IKEA wirbt für «Ehe für alle»

Screenshot aus Blick TV: Die Chefin von IKEA Schweiz, Jessica Anderen, plädiert für ein Ja zu «Ehe für alle» © Blick TV

IKEAs politisches Engagement wirft Fragen auf

Christian Müller /  IKEA Schweiz wirbt massiv für ein Abstimmungs-Ja zu «Ehe für alle». Das passt schlecht zum bisherigen Marketing.

Vor bald zehn Jahren, am 3. Oktober 2012, informierte Infosperber seine Leserinnen und Leser darüber, dass IKEA in Saudi-Arabien andere Werbung macht: mit Bildern ohne Frauen – der frauenverachtenden Kultur in Saudi-Arabien also bestens angepasst. Auf Familien-Fotos in den Katalogen anderer Länder waren die Frauen zu sehen, im Katalog in Saudi-Arabien waren sie sauber wegretuschiert.

Tempi passati? Nein, auch in einem IKEA-Katalog in Israel, wo in der ultraorthodoxen Gesellschaft Frauen ebenfalls auf ihre Funktion als Gebärmaschinen reduziert werden (nur darf man das nicht kritisieren, ohne sich dabei dem Vorwurf des ‹Antisemitismus› auszusetzen), waren die Fotos ohne Frauen – und dies im Jahr 2017,  also noch vor vier Jahren, wie die Zeitschrift «FrauenSicht» berichtete. Aber jetzt, im Jahr 2021, wirbt IKEA Schweiz mit grossem Aufwand für ein Ja zur «Ehe für alle», über die das Schweizer Stimmvolk in wenigen Tagen abstimmen muss.

Ein totaler Sinneswandel also bei IKEA?  Nicht nur plötzlich mehr Frauen-freundlich und Frauen-fördernd, sondern sogar betont auf der Linie der regenbogenfarbigen LGBT+-Bewegung, wie IKEA Schweiz-Chefin Jessica Anderen es in einem Interview mit «Blick TV» – in englischer Sprache – erklärt hat? Es gilt, das grösste Möbelhaus der Welt heute und auch künftig auch in anderen Ländern mit anderen Kulturen genau zu beobachten. 

Und was meinen die Kunden?

Die Verquickung von Kommerz und Politik ist auch in der Schweiz keine Neuerfindung. Man möge sich etwa an Monika Weber erinnern, die sich von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler begeistern liess und für den Migros-nahen «Landesring der Unabhängigen» eine Polit-Karriere bis zur Zürcher Ständerätin hinlegte. Aus dieser Sicht ist IKEA nicht zu kritisieren, ob man nun für die «Ehe für alle» ist oder am 26. September ein Nein in die Urne legen wird.

Was allerdings die Folge solcher kommerziell-politischer Engagements sein muss, ist eine adäquate Reaktion der Kundinnen und Kunden. Wo Firmen wie IKEA sich politisch engagieren, sollten sich auch die Kunden mehr politisch engagieren und sich genauer überlegen, wo sie einkaufen gehen – und nicht nur auf den Preis der Produkte schauen. 

«Der Markt bist Du!»

Soll man bei SOCAR Benzin oder Diesel tanken, wissend, dass SOCAR eine staatseigene Firma von Aserbaitschan ist, dem Land, das im letzten Herbst den Krieg um Berg-Karabach vom Zaun gerissen und mit seinen türkischen Drohnen – und auch mit anderer türkischer Unterstützung – in Armenien immens grosses Leid mit vielen Kriegsopfern angerichtet hat? Nein, wir sollten nicht wegschauen, woher das Benzin kommt, sondern gewisse Marken meiden. Sollen die Tessiner und Tessinerinnen in Luino bei Carrefour einkaufen, wissend, dass dieser Konzern mit riesigem Aufwand Markt-Macht anstrebt und die kleinere Konkurrenz mit 7/24-Läden – in Luino hat es deren zwei! – bewusst zu verdrängen sucht? Oder der, zum Beispiel in Malaga in Spanien, seinen Verkäuferinnen gerade mal 4 Euro Stundenlohn zahlt? Nein, in einen solchen Laden gehe ich nicht. Und soll ich ein T-Shirt in einem Kleidergeschäft kaufen, das seine Produkte in Südasien zu Löhnen produzieren lässt, die kaum zum Überleben der Näherinnen ausreichen?

Politisches Engagement von grossen, mächtigen, ja global aktiven Unternehmungen muss nicht zwingend negativ sein. Aber es ist Zeit – und im Anschluss an die Covid-Pandemie vielleicht sogar eine gute Gelegenheit –, dass sich auch die Käuferinnen und Käufer, die Konsumenten und Konsumentinnen, Gedanken machen, bei wem sie einkaufen gehen. Zahlen diese Firmen, auch in anderen Ländern, menschenwürdige Löhne? Verzichten sie auf Produkte von Firmen, die ihrerseits in der Dritten Welt die einheimischen Mitarbeitenden brutal ausbeuten? Zahlen sie ihre Steuern da, wo gearbeitet wird, oder einfach da, wo sie am tiefsten sind – so wie zum Beispiel Fiat oder IKEA in den Niederlanden? Es gibt ein gutes Beispiel, wie das kollektive Verhalten der Konsumenten einen globalen Konzern – Shell – einmal dazu bewogen hat, seine Pläne dramatisch zu ändern.

IKEA ist eine Unternehmung mit Filialunternehmen in Dutzenden von Ländern. Zahlen sie ihren Mitarbeitenden überall anständige Gehälter? Und ihren Lieferanten anständige Preise? Der schwedische Gründer von IKEA, Ingvar Kamprad, hat nicht mehr in Schweden gelebt – der zu hohen Steuern wegen. Sondern in der Schweiz, am Genfersee, im Kanton Waadt, wo Reiche mit dem Kanton Pauschalsteuern verabreden können. 

Ihr scheinbar ethisch motiviertes Engagement für die «Ehe für alle» sollte nicht zuletzt die Wirtschaftsmedien veranlassen, diesen Konzern wieder einmal auch in anderen «ethischen» Punkten zu durchleuchten. In Frankreich etwa wurde IKEA wegen illegaler Bespitzelung und Überwachung von Mitarbeitenden im Juni 2021 zu einer Millionen-Busse verurteilt. Und wer sich die Zeit nimmt, auf Wikipedia das Kapitel IKEA «Trivia» oder die Informationen über dessen Gründer Ingvar Kamprad zu lesen, und auch wenn die dort aufgelisteten «Sünden» nur zur Hälfte wahr sein sollten, wird sein nächstes selbst-zusammensetzbares Schuhgestell nur noch mit limitierter Sympathie bei IKEA kaufen – auch wenn ein «10 vor 10»-Beitrag des Schweizer Fernsehens Jessica Anderen als sympathische Frau vor die Kamera brachte. Eine vordergründig sympathische Geschäftsführerin ist das eine, ein – hintergründig – brutaler Kampf um günstigere Preise im Einkauf, auch aus hochproblematischen Ländern, und höhere Profite, unter Ausnützung aller möglichen Steuer-Oasen zur Reduktion der Kosten – ist das andere. Und ob wir Schweizer und Schweizerinnen unser Ja oder unser Nein in der Abstimmung am 26. September 2021 zur «Ehe für alle» von der IKEA-Propaganda beeinflussen lassen sollen, ist mit einem klaren NEIN zu beantworten. IKEA ist nicht der Konzern, dem es zusteht, uns in «ethischen» Fragen zu beraten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Zum Autor Christian Müller deutsch und englisch.

Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 12.09.2021 um 13:06 Uhr
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    Ikea denkt halt voraus: Sollen die Leute doch heiraten und ihre gemeinsame Wohnung mit (Ikea-)Möbeln zumüllen! Und wenn’s dann schiefgeht u. einer der Partner davonläuft, braucht der dann ja auch wieder (Ikea-)Möbel!

  • am 12.09.2021 um 18:20 Uhr
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    Vielen Dank für die etwas andere Sicht auf die Abstimmung! Die Grosskonzerne verhalten sich einfach so damit sie von allen gemocht werden. Bei uns sind es die Homosexuellen die Kinder wollen und in Saudi Arabien will man die Frauen unterdrücken. Man muss sich nur anpassen und schon klingelt die Kasse! Ich werde aus Überzeugung NEIN Stimmen! Die Homosexuellen hätten das schon bei der letzten Gesetzesänderung fordern können! Haben sie aber nicht und jetzt wollen sie noch Kinder und erleichterte Einbürgerungen.

  • am 12.09.2021 um 18:34 Uhr
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    Ehe für alle = IKEA für alle? Alle müssen heiraten und IKEA wird für alle da sein?

  • am 13.09.2021 um 15:56 Uhr
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    Idioten Kaufen Einfach Alles? Nein, vieles, aber nicht alles. IKEA hat in seiner Holzdeklaration z.T. alle Kontinente angegeben, die ganze Welt. So stimmt sie auf jeden Fall. Auf Nachfrage hat der Weltkonzern unfassbar faule Ausreden von sich gegeben. Man mache dies halt manuell. Was sagt uns das? Die Prioritäten sind glasklar. IKEA macht, was den Umsatz fördert, die Zeichen der Zeit nutzend und merkantil verwertend.

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