Kommentar
Mercosur-Abkommen: Bauern und Grüne gefährden den Freihandel
Red. – Dies ist ein Gastbeitrag von Rudolf Strahm. Er war Preisüberwacher und SP-Nationalrat. Sein Artikel erschien zuerst in der «Handelszeitung». Infosperber veröffentlicht eine aktualisierte und leicht ergänzte Fassung.
_____________________
Seit 2015 hat man verhandelt, jetzt ist es fast unter Dach: Das Freihandels-Abkommen FHA der EFTA-Staaten Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein mit den vier Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Die durch Trump veränderte geopolitische Lage und das zuvor abgeschlossene Freihandelsabkommen der EU mit dem Mercosur haben endlich unsere Bereitschaft dazu beschleunigt.
In der Schweiz wird dieses FHA dem Staatsvertragsreferendum unterstellt sein. Es ist also noch nicht unter Dach, denn die Grünen drohten mit dem Referendum, und der Schweizerische Bauernverband SBV äusserte sich kritisch und forderte, wie gewohnt, neue «Begleitmassnahmen, um Wettbewerbsnachteile für die Schweizer Bauern auszugleichen». Man erinnere sich, dass 2021 das bilaterale FHA zwischen der Schweiz und Indonesien mit 51,6 Prozent der Stimmen nur knapp durchkam; und das nur, weil Bundesrat Guy Parmelin das umstrittene Palmöl auf ökologisch zertifizierte Importe limitierte.
Vor Jahren schon verhinderte der SBV ein FHA mit den USA (das uns möglicherweise jetzt nützen würde) und in anderen Fällen führten dessen Drohungen zum Verzicht auf Verhandlungen. Wenn die Gewerkschaften bei Abkommen jeweils Einsprache zum Schutz der Prekariatslöhne erheben, werden sie geprügelt; bei den Bauern gilt diese Gewohnheit als normal und akzeptiert.
Am Mercosur-FHA kritisieren die Grünen prophylaktisch, ohne den Text zu kennen, die Urwaldrodung in Brasilien und die fehlende Nachhaltigkeit. Parmelin hat ihnen öffentlich zugerufen, sie sollten zuerst mal den Abkommenstext studieren.
Die Protektionisten verschweigen die Realität
Sowohl vom Bauernverband wie auch von den Grünen wird permanent die Realität verschwiegen, dass die Schweizer Landwirtschaft pro Jahr rund 1,3 Millionen Tonnen (!) Futtermittel aus dem Ausland für die industrielle Schweine- und Rindermast und die Geflügelfarmen importiert. Das entspricht pro Jahr 140 Kilo Importfutter pro Kopf der Bevölkerung für die Agrarindustrie. Und gleichzeitig wirbt ProViande mit bundesfinanzierter Werbung für das Label «Schweizer Fleisch» mit irreführenden Täuschungsvideos von weidenden Kühen und glücklich gackernden Hühnern.
Vom Mercosur-Abkommen werden vor allem die Pharma-, Maschinen- und Uhren-Industrie der Schweiz profitieren, weil die Zölle nach einer Übergangszeit für 95 Prozent ihrer Exporte nach Südamerika aufgehoben werden. Man erwartet ein stärkeres Wachstum der Schweizer Warenexporte von derzeit 4 Milliarden Franken pro Jahr. Einzig die Pharmabranche zeigt sich noch unzufrieden, weil Brasilien auf mögliche Zwangslizenzen für hochsensible, seltene Pharmazeutika nicht verzichten will.
Hingegen sind die auf Schweizer Seite gewährten Zollkontingente bei Agrarimporten aus dem Mercosur zum Schutz der hiesigen Landwirtschaft äusserst bescheiden. Solche Zollkontingente ermöglichen für 25 Agrargütergruppen bestimmte Importmengen, die zollfrei oder zu Vorzugszöllen in die Schweiz importiert werden können. Beim Fleischimport aus dem Mercosur umfassen diese Zollvergünstigungen nur gerade drei Prozent des hiesigen Fleischkonsums, und dies ohne jede Wachstumsklausel. Auch die Importe von Speiseöl aus Soya, Erdnüssen oder Oliven sind vernachlässigbar klein. Einzig beim Import von 20‘000 Tonnen Ölkuchen (Reste aus Ölpressen) als Futtermittel war die Agrarlobby aus Eigeninteresse toleranter. Trotz der minimen Importkontingente verlangt der SBV nun aber Kompensationen.
Zur Frage der Nachhaltigkeit: Die Mercosur-Staaten verpflichten sich im FHA, die internationalen Abkommen zum Schutz der Tropenwälder und zahlreiche Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten. Die konkrete Überwachung mit einem Monitoring durch NGO oder Importeure sollte aber im Hinblick auf das Referendum noch präzisiert werden.
Alternative Handelsstrategien wären intelligenter statt Blockaden
Die Grünen werden wohl das Thema Urwaldrodung und die verfemten Nahrungsimporte emotionalisieren. Würde man aber den Agrarhandel mit den Mercosur-Staaten wirklichkeitsbezogen für Nachhaltigkeit und Globalökologie rational gestalten, müsste er wohl ganz anders aussehen: Die Schweiz und die Europäer müssten ihre Futtermittelimporte schrittweise reduzieren und stattdessen zunehmend zertifiziertes Weidefleisch aus dem Mercosur zulassen. Denn in Argentinien, Uruguay, Paraguay und Südbrasilien geschieht die Rindermast ganzjährig grossmehrheitlich mit Mutterkuhhaltung nachhaltig auf Grasweiden. Bei einer Minderheit wird eine Endfütterung in «Feedlots» mit Futtermitteln vor der Schlachtung angehängt.
Wenn sich die europäischen Abnehmer darauf einigen könnten, Weidefleisch zu zertifizieren (was mit einem periodischen Monitoring leicht möglich ist), dann würde dies mithelfen, die traditionelle nachhaltige und tierfreundliche Fleischproduktion zu stützen. Damit würde die Urwaldrodung für den Ackerbau nicht noch unterstützt. Es bräuchte weniger Einsatz von Pestiziden beim Futtermittelanbau und weniger Hormoneinsatz als Wachstumsförderer von Tieren. Gefordert sind intelligente Lösungen, statt Handelsblockaden.
Frühere Sondierungen bei bäuerlichen Kreisen (IGAS; IP Suisse) hatten ergeben, dass diese die Zertifizierung von Weidefleisch ablehnen. Man weigert sich, die bei Konsumenten begehrten Weidefleischimporte, die ja für die Bündnerfleisch-Produktion unentbehrlich sind, weiter auszudehnen. Der helvetische Agrarprotektionismus wird sein volkswirtschaftlich kostspieliges Dogma weiter pflegen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Rudolf Strahm war SP-Nationalrat und eidgenössischer Preisüberwacher. Er war sieben Jahre SP-Zentralsekretär.
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ihre Meinung
Lade Eingabefeld...