Krisenzeiten sind gut für Spekulationsgewinne foodwatch

Krisenzeiten sind offenbar gut fürs Geschäft im Agrarhandel © Montage foodwatch

Spekulationsexzesse führen zu Hunger

Markus Mugglin /  Der Krieg Russlands gegen die Ukraine führt zu mehr Hunger in der Welt. Die Spekulation mit Lebensmitteln verschärft die Probleme.

Weizen hat sich seit Beginn des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine massiv verteuert, begleitet von wilden Aufschlägen nach oben und auch unten.

Für stark steigende Preise gibt es mit dem Krieg, der Verminung der ukrainischen Exporthäfen, der Sanktionen nachvollziehbare Gründe. Der Export der lebenswichtigen Ware ist extrem erschwert. Hinzu kamen Exportbeschränkungen von Indien und anderen Ländern, höhere Produktionskosten wegen steigender Energiepreise, Dürren in verschiedenen Weltregionen und die Furcht, dass die nächste Ernte insbesondere in der Ukraine gefährdet ist. Verfügbare Ware wurde knapp und noch schlimmer, droht sehr knapp zu werden. Denn mit der Ukraine und Russland befinden sich zwei der grössten Agrarmächte der Welt im Krieg. Diese beiden Länder exportieren etwa einen Fünftel des weltweit gehandelten Weizens und fast einen Drittel des Maises.

Exzessive Spekulation treibt die Preise

Die Sache scheint klar zu sein. Die wirtschaftlichen Fundamentaldaten treiben die Preise von Getreide, Mais und auch Düngemittel. Und Spekulation? Sie wird verneint oder allenfalls als unbedeutend abgetan. Im doppelseitig langen Artikel der NZZ «Der Krieg bringt Hunger» (vom 9. Juni 2022) hiess es: «Wenig Einfluss auf den Preisverlauf dürften spekulative Aktivitäten haben». Oder in der «Süddeutschen» und damit verbunden in Tamedia-Publikationen (30. Juni): «Dass die Preise von Hedgefonds oder Grosshändlern manipuliert sein könnten», wird ausgeschlossen. Wer den Blick auf die Agrarmärkte schärft, kommt allerdings zu einem anderen Schluss. Das «IPES Food», ein Panel unabhängiger Experten, tat es mit der im Mai publizierten Studie «Another perfect storm?». Es prüfte die Fundamentaldaten wie Veränderungen auf Angebots- und Nachfrageseite, bei Exporten, Importen und Lagerbeständen und stellte fest, dass die weltweiten Lagerbestände an Getreide und Mais praktisch gleich hoch blieben wie in der Saison 2020/21. An ihnen allein kann es folglich nicht liegen, dass die Preise in die Höhe schnellten und auch stark schwanken. 

Grosse Veränderungen stellte das Expertenpanel bei der Spekulation fest. Unmittelbar nach der Invasion in die Ukraine hätten die Investitionen an den Terminmärkten von Weizen und Korn stark zugenommen, die Preisvolatilität sei um einen Fünftel über das übliche Mass gestiegen. Anlagegelder in Agrarrohstoff-Fonds erhöhten sich markant und trieben die Kurswerte in nur einer Woche massiv nach oben. Im April hätten die Spekulanten ihren Marktanteil auf 50 Prozent gesteigert und seien wieder auf den Höchststand der letzten grossen Agrarpreiskrise in den Jahren 2007/08 geklettert. Für die Experten des «IPES Food» ist klar, dass «die Preise eher die Stimmung an den Finanzmärkten als die Fundamentaldaten des Getreidemarktes widerspiegeln». Ihr Befund hat sich in einem ebenfalls im Mai publizierten Report «The Hunger Profiteers» bestätigt. Der von einer gemeinnützigen Partnerschaftsorganisation internationaler Medien publizierte Bericht stellte bei zwei grossen Agrarfonds eine massive Zunahme von Investitionen fest. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres habe sich die Summe der Fonds im Vergleich zu 2021 versechsfacht.

Ukraine-Krieg legt Schwächen globaler Ernährung offen

Die Folgen der auch über die Spekulation mitverursachten Teuerung sind dramatisch. Im Sudan haben sich die Nahrungsmittelpreise in kurzer Zeit fast verdoppelt, in Libanon sind sie um 70 Prozent gestiegen, in Kenia und in Ägypten um einen Drittel. Das Welternährungsprogramm sieht sich für seine Hilfsprogramme in den von Hunger bedrohten Ländern mit einem Kostenanstieg von 50 Prozent konfrontiert.  

Schon vor dem Krieg in der Ukraine hatte sich wegen der Covid-19 Pandemie die Lage für Millionen Menschen in armen Ländern verschlechtert. Mit dem Krieg kommt es noch viel schlimmer. Im Januar schätzte die UNO die Zahl der Hungernden noch auf 276 Millionen, jetzt sollen es schon 345 Millionen sein.

Die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Nahrungsmittelkrise legt für Olivier de Schutter, den Co-Vorsitzenden von «IPES Food» und Spezialrapporteur der UNO für extreme Armut und Menschenrechte, die längst bekannten Schwächen des globalen Ernährungssystems offen: «Sich bei der Nahrungsmittelversorgung weiterhin auf eine Handvoll Rohstoffe und Länder zu verlassen, kombiniert mit räuberischen Finanziers, die auf Nahrungsmittel wetten» nennt de Schutter «ein Rezept für eine Katastrophe.»

Um einer nächsten Katastrophe vorzubeugen, fordert «IPES Food» grundsätzliche Änderungen: Länder müssten ihre zum Teil extrem grosse Auslandabhängigkeit abbauen, sich weniger auf wenige Nahrungsmittel spezialisieren, keine Agrartreibstoffe mehr produzieren und finanziell stärker unterstützt werden. Regionale Lager verteilt über die Welt müssten auf- und ausgebaut werden, die exzessive Spekulation kontrolliert und eingeschränkt werden.

G7 kümmert sich wenig um Spekulation

Es war allerdings der einzige Satz zur Spekulation mit Nahrungsmitteln in der vierseitigen Erklärung «zur globalen Ernährungssicherheit». Wie die G7 den Kampf gegen die Spekulation führen will, bleibt unklar.

  • Wollen beispielsweise die USA die Regulierung der Warenterminmärkte wieder verschärfen, nachdem sie diese unlängst abgeschwächt haben?
  • Werden die G7-Staaten eingreifen, sobald die Handelsaktivitäten an den Warenterminmärkten über das übliche Mass hinausgehen?
  • Was wird getan, um die Transparenz auf den Agrarmärkten zu verbessern?

Auf diese Fragen sucht man in der G7-Erklärung vergeblich nach Antworten. Dass auch exzessive Spekulation Hunger in der Welt verursachen kann, scheint die G7 noch nicht sonderlich zu beunruhigen.   

Und die Schweiz?

Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates fordert in einem Postulat den Bundesrat auf, einen Bericht über den Einfluss der Spekulation auf die Preise der Grundnahrungsmittel vorzulegen. Er soll auch Massnahmen vorschlagen, um die Transparenz auf den Agrarmärkten zu erhöhen. Man darf gespannt sein, ob sich der Bundesrat von den Vorschlägen des Expertenpanels «IPES Food» inspirieren lässt.

Das Postulat wurde mit 16 zu 9 Stimmen (6 von der SVP und 3 von der FDP) überwiesen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Vom Autor stammt die 2014 publizierte Studie «Nahrungsmittel-Spekulation – (K)ein Problem?, in der er im Auftrag von Alliance Sud die Rolle der Spekulation bei den aussergewöhnlichen Marktturbulenzen auf den globalen Agrarmärkten in den Jahren 2007 bis 2011 untersucht hatte.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • am 14.07.2022 um 12:47 Uhr
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    Die gegen Russland verhängten Sanktionen führen dazu, dass dank der Spekulanten die Preise steigen (z.B. Öl, Weizen, Gas) und Russland deswegen höhere Einnahmen erzielt, schwarze Zahlen schreibt, im Gegensatz zu uns, mit der galoppierenden Inflation und Staatsverschuldung.

    Die gegen Russland verhängten Sanktionen, indem Russland vom internationalen Zahlungsverkehr (SWIFT) ausgeschlossen wurde, führt auch dazu, dass die erwähnten Länder kein Weizen mehr in Russland kaufen können, obwohl sie wollten und geug Geld hätten.

    Früher kaufte die EU russisches Gas zu einem festen Preis. Dann entschied sie sich, die Börse (Spekulanten) zwischen Gazprom und den Kunden zu schalten. Die logische Folge, der Gaspreis begann zu steigen.

    Die logische Folge der Boykottierung von Nord Stream 2 führt ebenfalls zu einer Explosion der Gaspreis.

    Dies ist die kausale Folge des gewaltsamen Sturzes der demokratisch gewählten ukrainischen Regierung 2014 durch den Westen (USA). vgl. Schmetterlingseffekt.

  • am 14.07.2022 um 15:25 Uhr
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    Weizen wird über Terminbörsen gehandelt (Chicago), jeder kann Terminkontrakte kaufen, ähnlich wie bei Optionsscheinen bei Aktien. Da werden Mengen von Weizen gehandelt, die nie existieren werden …
    Weizen ist nur der Basiswert, daß das auf die Weizenpreise keinen Einfluss hat ist auch Weihnachtsmärchen, das gerne von den Banken und Hedgefonds gestreut wird. Das ist alles ein einziges Rohstoffe-Finanzcasino, wer das Gegenteil behauptet (z.B. «soziale Marktwirtschaft») ist ein Träumer.

  • am 14.07.2022 um 16:50 Uhr
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    Es schaukelt sich auf wie ein Ruderboot, das angeblich untergeht und durch die panischen Bewegungen der Insassen erst recht zum Kentern gebracht wird. In Ö gibt es exzessive Hamsterkäufe an Brennholz. Eigentlich wäre genug Holz da, nun aber nicht mehr, da viele weit über ihren Bedarf hamsterten. Mit dem Effekt, dass der Rest durch die Finger schaut und die Preise durch die Decke gehen. Die Holzhändler selber halten ihre Kunden zur Vernunft an, aber es nützt nichts. Die Politik versagt wie immer schon in den Startlöchern; wir erinnern uns an die vollständig unnötige Corona-Hamsterei vor zweieinhalb Jahren. Ich frage mich immer öfter, wozu wir eigentlich wählen und kraft unserer Stimmen Menschen mit Macht und Pfründen ausstatten, wenn die Gegenleistung mittlerweile völlig fehlt. Es hätte seit April / Mai eine Notbevorratung und Kontingentierung der durch die Ukraine-Krise möglicherweise knapp werdenden Güter hergehört.

  • am 14.07.2022 um 20:02 Uhr
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    [Vorsicht! Sarkasmus!]
    Tja, aber wollen «wir» wirklich wegen ein paar Hundert Millionen Hungernden und ein paar Millionen Toten die Freiheit des Kapitals einschränken, sich durch mit Spekulation ergaunert… Verzeihung: ehrlich verdienten Profit zu vermehren? Schliesslich leben wir im KAPITALismus!
    Ginge es um den/die Menschen, müsste es ja «Humanismus» heissen, nicht wahr?

  • am 14.07.2022 um 21:01 Uhr
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    Besten Dank für diesen Beitrag, Herr Mugglin. Das musste mal gesagt werden. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass die Waffenindustrie auf Krieg spekuliert, um Gewinne zu machen, dann wirkt das ganze Spiel noch diabolischer. Die dringendste Frage, die sich dabei stellt, lautet ‹Wie können wir die Spekulationen stoppen?› Die Antwort: Indem man Spekulationen unattraktiv macht. Ob sich ethisch denkende Wrtschafts- und Finanzexperten sich zusammentun könnten, um den demokratisch empfindende Wahlberechtigte die Wege dazu zu empfehlen?

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