Kommentar

Ziel für Nato-Gipfel: Entspannung mit Russland

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Abbau, Fortsetzung oder Verschärfung der Konfrontation mit Russland – vor dieser Wahl steht der kommende Nato-Gipfel.

Anfang Juli findet der Nato-Gipfel in Warschau statt. Die polnischen Gastgeber rufen am lautstärksten nach einer Verschärfung der Konfrontation, die noch über die bereits vom letztjährigen Gipfel in Wales beschlossenen Massnahmen hinausgehen sollen. Damals hatten die Staats-und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten bereits die Bildung von schnellen Eingreiftruppen von zunächst 5‘000 Soldaten («Speerspitze») beschlossen, die bei Annahme einer akuten Bedrohung durch Russland schnell in die osteuropäischen Mitgliedsstaaten verlegt werden sollen. Darüber hinaus haben die USA zwischenzeitlich unilaterale Massnahmen angekündigt zur Verlegung von schweren Waffen und amerikanischen Soldaten nach Osteuropa.

Doch der Regierung in Warschau reichte dies alles nicht. Sie fordert, und etwas zurückhaltender verlangen auch die Regierungen der drei baltischen Staaten, in Warschau die dauerhafte Stationierung von Nato-Truppenverbänden und Waffen in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Dieser Forderung sind die 28 Verteidigungsminister der Allianz inzwischen nachgekommen mit ihrer Grundsatzentscheidung von Anfang Juni, ab 2017 rund 4‘000 Nato-Soldaten in Polen und den drei baltischen Staaten zu stationieren.

Klarer Verstoss gegen die Grundakte

Zwar sollen diese Soldaten durch ein Rotationsverfahren regelmässig durch neue Soldaten aus den Entsendeländern ersetzt werden. Aber dennoch handelt es sich bei der beschlossenen Massnahme um eine permanente Stationierung von 4‘000 Nato-Soldaten in Osteuropa. Das wäre ein klarer Verstoss nicht nur gegen den Geist, sondern auch gegen die Buchstaben der 1997 zwischen der damals noch rein westlichen Militärallianz und Russland vereinbarten Grundakte, in deren praktischen Umsetzung dann 2002 der Nato-Russlandrat etabliert wurde.

Mit der Grundakte von 1997 wollte die Nato Moskaus Bedenken gegen die Osterweiterung der Allianz beschwichtigen, die beschlossen und vollzogen wurde unter Bruch des Versprechens, mit dem die deutsche Bundesregierung von Kanzler Helmut Kohl und Aussenminister Hans-Dietrich Genscher sowie die US-Regierung von Präsident George Bush senior, und Aussenminister James Baker im Februar 1990 die Zustimmung des russischen Präsidenten Michail Gorbatschow zur deutschen Wiedervereinigung erlangt hatten. Doch dieser Beschwichtungsversuch der Nato ist gescheitert. Wer das all die Jahre seit der vollzogenen Osterweiterung der Nato nicht wahrhaben wollte, wurde spätestens durch den Ukraine-Konflikt eines Besseren belehrt.

Konfrontationskurs gegenüber Moskau gescheitert

Die deutsche Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel und Aussenminister Frank-Walter Steinmeier ist unter den Regierungen der 28 Nato-Mitgliedern die stärkste Befürworterin einer Wiederannäherung an Moskau und des Abbaus statt einer Verschärfung der Konfrontationspolitik. Allerdings wird diese Linie manchmal von den Aufrüstungsankündigungen der profilierungsneurotischen Militärministerin und Kanzleramtsaspirantin von der Leyen torpediert.

Doch abgesehen von der Militärministerin und einigen unverbesserlichen antirussischen Ideologen sowie von der Rüstungsindustrie bezahlten Lobbyisten in Parlament, Medien, Parteistiftungen und aussenpolitischen Denkfabriken hat sich in Berlin inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass der im Frühsommer 2014 von der Nato eingeschlagene Konfrontationskurs gegenüber Moskau gescheitert ist: Weder die Aussetzung des Nato-Russlandrates und die Suspendierung der russischen Mitgliedschaft in der G-8 noch die von den USA und der EU verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Moskau haben die Regierung Putin zur Korrektur ihrer Ukrainepolitik bewegen können.

Deshalb war es ein richtiger erster Schritt, dass die Nato – ganz wesentlich auf Betreiben der deutschen Bundesregierung – im April erstmals seit zwei Jahren wieder Beratungen mit Russland im Rahmen des Nato-Rates geführt hat. Auf – wenn auch viel zu leise – Unterstützung stösst die Haltung der Berliner Regierung auch in Belgien, Griechenland, Spanien und Italien.

Erinnerung an den Kalten Krieg

Doch dieser erste Schritt der Wiederbelebung des Nato-Russlandrates reicht bei Weitem nicht aus, um die Eskalationsdynamik der letzten zwei Jahre wirklich zu beenden und umzukehren. Diese Eskalationsdynamik hat inzwischen ein gefährliches Niveau und eine Eigenlogik erreicht, die immer mehr an den Kalten Krieg erinnern. Das gilt für die operativen Massnahmen im militärischen Bereich (Manöver, Truppenverlegungen, gezielte Provokationen z.B. durch Luftraumverletzungen) und die konventionellen wie atomaren Aufrüstungsprojekte auf beiden Seiten ebenso wie für die Sprachmuster der gegenseitigen Vorwürfe und Bedrohungsbehauptungen, mit denen die eigenen militärischen Eskalationmassnahmen begründet werden.

Die Nato könnte auf ihrem Warschauer Gipfel einiges tun, um die negative Eskalationsspirale im Verhältnis zu Russland zu beenden. Zum einen sollten die 28 Staats-und Regierungschefs die Grundsatzentscheidung der Verteidigungsminister zur dauerhaften Stationierung von 4‘000 Nato-Soldaten in Osteuropa nicht absegnen. Auch eine eindeutige Entscheidung, dass die vom Gipfeltreffen 2008 beschlossene Option für einen Beitritt der Ukraine, Georgiens und Moldawiens nicht mehr besteht, wäre ein sehr wichtiges Entspannungssignal an Moskau.

Moratorium für Manöver vorschlagen

Ebenso sollte der im Vorfeld des Gipfels von verschiedener Seite geforderte Beschluss zur Aufnahme Montenegros nicht erfolgen. Derartige Signale der Nato könnten Moskau zu einem Ende der hybriden Kriegsführung in der Ukraine bewegen. Um die seit Beginn des Konflikts um die Ukraine im Frühjahr 2014 ständig wachsende Gefahr ungewollter militärischer Zusammenstösse zu verringern, sollte die Nato Moskau ein Moratorium vorschlagen für Manöver beider Seiten in der Ostsee, im Schwarzen Meer sowie im grenznahen Luftraum.

Hilfreich für einen Entspannungsprozess wären auch Moratoriums- oder Verhandlungsvorschläge für die geplanten oder bereits angelaufenen Aufrüstungsprojekte beider Seiten im atomaren und konventionellen Bereich sowie über die Vereinbarung dauerhaft militärfreier Zonen beiderseits der Landgrenzen zwischen Russland und den osteuropäischen Nato-Staaten. Auf diese Weise liesse sich das 1990 zum Ende des Kalten Krieges zwischen der Nato und dem damals noch existierenden Warschauer Pakt vereinbarte Abkommen über die Reduzierung und Begrenzung konventioneller Streitkräfte in Europa (KSE) noch retten.

In diesem Abkommen wurden Obergrenzen festgelegt für schwere Waffen (Panzer, Kampfflugzeuge und -hubschrauber, Artillerie) sowie für die Zahl von Soldaten, die in bestimmten Regionen des Vertragsgebietes vom Atlantik bis zum Ural stationiert werden dürfen. Gegen den Geist oder gar den Buchstaben des KSE-Abkommens verstösst Russland bereits seit einigen Jahren in den Grenzgebieten zu Georgien sowie aktuell mit den Truppenverlagerungen der letzten zwei Jahre in Richtung ukrainische Grenze. Auch die von der Nato angekündigte Stationierung schneller Eingreiftruppen auf den Territorien Polens und anderer osteuropäischer Mitgliedsländer der Allianz wären eine Verletzung des KSE-Abkommens.

Deeskalation unter Wahrung des Gesichts

Mit den genannten Entspannungsinitiativen könnte der Nato-Gipfel den russischen Präsidenten Putin, der in der eigenen Bevölkerung eine viel grössere Unterstützung für seine bisherige Ukrainepolitik hat als die Regierungen der Nato-Staaten, seinerseits zu Schritten der Deeskalation unter Wahrung des eigenen Gesichts bewegen. In der längerfristigen Perspektive eines solchen Entspannungsprozesses läge dann auch ein neues, diesmal von der OSZE oder der Uno durchgeführtes Referendum über die Zukunft der Krim, mit dem die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel durch Russland vom März 2014 wieder korrigiert würde.

Denn zu glauben, die Krimfrage wäre erledigt, ist eine törichte Illusion. Eine Illusion, die sowohl in der Nato existiert wie in Teilen der Friedensbewegung. Doch wenn diese Streitfrage nicht durch ein von allen Seiten akzeptiertes Verfahren gelöst wird, wird sie die Beziehungen nicht nur zwischen Kiew und Moskau auf Dauer belasten, sondern auch zwischen Russland und der Nato. Entscheidend wäre, dass bei einem erneuten Referendum auch eine Option zur Wahl steht, über die die KrimbewohnerInnen im März 2014 gar nicht abstimmen konnten: Der Verbleib der Krim im ukrainischen Staat, allerdings mit einem sehr weitgehenen Autonomiestatus. Damit ist nicht nur die Beibehaltung von Russisch als offizieller Amtssprache gemeint sowie kulturelle Autonomie, sondern auch politische, administrative und wirtschaftliche Rechte wie zum Beispiel das Recht, eigene Steuern zu erheben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Andreas Zumach arbeitet als Korrespondent bei der Uno in Genf u.a. für die «Tageszeitung» (taz Berlin) und «Die Presse» (Wien).

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2 Meinungen

  • am 24.06.2016 um 11:59 Uhr
    Permalink

    Einmal eine andere Platte auflegen. Unter der Rubrik Technik steht die NATO desolat da.http://de.sputniknews.com

  • am 25.06.2016 um 12:29 Uhr
    Permalink

    Ich als Europäer votiere schon länger für eine konsequente Annäherung Europas mit der RF… und einer Zurechtweisung der agressiven Baltischen Tigerlein und anderer ehm. sozialistischer Staaten hier endlich mal mit der Anti Russischen Hysterie aufzuhören. Wohl mögen die USA technisch einige Monopole kontrollieren die für den technischen Fortschritt (innerhalb dieser US Technik) eventuell nötig sind, aber all die anderen Faktoren die das Zusammenleben eben auch noch ausmachen, die scheinen mir Richtung Osten attraktiver… die alles vereinnahmende Deutungshoheit der USA ist langweilig und wenig herausfordernd.

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