Cornflakes für Kinder werden süsser und fetter anstatt gesünder
Von «Eigenverantwortung» keine Spur: 34 Prozent mehr Fett pro Portion, 32 Prozent mehr Salz, 11 Prozent mehr Zucker, weniger Proteine und weniger Nahrungsfasern – das kommt heraus, wenn die Nahrungsmittelindustrie neue Frühstücksflocken für Kinder lanciert. Entgegen den Empfehlungen von Ärzten und Gesundheitsbehörden.
Seit Jahren bemängeln Fachleute sowohl das zunehmende Übergewicht bei Kindern als auch den zu hohen Zuckergehalt bei Cornflakes, Honig Smacks, Nougat Bits und weiteren Frühstückscerealien für Kinder.
Wissenschaftler der Universität von Kentucky haben nun die Zusammensetzung solcher Produkte von 2010 bis 2023 unter die Lupe genommen. Sie analysierten ausschliesslich in den USA neu lancierte Produkte, bei denen die Werbung auf Kinder abzielte. Meist änderte sich bloss die Verpackung. Echte Neuentwicklungen oder Rezeptänderungen nahmen ab 2018 anteilsmässig zu.
«Besorgniserregende Verschiebungen»
Anstatt bei der Neu-Lancierung darauf zu achten, dass die Produkte im Sinne der Vorbeugung von Diabetes und Bluthochdruck besser werden, setzten die Hersteller auf intensiveren Geschmack: Ab 2017 erhöhten sie den Salz-, Zucker- und Fettgehalt (Salz von 156 auf 206 Milligramm pro Portion; Zucker von 10,3 Gramm auf 11,4; Fett von 1,1 auf 1,5 Gramm). Die Konzentration ist im Durchschnitt nun höher denn je seit 2010. Mit nur einer Portion nehmen Kinder in den USA damit fast die Hälfte der täglichen Zuckermenge auf, welche die amerikanische Herzgesellschaft als obere Grenze einstuft.
Aus Sicht der Wissenschaftler sind das «besorgniserregende Verschiebungen». Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in «Jama Network Open».
Die Hersteller wissen genau, dass ihre Produkte nicht dem entsprechen, was Fachleute für gesund halten. Maximal 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm hält die WHO in Cerealien für vertretbar. Pro Portion ergibt das circa 2,25 bis 9 Gramm Zucker*. Werden die Produkte gezielt an Kinder vermarktet, gelten 12,5 Gramm Zucker pro 100 Gramm als obere Grenze. Doch die allermeisten Hersteller pfeifen auf diese Empfehlungen, auch in Europa.

«Nährwert gleich null»
«Kindercerealien sind Zuckerbomben. 99 Prozent der verkauften Produkte haben einen höheren Zuckergehalt als die von der WHO empfohlene Menge. Der durchschnittliche Gehalt an Zucker ist in den Kindercerealien mit 27 Gramm je 100 Gramm fast doppelt so hoch wie die Empfehlung der WHO», heisst es in der «AOK-Cerealienstudie». Die grosse deutsche Krankenversicherung AOK liess von November 2018 bis Oktober 2019 insgesamt 1400 Produkte auf ihren Zuckergehalt untersuchen.
Der Zucker werde den stark beworbenen Kindercerealien «als billiger Baustoff zugesetzt. Bei den Produkten mit dem höchsten Zuckergehalt von 43 Gramm kostet der Zucker gerade einmal einen Cent. Der ernährungsphysiologische Nährwert ist gleich null», schrieb die AOK.
Marktführer reduzierten den Zucker nicht
Um gesetzliche Vorgaben zu hintertreiben, versprachen die Hersteller 2019 in Deutschland, den Zuckergehalt in Kinderfrühstücksflocken bis Ende 2025 freiwillig um durchschnittlich mindestens 20 Prozent zu reduzieren (im Vergleich zu 2012). Dass das geht, zeigte die Cerealienstudie: Es gab bereits damals Cornflakes mit nur 0,8 Gramm Zucker pro 100 Gramm.
Eine Zwischenbilanz ergab 2019, dass der Zuckergehalt bei den Produkten, die vor allem Kindern gefallen sollen, in Deutschland im Mittel zwar um 14,6 Prozent sank (4 Gramm Zucker weniger pro 100 Gramm). Bei den Marktführern würden die Haushalte jedoch eher zuckerreiche Produkte kaufen. «Knusprige Getreideerzeugnisse mit Honig, die an Kinder gerichtet sind, weisen mit 32 g Zucker pro 100 g Produkt die höchsten Zuckergehalte aller Frühstückscerealien auf.» Dort sei «keine signifikante Veränderung der Zucker- und Energiegehalte» erkennbar.
Weniger Zucker, dafür mehr Fett
Die jüngste Bestandsaufnahme der Frühstückscerealien «mit Kinderoptik» stellte 2022 fest, dass die Zuckergehalte seit 2016 zwar sinken, insgesamt aber weiterhin hoch sind und zudem im Mittel höher als bei den Produkten, die nicht speziell für Kinder beworben werden. Mit der Zuckerreduktion einher ging eine «signifikante Erhöhung der Gehalte an Fett und gesättigten Fettsäuren». Nicht einmal ein Viertel von 199 untersuchten Produkten entsprach den Empfehlungen der WHO.
Das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft klopfte sich auf die Schulter: Die von der Wirtschaft selbst gesteckten Ziele zur durchschnittlichen Zuckerreduktion bei Frühstückscerealien für Kinder seien erreicht worden. Diese Aussage beruht allerdings nur auf einer Stichprobe von 199 Produkten. Zum Vergleich: Die AOK hatte 1400 Produkte untersuchen lassen.
Und selbst diese Stichprobe enthält «weiterhin hohe Zuckermengen». Ausserdem zeigte sich, dass «die Reduktionsbemühungen der Lebensmittelwirtschaft in den letzten Jahren teilweise nachgelassen haben oder zum Stillstand gekommen sind».
Die freiwillige Selbstverpflichtung hat das Problem also auch nicht gelöst.
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*Die US-Behörde FDA definierte 2016 die Portionsgrösse neu. Sie hängt vom Gewicht der Flocken ab. Bei sehr leichten Cerealien definiert die US-Behörde FDA 15 Gramm als Portion, bei mittelschweren 40 Gramm und bei Cerealien, die viel wiegen, sind es 60 Gramm. Vor dem Jahr 2016 galten bei mittelschweren und schweren Cerealien kleinere Portionsgrössen von 30 bzw. 55 Gramm. Die Wissenschaftler berücksichtigten dies und berechneten die Werte für die Inhaltsstoffe so, dass sie über die Jahre hinweg vergleichbar sind.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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