Das Aufrüsten ist kurzsichtig und birgt erhebliche Risiken
Was in der Corona-Pandemie begann, setzt sich beim Thema Aufrüstung fort: Erstaunlich einmütig folgen grosse Medien der Linie der Regierung und – diesmal – der Rüstungslobby, ohne sie kritisch zu prüfen. Statt zu hinterfragen, übernehmen viele Medien die Erzählung einer neuen Bedrohungslage und fordern wiederum – wie bei Corona – ein noch schnelleres Handeln.
Beispielhaft titelte die «NZZ» am 26. April 2025:
«Nato-Länder geben so viel für Verteidigung aus wie noch nie. Die Rekordausgaben der Verteidigungsallianz reichen aber längst noch nicht» (Print-Ausgabe).
Die Debatte in Talkshows verläuft ähnlich eindimensional: Wie lassen sich die Rüstungsausgaben beschleunigen? Wo soll investiert werden – in Kampfpanzer, Drohnen oder Cyberabwehr?
Die grundsätzliche Frage, ob diese Milliarden an anderer Stelle dringender gebraucht würden, stellt kaum jemand. Auch Print- und Onlinemedien ignorieren Gegenstimmen weitgehend.
Ein zweifelhaftes Dogma: «Prozent des BIP» als Zielmarke
Lange galt innerhalb der Nato das Ziel, 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) fürs Militär auszugeben. Jetzt schlägt die Nato sogar 5 Prozent als Ziel vor, wovon 3,5 Prozent für Waffensysteme reserviert wären.
Medien fragen nicht: Warum eigentlich in Prozent des BIP? Jedenfalls ist es ungewöhnlich, Ausgaben in Prozent des BIP vorzugeben. Die Sozialausgaben, die Ausgaben für den Verkehr, für den Umweltschutz oder für Klima-Schutzmassnahmen wurden noch nie in Prozent des BIP festgelegt. Selbst bei den Rüstungsausgaben geht es in den Parlamenten stets darum, welche konkreten Ausgaben nötig sind und wie viele Milliarden das kostet – und nicht um Prozent des BIP.
Die Bezugsgrösse BIP ist sachlich abwegig:
- Ein wachsendes BIP führt automatisch zu steigenden Rüstungsausgaben – auch wenn die Bedrohungslage unverändert bleibt. In der Krise hingegen, wenn das BIP schrumpft, müsste gespart werden – unabhängig von der sicherheitspolitischen Lage.
- Wenn das BIP aufgrund des Bevölkerungswachstums steigt, rechtfertigt dies keine höheren Rüstungsausgaben. Es ist schwer nachvollziehbar, weshalb Länder wie Deutschland oder die Schweiz zur Verteidigung des Landes mehr Militärausgaben brauchen, wenn die Zahl der Einwohner steigt.
Wenn schon, dann wäre eine Pro-Kopf-Betrachtung logischer. Im Jahrzehnt von 2013 bis 2023 stieg das BIP pro Kopf in der Schweiz nur halb so stark wie das gesamte BIP. Wenn Nato und Bundesrat auf das Kriterium BIP pro Kopf abstellen würden, befände sich die Schweiz bei den Rüstungsausgaben nicht mehr am Schluss der Rangliste. «Die Schweiz hat eine der höchsten Militärausgaben pro Kopf», stellten die «Freiburger Nachrichten» fest.
Vergleich von Äpfeln mit Birnen
Besonders absurd wird es beim internationalen Vergleich der Militärausgaben. Tamedia-Zeitungen wie der «Tages-Anzeiger» verbreiteten Mitte Februar Rüstungszahlen des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri). Die Schweiz erscheint mit Verteidigungsausgaben von nur 0,7 Prozent des BIP ganz am Ende – und soll deshalb «nachbessern».
Kein Hinweis darauf, dass das Sipri die Schweizer Milizarmee mit Berufsarmeen vergleicht, also Äpfel mit Birnen. In der Schweiz fallen viele Ausgaben im Zivilbereich an, beispielsweise alle Kosten für permanente Löhne und Pensionskassen, die bei einer Berufsarmee zu den Militärausgaben geschlagen werden. Ebenfalls nicht zu den Verteidigungsausgaben gezählt werden in der Schweiz Ausgaben für die Militärversicherung, Erwerbsersatzentschädigungen und Ausgaben von Kantonen und Gemeinden für den Zivilschutz. Auch volkswirtschaftliche Kosten wegen Absenzen der Milizsoldaten werden ignoriert. Bereits seit 1979 haben Berechnungen ergeben, dass die mit dem Ausland vergleichbaren Verteidigungsausgaben der Schweiz 50 bis 100 Prozent so hoch sind wie ausgewiesen.
Die Kosten der Hochrüstung – und ihre Risiken
Jeder Franken fürs Militär fehlt anderswo. Eine massive Aufstockung der Militärausgaben birgt gesellschaftliche Sprengkraft. Denn höhere Rüstungsausgaben lassen sich nur auf zwei Wegen finanzieren – beide mit gravierenden Nebenwirkungen:
- Mit Kürzungen bei Sozialem, Gesundheit, Bildung oder Kultur.
Parlamente in demokratischen Ländern wehren sich dagegen. Eine solche Politik würde den sozialen Frieden gefährden, den Extremismus fördern und die Demokratie gefährden. - Mit zusätzlichen Schulden (in Deutschland «Sondervermögen» oder in den USA «One Big Beautiful Bill Act»).
Doch die Schuldenberge vieler Länder sind schon heute gefährlich hoch. Wenn das Schuldenkonstrukt kippt, drohen Hyperinflation und Massenarbeitslosigkeit. Mit der Freiheit, die wir bewahren wollen, wäre es vorbei.
Die Aufrüstung kann zum Brandbeschleuniger werden – nicht zur Versicherung.
Warnzeichen sind unübersehbar:
«Europa taumelt am Rand einer Schuldenkrise»
(«Stuttgarter Zeitung», 3.12.2024).
«America’s debt is a ticking bomb» («Die Schulden der USA sind eine Zeitbombe»)
(«New York Times», Mai 2025).
«Republikaner führen das Land an den Abgrund»
(«NZZ» 24.5.2025, Print-Ausgabe).
Doch das Motto der Schuldenmacher lautet weiterhin «Augen zu und durch». Damit die Zinsen (Kosten) der Schuldpapier-Berge (Staatsobligationen) infolge Vertrauensverlust nicht gefährlich nach oben schnellen, haben die amerikanische und die europäisch Notenbank massenweise Staatsanleihen gekauft. Sie kurbeln damit die Nachfrage an, was den Anstieg der Zinsen der Staatsanleihen künstlich bremst.
Seit der Finanzkrise von 2008 gaben die beiden Notenbanken je mehrere tausend Milliarden Euro oder Dollar für solche Käufe aus. Wie lange die Notenbanken diese beispiellose Rettungsaktion weitertreiben können, ist fraglich. Das Finanzieren des Wirtschaftswachstum mit immer neuen Schulden führt zu einem immer wackligeren Schuldenberg.
Um das Risiko zu senken, dass das Kartenhaus der Schulden zusammenkracht, gibt es zwei Möglichkeiten:
- Ein Abschreiber auf einem grossen Teil der Schulden. Das bedeutet eine Enteignung der Gläubiger. Das machten Island in den Jahren 2008 bis 2011 und Zypern im Jahr 2013. In grossen demokratischen Ländern sind Schuldenschnitte politisch kaum umsetzbar.
- Der für Regierungen und Parlamentarier «einfachste» Weg ist eine grosse Inflation, die den Wert der aufgelaufenen Schulden laufend entwertet. Eine solche Inflation kann leicht zu einer Hyperinflation ausarten, die zu enormen sozialen und politischen Verwerfungen führt.
Es ist wahrscheinlicher, dass eine grosse Finanz- und Wirtschaftskrise die Demokratien in den Abgrund fährt, als dass Russland einen Natostaat oder die Schweiz konventionell angreift.
Die grossen Risiken: Klimakrise, Umweltzerstörung, Infrastrukturverfall
Ein grosser Finanzcrash ist nicht das einzige existenzielle Risiko. Auch andere existenzielle Risiken kann man mit den Milliarden reduzieren, die man für Panzer und Kampfflugzeuge ausgeben will:
- Klima:
CO₂-Reduktion und Anpassung an Folgen der Erderwärmung. - Natur- und Umwelt:
Erhalt der Artenvielfalt, Schutz der Meere und Urwälder. Entrümpelung der Meere, Binnengewässer und der äusseren Erdatmosphäre. - Öffentliche Infrastruktur:
Schulen, Spitäler, Strassen, Brücken, Versorgungssicherheit.
Abrüstung – der vergessene Imperativ
Noch mehr Waffen machen die Welt nicht sicherer, sondern gefährlicher. Doppelte Militärausgaben entziehen anderen existenziellen Bereichen Geld, Intelligenz und politische Aufmerksamkeit. Es droht ein Kontrollverlust über jene Krisen, die unsere Zukunft tatsächlich bedrohen.
Sogar Abrüsten wäre machbar – technisch, wirtschaftlich und politisch. In Zeiten satellitengestützter Überwachung könnten Abrüstungsverträge effizienter kontrolliert werden als je zuvor. Doch es fehlt der politische Wille. Und es fehlt die mediale Debatte.
Jedenfalls kann sich die Welt eine weitere Aufrüstungsspirale nicht leisten. Sie braucht Vertrauen, Diplomatie – und Medien, die kritische Fragen stellen, statt Kriegsparolen zu wiederholen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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