IKEA

IKEA France wurde wegen der gewohnheitsmässigen Sammlung personenbezogener Daten mit betrügerischen oder unrechtmässigen Mitteln verurteilt © pixabay

Ikea: Millionenstrafe wegen Bespitzelung

Tobias Tscherrig /  Ein Gericht hat Ikea wegen Verletzung der Privatsphäre seiner Mitarbeiter zu einer Strafzahlung von einer Million Euro verurteilt.

Der französische Ableger von Ikea hatte Detektive eingesetzt, private Bankkonten durchforstet und das Privatleben der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchleuchtet. Kurz gesagt: Ikea France spionierte während Jahren die eigenen Angestellten aus. Auch streitbare Kundinnen und Kunden sollen von den Ausspähaktionen betroffen gewesen sein. In den Fall sind auch ein Privatdetektiv und mehrere Polizisten involviert (Infosperber berichtete).

Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Ikea unrechtmässig Daten über einige seiner Angestellten gesammelt und gespeichert hatte. Die Ausspähaktionen erfolgten über mehrere Jahre, in einigen Fällen wurden ganze Dossiers über Mitarbeitende angelegt. Deshalb befand das Gericht den französischen Ableger des schwedischen Möbelhauskonzerns der gewohnheitsmässigen Sammlung personenbezogener Daten mit betrügerischen oder unrechtmässigen Mitteln für schuldig.

Trotz der ausgesprochenen Strafe von einer Million Euro darf Ikea zufrieden sein: Obwohl Indizien nahe legten, dass die Spionage bereits Anfang der Nullerjahre begonnen hatte, beschränkte sich die Untersuchung auf die Verfehlungen zwischen 2009 und 2012. Die ausgesprochene Geldstrafe ist denn auch nur halb so hoch, wie die Staatsanwaltschaft ursprünglich gefordert hatte. Wie die AFP die zuständige Staatsanwaltschaft bereits früher zitiert hatte, ging es ihr bei dem Fall auch darum, eine «starke Botschaft an alle Firmen zu senden.»

Ehemaliger Chef von Ikea France verurteilt

Gemäss dem Urteil verletzten die Ausspähaktionen die Privatsphäre der Betroffenen. Zu den Tätern gehören auch ein Privatdetektiv und mehrere Polizisten. Das Gericht befand auch den ehemaligen Chef von Ikea France, Jean-Lois Baillot, für schuldig. Er wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und zur Zahlung einer Geldstrafe in der Höhe von 50’000 Euro verurteilt. Wie der Anwalt von Baillot der Nachrichtenagentur AFP sagte, werde gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Ein weiterer früherer Verantwortlicher von Ikea France erhielt 18 Monate auf Bewährung und muss eine Geldstrafe in der Höhe von 10’000 Euro bezahlen.

Ikea reagierte mit einer Mitteilung auf das Urteil und gab sich schuldbewusst. Man werde überprüfen, ob die bereits eingeleiteten Massnahmen ausreichen würden oder gegebenenfalls neue Massnahmen erforderlich seien, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden. «Ikea France hat die Praktiken aufs Schärfste verurteilt, sich entschuldigt und einen umfassenden Aktionsplan umgesetzt, um dies zu verhindern», beteuert der Konzern in der Mitteilung.

Ganz Frankreich betroffen

Über die systematische Bespitzelung hatte im Jahr 2012 zuerst das französische Enthüllungsblatt «Le Canard Enchaîné» berichtet. Demnach hatte die Sicherheitsabteilung der französischen Ikea-Tochter bereits 2003 eine private Sicherheitsfirma gegen Bezahlung beauftragt, vertrauliche Daten über Personal sowie über Bewerberinnen und Bewerber zu beschaffen und zu übermitteln. Darunter zum Beispiel Angaben zu möglichen Vorstrafen und Bankauszüge von privaten Konten.

Von den Ausspähaktionen sollen auch Kundinnen und Kunden des schwedischen Möbelkonzerns betroffen gewesen sein, die mit Ikea in einem Rechtsstreit lagen. Das Ausspähsystem soll sich über das gesamte Gebiet von Frankreich erstreckt haben. Die externe Sicherheitsfirma, die Ikea France mit den Bespitzelungen betraut hatte, soll von Ikea France für ihre Dienste pro Jahr zwischen 30’000 und 600’000 Euro erhalten haben.

Daten aus Opfer- und Täterdatenbank der Polizei

Ikea Frankreich wurde mehrerer Straftaten beschuldigt, insbesondere der «Verletzung des Berufsgeheimnisses», und der «Sammlung persönlicher Daten durch betrügerische, unfaire oder ungesetzliche Mittel». Der Möbelkonzern sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sich Informationen aus dem «Système de traitement des infractions constatées» (STIC) – einer Polizeiakte, in der Daten von Tätern und Opfern geführt werden – beschafft zu haben. Die involvierten Polizeibeamten seien diskret für ihre Dienste bezahlt worden. Einer Polizeistation seien Möbel angeboten worden, Polizeibeamte seien auch mit Gutscheinen zur Pflege der guten Beziehungen geködert worden.

Wie Untersuchungsrichterin Laurence Joulin schrieb, sei es Ikea Frankreich darum gegangen, «eine Managerpolitik auf der Grundlage eines Spionagesystems zu schaffen», das sich insbesondere gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie gegen Personen richtete, die Ikea anwerben wollte. Diese «illegale Praxis» sei in der «Grössenordnung des gesamten Unternehmens» entwickelt worden. So habe der Möbelkonzern zum Beispiel eine Untersuchung gegen einen Gewerkschaftsvertreter eingeleitet, der in der Ikea-Filiale in der französischen Gemeinde Thiais angestellt war. Dabei sei Ikea sogar so weit gegangen, über seine Anwälte die Unternehmen Facebook und Google in den USA zu kontaktieren, um an Daten des Personalvertreters zu gelangen.

Gewerkschafter deckte Bespitzelung auf

Das illegale Bespitzelungssystem flog Anfang 2012 auf, als ein Gewerkschafter, der bei Ikea angestellt war, einen landesweiten Streik bei Ikea France organisierte, um Lohnerhöhungen durchzusetzen. Daraufhin wurde er als schwarzes Schaf gebrandmarkt, der «moralischen Belästigung» seiner Vorgesetzten für schuldig befunden und dann entlassen.

Über einen anderen gewerkschaftlich organisierten Ikea-Mitarbeiter verschaffte sich der Entlassene Zugang zu einer Datei des Möbelkonzerns, wodurch die umfangreiche Bespitzelung in den Ikea-Läden aufgedeckt wurde. Demnach sammelte Ikea Daten über den Lebensstil einiger Mitarbeiter sowie Daten über Vorstrafen und Daten aus dem Bereich der Gesundheit. Die Gewerkschaft «Force ouvrière» (FO) reichte eine Beschwerde ein, die Satire-Zeitung «Le Canard enchaîné» und das Online-Magazin «mediapart» brachten den Skandal an die Öffentlichkeit. Es folgten Durchsuchungen und Verhaftungen. Dokumente verschwanden und alle Beteiligten wuschen ihre Hände in Unschuld.

Die Staatsanwaltschaft Versailles leitete im März 2012 eine Untersuchung gegen Ikea France ein, am 30. April beantragte die Untersuchungsrichterin die Überweisung des Falls an ein Strafgericht.

Von umfangreicher Rechtsabteilung profitiert

Der Überweisungsantrag an das Strafgericht sprach eine klare Sprache: Zahlreiche Zeugenaussagen von Mitarbeitern von Ikea Frankreich würden belegen, dass das Unternehmen persönliche Daten in seinem Besitz hatte, die verarbeitet und genutzt wurden, um kein Arbeitsverhältnis einzugehen oder Arbeitsverhältnisse zu beenden. Die betroffenen Personen seien über die Verwendung ihrer persönlichen Daten nicht informiert worden, hiess es weiter.

Die Bespitzelungstätigkeiten seien institutionalisiert gewesen. «SAS Meubles Ikea France hat von der Veruntreuung personenbezogener Daten profitiert (…), um eine Managerpolitik umzusetzen, die auf einem System organisierter Spionage gegen Bewerber, Mitarbeiter und Kunden basiert. Sie war sich des illegalen Charakters der Manöver zur Erlangung solcher Informationen bewusst und profitierte dabei insbesondere von einer umfangreichen Rechtsabteilung.»

Aus dieser unrechtmässigen Offenlegung von persönlichen Daten habe Ikea Frankreich einen direkten Nutzen gezogen, indem man die illegalen Daten als Kriterium für neue und bestehende Arbeitsverhältnisse genutzt habe.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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