Patrik Baab

Patrik Baab vor seinem Hotel in der Ostukraine, nachdem es von einer ukrainischen Granate getroffen wurde. © Sergey Filbert

Deutscher Journalist soll nicht vom Donbas aus berichten

upg. /  Ein Reporter recherchierte in dem von Russland besetzten Donbas. Das wurde ihm zum Verhängnis. Er verlor Lehraufträge.

Red. Wir erfahren fast nichts darüber, wie stark der Krieg die Menschen in russisch besetzten Gebieten trifft. Ein deutscher Journalist wagte sich dorthin. Jetzt werfen ihm Hochschulen und Medien vor, er habe mit seiner blossen Anwesenheit Putins Angriffskrieg legitimiert. Wir berichten hier aufgrund von Beiträgen im Overton-Magazin, dem «The Postile Magazine» und Aussagen des betroffenen Journalisten.


In der Hauptkampfzone Donbas

Der Journalist Patrik Baab hielt sich im September 2022 in den ostukrainischen und von russischen Streitkräften besetzten Regionen auf. Er arbeitete jahrelang beim Norddeutschen Rundfunk NDR und war jetzt für ein eigenes Buch-Projekt unterwegs. Darauf entzogen ihm zwei Hochschulen Lehraufträge, weil er mit seiner blossen Anwesenheit im russisch kontrollierten Donbas den Angriffskrieg Putins legitimiert habe.

Derzeit befindet sich der 63-Jährige im Teilzeit-Vorruhestand. Er hatte immer wieder auch aus Russland berichtet, so wie viele andere ARD-KorrespondentInnen vor und nach ihm. Gegenwärtig schreibt er ein Buch über den Ukraine-Krieg, das im Sommer erscheinen soll. 

Die Donbas-Gebiete im Osten der Ukraine sind Hauptkampfzone im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Front verläuft durch die Oblaste Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson.

Baab: «Völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine»

Patrik Baab reiste für Recherchen zu seinem Buch von Mitte September bis Anfang Oktober 2022 nach Russland und in die Ostukraine. Dass in dem umstrittenen und umkämpften Gebiet in diesem Zeitraum sogenannte Referenden über den Anschluss an Russland stattfinden sollten, hat er erst unterwegs in Moskau erfahren. Vor Ort beobachtete er dann auch die Abstimmungen und sprach mit Einwohnerinnen und Einwohnern. Er tat, was ein Reporter zu tun hat. Seine Position zum Krieg ist im Übrigen eindeutig: er spricht von einem «völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine».

Die Anwesenheit Baabs nutzten russische Medien aus und berichteten im September 2022 von einem deutschen «Wahlbeobachter». Das Webportal von t-online («Nachrichten für Deutschland») übernahm diese Nachricht ungeprüft und verbreitete, der Journalist Baab befinde sich in der Ostukraine als «Wahlbeobachter» der Referenden. 

Das war er aber nicht. Dies wäre nach seinen Angaben leicht zu überprüfen gewesen: «Man ruft bei der zuständigen Zivilkammer der Russischen Föderation in Moskau an und lässt sich eine Liste der Wahlbeobachter schicken – oder man checkt schlicht die entsprechende Mitteilung auf der Website.»

Durch t-online erfuhr man an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin davon. Dort war Baab seit sechs Jahren als Lehrbeauftragter im Einsatz. Die Hochschulleitung rief ihn umgehend in der Ostukraine an. Baab erklärte, er sei privat als Journalist unterwegs, weil er ein Buch zum Krieg schreibe, und dementierte, ein «Wahlbeobachter» zu sein. 

«Legitimation von Mord und Folter»

Dem Rektor Klaus-Dieter Schulz und dem Kanzler Ronald Freytag der HMKW reichte das nicht. Auf der Webseite der HMKW erklärten sie wörtlich:

«Wir haben Herrn Baab gegenüber unsere Fassungslosigkeit über dieses Verhalten geäussert. Wir haben ihm unseren Standpunkt verdeutlicht, dass schon seine reine Anwesenheit bei dieser Aktion, ob er wolle oder nicht, zwangsläufig zur Legitimation der in unseren Augen völkerrechtswidrigen und inhumanen Scheinreferenden, die Teil einer imperialistischen Politik und eines verbrecherischen Krieges sind, beiträgt. Sie gibt den Aggressoren ein willkommenes Feigenblatt an die Hand, dass alles rechtens sein müsse, weil man ja sogar ‹Kritik› zulasse und nicht unterdrücke […] Die journalistische Scheinobjektivität trägt hier u. E. zur Legitimation von Mord, Folter, Verstössen gegen die Humanität und das Völkerrecht bei.»

Die blosse Anwesenheit eines Journalisten in einem Herrschaftsgebiet legitimiere die Herrschenden, so der Vorwurf. Die Presse mache sich damit zur Partei und könne nicht unabhängig berichten. 

Die Position der HMKW-Verantwortlichen ist ein Angriff auf die Pressefreiheit. Konsequenterweise würden beispielsweise auch die westlichen Korrespondenten in Moskau das russische Regime legitimieren. Man würde dann auf Berichte vor Ort verzichten, könnte weder über die inneren Opfer dieses Regimes noch über die Opposition und den Widerstand im Land informieren. Es wäre gerade die Abwesenheit der Journalisten, welche diese Herrschaft verschonen würde.

Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Und das gilt für alle Seiten. Die Mächtigen versuchen überall, Medien zu vereinnahmen. Auch von der Ukraine lässt sich die Presse vereinnahmen. Zuweilen so sehr, dass sie sich als Kriegspartei der Ukraine verhält. Viele Medien informieren kaum darüber, dass auch das Militär der Ukraine gegen Menschenrechte verstösst und Kriegsverbrechen verübt. 

Die Zahl der Opfer in den eigenen Reihen wird genauso verschwiegen wie der Beschuss von Zivilisten durch die ukrainischen Einheiten im Donbas. Auch das Verschleppen von Männern an die Front oder die Verfolgung ukrainischer Kriegsdienstverweigerer sind kaum ein Thema. Ebenso wenig das Privileg wohlhabender Ukrainer, sich von der Kriegspflicht freizukaufen. 

Man geht sogar gegen diejenigen vor, die auch diese dunkle Realität ans Tageslicht bringen – wie Patrik Baab. Er hat viele Wohnhäuser und zivile Einrichtungen gesehen, die von der Ukraine zerstört wurden und mit Angehörigen ziviler Opfer gesprochen.

Patrik Baab hat sechs Jahre lang als Lehrbeauftragter an der Berliner Medien-Hochschule gewirkt. Der Lehrauftrag für das Wintersemester 2022/23 war im letzten September jedoch noch nicht unterschrieben. Deshalb hat Baab keine rechtliche Handhabe, gegen den Widerruf dieses Nicht-Vertrages vorzugehen.

Die HMKW reagiert auf zahlreiche gestellte Fragen des Overton-Magazins nicht.

Auch in Kiel keine Lehraufträge mehr

An der Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel wurde der Journalist Patrik Baab seit 20 Jahren immer wieder für einen Lehrauftrag verpflichtet. Eine Woche nach seinem Rausschmiss in Berlin wurde ihm am 3. Oktober 2022 auch dort der Lehrauftrag entzogen. Die Begründung lautete ähnlich wie in Berlin: Er habe durch seine Anwesenheit in den fraglichen Gebieten den Scheinreferenden den Anschein von Legitimität verliehen. 

Am Institut für Sozialwissenschaften, wo Baab lehrte, hielt man es nicht einmal für nötig, ihn zu kontaktieren. Die dafür verantwortlichen Professoren in der Institutsleitung erklärten, dass «Gefahr in Verzug» gewesen sei. Hätte man nicht sofort reagiert, eben ohne den Betroffenen zuerst anzuhören, hätte ein «Ansehensverlust der Universität» gedroht und ihre «Funktionsfähigkeit» wäre beeinträchtigt worden.

Baab hat gegen den Entzug des Lehrauftrags an der CAU Einspruch erhoben. Die Präsidentin der Universität hat den Widerspruch zurückgewiesen. Jetzt liegt die Angelegenheit beim Verwaltungsgericht in Kiel. Baabs Anwalt schrieb in seiner Klage-Begründung, Baab sei ein engagierter Journalist und habe keine Aufgabe als Wahlbeobachter angenommen: «Baab hat als Journalist, der sich der Berichterstattung vor Ort – und nicht wie andere Medienbeobachter aus der Ferne – verschrieben hat, hochriskante Recherchen vor Ort unternommen, um die Situation vor Ort mit seiner journalistischen Erfahrung tatsächlich wahrzunehmen und darüber zu berichten.»

Keine Unterstützung des deutschen Journalistenverbands

Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) und ebenfalls Dozent an der Medienhochschule HMKW in Berlin, sieht keinen Grund, sich für Baab einzusetzen, obwohl dieser seit fast vierzig Jahren DJV-Mitglied ist: «Da halte ich mich raus», teilte er mit. Denn: «Propaganda für einen Kriegsverbrecher ist per Definition keine journalistische Tätigkeit.» 

Kommentar von Patrik Baab gegenüber Infosperber: «Wer in Deutschland von der russischen Seite aus dem Kriegsgebiet im Donbas oder von der Krim berichtet, setzt sich in die Nesseln. Die Kriegshetzer-Fraktion hat es geschafft, jeden auszugrenzen und zu diffamieren, der das macht. Im Ergebnis bedeutet dies die Zerstörung der demokratischen Öffentlichkeit und das Präjudiz der Propaganda – auch und gerade in Akademien und Redaktionen.»

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Frühere Berichte des Journalisten Patrik Baab

Brauner Terror. Erste deutsche Dokumentation über russische Neonazis und ihre Gefahr – die es übrigens heute noch gibt und sich teilweise zu den Milizen im Donbas melden. NDR-Reportage aus dem Jahr 2003:


Handel mit gefälschten EU-Pässen in Russland. ARD-Tagesthemen 2009:


Über illegale Öltransporte aus der russischen Föderation in die EU. Die Dreharbeiten haben Baab 2014 die erste unangenehme Begegnung mit dem FSB – vormals KGB – beschert:


Bis heute ist in Russland geheim, warum die «Kursk» im August 2000 in der Barentssee gesunken ist. Hier die wahre Ursache, die Baab eine weitere unangenehme Begegnung mit dem Inlandsgeheimdienst FSB – ex KGB beschert hat. Ostsee-Report 2019:



Der Spion, der durch die Ostsee kam: Der polnische Oberst Ryszard Kuklinski war der wichtigste CIA-Spion im Kalten Krieg – Ein Überläufer, der sich gegen Russland stellte. Ostsee-Report 2022:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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10 Meinungen

  • am 7.02.2023 um 12:20 Uhr
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    Ich bin fassungslos über den mitleidlosen, mit mageren Worten rechtfertigten Kadavergehorsam einiger meiner deutschen Landsleute, die sich bedingungslos NATO- und US-Propaganda unterordnen. Es ist eine Sache, den Aufenthalt Baabs zu kritisieren, aber eine andere, ihm die berufliche Existenz zu entziehen; und das ohne jede Diskussion, ohne Anhörung, ohne Rechtfertigungsmöglichkeit. Baab hat ja noch nicht einmal rechtfertigende Worte zur Invasion geäußert, sondern nur von den Verhältnissen dort berichtet. Das ist ein verdeckte Angriff auf die Meinungs-, Lehr- und Pressefreiheit – natürlich wird nicht mit offenem Visier, sondern wieder verlogen und kleinlich (einfach herrlich deutsch) durch die Hintertür agitiert. Es erinnert alles sehr, sowohl von der Wortwahl als auch von der Vorgehensweise, an den duckmäuserisch-belehrenden Ton, der in DDR üblich war. Hinterher war es wieder keiner gewesen und keiner hat mitgemacht – das kennen wir schon aus zwei deutschen Diktaturen.

  • am 7.02.2023 um 13:30 Uhr
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    Achtung: War man in den achtziger Jahren als Journalist für die hiesige Tageszeitung in Basel auf Reportage während einer Jugend-Demo und stand auf der «falschen» Seite, so bekam man entweder Tränengas von der Polizei ab, oder musste vor dem «Mob» als «Bullenspion» flüchten… Unterschiedliche Perspektiven zu beleuchten zu versuchen, ist die Hauptaufgabe eines Reporters. Nur so kann der Leser/Hörer/Zuschauer die Lage und das Problem einigermassen einzuschätzen versuchen.

  • am 7.02.2023 um 16:29 Uhr
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    Ich habe diesen Beitrag mit immer grösser werdender Fassungslosigkeit gelesen.
    Ich kann nicht glauben das sich so angeblich hoch qualifizierte Hochschulleiter zu so einem Statement und Verhalten hergeben.
    Ein Verhalten welches jeder «Bananenrepublik» zur Ehre gereichen müsste.
    Wozu hat die Bundesrepublik Deutschland eigentlich noch ein Grundgesetz?
    Personen die so etwas veranstalten sind sicherlich kein Aushängeschild ihrer Lehranstalt, eher ein trauriger Beleg dessen was da gerade in der Welt passiert und wo man eigentlich als demokratischer, freiheitlicher Westen stolz darauf sein müsste dass gerade das, – NICHT passiert.

  • am 7.02.2023 um 17:24 Uhr
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    Dieses ständige und zunehmend total(itär)ere Sich-Rechtfertigen-sollen für jedes einzelnen Europäers Grundrechte und Persönlichkeit, diese Beweislastumkehr, finde ich falsch und kaum erträglich. Ich trete gegen die USA auf und halte es mit dem Buch von Rolf Winter (war Chefredakteur von Stern und GEO): «Ami go home» (Taschenbuch – 1. Januar 1989).

  • am 8.02.2023 um 02:47 Uhr
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    Mir fehlen die Worte! Der Westen kritisiert lauthalsig, dass im bösen Russland weder Rede-noch Meinungsfreiheit herrscht, aber selber sieht er den Balken im eigenen Auge nicht.

  • am 8.02.2023 um 09:08 Uhr
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    Wir sind Zeitzeugen und können live mitverfolgen, wie längst nicht mehr «nur» die Presse- und
    Meinungsfreiheit den Bach runter gehen.
    Auch die Unantastbarkeit des Eigentums, die Rechtssicherheit und die Unabhängigkeit der Justiz werden Schritt für Schritt abgeschafft und damit die Gewaltentrennung und die Demokratie.
    Das Individuum wir mehr und mehr als «Querdenker» diskreditiert. Die Individuen, die Menschen, stören den «übermächtigen, heiligen» Staat, welcher uns sein Weltbild über eine in den öffentlichen Medien kreierte, öffentlichen Meinung vorschreiben will und so auch die Regierung über Bande lenkt.
    Parallelen zum Untergang Roms werden immer deutlicher.

    • Favorit Daumen X
      am 8.02.2023 um 09:16 Uhr
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      Ist die Macht der internationalen Konzerne eventuell grösser als die Macht von Staaten?

      • am 8.02.2023 um 11:57 Uhr
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        Ja, schon lange. Die Wirtschaft und relegiöse Gruppen bestimmen mit ihren Wahlkampfgeldern beispielsweise, wer in Amerika Präsident wird. Daran ist nichts neues. Nur empfinde ich die Einmischung in die Politik immer hochgradiger und offener. In Europa ist das zwar nicht so offen zu sehen, aber die Politik wird zusehends immer Bürgerfeindlicher.

  • am 8.02.2023 um 16:11 Uhr
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    Seit einem Jahr sind wir hier im Westen einer Propagandawalze ausgeliefert, wie ich sie noch nie erlebt habe, einer emotionalen Kriegshetze, einer multimedialen Verurteilung der «Versteher», einer Aggressivität gegenüber Friedfertigen. Es ist ein Irrsinn, der, wenn er nicht gestoppt wird, in der Katastrophe endet.

  • am 9.02.2023 um 12:33 Uhr
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    Die Headline lautet ja:
    „ Deutsche Journalisten sollen nicht vom Donbas aus berichten“
    Nun geht es um einen Einzelfall, suggeriert aber, das kein deutscher Journalist in den Donbas darf, quasi Zensur. Zu diesem Schluss kommen dann erwartungsgemäß auch einige Kommentar-Beiträge.

    Dem ist natürlich nicht so, anbei einige aktuelle Beiträge bekannter Medienvertreter. Das ZDF unter anderem auch in Kooperation mit der russischen Armee.
    https://m.youtube.com/watch?v=u6fD59k4nLw
    https://m.youtube.com/watch?v=F023NvsUWvE
    https://m.youtube.com/watch?v=-ADhMg7-euI

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