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Als «Ghandi der Westsahara» hat Aminatou Haidar am 4. Dezember den alternativen Nobelpreis erhalten. © Euronews

Grosses Schweigen zu Marokkos Kriegsverbrechen in Westsahara

Urs P. Gasche /  Die UNO darf die gravierenden Menschenrechtsverletzungen nicht einmal dokumentieren, kritisiert Menschenrechtlerin Aminatou Haidar.

Die Westsahara ist die letzte Kolonie in Afrika. Sie wird von Marokko beherrscht. 1975 hatte der UN-Sicherheitsrat die Besatzungsmacht Marokko zwar aufgefordert, «alle Eindringlinge unverzüglich vom Hoheitsgebiet der Westsahara zurückzuziehen». Gemeint waren über 300’000 marokkanische Siedler, welche Marokko in die Westsahara geschickt hatte.
Doch seither hat der UN-Sicherheitsrat nichts unternommen, um seine damalige Forderung durchzusetzen. Frankreich als Vetomacht stellt sich auf die Seite Marokkos. Als Mandat der UNO bleibt nur die UN-Mission MINURSO, die den Waffenstillstand zwischen Marokko und der Widerstandsorganisation Frente Polisario überwachen soll (MINURSO = United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara). Ausdrücklich verboten ist es dieser UN-Mission, Verletzungen von Menschenrechten zu dokumentieren, kritisiert Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar in der neusten Ausgabe der «Blätter für deutsche und internationale Politik».

Etwa eine Viertelmillion Sahrauis flüchteten über die Grenze in Lager nach Algerien (siehe Karte). Viele leiden und litten an ständiger Mangelernährung. Alexander Gschwind, längjähriger Korrespondent und Kenner der Region, zitierte zwei Ärzte, die für «Médecins sans frontières» den Gesundheitszustand der Flüchtlinge untersuchten: Innerhalb einer Generation hat die durchschnittliche Körpergrösse um zehn Zentimeter abgenommen, ihr durchschnittliches Körpergewicht sogar fast um einen Drittel. Der Mangel an Vitaminen und Eiweiss hat verheerende Spuren hinterlassen. Gschwind begegnete auch einem Augenarzt aus Lyon, der jedes Jahr einen Ferienmonat im Lager von Rabouni verbrachte und dort Dutzende von Augenleiden operierte, die er vorwiegend auf Eiweissmangel zurückführt.

In grossen Medien kein Thema

Am 30. Oktober 2019 verlängerte der UN-Sicherheitsrat das UN-Mandat MINURSO um ein weiteres Jahr – wiederum mit dem Verbot, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren.
Grosse Medien informierten nicht darüber.
Am 4. Dezember 2019 überreichte der Right Livelihood Award Aminatou Haidar in Stockholm den alternativen Nobelpreis wegen ihres jahrzehntelangen friedlichen Engagements für die Selbstbestimmung der Sahrauis in der Westsahara.
Grosse Medien informierten nicht darüber.
Die elementaren Menschenrechte der rund 600’000 Einwohnerinnen und Einwohner der Westsahara sowie der rund 250’000 sahrauischen Flüchtlinge in algerischen Lagern haben für Medien und Politiker offensichtlich weniger Gewicht und Relevanz als beispielsweise die Bürger- und Menschenrechte der Einwohner von Hongkong. Das kann man als rassistische Diskriminierung der Sahrauis ansehen.

Marokko: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen

Marokko plündere nicht nur illegalerweise Ressourcen der Westsahara aus, sondern habe mittels militärischer Gewalt sein Hoheitsgebiet ausgeweitet, erklärt Haidar. Von 1975 bis heute habe das Regime in Rabat Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen, einschliesslich Massenmorden an Zivilisten, Vertreibungen von Tausenden von Menschen und systematischen Folterungen von Inhaftierten. «Die internationale Gemeinschaft hatte 56 Jahre Zeit, um diesen Skandal zu beenden», klagt Aminatou Haidar.

Berichte auf Infosperber

Über diesen verdrängten und von grossen Medien beiseite geschobenen Skandal hatte Infosperber informiert:

5. Januar 2016
«Mohamed Abdelaziz kämpfte, wo Völkerrecht seit Jahren nicht gilt. Nach seinem Tod könnte sich der Frente Polisario radikalisieren.»

20. Januar 2016
«Die vergessenen Palästinenser in Nordafrika. Die Sahrauis aus Nordwestafrika haben keine Lobby. Die Medien berichten fast nichts. Seit über dreissig Jahren warten sie in Camps.»

28. Juli 2019
«Die Sahraouis in Westafrika drohen in Vergessenheit zu geraten. Immer wieder blockt Marokko. Es fehlt auch an Nahrung. Hungerwaffe gegen die Schwächsten?»

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Infosperber-DOSSIER

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«Diesseits und jenseits von Gibraltar»
Alexander Gschwind ist Autor des Buches «Diesseits und jenseits von Gibraltar» (33.80 CHF). Wer sich für die Länder Spanien, Portugal, Marokko, Westsahara, Algerien oder Tunesien interessiert, findet in diesem Buch nötiges Hintergrundwissen. Es ist spannend zu lesen dank persönlichen Erlebnissen, leicht erfassbaren historischen, kulturellen und politischen Zusammenhängen, aufgelockert mit Fragen an den Autor, Lexika-Teilen und Fotos.


    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Menschenrechte

Genügend zu essen. Gut schlafen. Gesundheit. Grundschule. Keine Diskriminierung. Bewegungsfreiheit. Bürgerrechte

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4 Meinungen

  • billo
    am 5.01.2020 um 12:27 Uhr
    Permalink

    Einmal mehr spielt die «Grande Nation» in Afrika eine ganz üble Rolle – aus purem Eigeninteresse deckt Frankreich die Unterdrückung eines vergessenen Volkes durch die marokkanische Despotie. Und die andern «grossen» Nationen lassen das geschehen, weil auch sie in andern Fällen genau so handelten und handeln und sich keine fremde «Einmischung» gefallen lassen würden…

  • am 7.01.2020 um 10:49 Uhr
    Permalink

    Danke Urs P. Gasche, dass Sie diese Tragödie nicht vergessen haben und für den Vergleich mit Hongkong. Menschen aus Westsahara migrieren durchs europäische Asylwesen. Meist ohne Chance auf Asyl. Welchen Grund gibt es, dass die MINURSO die Menschenrechtsverletzungen nicht dokumentieren darf?

  • am 7.01.2020 um 11:00 Uhr
    Permalink

    @Staubli. Der Auftrag des UN-Sicherheitsrats besteht einzig im Überwachen des Waffenstillstandes. Alle anderen Aktivitäten sind untersagt.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 7.01.2020 um 13:59 Uhr
    Permalink

    El Aioun, SH, war einmal eine spanische Kolonie. Die Phosphatreserven waren bekannt, die Notwendigkeit der Entkolonialisierung ebenfalls.

    Franco hat all das unter Verschluss behalten. Der junge König von Franco’s Gnaden Juan-Carlos suchte den Kompromiss. Tinduff etc waren die Folgen.

    Auch hier ist Monokausalität die falsche Interpretation. Zum Glück gibt es im ehemaligen Sahara español kein Erdöl. Sonst wären auch die USA noch dabei.

    Die «grande nation» (ref Studer) ist hier einmal nicht als Akteur direkt involviert. Etwas tiefere historische Analyse wäre auch hier von Nutzen.

    Ich gehe davon aus, dass auch Glencore damals noch nicht dabei war. Nicht einmal Holcim’s Schmidheini.

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