Haselnussgarten in Tuscia, Italien

Alter Haselnussgarten in Tuscia, Italien © cc-by-sa-4 Tulumnes

Masslos wuchern die Haselstrauch-Plantagen für Nutella

Pascal Derungs /  Ferrero giert für seinen gefragten Brotaufstrich nach möglichst viel Anbaufläche und überzieht ganze Landstriche mit Monokulturen.

Seit 2018 verfolgt der Süsswarenmulti Ferrero einen grossen Plan. Er nennt ihn «Haselnuss Italien». Das Projekt sieht vor, zur bereits bestehenden Anbaufläche mindestens weitere 22’000 Hektaren hinzuzufügen und dadurch die Haselnussproduktion in ganz Italien um 30 Prozent zu steigern. Das vereinbarte der Konzern damals im Stillen mit mehreren Regionalpräsidenten. Ein Jahr später wurde das Projekt öffentlich. Betroffen sind Gegenden in der Toskana und Umbrien, wo die Haselnuss zuvor nicht kultiviert wurde und wo die Verhältnisse dafür alles andere als vorteilhaft sind. Doch der Schwerpunkt liegt in der Provinz Viterbo, im Oberen Latium, der Campagna Romana nördlich von Rom. Dort sollen «noch einmal 10’000 Hektaren Haselnusskulturen reingezwängt» werden. So beschreibt es die niederländische Italien-Korrespondentin Anne Branbergen im Magazin «Reportagen». Sie lebt seit fast vier Jahrzehnten in dieser Gegend und schildert, wie aggressiv der Ferrero-Konzern dabei vorgeht, und welche Schäden er für die Umwelt und die Menschen verursacht.

Die diverse Agrokultur einer ganzen Region verschwindet

Auch in den Jahren der Corona-Einschränkungen habe der weltweit drittgrösste Süsswarenkonzern seine Neu-Anpflanzungen unbeirrt weitergetrieben. Kleine Haselsträucher reihten sich nun auf den ebenen Flächen in Richtung der Autostrada 1 aneinander, ebenso entlang der Via Cassia. Als Erstes seien Brunnen gebohrt und Bewässerungsanlagen gebaut worden, mit kilometerlangen Schläuchen für die Tropfbewässerung, gespiesen mit enormen Mengen des raren Grundwassers. Dieses Terrain sei völlig ungeeignet für die Haselnuss, schreibt Anne Branbergen. Passender für diese Gegend seien Mais, Getreide, Gemüse und Früchte, Tabak oder Schafherden. All das habe bis vor kurzem auch das Bild der Landschaft geprägt. Jetzt fahre man nur noch an endlosen Reihen junger Haselnusspflanzen entlang. Der «Haselnussteppich» rage bald bis nach Mittelitalien, in die Toskana und nach Umbrien. Er bedecke bereits die Fläche rund um den Bolsenasee, wo schon 3’000 Hektaren bepflanzt wurden, und Teile der Alfina-Hochebene. Dort seien 350 Hektaren beansprucht worden – vorerst, mahnt die Italien-Korrespondentin. Auch in der Ursprungsgegend von Nutella, im Piemont, will der Agromulti weitere 10’000 Hektaren Haselnuss-Plantagen hochziehen.

Ferrero plündert Grundwasser und vergiftet die Umwelt

Immer tiefer müsse gebohrt werden für das Grundwasser. «Irrwitzige Mengen werden Jahr für Jahr für die Haselnuss-Produktion abgepumpt», hält Branbergen fest, «zwanzig Milliarden Liter, so viel wird benötigt, damit im September 41 Millionen Kilogramm Haselnüsse in makellosem Zustand an Ferreros Lagerhallen abgeliefert werden können». Das Meiste davon ende dann als Nutellacrème. Von ihr würden aktuell weltweit 350 Tonnen pro Tag konsumiert, 770 Millionen Gläser im Jahr, rechnet die niederländische Italien-Korrespondentin vor.

Schlimm sei der gigantische Einsatz von Chemie zur Erntesteigerung. Ferrero verlange makellose Qualität der Nüsse, das zwinge die Landwirte zum intensiven Spritzen von Mai bis Juli, vor allem gegen den Befall durch die grüne Reiswanze. Gegen den Schädling würden breit angelegte chemische Mittel wie Karate Zeon des Agrarchemiekonzerns Syngenta gespritzt. Für Wasserorganismen sei der Wirkstoff giftig, für Menschen könne das Einatmen laut der EU-Einstufung tödlich sein.

Der intensive Anbau löst eine gefährliche Kettenreaktion aus

Dünger und Herbizide täten ein Übriges. Es lauge die Böden aus, bis sie kahl und hart würden. Schlecht für die Biodiversität, aber gut für die Ernte im August und September, denn die reifen, zu Boden gefallenen Nüsse liessen sich so mit riesigen Sauggeräten ganz einfach einsammeln. Dabei werde jedoch giftiger Staub aufgewirbelt, der den Menschen die Atemluft verpeste. In den letzten Jahren habe sich ihre Wohngegend in eine «Giftküche» verwandelt, beklagt die Autorin. Sie zitiert im Bericht einen Bewohner der benachbarten Gegend Tuscia, wo bereits 25’000 Hektaren Haselnussplantagen stehen: «Bei uns lebt auf Tausenden von Hektaren kein einziger Vogel mehr». Auch viele Insektenarten seien verschwunden. «Bei uns herrscht eine Wüste, die man nicht sieht, weil diese hübschen Haselnussbäumchen draufstehen. Aber unser Boden ist eine Wüste».

Auch die Gewässer würden massiv unter dem Chemieeinsatz leiden. Die Düngemittel und Pestizide hätten gewaltige Mengen an Orthophosphaten ins Wasser gebracht, was eine starke Verbreitung von Rotalgen zur Folge habe. Es sei gesundheitsschädlich geworden, im Vicosee zu baden. Dabei liegt der Vulkansee in einem Naturschutzgebiet. Das Trinkwasser der Ortschaften Caprarola und Ronciglione, welches aus dem Bolsenasee stamme, komme dort «braun aus dem Hahn», berichtet die Autorin.

Ferrero dominiert Politiker und Bevölkerung durch Geld

Obwohl diese skandalträchtigen Fakten in den letzten vier Jahren bekannt geworden seien, habe der Süsswarenmulti nicht mit grossem Widerstand zu rechnen. Die Bauern und Landwirte seien froh um Arbeit und Ertrag, und die Politiker brüsteten sich stolz damit, den ehrfürchtig «La Ferrero» genannten Konzern als Investor und Arbeitgeber zum Partner zu haben. Kritik wolle niemand hören. Denn Ferrero zehre vom Nimbus eines Wohltäters.

Das geht zurück auf das Wirken von Michele Ferrero im Stammland der Firma, im Piemont. Der Vater des heutigen Chefs Giovanni hatte dort in den 1950er bis 1980er Jahren den Grundstein der Erfolgsgeschichte gelegt. Er entwickelte die Produkte Mon Chéri, Nutella, Kinder-Überraschung und Ferrero-Rocher und machte sie zu globalen Kassenschlagern. Und er war ein Patron der alten Schule, der sich um das Wohlergehen seiner Lieferanten, Arbeiter und Angestellten kümmerte. Ferrero zahlte gut und bot vielversprechenden Mitarbeitern Aufstiegschancen inklusive Aus- und Weiterbildung. Er organisierte einen Shuttle-Betrieb mit Autobussen, welche die Arbeitenden jeden Tag kostenlos in die Fabrik und wieder nachhause fuhren. Den Bauern machte er einen guten Preis und kaufte ihnen die ganze Ernte ab. So bewahrte er viele Familie vor der Verarmung und dem Auswandern. Für die Kinder richtete er Ferienlager ein, mit guter Betreuung und an schönen Orten im Piemont. Für die Rentner startete er Sozialprojekte. So viel private Wohltätigkeit habe Italien zuvor noch nie gesehen, bilanziert Anne Branbergen in ihrem Bericht.

Doch diese Zeiten seien vorüber. Heute residiere der Firmenchef Giovanni Ferrero mit Familie im steuergünstigen Luxemburg. Mit einem Privatvermögen von 36,2 Milliarden Dollar sei er auch 2022 der reichste Mann Italiens gewesen, in der Forbes-Rangliste der reichsten Menschen der Welt sei er auf Platz 36 geklettert. Der Konzernumsatz habe 2022 über 22 Milliarden Euro betragen. Doch Giovanni Ferrero wolle mehr, «zwischen Rom und Florenz gibt es noch reichlich Spielraum für eine Ausweitung der Produktion», zitiert Branbergen die Firmenpolitik des italienischen Süsswarenkönigs. Er sei in sämtliche Systeme des Landes vorgedrungen, in die Politik, die Institutionen, die Wirtschaft, die Agrargenossenschaften. Bis in lokale Gremien würden seine Tentakel reichen.

Ferrero forciert den Anbau auch im Ausland

In der Türkei besitze der Nutellakönig riesige Anbauflächen. Von Istanbul bis Georgien, entlang der Ufer des Schwarzen Meeres, sei das Land eine einzige gigantische Haselnussplantage. Mit Geduld und Hartnäckigkeit habe Ferrero dort innert zehn Jahren die Konkurrenz ausgeschaltet und sich praktisch eine Monopolstellung aufgebaut. Doch das Verhältnis zwischen Ferrero und der Türkei sei gestört, nicht zuletzt wegen des Vorwurfs von Kinderarbeit während der Ernte. Rund zehn Prozent der 400’000 Saisonkräfte seien Minderjährige, würden NGOs schätzen, viele würden in Baracken oder Zelten schlafen.

Qualität und Menge der Haselnüsse pro Hektare seien geringer als in Italien, das Terrain wesentlich steiler und daher schwieriger zu bearbeiten, und alles müsse von Hand gemacht werden. All das drücke auf die Profitabilität. Ferrero suche nach Alternativen und habe bereits Land in Chile, Südafrika, Georgien und Serbien gekauft. Doch der Anbau dort komme nur langsam in Gang. Da sei es naheliegend, die Produktion im Heimatland Italien zu favorisieren, wo dem Firmenchef alle politischen Türen offen stünden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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6 Meinungen

  • am 11.12.2023 um 12:50 Uhr
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    Da sage ich nur noch «e Guete bim Zmorge»! Auf diesen Chemieaufstrich kann ich mit gutem Gewissen verzichten.

  • am 11.12.2023 um 18:41 Uhr
    Permalink

    Das Hauptproblem an Nutella sind gerade NICHT die Haselnüsse, obwohl die im Artikel beschriebenen Probleme real sein mögen. Der Grund, dass ich auf biologische Alternativen, von denen es viele gibt, umgestiegen bin, ist der grosse Anteil Palmöl im Produkt. Der Name suggeriert eine «Haselnusscreme», der Haselnussanteil liegt meines Wissens aber bei unter 15%.

  • am 12.12.2023 um 12:49 Uhr
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    Die Ferrero-Haselnussgeschichte ist ein Beispiel für das Systemversagen des gesamten, aktuellen Geld- und Wirtschafts-System, welches seit Jahrhunderten von einem betrügerischen Bankensystem aufgebaut wurde auf Fiat-Geld aus dem Nichts.
    Dieses krankmachende System durchdringt mittlerweile alle Aspekte unseres Lebens.

    Dieses System ist verantwortlich für Wachstum und Umweltzerstörung, für nicht mehr rückzahlbare, exponentiell wachsende Schulden und gleichzeitig für die Profitmaximierung einer sehr kleinen Oberschicht. Durch Nutella und Süsskonditionierung gibt’s immer mehr Diabetiker. Die 3’000% Inflation seit 1913 zerstören den Wert «unseres» Fiat-Geldes und damit auch die Altersvorsorge, Klein- und Mittelbetriebe, aber eben auch die Natur.
    Dieses System kann ohne Krieg gegen alle Menschen nicht mehr überleben. Es zerstört sich selbst.

  • am 12.12.2023 um 13:24 Uhr
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    Ein typisch kapitalistisches Produkt: geschmacks- und aromaarm, geringer Nährstoffgehalt, vom Versprochenen, nämlich den Nüssen, nur wenig drin, dafür Fett, Zucker und nochmals Fett, die Herstellung verschlingt enorme Ressourcen und basiert auf Raubbau, der uralte gewachsene Naturlandschaften zerstört und viele, viele Landwirte abhängig macht. Garniert wird das Ganze mit der üblichen ungesunden Verquickung von Geld, Macht, Werbung und Politik. Die Haselhaine waren einst den Kelten heilig, weil sie Nahrung für den Winter bedeuteten und gutes Bogenholz aus ihnen gewonnen wurde. Seit vielen Jahren kommen bei uns keine Ferreroprodukte jedweder Art mehr auf den Tisch. Damit macht man sich nur krank und den Ferrero noch reicher. So sollte Wirtschaft nicht funktionieren.

  • am 12.12.2023 um 16:29 Uhr
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    Beim Einkaufen fragt mich die Fülle manchmal, wer überhaupt den ganzen Sachen noch kauft. Niemand braucht auch nur einen Bruchteil der Brotaufstriche, Getränke (wie kommt der moderne Mensch eigentlich auf die Idee, etwas anderes als unser grossartiges Leitungswasser zu trinken?), Reinigungsprodukte, Süsswaren, Salzzeugs, Kaffee, all das Fertigproduktezeug, tausend überflüssige Hygieneartikel, Spielsachen, Kerzen- und Haushaltskram und am Ende der Einkaufskette braucht es dann auch weniger Abfallsäcke.

    Bedauernswert, dass immer noch soviele Menschen nicht verstehen, wieviel Lebensqualität zu gewinnen ist, wenn all das Zeugs nicht mehr gebraucht und gekauft wird. Es macht einem nicht zu einem besseren Menschen, aber definitiv glücklicher, gesünder, freier.

  • am 13.12.2023 um 14:42 Uhr
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    Wirklich schlimm, ich schliesse mich obigen Kommentaren an. Zudem ist Nutella viel zu süss und höchst ungesund. Auch andere überteuerten Ferrero-Produkte, wie der Fernseh Lebensmittel-Checker Sebastian Legge gezeigt hat. Für mich gibt’s von diesem Konzern nichts mehr.

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