Kommentar

Ist es Joe Bidens «Schwanengesang» oder nur Vorkriegsgerassel?

Kai Ehlers © zvg

Kai Ehlers /  Geopolitisch stehen die Zeichen auf Sturm. Weil Joe Biden vor allem innenpolitische Probleme hat, sind Prognosen aber schwierig.

Red. Der deutsche Publizist Kai Ehlers, ein langjähriger und genauer Beobachter Russlands und der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland, analysiert auf seiner Online-Plattform die Strategie von US-Präsident Joe Biden und seinen Gefolgsleuten in Europa. Ein Gastbeitrag. (cm)

Die Welt erlebt gerade ein bemerkenswertes Schauspiel: Die krisengeschüttelte Weltmacht USA baut eine Drohkulisse gegenüber ihren Herausforderern auf. Man fragt sich: Kann diese Weltmacht in ihrer gegenwärtigen Verfassung solchen Drohungen auch wirklich eine entsprechende Politik folgen lassen – oder bläht sie nur ihre Muskeln?

Wer genauer hinschaut, wird sich nicht in Hysterie treiben lassen wollen. Zwar rüstet die US-Regierung seit Antritt Joe Bidens verbal auf, verpflichtet ihre europäischen Vasallen zu nachfolgendem Gehorsam und zu sich überschlagenden Drohungen gegen Russland und China.  

Man erinnere sich an den geradezu wahnhaften Forderungskatalog des Europäischen Parlaments an Russlands Adresse vor wenigen Wochen, in dem Russland zur Ordnung, das heisst zur Unterordnung unter die westliche Dominanz und deren «Werte» aufgerufen wurde. Aktuell folgen dem jetzt auch Vorstösse gegen die Durchführung olympischer Winterspiele in China. Man höre die martialischen Drohungen des US-Aussenministers Anthony Blinken, der Russland «ernste Konsequenzen» androht, wenn es nicht von seinen «Aggressionen» gegen die Ukraine ablasse. Man höre, wie diese Drohungen von (noch-)NATO-Chef Stoltenberg, von Annalena Baerbock, der noch sehr grünen deutschen Aussenministerin, und im Echo auch noch von den G7 nachgeplappert werden, wenn sie von Truppenbewegungen an den ukrainischen Grenzen reden, die Russland durchführe. Wohlgemerkt: auf russischem Territorium, nicht wie zum Beispiel britische Panzer in Estland an der russischen Grenze. Man schaue in die westlichen Blätter und höre die führenden westlichen elektronischen Medien, die einen Ton anschlagen, der Erinnerungen an Vorkriegspropaganda vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wachruft. 

Wenn es nach diesen Signalen ginge, dann stünde der grosse Schlagabtausch unmittelbar vor der Tür und Europa würde das Schlachtfeld werden. 

Aber wie reagiert Russland, konkret Putin? Er demonstriert Biden kühl, dass Gesprächsbedarf besteht. Er fordert die NATO im Klartext auf, keine weitere Ost-Erweiterung zu betreiben. Er macht deutlich, dass der Westen, wenn er es denn auf eine scharfe Austragung des Konfliktes ankommen lassen wolle, den russischen Hyperschallraketen nichts entgegenzusetzen hätte und dass im Ernstfall das Ganze in weniger als drei Minuten erledigt wäre. 

Biden lenkt ein, hält nur seine Drohkulisse aufrecht. Was also spielt sich ab? Wovon will Biden ablenken? Was treibt die Europäer, genauer die Politokraten Brüssels, insbesondere auch Deutschlands – trotz einer von der Rand-Korporation vor wenigen Wochen vorgelegten Analyse, die Russland bescheinigt, nicht aggressiv zu sein, keine imperialen Absichten zu haben, vor allem anderen auf Verteidigung seiner Souveränität bedacht zu sein – die Russen dennoch derart in die Enge treiben zu wollen, wie das gegenwärtig geschieht?

Die Analyse der Rand-Korporation, also des führenden Thinktanks des US-Militärs, ist ja nicht etwa von Freundschaft zu Russland inspiriert – sie resultiert vielmehr aus einer richtigen Einschätzung von russischer Befindlichkeit, die sich in dem Satz ausdrückt, den in Russland jeder kennt: «Der russische Bauer spannt lange an, aber wenn er einmal aufbricht, dann geht es im Karacho». Die Analyse ist nicht etwa ein Lob Russlands, sondern eine Warnung an die Adresse der US-Regierung, Russland nicht in ein solches ‚Karacho‘ zu treiben. 

Sollten Biden und seine Nachplapperer unter den EU-Politbürokraten diese einfache Tatsache nicht verstanden haben? Oder inszenieren sie das Geschrei der letzten Wochen nur, um ihre innenpolitischen Probleme in der Ausrichtung gegen einen gemeinsamen Feind zu übertönen?

Alle Anzeichen sprechen dafür, dass das Letztgenannte der Fall ist. Biden unter dem Beschuss einer wachsenden Opposition, die Brüsseler Bürokraten im Konflikt mit wachsenden nationalistischen Tendenzen in der Europäischen Union, insbesondere seitens der östlichen Mitglieder, vor allem Polens. Da wird ein gemeinsamer Feind gebraucht, an dessen Aufbau man sich ausrichten kann. 

Allerdings ist auch eine solche Ausrichtung selbstverständlich ein höchst gefährliches Spiel mit dem Feuer in einer Welt, die gerade von globalen Bedrohungsängsten in nationalistische Abgrenzungshysterien getrieben wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kai Ehlers ist unabhängiger, freier Publizist.

Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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6 Meinungen

  • am 25.12.2021 um 11:31 Uhr
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    ich glaube mich in einer Echokammer zu befinden, in der fast alle so denken wie dieser super Artikel. Nur, warum hat das null Auswirkungen auf die Massenmedien und die Regierungen? Sind wir nicht in einer Demokratie, und war nicht die Annahme, dass demokratische Regierungen irgendwie ein bisschen vom Volk beeinflusst werden können? Eine der obigen Anmahmen muss falsch sein. Welche?

  • am 25.12.2021 um 17:52 Uhr
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    Im Artikel von Info Sperber wird von «Vorkriegsgerassel» der USA und ihren Verbündeten gesprochen. Doch die USA führen auch richtig Krieg, mit Drohnen.
    Nach einer Pause von sechs Monaten hat die US-Armee im Juli dieses Jahres auch in Somalia wieder begonnen Luftangriffe zu fliegen, der erste in der Nähe von Galkayo und der zweite in der Provinz Galmudug, laut dem Afrika-Kommando der US-Streitkräfte in Stuttgart. Bei diesen aussergerichtlichen Hinrichtungen mit Drohnen kommen meistens auch viele Zivilisten um. Solche Tötungen mit Drohnen hat die Bevölkerung nicht nur in Afghanistan gegen die Amerikaner aufgebracht. In Somalia sind diese Drohnenangriffe Wasser auf die Mühlen der Al Shabab die grosse Teile des Landes kontrolliert und auch in grossen Städten wie die Mafia Steuern eintreibt.
    Leider muss man sagen, wie Bashir Gobdon der Organisation Swisso Kalmo in einem Interview ausführte. Die US-Luftangriffe erfolgen auch mit dem Einverständnis der somalischen Regierung in Mogadischu. «Mit den Amerikanern vereinbarte die somalische Regierung: Wir marschieren am Boden und die USA bombardieren.» Siehe: Somalia: Mit Bombardierungen Frieden schaffen? – IFOR Schweiz – MIR Suisse (ifor-mir.ch)
    Michael Keating war von Januar 2016 bis September 2018 in Somalia Leiter der UNO Somalia Mission. Keating war der Meinung: «Der Weg zum Frieden kann in Somalia nicht mit Bombardierungen erreicht werden. Um die Gewalt zu verringern, muss es einen politischen Prozess geben.»

  • am 25.12.2021 um 18:01 Uhr
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    Wie Herr Ehlers behaupten kann, dass die Rand-Studie (Russia’s Military Interventions) «Russland bescheinigt, nicht aggressiv zu sein, keine imperialen Absichten zu haben, vor allem anderen auf Verteidigung seiner Souveränität bedacht zu sein» ist mir schleierhaft. Aus der Studie geht (unter manchem anderen) vielmehr hervor, dass die Russische Regierung nicht gewillt ist, einen eigenständigen Staat Ukraine jenseits seiner Einflusssphäre zu dulden. Der Grund dafür wird mit «Geopolitics» angegeben. So steht etwa auf Seite 54: «great powers are always sensitive to potential threats near their home territory». Die Kernfrage ist, ob man Russland als «great power» zu sehen bereit ist. Die russische Regierung will das und investiert beträchtliche Ressourcen in diesen Anspruch, die dem leidgeprüften Volk dann anderswo fehlen. Was der Bericht auch sagt (Summary xv): Es gab weder bei der Krim noch im Donbass einen unmittelbaren Anlass, militärisch zu intervenieren, im Gegensatz zu Georgien oder Syrien. Es gibt also durchaus Anlass, auch die (nach dem Rand-Bericht erfolgten) Truppenmassierungen nahe der russisch-ukrainischen Grenze in diesem imperialen Licht zu sehen.

    • am 26.12.2021 um 05:00 Uhr
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      Das Zitat von Herrn Pestalozzi aus der Studie scheint mir aber den Artikel von Herrn Ehlers genau zu bestätigen:
      «sensitive to potential threats near their home territory» kann man perfekt übersetzen mit «auf Verteidigung seiner Souveränität bedacht zu sein». Warum das «schleierhaft» sein soll, ist mir wiederum nicht klar.
      Auf der Krim war militärische Intervention nicht zwingend, aber der Wechsel zu Russland fand ja aufgrund einer Volksabstimmung statt und wird auch heute von mehr als 80% der Bevölkerung unterstützt. Russische Soldaten haben verhindert, das ukrainische Truppen das Referendum verhindern, es kam aber zu keiner bewaffneten oder anderweitig gewalttätigen Auseinandersetzung.

      Das Russland auf den massiven Truppenaufmarsch in Osteuropa früher oder später reagieren musste, war immer klar. Was dachten sich die US Expansionisten denn? Ich verstehe nicht, warum Westeuropäer inklusive Schweizer jetzt einen illegalen Entscheid der Sowjetunion verteidigen, denn das war es, als die Krim kurzzeitig der Ukraine zugeordnet wurde. Da könnte man doch mal über Volkswillen reden, anstatt zu versuchen Volkswillen in Taiwan zu generieren.

      • am 3.01.2022 um 18:33 Uhr
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        Eine militärische Auseinandersetzung zwischen den Atomwaffenblöcken Nato (unter US-Kommando!) und Russland (im Militärbündnis mit China) würde Europa als Schlachtfeld sehen und auf Kosten Europas gehen. Europas Völker können kein Interesse an einem Krieg haben, viele Regierungen und ein Teil der Presse hetzen aber trotzdem gegen China und Russland.
        Angesichts des fragilen Zustands des Weltklimas würde das meiner Befürchtung nach definitiv die Klimahölle für die Welt und damit den Untergang der menschlichen Zivilisation bedeuten.
        Die Welt braucht Frieden, d.h. Lösung der Konflikte durch Verhandlungen statt Konkurrenzkämpfen.

  • am 28.12.2021 um 23:25 Uhr
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    Der Krieg würde jedenfalls in Europa und nicht in den USA stattfinden. Das scheinen die Europäer schlicht und einfach zu ignorieren. Die NATO-Eliten müssten ja nicht den Kopf her halten. Die sässen in ihren geschützten Büros und Bunkern.

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