Kommentar

G.S.: «… ginge es den Frauen besser als heute»

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Gerhard Schwarz über den Demokratismus, den Ökologismus, den Feminismus und andere neue Ismen. Eine Rede auf der Prager Burg.

Wer kennt ihn nicht, den Direktor und Chefideologen von AvenirSuisse, Gerhard Schwarz – oder eben G.S., wie er als ehemaliger Leiter des NZZ-Wirtschaftsressorts seine Kommentare zu zeichnen pflegte. Obwohl man eigentlich weiss, welche Ideen und Theorien er vertritt, es macht doch immer wieder Spass zu lesen, wie er seine Schlussfolgerungen mit systematisch aufgelisteten Argumenten en détail vorbereitet, um dann, schwups, zum mentalen Sprung anzusetzen. Diesmal wurde aus dem geplanten Hochsprung allerdings ein Salto.

Vom Mont Pelerin auf die Prager Burg

Ort des Geschehens: Prag, Hauptstadt der Tschechischen Republik. Anlass: Generalversammlung der «Mont Pelerin Society», jener 1947 vom Wiener Ökonomen Friedrich August von Hayek am Mont Pelerin am Genfersee gegründete Gesellschaft zur Förderung des Liberalismus, deren heutigem Direktorium eben auch Gerhard Schwarz angehört. Datum: 2. bis 7. September 2012. Kein Zufall, denn der Präsident der Tschechischen Republik, Vaclav Klaus, selber vor Jahren erstes Mitglied der «Mont Pelerin Society» aus dem ehemaligen Osten Europas und deren Preisträger im Jahr 2009, wird nächsten Frühling zum Wohle des Tschechischen Volkes als Staatspräsident abtreten müssen. So war es die letzte Gelegenheit, die Hayek-Anhänger aus aller Herren Länder nicht etwa nur in ein Prager Fünfstern-Hotel, sondern gleich auf die Prager Burg, den Hradschin, einzuladen. Denn hier thront der rechtsbürgerliche Politiker, der Verehrer von Margret Thatcher und Ronald Reagan, der Anti-Europäer, der clevere Erfinder des «Oppositionsvertrages», er, der 1992 Regierungschef der damaligen Tschechoslowakei wurde, 1993 die wirtschaftlich noch etwas weniger entwickelte Slowakei fahren liess und immer konsequent die freie Marktwirtschaft propagierte – «ohne Adjektiv», wie er sagte, sprich: ohne soziale Verantwortung.

In Tschechien weiss man es: Vaclav Klaus ist ein Mann der markigen Worte. So etwa nennt er, der Klimawandel-Leugner, die Grünen gerne «Öko-Terroristen». Und er pflegt sich immer wieder über irgendwelche «Ismen» auszulassen, vor allem auch über den «Environmentalismus». So war es denn nur konsequent, dass auch die Generalversammlung der Mont Pelerin Gesellschaft dem Thema «Ismen» gewidmet war. Vaclav Klaus auf der Website der Tagung: «Our task today is to confront the rise of new freedom-endangering isms and dogmas, the weakening of nation states, the socialist attacks on the market economy and the policies implying more regulation and supranational governance.» («Unser Auftrag heute ist, dem Aufblühen von neuen, freiheitsgefährdenden Ismen und Dogmen, der Schwächung der Nationalstaaten, den sozialistischen Angriffen auf die Marktwirtschaft und der Politik neuer Regulierungen und übernationaler Steuerung entgegenzutreten.»)

Zu den honorigen Rednern auf der Prager Burg gehörte denn auch AvenirSuisse-Chef Gerhard Schwarz, und auch er kam in seiner Rede auf die neuen gefährlichen Ismen zu sprechen, als da seien:
– der Autoritarismus. Schwarz wörtlich: «Gemeint ist damit die Tendenz, Wohlstand ohne politische Mitsprache als ein valables Konzept für die Ordnung einer Gesellschaft anzusehen.»
– der Demokratismus: «Die Demokratie ist nur der liberalere Weg zur Entscheidfindung als die Diktatur oder die Monarchie, aber sie ist der weniger liberale Weg als der Entscheid eines jeden Einzelnen.»
– der Zentralismus: «Er erfährt heute im Rahmen der EU eine fast unglaubliche Renaissance, wenn man an all die Ideen für eine Bankenunion oder eine Vergemeinschaftung der Schulden denkt.»
– der Pragmatismus: «Die Pragmatiker wollen die Probleme vom Tisch haben – ob dabei die Freiheit gefährdet wird, ist ihnen gleich.»
– der Transparentismus: «Die Attitüde, der gläserne Bürger sei nur für jene ein Problem, die nichts zu verbergen hätten, ist eines freien Staates nicht würdig.» (War da nicht vielleicht ein Versprecher im Spiel? cm)
– der Moralismus: «Der Moralismus schliesslich ist eindeutig als eine Gegenposition zum Liberalismus erkennbar.»
– der Paternalismus: «Ein abschreckendes Beispiel ist, wie nach den Tabaksteuern und den Warnungen vor dem Krebstod nun das Rauchverbot in ganz Europa um sich greift.»
– der Ökologismus. «() die Ökologisten (argumentieren) mit den Interessen von Generationen, die in hundert Jahren oder sogar noch später leben werden. Wenn Anwälte Klienten vertreten, die niemand zu Gesicht bekommt – in diesem Fall nicht einmal sie selber -, vertreten sie letztlich immer eigene Interessen und Überzeugungen.»
– der Feminismus: «Er verfolgt Interessenpolitik zugunsten der Frauen. Dazu ist er bereit, mit dem Argument der Diskriminierung in freie Verträge freier Menschen einzugreifen und Männer von Gesetzes wegen zu benachteiligen.»

Nach der Auflistung der neuen Ismen, die, so Schwarz, keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe, erklärte der sprachgewaltige ehemalige NZZ-Redaktor, warum alle diese Ismen besonders gefährlich sind.

«kaschierte Radikalität im Kernanliegen»

«Die neuen «Ismen» stellen sich () als weniger radikal dar als die alten freiheitsfeindlichen Parteien. Zum Teil ist dies geschickte Verpackung, die die Radikalität im Kernanliegen bewusst kaschieren soll.» Und später: Es «erfolgt die Erosion der liberalen Ordnung durch die neuen «Ismen» schleichend, fast unbemerkt. Diese treten nicht mit dem Anspruch an, die bestehende Ordnung umzukrempeln; sie bewegen sich innerhalb der Ordnung. Und es geht fast immer um auf den ersten Blick legitime, wichtige Anliegen, zu deren Realisierung man leicht liberalen Boden preisgibt. Aus diesen Gründen sind die neuen «Ismen» verführerisch und verlockend – selbst für manche Liberale.»

Ja, so Schwarz gegen Ende seiner Rede: «Liberale (sollten) die berechtigten Interessen dieser neueren Bewegungen ernst nehmen und in den Liberalismus integrieren.»

Also doch Verständnis für all die neuen Ismen?

Nicht doch. Denn dann kommt, mir nichts, dir nichts, der überraschende Salto zugunsten des Liberalismus. Gerhard Schwarz wörtlich: «In einer freiheitlicheren Ordnung als den real existierenden westlichen Gesellschaften ginge es den sozial Schwachen besser, der Umwelt besser und den Frauen besser als heute.»

Nochmals: «In einer freiheitlicheren Ordnung als den real existierenden westlichen Gesellschaften ginge es den sozial Schwachen besser, der Umwelt besser und den Frauen besser als heute.»

So einfach ist das also. Es musste einfach der Schlusssatz stimmen.

(Die Rede wurde in der NZZ vom 8. September 2012 ganzseitig abgedruckt.)

Kleiner Nachtrag: In der NZZ vom 19. September 2012 bestätigt ein kleiner Artikel die oben beschriebene Haltung von Vaclav Klaus. Wörtlich steht da: «Nachdem Norbert Bolz, Medienphilosoph an der TU Berlin, in seinem Vortrag (am Hayek Kolloquium in Obergurgl) eine Bresche dafür zu schlagen versucht hatte, dass sich Liberale dem «neuen Sozialen» widmen sollten, «dramatisierte» Klaus die Diskussion mit sichtlicher Freude an radikalliberaler Thesenbildung und einer augenzwinkernden Schlichtheit. Er bezeichnete die Ausführungen von Bolz als «neomarxistisch» und für ihn zu kompliziert. Er sei zu dem einfachen Ergebnis gelangt, dass Freiheit und Markt zum Wohle der Gesellschaft seien. Das «Soziale» sei nur eine euphemistische Bezeichnung für Marxismus, und aus seiner Sicht solle man grundsätzlich für «Marktwirtschaft ohne Adjektive» streiten. Ein «dritter Weg» führe allenfalls in die «Dritte Welt». – Christian Müller dankt der NZZ für die kleine inhaltliche Bestätigung der Beschreibung von Vaclav Klaus.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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«Ordoliberale Prinzipientreue» propagierte Schwarz jahrelang in der NZZ und bis März 2016 bei Avenir Suisse

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Gerhard Schwarz: Widerspruch

Der frühere NZZ-Wirtschaftschef und Leiter von «Avenir Suisse» zählt sich zum Kreis der echten Liberalen.

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Eine Meinung zu

  • am 18.09.2012 um 11:55 Uhr
    Permalink

    Christian Müller, den ich ob seiner ignoranten Haltung gegenüber der Ueberfremdungsfrage und der damit einhergehenden Entwurzelung, der Anonymisierung, unserem Identitätsverlust usw. auch schon tadeln musste (so wie er den üblen Herrn Schwarz tadelt oder blosstellt), sei für diesen seinen Beitrag herzlich gedankt. Ohne seinem aufmerksamen Auge wäre mir diese Schwarzarbeit völlig entgangen.

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