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Piusbruder Matthias Gaudron lehrt in Wangs/SG den Kreationismus: SVP und CVP störts nicht © video piusbrüder/montage: ktm

Piusbruderschaft: Doppelmoral der SVP und CVP

Kurt Marti /  Eine Phalanx von SVP und CVP versenkte im St. Galler Kantonsrat eine Motion, die den Schulen der Piusbrüder Grenzen setzen wollte.

Wenn es darum geht, die Werte der Freiheit und der Demokratie gegen den Islam zu verteidigen, stehen die christlich-abendländischen Vorkämpfer der SVP und der CVP mit grimmigen Gesichtern zuvorderst in der Reihe. Wie ernst es ihnen mit der Verteidigung dieser Werte tatsächlich ist, zeigt ihr Verhalten gegenüber fundamentalistischen Tendenzen in den eigenen Reihen.

Zum Beispiel im Kanton St. Gallen, dem Eldorado für Privatschulen, insbesondere der katholisch-konservativen Prägung wie die erzkatholische Piusbruderschaft, welche Kindergärten, Primar-, Sekundar- und Mittelschulen in Wangs, Oberriet und Wil betreibt. Nota bene mit dem offiziellen Segen des kantonalen Bildungsdepartementes.

Kriterien des Bundesgerichts nicht erfüllt

Rückblick: Im Oktober 2016 hat sich das Bundesgericht gegen die Eröffnung eines islamischen Kindergartens in Volketswil/ZH ausgesprochen, weil die Bildungsziele der Volksschule nicht erfüllt waren.

Konkret bemängelte das Bundesgericht

  1. das religiöse «Wissen» als Basis von allem Wissen, insbesondere die fehlende Trennung von religiösen und weltlichen Unterrichtsinhalten;
  2. die fehlende individuelle konfessionelle Wahlfreiheit;
  3. den Zwang zur Übernahme religiöser Normen, insbesondere die Tendenz zur Abschottung gegenüber der offenen Gesellschaft;
  4. das fehlende Bekenntnis zu den humanistischen und demokratischen Werten.

Infosperber hat darauf im Dezember 2016 die Kriterien des Bundesgerichts auf die Schulen der Piusbrüder angewandt und kam zum Schluss, dass auch diese katholisch-konservativen Schulen die bundesgerichtlichen Kriterien nicht erfüllen.

Das «St. Galler Tagblatt» und das «Regionaljournal Ostschweiz» von Radio SRF nahmen den Ball auf und berichteten darüber.

Am 25. April 2017 legte Infosperber unter dem Titel «Piusbrüder huldigen dem Kreationismus» nach. Gleichentags reichten 43 St. Galler SP-, FDP- und SVP-Kantonsräte eine Motion ein, die strengere Vorgaben für Privatschulen von «religiös-fundamentalistischen Kreisen» forderte, von denen «Heranwachsende gezielt indoktriniert werden».

Einen Monat später zog die «Ostschweiz am Sonntag» die Kontroverse zum Kreationismus der Piusbrüder in einem ganzseitigen Artikel weiter.

Christlich-konservativer Vorprediger tritt auf

Danach begann sich der christlich-konservative Widerstand gegen die «atheistische» Motion zu regen, insbesondere auf den einschlägigen Online-Portalen «Zukunft CH» und «kath.net». Dort eilte der christlich-konservative Vorprediger Dominik Lusser Ende Mai mit einem Artikel «Gesinnungsdiktat für Privatschulen?» den Piusbrüdern zu Hilfe.

Lusser ist laut eigenen Angaben «Leiter des Fachbereichs Werte und Gesellschaft» bei der «überkonfessionellen christlichen Stiftung Zukunft CH» mit Sekretariat in Winterthur. Die Stiftung hat ihren Sitz in Engelberg an der Adresse von Gian Luca Carigiet, dem Gründer des Vereins «ProGenesis», der die Evolutionstheorie erbittert bekämpft und gleichzeitig dem Kreationismus frönt, vor dessen Gefahr beispielsweise die Kommission für Kultur, Wissenschaft und Bildung des Europarats in einem Expertenbericht eindringlich gewarnt hat.

Die St. Galler Motion, welche sich gegen die Indoktrination an den Piusbruder-Schulen richtete, bezeichnete Lusser in seinem Pamphlet paradoxerweise als «eine ernste Gefahr für eine freie Gesellschaft». Es drohe damit ein «Gesinnungsdiktat, das mit einer freiheitlichen pluralistischen Gesellschaft nicht vereinbar» sei.

Im Klartext: Lusser drehte den Spiess einfach um und verteidigte mit dem Verweis auf das Freiheitsideal der offenen, liberalen Gesellschaft ausgerechnet die Schulen der Piusbrüder, die für ihre Ablehnung dieser aufklärerischen Werte bekannt sind.

Beispielsweise lehnen die Piusbrüder die konfessionelle Wahlfreiheit ab und damit ein grundlegendes Freiheitsrecht, das die Bundesverfassung garantiert. Die Religionsfreiheit bezeichnen sie als «Missbrauch der Freiheit».

Zudem spricht die Geschichte der Piusbruderschaft bis zum heutigen Tag nicht die Sprache des Humanismus und der Demokratie, wie Infosperber schon mehrmals aufgezeigt hat (siehe Dossier: Toleranz gegenüber Fundamentalisten?).

Zickzack der Regierung, Doppelmoral der CVP

Wie einflussreich die christlich-konservative Achse in der Ostschweiz funktioniert, zeigt der weitere politische Weg der Motion in die Versenkung:

Mitte August präsentierte die St. Galler Regierung einen widersprüchlichen Antrag zur Motion: Einerseits unterstützte sie die Motion, andererseits hielt sie diese für bereits erfüllt, also überflüssig:

«Aufgrund der bisherigen Erteilung und Überprüfungen der Privatschulbewilligungen besteht derzeit jedoch kein Anlass zu Zweifeln, dass die heute im Kanton St.Gallen bestehenden Privatschulen die oben beschriebenen Voraussetzungen ebenfalls erfüllen werden.»

Doch damit nicht genug: Am 20. September beriet der St. Galler Kantonsrat über die Motion und beförderte diese überraschend mit 47 Nein- zu 39 Ja-Stimmen ins Pfefferland.

Die CVP stimmte zusammen mit der SVP fast geschlossen gegen die Motion. Im Unterschied zur SVP hatte die CVP die Motion nicht mitgetragen.

Dieses Verhalten der CVP St. Gallen zeugt von Doppelmoral, denn damit schützen ihre KantonsrätInnen einerseits die Schulen der erzkonservativen Piusbrüder, andererseits bezeichnen sie in ihrem neusten Werte-Papier die Schulen und Kindergärten seien gesetzliche Schutzräume für das säkulare Gesellschaftsmodell, wie die Sonntagszeitung berichtete.

Im CVP-Werte-Papier heisst es laut Sonntagszeitung auch: «Alle Kinder müssen das Recht auf eine gleichgestellte Entwicklung erhalten, unabhängig vom Geschlecht.» Gleichzeitig nimmt die CVP St. Gallen die Piusbrüder in Schutz, auf deren Internetseite noch vor einem Jahr stand: «Für Mädchen ist das Tragen von Hosen, enganliegenden Kleidungsstücken oder knieentblössenden Röcken nicht gestattet.» Inzwischen ist diese Vorschrift auf der Internetseite verschwunden, nicht aber die Röcke auf den Fotos der Piusbrüder-Schulen.

SVP vom heiligen Blitz getroffen

Die meisten SVP-Kantonsräte hatten die Motion – in der die Piusbrüder nicht explizit erwähnt waren – bereitwillig unterschrieben, weil der Ursprung der Motion das Bundesgerichtsurteil gegen den muslimischen Kindergarten war. Das passte offenbar bestens ins sogenannt «christlich-abendländische» Koordinatensystem der SVP mit dem Feindbild Islam.

Doch dann fabrizierten 15 der 17 SVP-Mitunterzeichner plötzlich eine politische Spitzkehre und stimmten wie von Geisterhand gelenkt gegen die eigene Motion. Die Argumentation im Rat zeigt, wie die SVP punkto Religion in der Schule mit ungleichen Ellen misst.

Denn laut ihrem Religionspapier lehnt die SVP «jegliches religiös motivierte Sonderrecht ab, das im Widerspruch zu unserer Rechtsordnung steht» und spricht sich für die Religionsfreiheit aus.

Besonders aufschlussreich ist die Wortmeldung von SVP-Kantonsrat Bruno Dudli, der die Motion auch unterschrieben hatte und nun wie vom heiligen Blitz getroffen, sich ausgiebig Asche übers Haupt streute und forsch gegen die Motion wetterte:

«Mittlerweile schäme ich mich, diese atheistisch gefärbte Motion mitunterzeichnet zu haben. Die christlich-humanistische Ausrichtung, wie sie das Volksschulgesetz vorschreibt, muss gewahrt bleiben.»

«Wenn nun Atheisten Mühe bekunden mit einer nach christlichen Grundsätzen geführten Schule, sei es eine Staatsschule oder Privatschule, so ist das ihr Problem. Den Christen aber eine gottlose Schule aufs Auge drücken zu wollen, betrachte ich als Unverschämtheit.»

«Gemäss Volksschulgesetz ist Unterricht nach christlichen Grundsätzen zu führen. Wenn nun Privatschulen gewisse Volksschulgrundsätze noch etwas expliziter gewichten als öffentliche Volksschulen, so darf Ihnen dies weder verübelt noch verwehrt werden.»

Plötzlich sind die erzkatholischen Piusbrüder-Schulen in den Augen der SVP «christlich-humanistisch» und jene, die für bundesgerichtlich legitimierte, wirklich humanistische Schulen einstehen, werden als atheistisch und unverschämt bezeichnet.

Der Grundton von Dudlis Rede erinnert an die oben erwähnte Predigt von Dominik Lusser, der dem St. Galler SP-Kantonsrat Max Lemmenmeier, der zu den drei Erstunterzeichnern der Motion gehörte, eine «rein atheistisch-materialistische Weltanschauung» vorwarf.

Die Bekehrung der christlichen SVP-Schafe vom «atheistischen» Weg ist augenfällig. Das Lobbying der religiös-fundamentalistischen Kreise hinter den Kulissen war ein voller Erfolg.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

FRANCE-GAY-MARRIAGE-DEMO

Toleranz gegenüber Fundamentalisten?

Forderungen nach präventiver Überwachung der Bürger, nach Verboten von Waffen oder der Burka stehen im Raum.

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4 Meinungen

  • am 22.12.2017 um 13:06 Uhr
    Permalink

    Die kompromisslose Durchsetzung des säkularen Staates ist überfällig !

    Jeglichen Bestrebungen, welche den Errungenschaften der Aufklärung in unserem Lande zuwiderlaufen, ist mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln Einhalt zu gebieten !

    Dazu gehört namentlich:

    1) die strikte Trennung von Staat und Kirche;

    2) die Streichung aller Privilegien für religiöse Gemeinschaften jeglicher Glaubensrichtung;

    3) das Verbot des Religionsunterrichts an allen öffentlichen Schulen und das Verbot von religiöser Missionstätigkeit auf öffentlichem Grund.
    Der Religionsfreiheit sind in unserem Land klare Schranken gesetzt. So garantiert Art. 15 Abs. 4 BV die negative Religionsfreiheit. Dies bedeutet, dass der Unterricht in öffentlichen Schulen konfessionsneutral sein muss und religiöse Symbole wie Kruzifixe aus den Klassenzimmern verschwinden müssen. Die Autorisierung von Privatschulen zur Erteilung des Grundschulunterrichts sollte zwingend von der Verpflichtung zur Einhaltung dieser laizistischen Prinzipien abhängig gemacht werden.

    Schliesslich wäre es an der Zeit, als symbolisch bedeutsamer Akt des Bekenntnisses zum religionsneutralen Staat, die Anrufung Gottes in der Präambel der Bundesverfassung ersatzlos zu streichen.

  • am 22.12.2017 um 15:18 Uhr
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    Einverstanden, dieser Kreationist missbraucht seine Lehrfreiheit. Weltweit sind wohl christliche FUNDAMENTALISTEN weitaus gefährlicher als islamische, weil mächtiger.
    Beispielsweise in den USA:
    – Kreationisten in beiden Parteien die die Klimaveränderung ruhig Gottes Gnade überlassen.
    – Christian Zionists die aktiv hinter Israel stehen damit in diesem Land der Weltuntergang beginnen kann.

    MfG
    Werner T. Meyer

  • am 22.12.2017 um 18:25 Uhr
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    Meines Erachtens ist es falsch, einzelne Religionen herauszuheben, wenn man über das Verfassungsprinzip der Religionsfreiheit und über die Trennung von Staat und Religion spricht. Mich schaudert bei allen grossen Religionen. Christliche Kreuzüge, Kreationisten, abergläubische Evangelikale, reaktionär-zionistische Juden in Israel, fundamentalistisch-mitteralterliche Moslems, gewalttätige Hindus und ihr unterdrückerische Kastensystem, rassistischer Genozid der Buddhisten in Myanmar usw. usw…Was braucht es noch, um diese menschenunwürdigen Glaubensinhalte dahin zu verbannen, wo sie hingehören: ins Private, auf jeden Fall aus der Öffentlich-
    keit, aus den Bildungseinrichtungen und aus jeder Werbung.

  • am 22.12.2017 um 23:37 Uhr
    Permalink

    Tja, diese zwei Parteien sind unglaubwürdig im Quadrat!

    Das Urteil des Bundesgerichtes halte ich für wichtig und richtig. Aber selbstverständlich muss man ihm gegenüber allzu religiösen Schulen jeglicher Glaubensrichtung Nachachtung verschaffen!

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