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London, wo mit Geldverschieben Geld gemacht wird © gk

Die Chance packen: Finanztransaktionssteuer jetzt!

Christian Müller /  Ohne den Widerstand aus London hätte die EU spätestens in diesem Jahr die Finanztransaktionssteuer eingeführt. Nun kann sie es tun.

Man erinnert sich: Nachdem die Schweiz am 9. Februar 2014 die Masseneinwanderungsinitiative der SVP mit dem knappsten Resultat aller Zeiten – und also «dank» ein paar tausend Abstimmenden, die eigentlich nur ein «Signal nach Bern» senden wollten – angenommen und damit das Ende der Schweizer Beteiligung an den Schengen-Regeln der EU eingeläutet hatte, hat die EU nicht lange gefackelt. Sie setzte in no time die EU-Forschungszusammenarbeit Horizon mit der Schweiz aus – zum Nachteil von Tausenden von Schweizer Studierenden, die an internationalen Forschungsprojekten beteiligt waren.

Nun ist die EU aufgerufen, die UK-Abstimmung zugunsten eines Ausstiegs aus der EU ebenso schnell und ernsthaft zum Anlass zu nehmen, endlich die Finanztransaktionssteuer einzuführen: eine Steuer in vorgeschlagener Höhe von 1 Promille – 1 Franken auf 1000 Franken – auf allen Verschiebungen von finanziellen Werten. Denn dass eine solche Steuer in der EU immer noch nicht eingeführt ist, «verdankt» die EU den Briten.
Die Finanz-Casino-Trader mit ihren superschnellen High-Frequency Trading-Computern, die innerhalb von Millisekunden Geld von einer Währung in eine andere verschieben – und zurück! –, um aus den Währungsdifferenzen Geld zu machen, oder Aktien und Derivat-Papiere in Millisekunden kaufen und verkaufen, ohne jeglichen Nutzen für die reale Wirtschaft, sitzen nämlich vor allem in London. Und mit der Finanztransaktionssteuer würde ihnen und ihrem volkswirtschaftlich unsinnigen, ja riskanten und schädlichen Tun endlich ein Ende gesetzt – oder dieses zumindest begrenzt. Der Hochfrequenzhandel zum Beispiel wäre dann nicht mehr profitabel.

Täglich zwei Billionen Dollar steuerfrei gehandelt

Am 8. Mai 2012 schrieb Urs P. Gasche auf Infosperber unter dem Titel «Milliarden gegen das Elend statt für Banken!»: «Technisch kurzfristig realisierbar ist eine Kapitaltransaktionssteuer (nicht zu verwechseln mit der Stempelsteuer in der Schweiz und in Grossbritannien). Eine Kapitaltransaktionssteuer brächte rasch nötige Milliarden, ohne dass die Realwirtschaft Schaden nimmt. Eine umfassende Kapitaltransaktionssteuer funktioniert so: Bei jeder Banküberweisung, jedem Kauf oder Verkauf von Finanzpapieren jeglicher Art, auch Derivaten und Hedge-Fonds, sind 0,01 bis 0,1 Prozent als Quellensteuer abzuschöpfen. Technisch ist eine solche Abgabe einfach und unbürokratisch, denn alle Transaktionen werden heute elektronisch erfasst. Eine solche «Tobin-Tax» von nur 0,05 Prozent (5 Promille) brächte in den Euro-Ländern jedes Jahr über 60 Milliarden Franken Einnahmen, wie Michael R. Krätke, Professor für Ökonomie an der Universität Amsterdam ausrechnete. Etwas gebremst würde damit die kurzfristige Börsenspekulation, was der Realwirtschaft nicht schadet.
«Heute erreicht der steuerfreie weltweite Börsenumsatz weltweit täglich zwei Billionen Dollar», schätzt Heiner Geissler, früherer Generalsekretär der CDU. In einem Appell an Europas Regierungen forderte letzte Woche auch der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder eine Finanztransaktionssteuer. Deren Einnahmen sollen verhindern, dass «die Sparprogramme Europa strangulieren».
Doch die Finanzbranche, die weltweit über eine starke Lobby verfügt und die Regierungsparteien der meisten Länder finanziell unterstützt, hat sich so erfolgreich in Szene gesetzt, dass die EU eine Finanztransaktionssteuer aus den Traktanden gestrichen hat. Kurzfristige Eigeninteressen stehen im Weg, um gesellschaftlichen und politischen Abstürzen mit gravierenden Folgen vorzubeugen.»

Das Nein kam vor allem aus London

Tatsächlich hat sich zwischen 2012 und 2015 doch einiges getan. Immerhin elf Länder der EU waren 2015 bereit, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, darunter Deutschland und auch Frankreich. Steckengeblieben ist das Projekt am Widerstand Grossbritanniens und weil die EU Grossbritannien im Hinblick auf deren Spiel mit dem Brexit-Feuer nicht zusätzlich reizen wollte.

Doch jetzt ist der Zeitpunkt für die Einführung der Finanztransaktionssteuer definitiv gekommen. Ohne zu fackeln, genau wie bei der Aussetzung der Forschungszusammenarbeit Horizon mit der Schweiz. Rücksicht auf das Vereinigte Königreich, das der EU eh Bye-Bye sagen wird, ist nicht mehr angebracht. «Out is out» sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Tag vor dem Brexit-Beschluss der Briten.

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Die mediale Überraschung des Tages: Für einmal erkennt auch die NZZ, dass die Banken an die kürzere Leine gehören. Wörtlich im heutigen Leitartikel auf der Frontseite von Peter Rásonyi, dem Leiter der NZZ-Auslandredaktion: «Die Finanz- und Bankenkrise hatte ihren Ursprung in mangelnder Regulierung und Aufsicht der nationalen Finanzplätze und in dem verantwortungslosen Gebaren vieler Banken.»

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Siehe auch

Leserinnen und Lesern, die sich etwas eingehender mit der Finanztransaktionssteuer oder Tobin Tax und dem Widerstand aus London beschäftigen wollen, sei der Bericht von Harry U. Elhardt in der GAZETTE Nr. 46 zur Lektüre empfohlen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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2 Meinungen

  • am 26.06.2016 um 11:45 Uhr
    Permalink

    Absolut einverstanden. Überfällig! Danke für den guten Artikel!

  • am 30.06.2016 um 21:06 Uhr
    Permalink

    Ja genau.
    Das ergibt die Basis für ein bedingungsloses Grundeinkommen!

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