Sperberauge

«Fett-weg-Spritzen»: Berater mit Interessenkonflikten

Martina Frei © zvg

Martina Frei /  Wissenschaftler und britische Ärztevereinigung verschwiegen finanzielle Verflechtungen mit dem Hersteller.

Das britische «Nationale Institut für Gesundheit und Pflegeexzellenz» (NICE) ermittelt, welche Medikamente und Behandlungen einen Nutzen haben und darum angewendet und bezahlt werden sollen. Im Mai 2022 hiess das NICE das neue Abnehm-Medikament «Wegovy» unter bestimmten Voraussetzungen gut, nachdem es 2020 bereits für die «Fett-weg-Spritze» «Saxenda» das OK gegeben hatte.

Was die Öffentlichkeit erst im März 2023 erfuhr: Mindestens drei der Experten, die das NICE vor seiner Entscheidung betreffend «Wegovy» konsultierte, hatten vom «Wegovy»-Hersteller Novo Nordisk Geld erhalten.

Der britische Professor John Wilding präsidierte zu jener Zeit die «World Obesity Federation», die von Novo Nordisk im Verlauf dreier Jahre über 4,3 Millionen britische Pfund an Sponsorengeldern erhielt. Gegenüber dem NICE habe er diesen Interessenkonflikt nicht angegeben, berichtete «The Observer». Ausserdem habe Wilding über 19’000 britische Pfund von Novo Nordisk für Dienstleistungen bekommen, was er offenlegte.

Auch das «Royal College of Physicians», die königliche Ärztevereinigung in Grossbritannien, unterliess es gegenüber dem NICE zu erwähnen, dass es über 100’000 Pfund von der Pharmafirma bekommen hatte. 

«Die ‹UK Association for the Study of Obesity› (ASO) teilte dem NICE immerhin mit, eine ebenso hohe Summe bekommen zu haben», so der «Pharma-Brief». Die ASO wiederum sei Mitglied in der «European Association for the Study of Obesity» und der «World Obesity Federation», die sich beide ebenfalls für Wegovy stark gemacht hätten. «Beide Verbände deklarieren nicht, dass sie Millionen Pfund Unterstützung von Novo Nordisk bekamen und diese einen bedeutenden Teil ihrer Budgets ausmachen» fasst der «Pharma-Brief» die Verwicklungen zusammen.

Alle Beteiligten wiesen es strikt von sich, dass die Zahlungen sie beeinflusst hätten. Auch den Vorwurf der orchestrierten PR-Kampagne liess Novo Nordisk nicht auf sich sitzen. Die Pharmafirma betonte gegenüber «The Obeserver», dass sie auf «transparente und ethische Weise» im Einklang mit «strengen regulatorischen Rahmenbedingungen» gearbeitet habe.

Novo Nordisk versorgte Gesundheitsfachpersonen mit einseitigen Informationen

Wegen unlauterer Werbepraktiken rügte der britische Verband der Arzneimittelhersteller den «Wegovy»-Hersteller Novo Nordisk im Frühjahr 2023. «Novo Nordisk ist wegen schwerwiegender Verstösse gegen den Industriekodex, die das Vertrauen in die pharmazeutische Industrie unterminieren können, für zwei Jahre aus dem Verband der britischen Pharmaindustrie (ABPI) ausgeschlossen worden. Unter anderem hat die Firma versäumt, ihr Sponsoring von Online-Trainingskursen für Fachkreise offenzulegen», berichtet das «arznei-telegramm».

Novo Nordisk hatte in Grossbritannien mehrere Tausend Gesundheitsfachleute in Kursen geschult. Die Vortragenden erwähnten dort zwar die Nebenwirkungen von älteren Konkurrenz-Medikamenten zum Abnehmen wie zum Beispiel «Xenical», nicht aber jene des Novo Nordisk-Produkts «Saxenda». Diese Unausgewogenheit störte den britischen Verband der Arzneimittelhersteller. Laut dem «British Medical Journal» ist dies das achte Mal in der 40-jährigen Geschichte des Verbands, dass ein Mitglied suspendiert wurde.

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➞ Lesen Sie hier: «Wie Novo Nordisk bei Übergewichtigen absahnt»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • Werner_Vontobel
    am 20.09.2023 um 18:51 Uhr
    Permalink

    Gegenüber der SonntagsZeitung hat Prof. Philipp Gerber der Fett-weg-Spritze Wegovy ein «insgesamt ein sehr gutes Nebenwirkungsprofil» bescheinigt. Zu den häufigsten Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Probleme wie Übelkeit, Durchfall, Verstopfung, Erbrechen oder Bauchschmerzen, meinte Gerber: «Meistens verschwindet das wieder nach ein paar Wochen». Beruhigend? Auf pharmagelder.ch erfährt man, dass Gerber von 2020 bis 2022 von Novo Nordisk 9377 Franken kassiert hat. Das ist zwar nur ein Bruchteil der gut 22 Millionen Franken die Nordisk seit 2015 an Schweizer Ärzte bezahlt hat, doch die LeserInnen der Sonntagszeitung hätten wohl doch gerne gewusst, dass ihr Kronzeuge nicht ganz unbefangen ist.

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