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Massive Zunahme der stark verlichteten Buchen, aufgenommen im Mai 2020 in der Ajoie (Jura) © IAP

Mehr Schäden im Schweizer Wald als während des «Waldsterbens»

Hanspeter Guggenbühl /  Der Schweizer Wald ist so krank wie nie seit 1984. Wichtigste, aber nicht alleinige Ursache: Das extreme Klima im Jahr 2018.

Wer sich längerfristig mit dem Zustand des Schweizer Waldes befasst, geht durch ein Wechselbad der Gefühle. Zwischen I983 und 1986 wurden die Baumkronen lichter und einige Forscher, unter ihnen der damalige Direktor der Eidgenössischen Waldforschungsanstalt, Walter Bosshard, befürchteten ein baldiges «grossflächiges Absterben» der Wälder als Folge der damaligen Luftverschmutzung. Der Begriff «Waldsterben» machte jahrelang Schlagzeilen.

Vom «Waldsterben» zur «Waldsterbens-Lüge»

Doch die negativen Prognosen bewahrheiteten sich nicht und gaben jenen Auftrieb, welche Forschende und Medien der «Waldsterbens-Lüge» bezichtigten. Umstritten blieb dabei, ob die Warnungen vor dem «Waldsterben» auf Übertreibungen und Fehleinschätzungen beruhten (starke Fixierung auf Verlichtung der Baumkronen ab 25 %). Oder ob veränderte Verhältnisse den Zustand des Waldes ab den 1990er-Jahren – bei jährlichen Schwankungen – stabilisierten.

Fest steht: Ab Ende der 1980er-Jahre verminderte sich die Luftverschmutzung in der Schweiz und später auch im übrigen Europa. Strenge Abgasnormen und Filtertechniken senkten insbesondere den Ausstoss von Schwefeldioxid, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen sowie die Bildung von Ozon. Seither sind Berichte über die Gefährdung des Waldes in der Schweiz und in Europa seltener geworden; Schlagzeilen machten fortan vor allem Extremereignisse wie etwa der Wintersturm Lothar kurz vor der Jahrtausendwende oder periodischer Borkenkäferbefall bei Fichten.

Im Juni 2020 befanden die Eidgenössische Forschungsanstalt für Schnee, Wald und Landschaft (WSL) und das Bundesamt für Umwelt in einer gemeinsamen Medienmitteilung, der «Schweizer Wald ist generell in gutem Zustand aber wegen Klimawandel unter Druck». Dabei stützten sie sich auf das gleichzeitig veröffentlichte vierte Landesforstinventar, das die Situation im Zeitraum von 2009 bis 2017 erfasste. Mehrere Schweizer Medien berichteten ausführlich über diesen positiven Befund.

Trockener Sommer 2018 leitete negative Wende ein

Doch inzwischen ist alles wieder anders. Im Gefolge der extremen Trockenheit während der Vegetationsperiode im Jahr 2018 waren die Waldschäden im Jahr 2019 in der Schweiz so gross wie nie seit der Trockenperiode kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings bestehen – je nach Region, regionalem Witterungsverlauf, unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit und unterschiedlichem Stickstoffeintrag an verschiedenen Standorten – beträchtliche Abweichungen vom Durchschnitt und vom allgemeinen Trend. Das zeigen die neusten Studien über die Entwicklung der Waldschäden in der Schweiz, welche die «Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen» im September veröffentlichte.

In dieser Zeitschrift schreiben die WSL-Forscher Andreas Rigling und Manfred Stähli unter dem Titel «Erkenntnisse aus der Trockenheit 2018 für die zukünftige Waldentwicklung»: «Die extreme Hitze und Trockenheit hinterliess schon während des Sommers 2018 deutlich sichtbare Spuren an vielen Baumarten – speziell auffallend und stark ausgeprägt waren frühzeitiger Laubfall, Rindenrisse und absterbende Kronenteile an der Buche. Die Borkenkäferschäden an der Fichte verdoppelten sich im Vergleich zum Vorjahr. Aussergewöhnlich war nicht die Art der Schäden, sondern ihr Ausmass, das in dieser Art in den letzten Jahrzehnten nie beobachtet worden war.»

Aufgrund einer sehr langen Beobachtungszeit (von 1864 bis 2018) folgert ein weiteres WSL-Forschungsteam unter Federführung von Ursina Rathgeb: «Die Vergleiche zeigen, dass die Sommertrockenheit 2018 zu den drei extremsten Dürreereignissen seit 1864 zählt, und dass die Waldschäden 2018 und 2019 die Grössenordnung der Schäden während der Trockenperiode 1947 bis 1952 erreichen dürften.»

Die Situation im extrem trockenen Sommer 2018 illustriert obenstehendes Bild von Andreas Rigling (WSL) aufgenommen am 31. Juli in Stetten (Schaffhausen) mit Blick Richtung Süden. Die Blätter der Laubwälder verfärbten sich schon Mitte Sommer.

Waldschäden grösser denn je seit Erhebungsbeginn

Kürzer aber detaillierter als die historische Betrachtung seit 1864 sind die Erhebungen des Institutes für Angewandte Pflanzenbiologie (IAP). So untersucht das IAP seit 1984 im Auftrag von mehreren Kantonen die Waldbestände im Schweizer Mittelland; dies heute auf insgesamt 185 Flächen mit rund 14 000 Bäumen.

Als Beispiel zeigen die nachstehenden Grafiken des IAP, wie sich die Anteile der stark (mehr als 60 %) verlichteten Baumkronen von Buchen und Fichten von 1984 bis 2020 auf verschiedenen Standorten entwickelten. Die erste Grafik betrifft die Buchen:

Die folgende Grafik zeigt, wie sich der Anteil der stark verlichteten Fichten (gelb) und der Anteil der durch Borkenkäferbefall abgestorbenen Fichten (rot) entwickelte.

Bei diesen grafisch dargestellten Resultaten des IAP fällt auf: Nach Jahrzehnten mit jährlichen Schwankungen auf relativ tiefem Niveau hat sich der Anteil der stark verlichteten Baumkronen im Jahr 2019 verdreifacht und blieb 2020 auf vergleichbar hohem Niveau. Die Lage ist heute also rund dreimal schlimmer als in den 1980er-Jahren, als die Warnung vor dem «Waldsterben» die Umweltdebatte prägte.

Die Auswahl dieser Resultate ist relevant. Denn Buchen und Fichten sind heute (mit einem Anteil von mehr als der Hälfte) die am meisten verbreiteten Bäume im Schweizer Wald. Und Bäume mit mehr als 60 Prozent Blatt- und Nadelverlust (im Vergleich zu einem voll belaubten oder benadelten Baum) gelten als schwer geschädigt; sie erholen sich kaum mehr, selbst wenn trockenen Perioden eine regenreiche Periode folgt. Als Folge davon dürften in den nächsten Jahren auch mehr Bäume absterben als in früheren Jahren.

Massive Schäden in der Region Nordwestschweiz

Besonders ausgeprägt hat der Anteil der stark geschädigten Buchen in der Nordwestschweiz zugenommen. Das zeigt die folgende Grafik, die den Anteil der zu mehr als 60 Prozent verlichteten Buchen allein in der Nordwestschweiz (blau) mit jenen in allen übrigen Beobachtungsflächen (rot) vergleicht.

Der Grund für diese Differenz: Im Raum Nordwestschweiz/Basel lagen die Niederschläge nicht nur 2018, sondern auch 2019 und 2020 deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt.

Schäden «bei hoher Stickstoffbelastung deutlich höher»

Sabine Braun, langjährige Leiterin des IAP, kommentiert und differenziert die neusten Resultate aus der 35jährigen Beobachtungszeit mit folgenden Worten: «Der Anteil von Buchen mit einer Kronenverlichtung von über 60 Prozent war 2019 und 2020 sechsmal höher als im Mittel der gesamten Beobachtungszeit. In einigen Flächen waren bis zu 41 Prozent der Buchen mit mehr als 60 Prozent verlichtet. Die Buchenmortalität war 2019 und 2020 um das Vier- bis Fünffache erhöht. Auf Flächen mit mangelhafter Phosphorversorgung – unter anderem eine Folge hoher Stickstoffeinträge – war die Erhöhung noch deutlich stärker.

Bei den Fichten stieg die Mortalität durch Buchdruckerbefall bis zum Herbst 2019 auf einen Rekordwert von 4.9 Prozent und lag damit um ein Vielfaches höher als nach dem Hitzesommer 2003. Das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Schäden 2019 nicht allein die Folge der extremen Trockenheit 2018, sondern vielmehr das Ergebnis mehrerer vorangegangener Trockenjahre waren. Auch hier sind die Schäden bei hoher Stickstoffbelastung durch die Luft deutlich höher.»

Klimawandel prägt Zukunft des Schweizer Waldes

Der aktuell negative Befund über den Schweizer Wald, so lehrt der Blick zurück, kann sich wieder verbessern, zum Beispiel dann, wenn den überdurchschnittlich warmen und trockenen Jahren ab 2015 wieder eine mehrjährige Periode mit kühleren Temperaturen und unterdurchschnittlichen Temperaturen folgen sollte. Doch diese Hoffnung ist relativ gering wenn man die starke Häufung von extrem heissen und extrem trockenen Jahren sowie die Szenarien für die künftige Entwicklung des Klimas in der Schweiz betrachtet.

So folgern die WSL-Waldforscher Rigling und Stähli in ihrem schon eingangs zitierten Bericht: «Wir müssen davon ausgehen, dass das kombinierte Auftreten von Trockenheit, Stürmen, Krankheiten und Schädlingen innert kurzer Zeit ganze Landschaften massiv verändern kann und unter anderem auch das Paradigma der stabilen Buchenmischwälder infrage stellt. Die Zukunft unserer grossen Laubwaldgebiete wird also davon abhängen, wie sich die Witterung in den kommenden Jahren entwickelt und wann nach 2003, 2015 und 2018 die nächsten Extremjahre folgen.»

In einem folgenden Beitrag wird Infosperber einige Entwicklungen und Analysen über den Zustand des Schweizer Waldes vertiefen.

Weitere Beiträge zum Thema Natur und Klima auf Infosperber:

DOSSIER: Klimapolitik – kritisch hinterfragt

DOSSIER: Schutz der Natur und der Landschaft


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5 Meinungen

  • am 26.10.2020 um 14:21 Uhr
    Permalink

    Ja, und die Bäume werden es sicher besonders schätzen, von Mikrowellen angestrahlt zu werden, sei es von Antennen auf der Erde, oder von Satelliten. Kommen noch die giftigen Stoffe aus Geoengineering / Stratospheric Injections dazu, dann hat die ganze Natur, also Pflanzen, Tiere und Menschen ganz schlechte Karten. Aber das sind ja Themen, die diese Wissenschaftler gar nicht untersuchen dürfen, ohne ihre Karriere aufs Spiel zu setzen.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 26.10.2020 um 15:25 Uhr
    Permalink

    Schaut ja aus wie Corona-Statistiken. 1945/49 starben die Wälder wegen der Trockenheit. Dafür war der Wein besonders gut.

    Mein Vater sollte im zusammenhang mit dem Plan Wahlen – Anbauschlacht – Waldparzellen identifizieren, welche für die Landwirtschaft geeignet waren. Dabei wurden v.a. vetrocknete Hanglagen angeboten, deren landwirtschaftliches Potenzial quasi mit null bewertet werden musste.

    Die Welt ist immer noch mehr oder weniger rund und dreht sich weiter. Die Argumentarien enthalten ein paar neue Wortschöpfungen…

    Ich war immer dafür, etwas gegen den Gestank zu unternehmen. Dafür brauchte ich kein «Waldsterben».

  • am 26.10.2020 um 16:03 Uhr
    Permalink

    Buchen auf sandigen oder kiesigen Untergründen haben grosse Mühe in Trockenperioden. Dies ist schon länger bekannt, aber ein «Baumartenwechsel» scheint in der Zeit vor 2018 nicht gross ein Thema gewesen zu sein.

    WSL-Sprecher Reinhard Lässig: «Basel ist im Vergleich zu anderen Regionen in der Schweiz überdurchschnittlich warm, so dass der Waldboden bei anhaltender Trockenheit schnell einmal zu wenig Wasser enthält, das für das Baumwachstum nötig ist». (20min, Juli 2018)

    Östlich von Waldshut waren im Hochsommer 2018 alle Buchen völlig braun – kein einziges grünes Blatt war mehr auszumachen.

    Wegen zurückgehender Sonnenaktivität rechnen Wissenschaftler aber schon ab November 2020 mit grösseren Kälteeinbrüchen auf Teilen der nördlichen Halbkugel, inkl. Mitteleuropa. Dieses „Grosse Minimum“ kann dann einige Jahrzehnte bestehen bleiben. Somit hätten die Buchen wohl eine Verschnaufpause.

  • am 28.10.2020 um 10:35 Uhr
    Permalink

    Könnte es nicht sein, dass viele Wälder auf der Strecke bleiben, weil man mit überdimensionalen Maschinen ganze Waldteile einfach niederwalzt und unaufgeräumt liegen lässt?! Man nennt dies dann «Biodiversität» … !

  • Portrait_Lukas_Fierz
    am 28.10.2020 um 11:53 Uhr
    Permalink

    Bei der ablaufenden Temperaturentwicklung blüht den Wäldern in diesem Jahrhundert weltweit das Schicksal der Korallenriffe: Absterben. Der Rest ist Nebensache. (https://science.sciencemag.org/content/368/6488/261).

    Ob der verharmlosende Begriff «Klimawandel» zu das trifft, oder ob man nicht besser sagen würde «Selbstverbrennung» bleibe dahingestellt.

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