Mann sitzt mit Handy auf Toilette

Die «smart toilet» schickt ihre Diagnosen und Befunde per App aufs Smartphone. © AndreyPopov / Depositphotos

Erfinder der «smarten Toilette» erhält Nobelpreis für Kurioses

Martina Frei /  Die Zeitschrift «Annals of Improbable Research» an der Harvard-Universität in Cambridge vergab zum 33. Mal Ig-Nobelpreise.

Mit Ig-Nobelpreisen werden kuriose Forschungsarbeiten geehrt, die Menschen «zuerst zum Lachen, dann zum Denken» bringen sollen. Der Name Ig ist ein Wortspiel: Ignoble bedeutet etwa «unwürdig» oder «unehrenhaft». Unehrenhaft sind die gewürdigten Forschungen zwar nicht, aber sehr speziell.

Einer der soeben Geehrten ist der südkoreanisch-amerikanische Forscher Seung-min Park. Er erfand die sogenannte Stanford-Toilette – ein Klo, das mit verschiedenen Hilfsmitteln die von Menschen ausgeschiedenen Substanzen analysiert. «Verschwendet eure Ausscheidungen nicht», erklärte Seung-min Park bei seiner kurzen Dankesrede zur Preisvergabe. 

Seine Erfindung ist eines der bisher ausgefeiltesten «smarten» WCs. Er hatte es in der Fachzeitschrift «Nature Biomedical Engineering» vorgestellt. Zusammen mit Kolleginnen entwickelte er eine Klobrille mit Aufsatz, die viele Menschen wohl nicht einmal geschenkt haben möchten – und die ethische Fragen aufwirft.

Mehrere Kameras schauen zu

Infosperber informierte am 9. März 2023 darüber. Parks Prototyp erfasst mit Hilfe von Sensoren, kleinen Videokameras an der Klobrille, Analysegeräten und Computern Dutzende von Parametern. Ein Sensor auf der Sitzfläche etwa misst, wie lange der Benutzer auf dem WC sitzt und wie lange die Defäkation dauert. Eine Kamera filmt die Stuhlbeschaffenheit. So erkennt der Computer, ob der Benutzer beispielsweise an Verstopfung leidet oder an Durchfall. 

smart toilet
Der Prototyp mit Drucksensor (1), Bewegungssensor (2), Urinanalyse-Streifen (3), Stuhlkamera (4), Kamera für den After (5) und Harnfluss-Kamera (6).

Das WC warnt

Hochgeschwindigkeitskameras messen, wie oft jemand Wasser löst, die Harnmenge, die Entleerungszeit der Harnblase, die maximale Flussrate. Beim Nachtröpfeln haperte es mit der Messgenauigkeit allerdings noch, wie Experimente zeigten – ein potenzielles Manko beispielsweise bei der Verlaufsbeobachtung der Prostatavergrösserung, welche die smarte Toilette dereinst ermöglichen soll. 

Anstatt einen Teststreifen von Hand in den Urin zu tauchen, erledigt Parks WC das selbst. Mikroskopische Blutspuren, Hinweise auf Blasenentzündung, erhöhte Eiweissausscheidung … insgesamt zehn krankhafte Veränderungen analysiert das WC und setzt eine Meldung ab, wenn etwas nicht stimmt. So das Fernziel. 

Personenerkennung anhand der Afterrosette 

Weil eine Toilette meist von mehreren Personen benützt wird, sei die Benutzeridentifikation entscheidend. Seung-min Park und seine Kolleginnen und Kollegen bieten dafür zwei Lösungen an: Beim Betätigen der WC-Spülung erkennt ein Sensor den Fingerabdruck und kann die Urin- und Stuhl-Daten so einer Person zuordnen. 

Oder man benützt statt des Fingerabdrucks den «Analabdruck» als Erkennungsmerkmal. Dazu filmt eine Kamera die «Region des Interesses», in diesem Fall den After. Anhand der Aufnahmen weiss der Computer, wer sich gerade auf der smarten Toilette erleichtert. 

Ein Herz-EKG auf der Toilette machen

Noch haben Park und seine Kollegen nicht alle Funktionen in einem WC-Aufsatz integriert, aber das soll kommen. «Die Toilette wird schliesslich als tägliche Klinik für das kontinuierliche Monitoring menschlicher Ausscheidungen dienen», prophezeien sie.

Andere Forschergruppen experimentierten mit «e-Nasen», welche den Harngeruch untersuchen. Oder sie trainieren die «smart toilets» auf Geschlechtserkennung, Körperfettmessung, Messung des Körpergewichts oder das Aufzeichnen der Herzströme, während die Versuchspersonen auf der Klobrille sitzen.

Urin als «das neue Blut»

An der Tech-Messe CES in Las Vegas stellten mehrere Firmen im Januar 2023 ihre Produkte fürs stille Örtchen vor, das nun ein High-Tech-Labor werden soll. Da ist zum Beispiel der WC-Aufsatz von «Olive Diagnostics», der auf die Klobrille montiert wird. Laut Hersteller diagnostiziert das Gerät mit Hilfe von Photodioden Harnwegsinfekte, Nierensteine, Verstopfung, Dehydrierung und Herzversagen. «Urin ist das neue Blut», ist man bei der Firma überzeugt. 

Die Frage nach der Anzahl richtiger, falsch-positiver und falsch-negativer Ergebnisse beantwortet der Hersteller ausweichend: Bezüglich der Pinkelfrequenz, der Dauer und der Harnmenge habe man bereits «starke, genaue Resultate». Was die Urinanlaytik betreffe, erwarte man in den nächsten sechs Monaten erste «starke, genaue Resultate». Das spezielle Gerät sei derzeit an einer Handvoll Orte in den Niederlanden im Einsatz.

Darmkrebs-Früherkennung als Fernziel

Wenn es nach den Tüftlern geht, könnten smarte Toiletten dereinst ein ganzes Potpourri an Diagnosen stellen und zum Beispiel automatische Früherkennungstests auf Blut im Stuhl zum Darmkrebs-Screening durchführen, Darmentzündungen, Zyklusunregelmässigkeiten, sexuell oder anderweitig übertragbare Krankheiten frühzeitig erkennen, bei schlechter Nahrungsverwertung oder zunehmender Dehydrierung warnen, Schwangerschaftstests oder Drogenscreening machen, Veränderungen der Darmflora analysieren und vieles mehr. 

Diskret, schmerzfrei und bequem sei das, lobte Wissenschaftler Savas Tasoglu die Vorteile. Er arbeitet an der türkischen Universität Koç und am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme.  die Vorzüge. «Das ultimative Ziel» sei es, die erhobenen Daten via PC oder Smartphone in Echtzeit mit dem Benutzer und seinen medizinischen Betreuern zu teilen. 

Es hapert an der Akzeptanz

Doch wollen die Benutzer das wirklich alles wissen? Selbst unter 300 Studierenden der Elite-Universität Stanford im Silicon Valley, an der Seung-min Park und sein Team die smarten Toiletten entwickeln, gab in einer Umfrage fast jeder Dritte an, er oder sie fühle sich nicht wohl bei dem Gedanken, so ein WC zu benützen. Vor allem der «Analabdruck» sowie die Kameras, die Benutzer bei ihren Verrichtungen filmen, stiessen auf Ablehnung. 

Schon im April 2022 hatte Tasoglu im Fachmagazin «Nature Reviews Urology» vom «toiletten-basierten Gesundheitsmonitoring mit Hilfe von Urin» berichtet. Was die Kameras betrifft, hatte Tasoglu bereits eine Idee: Der Harnfluss liesse sich auch mit Hilfe von Ultraschall messen. «Das könnte die Akzeptanz bei den Benutzern erhöhen», schrieb er. 

Die High-Tech Klobrille wirft viele ethische Fragen auf

Auch ethische Fragen sollten erst noch gelöst werden, zum Beispiel: 

  • Kann ein Mensch, der dringend aufs WC muss, tatsächlich freiwillig den Urin- oder Stuhlanalysen zustimmen, wenn das einzige erreichbare WC in dem Moment eine «smart toilet» ist? 
  • Sind die Daten, die in privaten Badezimmern oder an öffentlichen Orten installierte, smarte Toiletten erheben, als Gesundheitsdaten zu betrachten, die speziell geschützt werden müssen? 
  • Was ist, wenn die «smart toilet» in einem Land, in dem Schwangerschaftsabbrüche verboten sind, merkt, dass eine seit kurzem schwangere Frau wieder menstruiert? 
  • Was, wenn die «smart toilet» illegale Drogen im Urin findet oder eine Alkoholabhängigkeit erkennt? 
  • Was geschieht mit den Daten, die weitergegeben werden?

In einem Anfang Februar erschienen Artikel in «Science Translational Medicine» weisen Seung-min Park und mehrere Kolleginnen selbst auf diese Punkte hin. Ausserdem müsse noch geklärt werden, in welchen Abständen die «smart toilets» Urin- und Stuhlanalysen durchführen und ab wann ein Wert als krankhaft gelten soll. 

Der Nutzen ist noch nicht erwiesen

Noch ist gar nicht klar, ob die Toilettenbenutzer von verfrühter und verstärkter Krankheitserkennung in jedem Fall profitieren – möglicherweise verlängert ein solches Frühwarnsystem nur ihre Angst- und Leidenszeit mit einer Diagnose, treibt die Gesundheitskosten hoch oder schadet den Betroffenen sogar, weil es zu Fehldiagnosen führt oder zu unnötigen «Überbehandlungen» von Krankheiten.

Dass da noch gewisse Hürden zu überwinden sind, ist auch den Forschenden klar. Trotzdem glauben sie an die Zukunft der smarten WCs: Akkurat, verlässlich, kosteneffizient, komplett automatisiert würden diese dereinst funktionieren. Und nebenbei liessen sich damit ganz viele Daten für die Wissenschaft sammeln – auch von Personen, die bisher kaum an Studien teilnehmen, weil sie keine Zeit dafür haben oder in einem Heim sind.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

  • Berichte über andere diesjährige Preisträger hier und hier.

Zum Infosperber-Dossier:

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Für die Gesundheit vorsorgen

Meistens wird die Prävention nur finanziell gefördert, wenn jemand daran verdienen kann.

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Eine Meinung zu

  • billo
    am 19.09.2023 um 13:45 Uhr
    Permalink

    Solang ich freiwillig entscheiden kann, ob und wann ich solche Daten generieren will, und solange die Daten mir gehören und ich bestimme, wer sie zu sehen bekommt: ja, warum nicht, die Idee ist ja nicht blöd.
    Ich fürchte allerdings: Sind smarte Klos einmal breiter eingeführt, wird die Lust gewisser Supergesundis und Obercontrolettis auf ein Obligatorium schwer zu verhindern sein – siehe die neue Rechtslage betreffend Organentnahme, die quasi von einem Obligatorium ausgeht, falls ich es rechtzeitig verpasst habe, Widerspruch einzulegen. Als ob es ein Spass wäre, als Hirntoter ausgeschlachtet zu werden – und als ob künstliche Lebensverlängerung ein einklagbares Menschenrecht wäre und nicht das Vorrecht von Menschen in Ländern, die es sich leisten können und in denen unablässig die falsche Rede von «zu wenig verfügbare Organe» zu hören ist. Das hat nun zwar mit dem smarten Klo direkt nichts zu tun, viel aber mit dem Geschäftsmodell hinter diesem ganzen System.

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