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In Zeiten von Inferno und Klimawandel etwas makaber: NZZ-Inserat vom 6. Januar mit Urs Wälterlin © nzz

Wie «Traumreise» und «Apokalypse» in der NZZ zusammenprallen

Hanspeter Guggenbühl /  Dumm gelaufen aber erhellend: Die NZZ preist eine Reise nach Australien an und beschreibt gleichentags das dortige «Inferno».

«Australien Exklusive Traumreise ans schönste Ende der Welt.» Unter diesem Titel veröffentlichte die NZZ am 6. Januar 2020 ein ganzseitiges Eigeninserat. Darin wirbt «NZZ-Reisen» für die Teilnahme an einer dreiwöchigen Reise nach und durch Australien zum Preis von 13 250 Franken, terminiert auf Herbst 2020. Organisiert wird die Reise zusammen mit der Basler Reiseveranstalterin «Cotravel».

Als «Auslandkorrespondenten und Landeskenner», so erfährt man im Inserat und online auf «NZZ-Reisen» weiter, werden die JournalistInnen und redaktionellen NZZ-MitarbeiterInnen Esther Blank und Urs Wälterlin die Reisegruppe begleiten; beide leben in Australien. Angekündigt wird unter anderem «Schnorcheln am Great Barrier Reef» oder: Sie «lauschen den Geschichten der Ureinwohner am Lagerfeuer». Am 16. Tag soll die Reisegruppe das «Tierparadies» Kangaroo Island besuchen und dort «Koalas, Kängurus und Seelöwen erleben». So weit, so schön.

Gegensatz von Inserat und redaktionellem Teil

Weniger schön ist, was der angekündigte fachliche Begleiter Urs Wälterlin, diesmal in der Funktion als Journalist, in der gleichen NZZ-Ausgabe vom 6. Januar im redaktionellen Teil schrieb. Unter dem Titel «Warten auf die Apokalypse» berichtete er über die Brände, die das angeblich «schönste Ende der Welt» derzeit heimsuchen. Leseprobe: «Während ich diese Zeilen schreibe, toben hinter dem Horizont zwei Buschfeuer. 22 Kilometer entfernt ist das Feuer, das Inferno, das seit zwei Wochen die Bildschirme der Welt dominiert.»

Am gleichen Tag im redaktionellen Teil der NZZ: Bericht von Urs Wälterlin über die Buschfeuer.

Gegen Ende seiner Reportage analysiert Wälterlin, der hierzulande in Funk und Print dominierende Australien-Korrespondent, die Ursachen der infernalen Buschfeuer. «Eine durch Klimawandel verschärfte Dürre hat die Vegetation aber über Jahre so ausgetrocknet wie noch nie in der Geschichte des Kontinents. In weiten Teilen ist die Landwirtschaft ruiniert», schreibt er und kritisiert: «Trotzdem blockiert Australien auch auf globaler Ebene wirklichen Klimaschutz, wo es kann. Dass es (Australien) der weltgrösste Exporteur von Kohle ist und damit buchstäblich profitiert vom Export des Klimawandels, mag etwas damit zu tun haben.» Auch in anderen Medien kritisiert Wälterlin immer mal wieder, dass die australische Regierung die Kohleindustrie stützt und einen Zusammenhang von CO2-Ausstoss und Klimawandel verneint.

«Unglücklich» platziert, aber ein Grundkonflikt

Angesprochen auf die Diskrepanz zwischen dem Werbeinserat für die Australienreise und dem redaktionellen Bericht des fachlichen Reisebegleiters und Journalisten Wälterlin in der gleichen NZZ, antwortete Anke Brack, Leiterin NZZ-Reisen: «Betonen möchte ich an dieser Stelle, dass die Platzierung des Reise-Angebots an diesem Tag natürlich höchst unglücklich war. Fehler wie diese passieren, leider auch in unserem Hause.»

Dumm gelaufen also? Auch, aber nicht nur: Der unglückliche Zusammenprall von kommerziellem Schönfärben und journalistischem Inferno-Beschrieb erhellt einen Grundkonflikt, in dem die meisten Medien stecken: Im redaktionellen Teil versuchen JournalistInnen, die Welt zu beschreiben, wie sie sich ihnen präsentiert. In Inseraten und auf redaktionellen Sonderseiten, speziell in Rubriken wie «Auto» oder «Tourismus», präsentieren sie eine völlig andere Wirklichkeit.

Und zum Teil kristallisiert sich dieser Konflikt nicht nur innerhalb der gleichen Unternehmen, sondern auch, wie gezeigt, in den gleichen Personen; drei Tage nach Urs Wälterlin aus Canberra schrieb die NZZ-Australienkorrespondentin und Co-Reisebegleiterin Ester Blank aus Sydney ebenfalls einen dramatischen Bericht unter dem Titel «Die Feuer gefährden Australiens Tierwelt».

Australienreise soll stattfinden – «jetzt erst recht»

Im Konfliktfall sind kommerzielle Interessen stets stärker. Trotz aktuellem «Inferno» will die NZZ ihre für Oktober 2020 geplante «Traumreise» weiterhin durchführen, sofern 15 bis 25 Personen die Reise buchen, teilte Anke Brack auf Anfrage mit. Die Zahl der Anmeldungen ist das einzige Kriterium, das über die Durchführung einer Reise entscheidet.

Das Gleiche gilt für weitere 20 bis 30 Reisen, welche die NZZ pro Jahr in Zusammenarbeit mit Cotravel und weiteren Reisepartnern durchführt. Ähnliche «Leserreisen» mit Reiseunternehmen bieten auch Tamedia-Zeitungen und weitere Verlagshäuser an. Denn die Partnerschaft ist interessant: Die Zeitungen bieten die Werbeplattform, ein gutes Zielpublikum und oft eigene bekannte Redaktionspersonen als Reisebegleiter, während die Reisebüros Flüge, Hotels und Rundreisen organisieren.

Im konkreten Fall will auch der Journalist Urs Wälterlin auf seine Teilnahme als landeskundige Fachperson und auf das damit lockende Zusatzhonorar nicht verzichten. Das teilte er Infosperber auf Anfrage mit. Und auf seinem Facebook-Profil schrieb er (wie er mir als Facebook-Unkundigen ebenfalls bestätigte): «Reisen nach Australien- jetzt erst recht.»

Wie eine Australienreise den Klimawandel fördert

Damit erweitert sich der Konflikt zwischen Kommerziellem und Redaktionellem auf die thematische Ebene, konkret: Auf die Klimapolitik und den Klimawandel, den Urs Wälterlin als Ursache der verheerenden Buschbrände ortet: Die «Traumreise» nach Australien und in die Schweiz zurück erfordert einen 33 000 Kilometer langen Fernflug. Damit verursacht ein Passagier in der Economy-Class 5,5 Tonnen CO2, rechnet die Ablassanbieterin «My Climate». Das ist mehr Treibhausgas als eine Person (exklusive Fernflüge und graue Emissionen in importieren Waren) während eines ganzen Jahres innerhalb der Schweiz verursacht. Dazu kommen weitere klimarelevante Emissionen durch (drei) Flüge und Hotelübernachtungen innerhalb Australiens.

Darum die Frage an Urs Wälterlin (per Mail): «Als Australien-Korrespondent thematisieren Sie den hohen CO2-Ausstoss der Kohlewirtschaft in Australien sowie deren Beitrag zum Klimawandel und kritisieren, dass die australische Regierung diesen Zusammenhang in Abrede stellt. Als Reisebegleiter fördern sie eine touristische Reise über eine Flugdistanz von rund 30 000 km, die ebenfalls zum Klimawandel beiträgt. Wie vereinbaren Sie diese unterschiedlichen Haltungen?»

«Jeder ist für seine eigene Klimabilanz verantwortlich»

Darauf die ausführliche Antwort von Urs Wälterlin (ebenfalls schriftlich): «Ich bin kein Reisebegleiter auf diesen Touren. Ich bin Referent, so wie alle anderen Kollegen, die das machen. Natürlich gibt es Leute, die unter anderem auch wegen mir buchen. Primär aber kommen sie wegen Australien. Meine persönliche Meinung ist, dass jeder es mit sich selbst ausmachen muss, ob er/sie es mit dem Gewissen vereinbaren kann, eine solche Flugreise zu unternehmen. Diesen Entscheid kann ihnen und mir niemand abnehmen. Jeder ist für seine eigene Klimabilanz verantwortlich und muss sie seinen Kindern gegenüber rechtfertigen.

In meinen Gesprächen sehe ich, dass gerade SchweizerInnen sich diese Frage sehr wohl überlegen und viele wohl deswegen auch weniger fliegen. Ich jedenfalls habe mein persönliches Verhalten angepasst: ich versuche, so wenig zu fliegen wie möglich (nicht immer einfach in diesem Land) und meinen CO2-Ausstoss so niedrig zu halten, wie immer möglich – also weniger Fleisch, Recycling – das übliche. Eine Massnahme zur Reduktion der Belastung, die ich diesem Planeten zumute, ist, dass ich schon vor Jahren ein 140 Hektaren grosses Waldgrundstück gekauft habe – als Carbon Sink – und es als Naturschutzparadies für einheimische Tiere führe. (…) Es ist mein Weg, etwas beizutragen. Wenig, ich weiss. Aber jeder tut, was er kann.»

Weiter schreibt Wälterlin – wohl mit Blick auf die potenziellen TeilnehmerInnen: «Ich hoffe sehr, dass die Reise noch zustande kommt, ich weiss jedenfalls von nichts anderem. Es gibt aus hiesiger Sicht keinen Grund dafür, sie abzusagen. Die Brände sind zwar eine absolute Tragödie und im Vergleich mit Europa enorm. Aber sie betreffen einen vergleichsweise kleinen Teil eines 7,7 Millionen Quadratkilometer grossen Kontinents.»

Trennung von Kommerz und Redaktion

Zu einem dieser «kleinen» Teile Australiens, dem «Tierparadies Kangaroo Island» (wo die Reisegruppe gemäss eingangs zitiertem Inseratetext weilen wird), schrieb Urs Wälterlin in einem weiteren, am 6. Januar in der NZZ publizierten Artikel: «Die auch bei europäischen Touristen beliebte Kangaroo Island im Gliedstaat Südaustralien wurde grossflächig von den Flammen heimgesucht (…) der weltbekannte Flinders Chase Nationalpark brannte fast vollständig aus. Das Naturparadies ist bekannt für Koalas, Ameisenigel und Kängurus.» Andere Medienschaffende berichteten von «Hunderttausende» Tieren, die von Bränden verkohlt wurden oder jetzt von Hunger bedroht sind.

So widersprüchlich und makaber die Darstellungen zwischen «Traumreise»-Land und drohender «Apokalypse» in Australien ausfallen, so beruhigend ist immerhin ein Befund: Redaktioneller Teil und Inserate-Teil sind in der NZZ säuberlich getrennt.

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Eine Meinung zu

  • am 12.01.2020 um 13:27 Uhr
    Permalink

    "Nach mir die Sintflut» galt früher, gilt heute und gilt auch morgen.

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