner in der Asien-Pazifik-Region sich immer enger zusammenschlössen, indem es sich seinerseits bemühe, sein «Netzwerk von Freunden und Partnern» zu stärken. Es werde sich dabei als bedeutender Wirtschaftspartner und als «geopolitische Alternative» zu den USA und Europa positionieren. Dabei habe es durchaus Aussicht auf Erfolg.

Wille und Potenzial

MERICS rät, die EU solle ihrerseits aktiv werden und «ihre Rolle als Wirtschafts- und Sicherheitspartner stärken». Wolle sie «ein relevanter geopolitischer Akteur bleiben und ihre eigenen Interessen und ihre Sicherheit schützen», dann müsse sie energischer «globale Koalitionen gestalten». Der Wille dazu ist in Berlin und Brüssel durchaus vorhanden; dies zeigen die wiederkehrenden Bemühungen um neue deutsche bzw. EU-Einflussoffensiven in Afrika [7] und in Lateinamerika [8]. Offen ist dabei jedoch, ob das Machtpotenzial der Bundesrepublik und der EU noch ihrem Willen zur Macht entspricht.

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FUSSNOTEN

[1] Laura Silver, Christine Huang, Laura Clancy: Negative Views of China Tied to Critical Views of Its Policies on Human Rights. pewresearch.org 29.06.2022.
[2] Jia Changbao, Mechthild Leutner, Xiao Minxing: Die China-Berichterstattung in deutschen Medien im Kontext der Corona-Krise. Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung 12/2021. Berlin 2021. S. dazu Feindbild China.
[3] S. dazu „Russland isolieren“ (III) und „Russland isolieren“ (IV).
[4] Zitate hier und im Folgenden: Jacob Gunter, Helena Legarda (ed.): Beyond Blocs. Global views on China and US-China relations. MERICS Papers on China No. 11. Berlin, August 2022.
[5] Abgefragt wurde, ob ein Land positiv bewertet wurde oder nicht; Mehrfachnennungen waren möglich.
[6] Josephine Sanny, Edem Selormey: AD489: Africans welcome China’s influence but maintain democratic aspirations. afrobarometer.org 15.11.2021.
[7] S. dazu Einflusskampf um Afrika (II) und Unbestimmt verschoben.
[8] S. dazu Die Lateinamerika-Offensive der EU.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Artikel erschien auf der Online-Plattform «German Foreign Policy». Diese «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Grossmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • am 6.09.2022 um 11:47 Uhr
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    Wie sollte man die VR China international isolieren? Eine Atommacht mit ungeheuren militärischen Reserven, deren wirtschaftliche Kraft noch lange nicht ausgereizt ist? Europäische Politiker, die solche Absichten äußern, leben unter einem Stein oder in quasi-religiöser Verzückung. Die EU-Staaten haben so ziemlich jede Produktionskette entkernt und momentan wird nicht einmal ein einfacher Kehrbesen noch im Land aus eigenen Ressourcen hergestellt. Jahr über Jahr wurde die europäische Bekleidungs-, Schuh- und Textilindustrie aus Gewinnstreben ausgelagert. Jeder Industriezweig braucht chinesische Komponenten; ohne die geht gar nichts. Es mag einem nicht gefallen, dass es eine postkommunistische Diktatur ist, in der Menschen ohne Urteil verschwinden und rollende Schnellgerichte jährlich Tausende zur Todesstrafe verurteilen, aber man kommt auf keinen Fall und nirgends an der VR China vorbei. Das ist die Realität an die sich auch europäische Zwerge gewöhnen müssen.

  • am 6.09.2022 um 20:21 Uhr
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    Es ist schrecklich, was da auf uns zu kommt. Die Neutralität der Schweiz ist partiell demontiert. Das Volk schweigt in den digitalen Medien, aber die Faust im Sack ist nicht zu übersehen. Noch nie war zu meinen Lebzeiten der soziale Frieden so gefährdet wie heute, noch nie war der dritte Weltkrieg so nahe wie heute, niemand kann etwas relevantes tun, die Macht und die Entscheidungsgewalt über globale Gewaltanwendungen mit biologischen und thermonuklearen Waffen grausamster Art ist in den Händen ganz weniger. Es sieht so aus, als ob es den Verantwortlichen vollständig gleichgültig ist, was die Konsequenzen sind. Bei der Beurteilung über die Kontrahenden wird bei den meisten Berichterstattungen die tiefere Vorgeschichte ausgeblendet, vielleicht weil dies eine Bedingung wäre, um an einem Verhandlungstisch Kompromisse zu finden, welche nicht faul sind. Die Usa verhandelt nicht, so kommt es mir vor, sie will den Weltkrieg. Das ist mein Eindruck. Ich hoffe ich irre mich.

  • am 7.09.2022 um 10:50 Uhr
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    Es ist sicher wertvoll, zur Kenntnis zu nehmen, dass unsere Werte nicht weltweit anerkannt sind. Demokratie ist beispielsweise in vielen Ländern nicht erwünscht. Homosexualität wird von einer Mehrheit der Weltbevölkerung abgelehnt. Auch die Gleichberechtigung der Frau wird keineswegs überall angestrebt. Sollen wir deshalb all diese Werte bei uns über Bord werfen? Sollen wir den militärischen Überfall auf ein Nachbarland auch wieder ins Repertoire der legitimen Handlungsmöglichkeiten aufnehmen, bloss weil Russland und China zur Zeit so ticken?
    Die europäische Staaten tun gut daran, ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von Ländern, die ganz ander Werte pflegen, zu vermindern, auch wenn ein kompletter Abbruch aller Handelsbeziehungen kaum möglich und auch gar nicht sinnvoll ist.
    P.S.: An alle, die jetzt gegen jede wirtschaftlichen Sanktionen argumentieren: Wäre es damals bei Südafrika richtig gewesen, die Apartheid als rein innere Angelegenheit dieses Staates zu betrachten? Business first?

    • am 8.09.2022 um 08:26 Uhr
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      Ich glaube, Südafrika ist wohl das einzige (?) positive Beispiel, wo Sanktionen ihr Ziel erreicht haben. Es gibt jedoch viele negative (Kuba, Venezuela, Iran, Nordkorea, …), wo selbst jahrzehntelange Sanktionen ihr Ziel nicht erreicht haben. Die Statistik (zugegeben eine nicht riesige Stichprobe) spricht klar dagegen, dass Sanktionen ihr Ziel erreichen, wohingegen die unerwünschten Nebenwirkungen ziemlich sicher sind. So wie ich Ihre meist gut argumentierten Kommentare zB auch zu Covid interpretiert habe, bin ich sicher, dass Sie dies analytisch auch so ‹wissen›.

      Sanktionen sollten dort ansetzen, wo die Gegenseite etwas dringender braucht als wir. ZB können Technologielieferverbote nach Russland möglicherweise zum Ziel einer Schwächung des Putin-Regimes beitragen (bin mir aber auch hier nicht sicher). Bereits als negativ erachte ich die Erdölsanktionen und für mich definitiv dämlich sind Ideen wie Gassanktionen gegen Russland.

      • am 8.09.2022 um 20:27 Uhr
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        Ich habe keine übertriebenen Erwartungen an die Wirkung von Sanktionen. Aber man darf nicht vergessen, dass ja nun auch Russland auf der Gaspipeline steht.
        Wenn jetzt einige Leute finden, wir müssten uns bezüglich des Angriffs von Russland auf die Ukraine «neutral» verhalten, damit wir rasch wieder Gas erhalten, dann finde ich persönlich das ziemlich schäbig. Solche militärischen Überfälle darf man nicht einfach schulterzuckend hinnehmen.
        Zielgerichtet sind zur Zeit vor allem Waffenlieferungen an die Ukraine. Ich glaube, Putin hat erst ein Interesse an echten Friedensverhandlungen, wenn er militärisch nicht weiterkommt.

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