Kommentar

kontertext: Morgenplauderei, die einem die Musik vergällt

Mathias Knauer* ©

Mathias Knauer /  Im Überlebenskampf greift das Kulturradio zunehmend zu Methoden, die Bindung der Hörerschaft mit salopper Nähe zu erschleichen.

Einen guten Morgen wünsch ich. Und dass wir sanft in den frühen Mittwoch hineingleiten, dafür hat Musikredaktor NN gesorgt, mit dieser Romanze von Robert Schumann.

Moderator von Radio SRF2 Kultur

Die Erosion aller bewährten Formen der Radiokultur schreitet voran. An Stelle von Verfeinerung der Kommunikation, Fokussierung auf das Wesentliche und Kreative, Förderung neuer Autorinnen und Autoren mit Rückgrat und Profil – statt also einer Steigerung der gestalterischen Intensität – wird dem Publikum und den Kulturschaffenden im Namen einer kulturell verantwortungslosen Unternehmenspolitik ihr Medium schrittweise enteignet. Das findet ohne Austausch mit den Betroffenen und ohne deren kreatives Mitgestalten statt, und auch die Trägerschaften, die seit langem das Stillesitzen und das Schönreden aller Kapriolen der Programmpolitik eingeübt haben, tragen den Kulturabbau mit, statt den wildgewordenen Dampfer SRG wieder an die Leine zu nehmen.

Wer wie der Schreibende Radio vor allem nachts und am frühen Morgen hört und mit dem musikalischen Geplärr der dominanten Privatkanäle wenig anfangen kann, sieht sich in Zürich per UKW heute auf den zweiten Kanal des SRF angewiesen. Das Programm «La Première» von RTS ist nur ganz schwach zu empfangen, «Espace 2» gar nicht, obwohl das den Regeln des Kulturaustauschs unter den Regionen zuwiderläuft; der Gebührenzahler wäre auf den kompressionsbehafteten DAB-Empfang angewiesen, der in der Wohnung nicht überall funktioniert, aufs Kabel oder gar auf die mediokren Internet-Streams (mit Zusatzkosten).

So bleibt mir nachts das roboterhafte «Notturno» und bin ich morgens auf das namenlose und nicht vorab angekündigte Programm angewiesen, mit dem uns aus dem Basler Studio in allerlei Varianten «Guten Morgen» gewünscht und mit lieblos zusammengestückelten Evergreens, Nebenwerken von bekannten Namen oder Petitessen von Kleinmeistern Munterkeit vorgespielt und eingehaucht werden soll.

Musikalität, Eleganz, Frische und eine unglaubliche Leichtigkeit, das bieten uns einmal mehr das italienische Barockensemble XY, hier zu hören mit einem taufrischen Finale presto von Josef Haydn.

Das Musikprogramm, das ich in der vergangenen Woche beobachtet habe, ist recht wirr zusammengesetzt aus Repertoirehäppchen vom Barock über die Vorklassik bis zur «gemässigten Moderne», manchmal mit Stücken von im Musikdenken des 19. Jahrhunderts steckengebliebenen Zeitgenossen, einschliesslich regelmässig Filmmusiken und manchmal Teppichgeweben der Minimal Music.

Programmloses Programm

Das musikalische Morgenprogramm von 6 bis 9 ist eigentlich gar kein Programm, sondern schlicht eine Strecke von Stücken, der eine Frauen- oder Mannsperson mit launigen Sprüchen den Schein von Zusammenhang zu geben hat. Solche Überleitungen klingen dann etwa so:

… Und vom Saiten anschlagen jetzt zum Saiten streichen …

… Und Nicola B. führt uns jetzt in die Opern. Die schottische Geigerin mit italienischen Wurzeln, sie spielt, beziehungsweise singt auf ihrer Geige eine Arie aus der Oper «Die tote Stadt» von Erich Wolfgang Korngold, die Arie «Glück, das mir verblieb».

Doch in eine Oper hat uns diese verkitschte, bombastisch verhallte Instrumentalversion der humorig angekündigten Arie aber keineswegs geführt. Dort nämlich würde die Akustik den Klang durchhörbar lassen, dort hätten die merkwürdigen Oktavierungen den Gesang der Marietta koloriert, und nicht die – den Gesang vor dem Guten-Morgen-Hörer versteckende – Sologeige puccinihaft einfältig verdoppelt. Aber eben: Gesang ist in den sogenannten Begleitprogrammen weitgehend Tabu.

So interessant es ist, den frühbegabten Korngold, der, von den Nazis vertrieben, in den USA als gefragter Filmmusikschreiber endete, als eine Figur der in die Krise geratenen tonalen Epoche zu studieren: seine Oper, die heute wieder aufgeführt wird, hätte Besseres verdient, als dem Radio als morgendlicher Seelenwärmer zu dienen. Da hätte man lieber die Schallplattenbearbeitung gehört, die der im Schweizer Internierungslager Girenbad verstorbene Joseph Schmidt 1933 eingespielt hat.

Nach diesem Stück dann zur Überleitung:

Der Komponist Josef Bohuslav Förster, auch er hat viele Opern komponiert, wir aber hören jetzt eine Kammermusik von ihm, ein allegro moderato für Bläserquintett.

Das abschätzige «ein» und «eine» verrät selber schon, dass hier nicht beabsichtigt ist, dem Hörer eine Komposition nahezubringen, sondern dass umgekehrt die Musik dem eigentlichen Sendungszweck zu dienen hat: das Publikum beim Rasieren oder Stullenschmieren zu unterhalten.

Statt etwas Wesentliches zur Komposition auszusagen, werden also typischerweise Äusserlichkeiten angesprochen, die auch ein oberflächlicher Hörer leicht selber feststellen kann; das Stück dagegen bleibt ohne hilfreiche Ansage und bleibt sehr oft bis zur Absage titellos und anonym:

Einen guten Morgen wünscht NN am Mikrofon. Und viiiel Klavierklang gibt es jetzt zum Auftakt, sehr viel Klavierklang sogar – kraftvoll fegt XY über die Tasten, in diesem Prélude von S. Rachmaninow …

Und jetzt auf SRF2Kultur das spanische Nationalinstrument gleich im Viererpack … Das Eos guitar quartet scheint sich auch wie zu Hause zu fühlen bei dieser Musik des Spaniers Manuel de Falla.

Trompetengold

Immerhin soll uns etwas Fachkundigkeit vorgegaukelt werden. Der Hörer soll vermuten, dass das Personal in Basel weiss, was ein Fagott, ja sogar was ein urseltenes Möbel wie eine Stockblockflöte ist, die der Musikbetrieb, um bei heutigen Funkhäusern den Bedarf an kuriosem Krempel zu bedienen, aus dem Kabuff geholt hat, so dass sie nun per «Hundert Sekunden Wissen» vergangene Woche unser Morgenmagazin alimentieren konnte.

«Und jetzt mit einem tiefen Holzblasinstrument, das wieder einmal solistisch auftrumpfen darf, das Fagott, in einem Konzert von Johann Antonín Koželuh.

Das «darf» in diesem verknorzten Satz meint natürlich keine Kritik am Sendungsmanagement, an banausischen Ideologen im Oppenheim-Haus oder an höheren an der Berner Giacometti-Strasse.

Anekdotisches statt Hinweise auf Kontext und Faktur

Nicht selten setzen sich die Absager selber mit parapoetischen Exkursen ins Profil. Man bekommt so einen länglichen Exkurs zu «Rennbesen» aus dem Harry-Potter-Land vorgetragen, nur um den Übergang zum Abspielen einer absolut belanglosen Filmmusik zu verwedeln, die der Vielschreiber John Williams laut Moderator einem solchen Besen «gewidmet» hat. Man will à tout prix die Jugend bedienen und probiert eben alles Mögliche aus.

An anderer Stelle wurde uns unerwartet der halbe Plot der Rossini-Oper «L’inganno felice» resümiert – «Es ist ein beliebter Opernplot: eine Frau wird von ihrem Geliebten verstossen» etc. pp. –, nur um dann bloss die Ouvertüre abzuspielen, zu deren Verständnis oder gar Interpretation solche Informiertheit natürlich absolut nichts beitragen kann, ja eher hinderlich ist, sich dem Stück zuzuwenden, von dem der Komponist nicht ahnen konnte, dass es in einem Schweizer Radio des 21. Jahrhunderts als Amputat verwertet werden würde.

Natürlich darf man nicht jede improvisierte Eselei dieser Absagediener auf die Goldwage legen. Zumal diese Leute möglicherweise – wie ein Schreckensbeispiel aus dem WDR, das im deutschen Musikmagazin VAN dokumentiert ist, zeigt – wohl auch bei uns bedroht sind, entlassen zu werden, wenn sie nicht spuren. Einem langjährigen, prominenten Sendungsmacher beim WDR bedeutete eine im Zuge der «Transformation» neu installierte Vorgesetzte, wenn er die neue Schnoddrigkeit nicht mitmache, habe er zu gehen: «Das geht nicht, das war zu lang, das war zu anspruchsvoll, wir haben doch besprochen, dass …» Ich habe mich gewehrt und dann wortwörtlich gesagt gekriegt: «Hier wird nicht diskutiert, wir bezahlen Sie dafür, dass Sie das tun, was wir von Ihnen verlangen. Wenn Sie dazu nicht bereit oder in der Lage sind, müssen wir entsprechende Konsequenzen ziehen.»

Der Mann hatte Anstand und ist nach 34 Jahren beim WDR weggegangen.

Ob derlei sich auch in unserem Radio zutragen könnte, ist von aussen, beim abgebrochenen Dialog der SRG mit dem Kulturschaffen und bei der traditionell medienpolitisch wenig aufmüpfigen Belegschaft, schwer zu sagen.

Enteignung des Hörers

Der weitgehende Verzicht auf informative Ansagen

… und jetzt kurz nach sieben mit Musik von Bach, einen guten Morgen wünschen wir!

behindert, zwar gewiss nicht bei Bach, doch bei unbekannten Kompositionen, das genaue Zuhören – es scheint aber gerade Absicht zu sein, ein allzu aufmerksames Hören zu «moderieren». Das ist besonders problematisch, wenn statt der Originale – wie es fast täglich vorkommt – abenteuerliche Bearbeitungen abgespielt werden. Beliebt sind Verkitschungen auf dem Akkordeon oder durch Saxofonensembles; Scarlatti wird nicht auf dem Cembalo, sondern auf dem Pianoforte oder einer Kirchenorgel gespielt und dergleichen mehr. Es kommt dazu, dass die Sprecher ständig lauter gepegelt werden als die Musik, namentlich lauter als die überdies schon durch Kompression verzwergten Orchestertutti. Beides torpediert die Kommunikation mit den Werken. Musik wird uns nicht vermittelt, sondern enteignet.

Parasoziale Kommunikation

Im Überlebenskampf des Mediums verengt sich das Reden über die Musik im Kulturkanal zu dem, was die Wissenschaft als phatische Kommunikation bezeichnet: auf ein Reden, mit dem einzig ein Schein von Nähe erzeugt werden soll. Es borniert sich die Rede darauf, «Kontakt» zwischen der Hörerschaft und dem Medium herzustellen, aufrechtzuerhalten und zu pflegen.

Der Zürcher Sprachwissenschafter Harald Burger hat das im Buch über «Mediensprache» eingehend untersucht. Solche «parasoziale» Kommunikation war gewiss immer eine, aber eben marginale Dimension der elektronischen Medien – in der Frühzeit des Fernsehens haben sich Zuschauer rasiert und schön angezogen, um der charismatischen Ansagerin Heidi Abel gegenüberzusitzen, derweil diese im Studio für die Kamera nur bis unterhalb der Tischkante korrekt angezogen war.

Phatische Moderation drängt sich heute auch bei Kulturprogrammen mit senderspezifisch gepflegtem Mundgeruch in unseren Lebensraum, statt uns in den Sinnzusammenhang des Kunstwerks zu entführen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschaftler, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l’audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u. a. das Dossier Medienpolitik betreut.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder. Die Redaktion betreuen wechselnd Mitglieder der Gruppe.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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4 Meinungen

  • am 3.11.2021 um 10:27 Uhr
    Permalink

    Der Qualitätssturz bei SRF2 ist ein Fakt und überall spür- bzw. hörbar. Ein weiteres Beispiel: Vor zweieinhalb Monaten habe ich interveniert, als die Sendelänge von Kontext unvermittelt halbiert wurde. Meine E-Mail an die Redaktion – leicht gekürzt:
    «Bei der Ansage der Sendung «Kontext» wurde heute wiederholt annonciert, die Sendung komme neu in «kompakter Form» daher und dauere 30 Minuten. Das ist reinster Newspeak und soll wohl bemänteln, dass das Sendegefäss «Kontext» im Umfang einfach halbiert wurde. Da anzunehmen ist, dass Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer überdurchschnittlich intelligent sind, wird dieser Newspeak kaum verfangen. Hinzu kommt, dass die Sprachregelung «kompakte Form» bösartigerweise auch so ausgelegt werden könnte, dass «Kontext» bisher zur Hälfte Überflüssiges gesendet hat. Dieser Meinung bin ich nicht, und ich darf wohl annehmen, dass auch Sie von Ihrer bisherigen Arbeit überzeugt waren und deshalb zu Recht der Auffassung sind, man könne diese Arbeit nicht einfach halbieren. Weshalb stehen Sie dann nicht einfach zur nackten Wahrheit und benennen die Innovation als das, was sie ist, nämlich als Halbierung?
    (…)
    Insofern gibt es für mich eine einzige Halbierungsmassnahme, die ernsthaft zu diskutieren wäre: Die Halbierung des Pensums von Frau Wappler, in der Hoffnung, der von ihr angerichtete Schaden möge sich ebenfalls halbieren.»
    Die Antwort, die ich erhielt, war zwar ausführlich, aber völlig unbefriedigend – der reinste Newspeak.

  • am 3.11.2021 um 13:57 Uhr
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    Wer Anstand hat, geht anstandslos von dannen.

  • am 4.11.2021 um 01:37 Uhr
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    Hab mich auch weitgehendst von DRS2 verabschiedet. Bayern-Klassik ist eine Alternative oder RTS Espace2. Die können’s besser. Oder die dürfen’s besser. Die «parasoziale» Kommunikation ist ein verbales Angebot, das von der Werbewelt immer mehr in Tätigkeitsbereiche mit Verantwortung schwappt, um sie scheinbar attraktiver zu machen. Eben z.B. bei bis anhin hörbaren Sendern, ist aber auch in der Bildung angekommen. Newspeak anstatt Lehren und Lernen.

  • am 8.11.2021 um 12:24 Uhr
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    Ich gehe weitgehend mit dem Kommentar und den Ergänzungen dazu einig. Der Verlust an Qualität, Eigenheit und Relevanz hat schon vor Jahren begonnen und wenn man erst jetzt klagt, dann frage ich mich schon, was denn die heutigen Klagenden denn früher gehört haben. Ich habe mich darob vor Jahren ganz vom Medium Radio verabschiedet. Die abgeschmackte Sause (von damals) war einfach unerträglich und ich nehme mal an, dass sich dies bisher nicht gebessert habe.

    Auch wenn man keine grosse Nähe zum Geschehen hat, war es schon vor Jahren sichtbar, wie dieser Abbau von Qualität von der Leitung befohlen und gefördert wurde. Obschon es da vielen bewusst war, was geschehen wird und dass es nicht nur der Kultur an sich schaden wird, sondern dem gesellschaftlichen Ganzen. Das alles hat man sehr wohl sehen kommen und es trotzdem gemacht. Das nenne ich Vorsatz.

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