USA-China

Im Namen der wirtschaftlichen Sicherheit spitzt sich der Gegensatz USA - China zu. © Wikimedia commons

Blockalisierung statt Globalisierung: Vereint gegen China

Markus Mugglin /  Die westliche G7-Allianz verändert gerade den Welthandel. Teil 1 zum Stand der Weltwirtschaft

mug. Dies ist der erste von zwei analytischen Artikeln zum gegenwärtigen Stand der Weltwirtschaft.

Eine wirtschaftspolitische Wende zeichnet sich ab. Auch wenn Referatstexte noch kein Beleg dafür sein müssen – der Auftritt von Jake Sullivan, des nationalen Sicherheitsberaters von Präsident Joe Biden, am 27. April in den Räumen des Think Tank Brookings in Washington war mehr als nur eine Rede unter vielen. Sie markiert einen Bruch in der globalen Entwicklung.

Sullivan ging hart ins Gericht mit den wirtschaftspolitischen Ideen der letzten Dekaden, schlug Töne an, wie man sie bisher vor allem von globalisierungskritischen Stimmen gehört hatte. Er kritisierte Steuersenkungen, Deregulierungen, Privatisierungen und Freihandel. Im Namen der Markteffizienz seien «ganze Lieferketten strategischer Güter, Industrien und Arbeitsplätze» ins Ausland abgewandert. Das über den Handel erzielte Wachstum sei nicht wie versprochen allen zugutegekommen. Das Resultat, so Sullivan: «Eine sich verändernde globale Wirtschaft hat viele arbeitende Amerikaner und ihre Gemeinden benachteiligt. Eine Finanzkrise erschütterte die Mittelschicht. Eine Pandemie machte die Anfälligkeit unserer Lieferketten deutlich. Der Klimawandel bedroht Leben und Existenzgrundlagen. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine unterstrich die Risiken einer übermäßigen Abhängigkeit.»

Dem wollen die USA unter Präsident Biden eine «Aussenpolitik für die Mittelklasse» entgegenhalten – mit nationaler Industriepolitik, Zusammenarbeit mit Partnerländern, neuen Partnerschaften an Stelle der auf Zollsenkungen ausgerichteten Freihandelsabkommen und mit einem Partnerschaftsprogramm für globale Infrastrukturen und Investitionen im Umfang von Hunderten von Milliarden Dollar für Energie-, physikalische und digitale Infrastrukturen in armen Ländern.  

Den USA geht es allerdings um mehr als nur um eine neue Ausrichtung ihrer Wirtschafts- und Aussenpolitik. Dahinter steckt ihre Furcht vor dem Aufstieg Chinas. Die Industriepolitik richtet sich gegen die chinesische Vormacht in der Halbleiterindustrie und der Produktion von Batterien, gegen die Abhängigkeit von den für den Umbau zu klimaschonenden Energieträgern erforderlichen kritischen Rohstoffen Lithium, Kupfer, Kobalt, Nickel und seltene Erden. Mit den Investitionen in globale Infrastrukturen wollen die USA zusammen mit einer Allianz des Westens im globalen Süden eine Alternative zum chinesischen Seidenstrassen-Projekt bieten.  

Die USA wollen wiederaufleben lassen, was sie vor 80 Jahren geschafft hatten, nämlich wieder «im Zentrum eines dynamischen, internationalen Finanzsystems stehen». Auf den «Washington Consensus» der 1990er Jahre mit Deregulierung, Privatisierung und Freihandel soll ein geopolitisch geprägter interventionistischer «Washington Consensus» folgen.

«Resilienz» an Stelle von Freihandel

«Resilience» oder «resilient» sind die neuen Zauberworte für die Gestaltung der weltwirtschaftlichen Beziehungen. Die Staats- und Regierungschefs der West-Allianz G7 wollen sie widerstandsfähig ordnen. Sie erwähnten «resilience» und «resilient» gleich 19 Mal in ihrer vierseitigen Erklärung zum Abschluss des Gipfeltreffens vom 20. Mai in Hiroshima.

Die Zeit der Deregulierung und des freien Handels scheint Geschichte zu sein. Resilienz in Kombination mit der in der Erklärung ebenfalls oft erwähnten «wirtschaftlichen Sicherheit» gibt die G7 als neue Leitidee für die Gestaltung der Weltwirtschaft vor. «Jüngste Ereignisse haben die Anfälligkeit der Volkswirtschaften in aller Welt für Naturkatastrophen, Pandemien, geopolitische Spannungen und wirtschaftlichen Zwang deutlich gemacht», begründen die G7-Staaten die Abkehr von bisherigen Globalisierungs-Gewissheiten.

Über das Ende der Globalisierung, die seit der Wende vor mehr als 30 Jahren die Welt geprägt hat, wird seit geraumer Zeit diskutiert. Der französische Ökonom Jean Pisani-Ferry sah ihr Ende schon im Sommer 2021, im Jahr nach der Pandemie, kommen mit «The End of Globalization as We Know It». Der US-amerikanische Historiker Gary Gerstle ist sich der Sache sicher. In «The Rise and Fall of the Neoliberal Order» diagnostiziert er den Übergang zu einer strategischen Globalisierung, in der die Länder Kapitalflüsse, Rohstoffe, Energie, Güter und Lieferketten steuern. Dani Rodrik, der die Auswüchse der zu einer Hyperglobalisierung verkommenen Entwicklung schon vor mehr als 20 Jahren kritisiert hatte, darf sich bestätigt fühlen und hofft nun, dass aus der «Asche der Hyperglobalisierung» eine bessere Globalisierung aufsteigt.

«Blockalisierung» statt De-Globalisierung

Hyperglobalisierung gebremst

Das Abrücken vom bislang gepriesenen «Wandel durch Handel» bedeutet aber noch nicht den Rückbau des globalen Handels. Auch im letzten Jahr hat der Welthandel mit Gütern wertmässig zugenommen – trotz Krieg in der Ukraine und abgeschwächter Weltkonjunktur. Selbst zwischen den USA und China erreichte er im letzten Jahr einen neuen Höchststand. Weltweit wächst der Handel allerdings nicht mehr so stark wie in den Jahren vor dem grossen Finanzcrash. Zwischen 1993 und 2008 war ihr Anteil gemessen am weltweiten Bruttoinlandprodukt massiv gestiegen von 29 auf 50 Prozent. Seither ist er gesunken – im Jahr der Pandemie sehr stark auf 42 Prozent, hat sich 2021 aber wieder auf fast 47 Prozent erhöht.

Der Trend beim Handel mit Dienstleistungen zeigt weiterhin nach oben, auch wenn er im Jahr der Pandemie zwischenzeitlich unterbrochen war. Der am Genfer Graduate Institute lehrende Richard Baldwin bezeichnet deshalb die These vom Ende der Globalisierung als Mythos. Eine «Slowbalization» – wie es auch schon genannt wurde – ist es aber allemal.

Mit dem Streben nach «wirtschaftlicher Resilienz und wirtschaftlicher Sicherheit» der G7-Staaten zeichnet sich aber neuerdings eine «Blockalisierung» ab. Sicherheit wird umfassend verstanden. Militärische, technologische und wirtschaftliche Belange überlappen sich. Das von den USA verhängte Chip-Embargo gegen China steht exemplarisch dafür. US-Präsident Biden begründete es militärisch. Doch technologisch-wirtschaftliche Motive sind ihm mindestens so wichtig. Halbleiter braucht es ebenso für Computer wie auch für ballistische Raketen; sie sind auch unverzichtbar in der Autoindustrie und spielen eine zentrale Rolle in den Innovationen rund um 5G, in Künstlicher Intelligenz und vielen anderen Sektoren.

«Wirtschaftliche Sicherheit» steht für den Wettstreit zwischen der bisherigen und der aufstrebenden Weltmacht. Dafür wollen die USA die anderen G7-Staaten und weitere Staaten einbinden. Bei den Halbleitern ist es ihnen bereits gelungen. Niederländische und japanische Produzenten stellen Exporte ein, weitere Länder stehen unter Druck mitzumachen. 

China seinerseits hat sich bereits revanchiert. Mit «erheblichen Sicherheitsrisiken für unsere kritische Informationsarchitektur-Lieferkette» begründete es eine Warnung gegen die Produkte des US-Chipherstellers Micron. Vorausgegangen waren schon Durchsuchungen in Büros von Beratungsunternehmen. Angekündigt ist ein Antispionagegesetz. Der Wirtschaftskonflikt USA – China eskaliert. «Der neue kalte Krieg wird noch kälter», stellt Nouriel Roubini auf «project-syndicate» fest.     

Und Europa? Will es und kann es zwischen den USA und China einen eigenen Weg gehen? Macht es sich auf zur oft beschworenen «strategischen Autonomie»? Das ist Thema von Teil 2 dieses Artikels.  

Atlas der Weltwirtschaft 2022/23

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Atlas der Weiltwirtschaft 2022/23, Westend Verlag, 2023

«Globalisierung» bzw. «Blockalisierung» betrifft nicht nur die grossen Akteure auf dem Weltmarkt. Die Länder des globalen Südens trifft es sogar ganz besonders – wenn auch durchaus unterschiedlich. Das macht der neu aufgelegte «Atlas der Weltwirtschaft 2022/23» von Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker und Constantin Heidegger klar. Er legt den Blick frei auf die grossen Entwicklungsunterschiede zwischen Ländern und Kontinenten. Er erklärt, warum asiatische Länder es schafften zu Schwellenländern aufzusteigen, warum es hingegen lateinamerikanischen Ländern nicht gelang. In einem Schwerpunkt zu Mittel- und Osteuropa wird analysiert, warum die Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft nicht zur grossen Erfolgsgeschichte wurde. Der Atlas erläutert, warum Aufholen durch Handel schwer ist.

Wie gewohnt, wenn Heiner Flassbeck als Autor bei einer Publikation mitmacht: Es wird an Tabus der vorherrschenden Ökonomie-Lehren gerüttelt und dies mit guten Gründen. So auch in Kapiteln wie «Warum sind die Investitionen schwach?», «Warum muss sich der Staat verschulden?», «Warum kommt der Klimaschutz nicht voran?» und zu weiteren Themen. Der Atlas liefert Antworten, die für viele ungewohnt tönen und gerade deshalb sehr anregend sind.

Zweiter Teil:  Europas Absicht einer «strategischen Autonomie» zwischen den Wirtschaftsblöcken USA und China.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 4.06.2023 um 12:32 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank für den Bericht, der eine Entwicklung beschreibt, die unsere Welt verändert, an der wir nicht mehr teilhaben, sondern durch eigene politische Miskalkül und Machstreben ausgegrenzt werden.
    Interessant diesem Zusammenhang ist die Diskussion bei Markus Lanz im ZDF vom 30.05.23 mit
    Herbert Diess, Ex-VW-Vorstand. Hier der Link:
    https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-30-mai-2023-100.html

  • am 11.06.2023 um 12:23 Uhr
    Permalink

    Die Sanktionspolitik der USA ist eine Verabschiedung vom Welthandel. Die sanktionierte Länder reagieren darauf und suchen Alternativen, schliessen die USA und Europa aus (Stichwort: BRICS). So hat u.a. Russland wegen den Sanktionen seine Landwirtschaft modernisiert und wurde vom Importeur zum Exporteur, wurde vom Kunden zum Konkurenten.

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