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Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens wird nicht jeder fündig. © geralt

Markus Gabriel: Ein Philosoph schrumpft zum Sprücheklopfer

Rainer Stadler /  Twitter sei ein Teufelszeug, meint der Philosophieprofessor Markus Gabriel. Eine dürftige These für einen Experten des Nachdenkens.

Er ist 42 Jahre alt, trägt seit 13 Jahren bereits den Titel eines Philosophieprofessors, er schreibt Bücher am Laufband und steht gerne auf den Medienbühnen. Die Redaktionen nennen ihn Starphilosoph oder Bestsellerphilosoph oder Star der Stunde. Der Mann gehört damit zu jenen akademischen Protagonisten, die einem breiten Publikum das schwer zugängliche Gebiet der grossen Philosophie zu erschliessen versuchen. Das ist eine noble Tätigkeit – solange man sie seriös ausübt.

Am vergangenen Sonntag gab Gabriel dem «Sonntags-Blick» ein Interview. Er äusserte sich auch zu den sozialen Netzwerken und nahm insbesondere Twitter aufs Korn. So sagte er etwa: «Ich halte Twitter für eins der demokratiegefährdendsten Systeme überhaupt. Es ist geradezu unmoralisch, auf Twitter zu sein. Donald Trump hat Twitter verwendet, um seinen Feldzug gegen die wichtigste Demokratie auf dem Planeten Erde zu führen. Und es ist ihm fast gelungen, die amerikanische Demokratie zu zerstören, der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 hätte auch übel enden können.»

«Bullshit»

Weiter sagte Gabriel: «Aller Moralismus ist mir fremd, verstehen Sie mich richtig. Twitter aber ist tatsächlich böse – und das meine ich wörtlich, weil es das Schlechteste aus den Menschen herausholt. Twitter gilt als legitimer Informationskanal, als sogenannter Kurznachrichtendienst. Das ist natürlich völliger Bullshit.»

Zu Recht kritisiert der Professor, dass Twitter regelmässig als Kurznachrichtendienst bezeichnet wird. Tatsächlich ist das Netzwerk eine Plattform für Botschaften irgendwelcher Art; unter anderem verbreitet es auch Nachrichten, welche zumeist einschlägige Medienanbieter liefern. Weil ausgerechnet Redaktionen häufig eine Falschbeschreibung für Twitter verwenden, ist das allerdings kein Argument gegen das Netzwerk selbst. Der Philosoph lässt sich von einer medialen Konstruktion düpieren. Nicht nur das. Er eignet sich ein typisches mediales Mittel der Überzeichnung von Sachverhalten an, indem er den Superlativ einsetzt: Twitter sei eines der demokratiegefährdendsten Systeme und hole das Schlechteste aus dem Menschen heraus.

Kein Moralist?

Tatsächlich – diese Feststellung ist so banal wie wahr – nutzen etliche Personen das Netzwerk für Tiraden, Beschimpfungen und Verleumdungen. Zwielichtige Figuren betreiben Agitation und Desinformation. Ähnliches liesse sich zu jeder Mediengattung und Medientechnik festhalten. Es ist indessen wie sonst irgendwo im Alltagsleben: Wer die Gesellschaft von Raufbolden und Taugenichtsen möglichst meidet und entsprechende Verhaltensregeln beachtet, kann auch auf Twitter einen gewinnenden Austausch mit Zeitgenossen erfahren. Entsprechend läppisch ist die Behauptung, es sei unmoralisch, das «böse» Twitter zu verwenden. Die These klingt umso absurder aus dem Mund eines Mannes, der behauptet, ihm sei aller Moralismus fremd.

Philosophie als akademische Disziplin ist eine harte und hoch abstrakte Denkarbeit. Wer dieses Tun einem breiteren Kreis zugänglich machen will, braucht ein grosses Talent als Übersetzungskünstler. Mit seiner Tirade gegen Twitter erinnert Gabriel indessen mehr an einen Boulevardjournalisten minderer Qualität, der eine so steile wie belanglose These formuliert in der Hoffnung, ein bisschen Aufmerksamkeit zu erheischen. Das ist keine Aufklärung, sondern zum Gähnen langweilig. Dafür braucht es keinen Philosophen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor hat Philosophie in Zürich und Paris studiert.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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