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Influencer können zur Gefahr für die Meinungs- und Pressefreiheit werden, wenn sie ihre Follower auf Journalisten hetzen. © Los Muertos Crew/pexels

Wenn Influencer Journalisten mobben

Daniela Gschweng /  Eine Journalistin berichtet über einen Zuckerersatzstoff – und wird von einem bekannten Influencer heftig attackiert.

Wer an Gefahren für die Pressefreiheit denkt, denkt oft an repressive Regimes oder die Einschüchterungsklagen grosser Unternehmen, sogenannte «Slapp-Klagen». Die Journalistin Sanaz Saleh-Ebrahimi hat erlebt, mit welcher Vehemenz Influencer gegen unliebsame Berichterstattung vorgehen können, und berichtete im deutschen «Journalist» darüber.

Der Ausgangspunkt: Der Süssstoff Sucralose

Am Anfang stand ein Artikel über den Süssstoff Sucralose, der sich mit dem Unternehmen Quality Group und dessen Marke More Nutrition beschäftigte. More Nutrition verkauft bekannte Proteinpulver und Nahrungsergänzungsmittel, die vor allem zur Gewichtsabnahme dienen sollen.

Die Werbestrategie des Unternehmens wurde schon häufiger kritisiert. Werbung für die Produkte wird vor allem von Influencern ausgespielt, die dabei viel versprechen. Die deutsche Verbraucherzentrale mahnte das Unternehmen mehrmals ab, die Organisation Foodwatch reichte Klage wegen irreführender Werbung ein.

Saleh-Ebrahimi fand heraus, dass More Nutrition einige seiner Produkte mit Sucralose süsst und sie trotzdem seit Jahren zum Backen empfiehlt. Dies, obwohl das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) seit 2019 davor warnt, Sucralose zu erhitzen, weil dabei krebserregende Verbindungen entstehen könnten. Die Journalistin schrieb einen Artikel, der im November 2024 bei «Zeit Online» veröffentlicht wurde. Parallel schaltete sie ein Video auf ihren eigenen Kanälen.

Der Chef-Influencer steigt ein

Multimillionär Christian Wolf, Mitbegründer der Quality-Groupe, die Nahrungsergänzungsmittel herstellt, hat seit Jahren keine aktive Rolle im Unternehmen mehr inne, ist aber noch daran beteiligt. Er gilt als streitbar, sieht sich weiter als Gesicht der Marke und hat rund eine Million Instagram-Follower.

Das mussten auch «Zeit Online» und Saleh-Ebrahimi erfahren. Es habe keine 24 Stunden gedauert, bis sich Christian Wolf gemeldet habe, schreibt Saleh-Ebrahimi in einem Artikel für das deutsche Fachmagazin «Journalist». In einem Video warf er der Journalistin vor, ihn nicht gefragt zu haben und fehlerhaft zu recherchieren. «Zeit Online» sei ein unseriöses Medium, suggerierte er mit einer Multiple-Choice-Frage.

Die Anwälte auch

Es begannen eine Instagram-Schlacht und ein ausführlicher Rechtsstreit. Saleh-Ebrahimis Instagram-Account wurde zeitweise gesperrt, Wolf verschickte Abmahnungen und unterstellte Saleh-Ebrahimi, von der Zuckerindustrie finanziert zu werden.

«Reputationsschädlicher geht’s für eine freie Wissenschaftsjournalistin mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Medizin kaum noch», schreibt Saleh-Ebrahimi. Sie suchte sich Hilfe bei einschlägigen Organisationen wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte und dem Deutschen Journalistenverband (DJV), ging zum Anwalt, sammelte Geld für die Verfahrenskosten.

Der Influencer musste seine Posts löschen.

Es drohen ständig weitere Diffamierungen

Wolf warf ihr weiter vor, überschüssiges Geld behalten zu haben, weil er die Gerichtskosten tragen musste. Sie legte dar, an wen sie gespendet hatte. Jedes von Wolfs Videos sahen hunderttausende Follower, die es eifrig kommentierten und Saleh-Ebrahimi Nachrichten schickten. Einige wendeten sich sogar an Saleh-Ebrahimis Mann.

Die freie Journalistin benötigte am Ende therapeutische Unterstützung und musste einen Teil der Verfahren finanzieren. Sie wurde dabei von «Zeit Online» nicht unterstützt, war aber bislang erfolgreich – Wolf musste viele Videos und Anschuldigungen zurückziehen. Einige Verfahren sind noch offen. Saleh-Ebrahimi befürchtet neue Diffamierungen.

Wolf bezeichnet sein Verhalten als «Diskurs» und pocht auf sein Recht, sich gegen falsche Berichterstattung zu wehren. Er steckt auch in Auseinandersetzungen mit anderen Personen.

Eine Gefahr für die Pressefreiheit

Saleh-Ebrahimis Aufarbeitung im «Journalist» beginnt mit: «In den vergangenen Monaten habe ich mich oft gefragt, ob ich lieber nicht hätte berichten sollen.» «Noch nie hat mich etwas beruflich so sehr belastet wie diese Angriffe», schreibt sie noch. Sie fürchte, auch für diesen Artikel angegriffen zu werden.

Reporter ohne Grenzen hat sich mit Saleh-Ebrahimi solidarisiert. «Wenn Unternehmer*innen mit einer Millionen-Followerschaft im Netz gegen freie Journalist*innen zu Felde ziehen, die kritisch über ein Produkt berichten, ist das Machtungleichgewicht eklatant», schreibt die Organisation auf Instagram. Und bezeichnet Wolfs Angriffe als eine Gefahr für die Pressefreiheit.

Worum es ursprünglich ging, ist fast egal

Influencer setzen normalerweise eine grosse Anzahl Follower und ihre in der Regel guten Netzwerke ein. Das traut man eher grossen Organisationen oder einflussreichen Persönlichkeiten zu. Das Ziel ist in solchen Fällen, Betroffene online zum Schweigen zu bringen, ihre Kompetenz und ihren Ruf anzugreifen. Oder schlicht, sie unter Kommentaren zu begraben.

Was eine «grosse Anzahl» ist, kann aber je nach Thema unterschiedlich sein, was ein «Angriff» ist, auch. Angriffe können auch aus einer Richtung kommen, die der oder die Betroffene nicht erwartet. Eine Schmährede kann sich bis zur physischen Gewalt fortsetzen, zu Deep-Fake-Pornos oder Stalking.  

Gezielt wird in der Regel auf eine einzelne Person. Was das für freie Journalisten oder kleine Redaktionen bedeutet, ist offensichtlich: Sie wagen es nicht mehr, sich kritisch zu äussern oder sind zu beschäftigt dazu. Der Gegenstand der Auseinandersetzung ist dabei fast nebensächlich. Es kann um ein Produkt gehen, um ein Yoga-Retreat, um Tradwives, Esoterik-Messen, Urlaubsziele und vieles andere.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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