Schluss mit politischer Korrektheit, aber richtig

Jürgmeier /  Satiriker nimmt Politikerin beim Wort. Die findet das nicht lustig. Das Gericht weist ihre Klage ab. Eine schadenfreudige Satire.

Liebe Frau Weidel [*]

Entschuldigen Sie die etwas vertrauliche Anrede, aber wer hierzulande Steuern bezahlt, ohne unseren Angestellten in Spitälern, Alters- und Pflegeheimen sowie in öffentlichen WC-Anlagen den Arbeitsplatz wegzunehmen, wird bei uns als lieber und willkommener Gast behandelt. Im Gegensatz zu jenen, die aus irgendwelchen Nöten unsere Grenzen unsicher machen. So will es der Brauch. Ihnen als «Teilzeitmigrantin» – wie die Medien in Ihrem eigenen Land Sie wegen Ihrer offiziellen Anmeldung im schweizerischen Biel genüsslich tituliert haben – müssen wir ja nicht wie der deutsche Steuerzahler dem von Ihnen auf Facebook beklagten «Millionenheer von ungebildeten Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika eine Rundumsorglos-Vollversorgung finanzieren» (zitiert aus «Schwarzbuch AfD», CORRECTIV). Sie sind ja deutsch und gebildet. Ihren «Lebensmittelpunkt» haben Sie in Deutschland. Weil sie da gemäss der «Persönlichen Erklärung der Spitzenkandidatin Alice Weidel» vom 1. Mai 2017 «ehrenamtlich und aus voller Überzeugung Politik für die AfD in Deutschland» machen, «ohne einen Cent dafür zu erhalten». In der Schweiz haben Sie nur einen «Zweitwohnsitz».

Gar nicht nett

Es ist, wie das Schiessen, Bestandteil unserer nationalen Genetik, dass wir uns für Gäste interessieren, deshalb habe ich verfolgt, wie in Ihrem Heimatland mit Ihnen umgesprungen worden ist, nachdem Sie am 23. April, zusammen mit Alexander Gauland, zum Vorzeigepaar der AfD im bevorstehenden Bundestagswahlkampf gekürt worden sind. Wenn sie meine schwachen Spuren in der «Lügenpresse» wahrnähme, würde mich Ihre Partei vermutlich als «Gutmensch» einstufen, was ja nicht wirklich eine Beleidigung ist. In der Schweiz sagte die von Ihnen bewunderte SVP denen schon vor vielen Jahren «Linke und Nette». Deshalb finde ich es gar nicht nett, dass Sie in einer deutschen Satire-Sendung als «Nazischlampe» diffamiert worden sind. Wo es doch gar keine Nazis mehr gibt. Es ist purer Sexismus, eine Frau als Schlampe zu bezeichnen, nur weil sie sexuelle Neigungen hat und diese auch auslebt. Das machen sonst nur Moslems, deren Kultur Sie als «archaisch» qualifizieren.

Ihre Partnerin, so ist in Ihrer «Persönlichen Erklärung zum Thema ‹Schweiz›» auf Facebook nachzulesen, lebt in der Schweiz. «Unsere Kinder leben bei ihrer Mutter, so dass ich mich wie jedes berufstätige Elternteil selbstverständlich darum bemühe, die wenige freie Zeit bei meiner Familie zu verbringen, wenn meine Familie nicht bei mir in Deutschland ist.» Toll, so eine multisexuelle Familie. Aber den Geschlechter- und Familienvorstellungen der AfD entsprechen diese durchgegenderten, nationale Grenzen und heteronormative Schranken überschreitenden Familienverhältnisse nicht wirklich. Da glauben sie immer noch an den Storch, äxgüsi, an die Storch. Beatrix von Storch, stellvertretende Vorsitzende der AfD und Mitglied des Europaparlamentes, weiss noch genau, wie das mit den Männern und den Frauen ist. Und sagt es auch öffentlich. Zum Beispiel im Club des Schweizer Fernsehens zu «60 Jahre EU». Ausgerechnet im verhassten Brüssel. Wo sie – wenn sie nicht gerade Rettungsschirme spannen oder Grenzen öffnen – über «Genderquoten, Gender Queer Trans BI» palavern, über diese «Kopfgeburten von Problemen, die der normale Mensch nicht hat». Sagt es am 9. Mai 2017: «Der Mann auf der Strasse weiss, dass er ein Mann ist, und überlegt nicht, ob er 48 andere Geschlechter am nächsten Tag einnehmen könnte, weil das alles sozial konstruiert ist, das sind so absurde Kopfgeburten, … das ist ein Dekadenzproblem.» Vielleicht müssen Sie mal mit Ihrer Kollegin reden.

Lieber Ziegenficker als Nazischlampe

Wie gesagt, ich finde es nicht recht, was der Satiriker Christian Ehring über Sie gesagt hat, ein Verstoss gegen die guten Sitten, gegen das, was Ihre Parteifreunde gerne als Political Correctness verhöhnen und Sarah Schaschek in der Zeit vom 18.5. schlicht «Respekt» nennt. Aber fordern nicht gerade Ihre Leute regelmässig, man müsse wieder sagen dürfen, was ist, reden wie einem oder einer der Schnabel gewachsen sei. Und haben nicht Sie am 23. April Ihren Parteitagskolleginnen und –kollegen zugerufen: «Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte»? Als hätten Sie ein Messer zwischen den Zähnen. Jedes Wort betont, Stich um Stich ins empfindsame Herz der Gutmenschen. Und haben Sie damit dem Satiriker von extra 3 (NDR) nicht – wie jene verheirateten Politiker von der christlich-fundamentalistischen Truppe, die sich in einem Puff oder mit einem heimlichen Geliebten am Oktoberfest erwischen lassen – eine Steilvorlage der Extraklasse geliefert, die er verwandeln musste? «Jawoll», spottete der am 27.4., «Schluss mit der politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazi-Schlampe doch recht. War das unkorrekt genug? Ich hoffe!» Sie haben umgehend geklagt, als hätten Sie nicht mit den satirisch gewachsenen Schnäbeln gerechnet. Was hat Sie eigentlich mehr beleidigt – der Nazi oder die Schlampe?

Das Landgericht Hamburg hat Ihre Klage «in allen Punkten» abgewiesen (Spiegel online, 17.5.) und verfügt, Sie hätten «die in Rede stehende Bezeichnung in ihrem Kontext hinzunehmen». Durch die «klar erkennbare und der Satire gerade wesenseigene Übertreibung» seien Sie in Ihren Persönlichkeitsrechten nicht so schwer verletzt worden, «dass die Meinungsfreiheit zurücktreten müsse». AfD-Sprecher Christian Lüth ist empört, das Urteil zeige, «wie weit man in Deutschland unter dem Deckmantel der Satire gehen kann …» (Zeit online, 17.5.). Da würde er am liebsten in die Türkei auswandern. «Satire, so fragwürdig sie auch sein mag, zur Strafverfolgung freizugeben, ist ein Anschlag auf die Freiheit, die Europa auszeichnet» (Spiegel online, 1.5.2017). So wurde Angela Merkel für ihren «Kniefall vor Erdogan» kritisiert, als sie damals entschied, «ein Strafverfahren gegen Böhmermann zuzulassen». Ausgerechnet von Jörg Meuthen, der einen Hälfte der Doppelspitze Ihrer Partei. «Er ist der Mann der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt.» Hatte Jan Böhmermann damals, nach trickreicher Einleitung, in seinem Neo Magazin Royale geschmäht. «Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten unterdrücken.»

Ihr Pressesprecher begründet die satirische Differenzierung der AfD: «Damals ging es um eine ausländische Macht, die sich in Deutschland einmischt. Jetzt sind es zwei deutsche Staatsbürger, die sich streiten … Die Grenzen von Satire verlaufen dort, wo es sich nur noch um zusammenhanglose, verletzende Beleidigungen handelt» (Spiegel online, 5.5.). Das heisst, wenn Sie (bereits) deutsche Kanzlerin wären und ich als kleiner Eidgenosse würde Sie auf Satire 51 als «Ziegenleckerin» karikieren, würden Sie – der politisch korrekten Logik Ihres Pressesprechers folgend – nicht klagen? Weil Sie sich, im Gegensatz zu Erdogan, nicht in ausländische Angelegenheiten einmischen würden? Und weil die «Ziegenleckerin» im Gegensatz zur «Nazischlampe» keine zusammenhanglose, verletzende Beleidigung ist?

Ist Höcke Musiklehrer?

Bei aller Schadenfreude – ich habe meine Zweifel, dass Sie sich mit dem ominösen Müllhaufen der Geschichte (Was würde man da nicht alles finden?) unbedacht die eigene Grube gegraben haben. Sie als studierte Betriebs- und Volkswirtschafterin können noch Zwei und Zwei zusammenzählen. Im Gegensatz zu Ihrem Parteikollegen Björn Höcke, der Anfang Jahr in der «Hauptstadt der Mutbürger», Dresden, eine «erinnerungspolitische Wende um 180 Grad» eingefordert hat. Und am Rande Ihres Parteitags von Ihrem Co(-Spitzenkandidaten) Gauland mit der Formel entschuldigt worden ist: «Höcke ist kein Mathematiklehrer». Sie wollen den ja aus der Partei ausschliessen. Aber Gauland verteidigt den bösen Buben listig: «Er wusste nicht, was 180 Grad heisst … Darum hat er ja auch gesagt, er habe ein wichtiges Thema vergeigt» (Bericht vom Parteitag der AfD, ARD, 24.4.). Ist Höcke Musiklehrer? Und hat das mit der 180-Grad-Wende deshalb nicht richtig begriffen? Hätte er sonst eine 45-Grad-Wende verlangt?

Sie aber gehören nicht zu diesen «ungebildeten Migranten» aus dem (Nahen) Osten. Sie beherrschen das Grosse Einmaleins. War vielleicht alles ganz anders? Haben Sie der deutschen Satire die Falle gestellt, in die Christian Ehring wie ein Pawlowscher Hund getrampelt ist? So dass Sie sich als Mitglied der von der deutschen Elite verschmähtesten Partei hinterher in die Schlagzeilen klagen konnten und am Ende den Beweis in die Hand bekommen haben, dass es eine «Alternative für Deutschland» braucht, die dafür sorgt, dass deutsche Gerichte künftig wieder deutsches Recht sprechen, das heisst die Freiheit, «Ziegenficker» zu sagen, schützen und deutsche Bürger vor der Verleumdung als «Nazischlampe» bewahren. Schon weil Letzteres in einem Land, in dem immer mal wieder Asylheime brennen, «eine sicherheitsrelevante Komponente für Frau Weidel» habe. So Christian Lüth.

Oder haben Sie mit Ihrer Forderung, die politische Korrektheit auf den viel zitierten Müllhaufen zu befördern, noch viel weiter gedacht? Ging es Ihnen gar nicht um diese Petitessen wie das Recht auf den eigenen Schnabel, das heisst die Freiheit, sagen zu dürfen, dass Araber zu sexueller Gewalt neigen, Albaner Kriminelle sind und die Bayern den Fussball in den Genen haben? Oder die Freiheit, zu fragen, ob das mit Auschwitz wirklich so war, wie diese jüdischen Historiker behaupten, und ob die Neger nicht doch besser Sklaven geblieben wären statt amerikanische Präsidenten zu werden?

Menschenrechte auf den historischen Scheiterhaufen?

Ging es Ihnen um viel Grundsätzlicheres? Darum, dass politische Korrektheit längst Verfassungen infiltriert hat? Zum Beispiel auch «die heilige Schrift der Eidgenossenschaft», wie Florian Keller in der Wochenzeitung vom 9. Februar 2017 schreibt, um dann Artikel 8, Absatz 2 unserer Bundesverfassung zu zitieren: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.» Dieser Satz, so Keller, «beschreibt nichts anderes als die ethische Maxime von Political Correctness. Er bezeichnet den gesellschaftlichen Idealzustand, den anzustreben dieses Land sich in seiner Verfassung verpflichtet.» Und verlangt dann kühn: «Wir brauchen nicht weniger Political Correctness, sondern mehr davon.»

Ähnliches wird auch in Ihren Grundgesetzen stehen. Zielten Sie mit Ihrem Diktum «Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte» auf solche politisch korrekten Verfassungsartikel? Wollen Sie diese und natürlich die Menschenrechte gleich mit auf dem historischen Scheiterhaufen brennen sehen? So wie die SVP mit ihrer Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» die europäische Menschenrechtskonvention aushebeln möchte? Wenn auch nur es bizzeli.

Geht es Ihnen in letzter Konsequenz darum? Das wird man ja noch fragen dürfen. Oder?

Freundliche Grüsse

Der Nette aus dem Süden

[*] Alice Weidel ist Betriebs- und Volkswirtschafterin, Mitglied des Bundesvorstands der AfD und, zusammen mit Alexander Gauland, Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2017.


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Keine

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2 Meinungen

  • am 27.05.2017 um 18:13 Uhr
    Permalink

    Mit der politische Korrektheit kann man es jedoch übertreiben.

    Dann wenn wertneutrale Begriffe Umschrieben werden, werden erst dadurch die neutralen Begriffe negativ besetzt.

    Oder bei der Doppelnennung, ‹die Ärzte› das sind Männer und Frauen. Bei ‹die Ärztinnen und die Ärzte›, wird ‹die Ärzte› ausschliesslich männlich und der Ärzteverband u.ä. besteht dann nur noch aus Männern.

    Ein völlig politisch inkorrektes Beispiel: der Staat Niger liegt in Afrika südlich der Sahara.

  • am 2.10.2017 um 23:06 Uhr
    Permalink

    JürgMeyer hat vermutlich in vielem recht. Könnte er sich nicht etwas kürzer halten – und etwas weniger engagiert (ich meine weniger persönlich und aggressiv), dafür aber konzentriert und stringent – EIN Thema bearbeiten. Es wäre weniger mühsam zum Lesen. Weniger (Worte) ist oft mehr. Markus

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