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Daniel Ellsberg: Lügen im Vietnamkrieg entlarvt, war gegen den Irak-Krieg, ist gegen atomare Rüstung © Analysis

«Die Gefahr eines Atomkrieges ist so gross wie im Kalten Krieg»

Daniel Ellsberg /  Das gegenseitige Aufrüsten in der Hoffnung, in einem Konflikt die A-Bombe zuerst einzusetzen, ist «Wahnsinn», sagt Daniel Ellsberg.

Red. Nachdem er als Whistleblower der «Pentagon Papiere» die Vietnam-Lügen Präsident Lyndon Johnsons aufgedeckt hatte, macht sich Daniel Ellsberg, 89, seit Jahrzehnten für den Frieden stark. Im folgenden Beitrag geht er auf den «Wahnsinn» der nuklearen Aufrüstung ein.

Die Aufrüstung mit atombestückten Interkontinentalraketen ICBM (Intercontinental Ballistic Missiles) sind ein Wahnsinn. Denn ein Atomkrieg hätte einen nuklearen Winter zur Folge, der Feind und Freund gleichermassen trifft.

Es würde in den USA nicht aufgerüstet, wenn dem militärisch-industriellen Komplex nicht satte Profite locken würden. Wenn damit keine Gewinne gemacht werden könnten, hätten wir keine ICBMs.

Braucht die andere Seite Atomwaffen? Brauchen wir sie?

Angesicht eines drohenden Atomkriegs macht es keinen Sinn, mehr Waffen zu besitzen als die anderen. Aber wie kann man kluge Leute in ihrem Job, der ihnen Karriere und Beförderung bringt, davon überzeugen?

Präsident Reagan sagte, man könne einen Atomkrieg nicht gewinnen. Diese Einsicht müsste dazu führen, dass man keinen Atomkrieg riskiert, mit keinem droht, sich auf keinen vorbereitet.

Zwar können die USA Atomwaffen gegen einen Nicht-Kernwaffenstaat einsetzen. Wir drohten oft damit und bereiteten uns darauf vor. Aber was würde ein Krieg zwischen zwei Atommächten bedeutet, beispielsweise auch zwischen den Erzfeinden Indien und Pakistan? Nein, sie werden keinen solchen Krieg führen, weil keines der Länder einen solchen Krieg gewinnen könnte.

Auch die USA und Russland könnten keinen Nuklearkrieg gewinnen.

Doch selbst die Leute, die das wissen – und im Pentagon behaupten sie nichts anderes –, glauben an einen Trugschluss. Sie glauben, wie schlimm es auch sein mag, einen Atomkrieg zu führen, es sei vorteilhaft, den ersten und möglichst auch den zweiten Schlag auszuführen.

Sie glauben dies wirklich. Beide Seiten wissen zwar, dass sich ein Atomkrieg nicht begrenzen lässt, sondern dass ein begrenzter Atomschlag zu einem totalen Krieg eskalieren wird. Doch beide Seiten glauben fälschlicherweise, dass es besser sei, den ersten Schlag zu führen. Sie denken, wie schlimm der Schaden in unserer Gesellschaft auch sein mag, er wird geringer sein, wenn wir zuerst zuschlagen. Wenn wir 50 Millionen Menschen verlieren, so werden wir dank einem ersten Schlag doch verhindern, dass wir 150 Millionen Menschen verlieren, wenn der Feind zuerst angreift.

Doch die Realität eines nuklearen Winters sieht anders aus. Ein Jahr nach den Atomschlägen wird es nicht bei 50 Millionen Toten bleiben. Am Ende sind alle tot, fast alle. Der nukleare Winter mit dem Rauch und der Dunkelheit, welche die Erde einhüllen, wird fast alle töten. Er macht keinen Unterschied zwischen Erst- und Zweitschlägern.
Einige Monate nach einem Erstschlag kann man vielleicht noch erkennen, wer den Erstschlag ausgeführt hat. Aber ein Jahr später nicht mehr. Es gäbe keinen Unterschied mehr. Die Ernten wären überall weg. Die Nahrung überall weg. Die Menschen sind auf Nahrung angewiesen, und fast alle sterben, ausser vielleicht Menschen, die Weichtiere essen.

Allerdings sind viele grosse Konzerne und die angehängte Wirtschaft an der profitablen Produktion eben dieser Atomwaffen enorm interessiert. Ich bin zum Schluss gekommen, dass der Kalte Krieg zu einem sehr grossen Teil ein Marketingprogramm war, damit die Luft- und Raumfahrtindustrie jedes Jahr massive Subventionen erhält.

Ich bleibe aber in meiner Einstellung ein Optimist. Als vier Teile der Titanic überflutet waren, gab es keine Hoffnung mehr, dass sich das Schiff über Wasser halten kann. Ich hoffe, dass wir trotz der gegenseitigen Aufrüsterei den Eisberg noch nicht erreicht haben und noch keine vier Teile getroffen wurden.
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Übersetzung aus einem Interview mit Analysis.news
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Kalter_Krieg

Der Kalte Krieg bricht wieder aus

Die Grossmächte setzen bei ihrer Machtpolitik vermehrt wieder aufs Militär und gegenseitige Verleumdungen.

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6 Meinungen

  • am 25.05.2020 um 12:02 Uhr
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    Auch ich bleibe Optimist! Aber langsam platzt mir der Kragen. Muss sich die Weltbürgerschaft diesen Wahnsinn eigentlich bieten lassen? Interessierte Konzerne, wer ist das? Fähig und willens die eigene Spezies auszurotten und vor dem Virus zittern sie selbst vor Angst. Irgendwann muss dieser Teufelskreis unterbrochen werden, mit zivilem Ungehorsam der Weltbürgerschaft? Wie damals in der DDR? Raus der Atommächte aus der UNO, steht doch längst in den Satzungen.

  • am 25.05.2020 um 14:53 Uhr
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    Das Spiel mit dem selbst inszenierten Tod. Schon oft haben sich große Denker damit auseinandergesetzt. Nur traumatisierte, sich selbst entfremdete Menschen, krank an Seele und Verstand, können auf die Idee kommen, das Angriff die beste Verteidigung sei. Würde jede Nation seine Streitkräfte und seine politische Haltung so definieren, das sie sich zu Neutralität und zu einem reinen Verteidigungsland bekennen und dabei auf Angriffswaffen verzichten und auf reine Verteidigungwaffen setzen, wäre dies schon ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich fürchte, das wird nie kommen. Die Menschen werden in diesem Universum ihr Privileg, das Leben zu verbreiten, verlieren. Der Altruismus schwindet, der Egoismus nimmt zu. Jeder intelligente Mensch lebt ein Leben in Angst vor der Gewalt der Oligarchen, Diktatoren und Raubtierkapitalisten, welche ihren Reichtum mit atomaren und biologischen Angriffswaffen bewahren und bewachen möchten, und damit ihre Völker bis auf den Tod ausbeuten. Das es dabei um Werte gehen würde wie Demokratie, ist meistens nur eine faule Ausrede. Wenn das sich nicht ändert, ist die Mehrheit in 100 Jahren weg. Ein kleines Virus könnte schon reichen.

  • am 26.05.2020 um 17:28 Uhr
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    Daniel Ellsberg ist zweifellos ein verdienter Kämpfer für atomare Abrüstung. Nur kann ich mit diesem Lamento gegen irgendwelche Industriekomplexe, die sich mit atomarer Aufrüstung eine goldene Nase verdienen, wenig anfangen. Die Überlegungen zu atomarem Erst- und Zweit-Schlag, zu atomarem Winter, usw. waren richtig für die Zeit des Höhepunkts des kalten Krieges. Aber jetzt haben sie an Aktualität eingebüsst, auch wenn der kalte Krieg als solcher alles andere als vorbei ist. Seit ICBM nicht mehr landgestützt und ortsfest, sondern in Atom-U-Booten untergebracht sind, seit die Polkappen schmelzen und Wege frei werden, die vorher unmöglich waren, seit sich das Strategic Air Command der USA gewandelt hat, seit Sprengköpfe nicht mehr einfach gewaltige Explosionen und Fallout, sondern wahlweise Neutronenflüsse, Gammastrahlung (NEMP) oder andere Spezialitäten hervorbringen, sieht das Bedrohungsszenario anders aus als zur Zeit des nuklearen Winters. Das müsste man – bitteschön – schon berücksichtigen. Sonst kommen wieder die sattsam bekannten Lamentierereien über die «Menschheit, die sich selber umbringt». Es ist komplizierter als das!

  • am 26.05.2020 um 18:23 Uhr
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    In allen Fällen von kriegerischen Handlungen, ist die Ursache das etablierte System. Die Geschichte zeigt, dass alle Systeme bisher versagt haben und weiterhin versagen werden, weil keine Änderungen der Voraussetzungen gegeben sind. Die Aufklärung war ebenfalls eine suggestive Täuschung der Massen und brachte keinen Frieden. Die soziale Marktwirtschaft ist im Grunde eine geschickte Spaltung von Großindustriellen und der arbeitenden Bevölkerung. Ein Interessenausgleich findet nur durch Kampf und Streit statt. Die Armut und der Reichtum waren nie größer in der Menschheitsgeschichte. All diese Systeme sind nicht auf das Allgemeinwohl ausgerichtet, sondern auf das Wohl des Kapitalbesitzenden. Es sind Kapital erzeugende Systeme! Geld regiert die Welt, doch nicht das Volk! Allgemeinwohl, doch nur so viel als unbedingt nötig. Die Freiheit steht auf dem Podest der Glorie an erster Stelle, nicht die Gleichheit bzw. Gerechtigkeit! Dieser gehört aber die Priorität! Die Brüderlichkeit kann erst jetzt entstehen. Und Freiheit kommt nun in breiter Front selbst daher. Diese Freiheit wäre wahrhaftig frei, frei von Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Selbst der Freiheitswille der Ostdeutschen brachte nur eine neue Unterwerfung unter das System der Geldmacht, unter den Stiefel der Großindustriellen, mit viel Zucker und einer Handvoll Münzen ins Volk geworfen. „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ ist eine Lügen-Suggestion, wie „ARBEIT MACHT FREI“ oder „DEMOKRATIE ZUM WOHLE DES VOLKES“.

  • am 27.05.2020 um 09:56 Uhr
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    Zwar könnte ein Atomwaffenstaat gegen einen Nicht-Atomwaffenstaat (bspw. Israel-Iran) die Todeswaffe einsetzen. Aber USA-Russland sind atomar wohl gleich stark. Auch Indien-Pakistan. «Einige Monate nach einem Erstschlag kann man vielleicht noch erkennen, wer den Erstschlag ausgeführt hat. Aber ein Jahr später nicht mehr. Es gäbe keinen Unterschied mehr. Die Ernten wären überall weg. Die Nahrung überall weg.» Das Leid unaussprechlich.
    Nur noch wenige wissen um die Verdienste Daniel Elsbergs, die zum überfälligen Ende des Vietnam-Krieges beigetragen haben.

  • am 28.05.2020 um 19:36 Uhr
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    Daniel Ellsberg schreibt: «Es würde in den USA nicht aufgerüstet, wenn dem militärisch-industriellen Komplex nicht satte Profite locken würden. Wenn damit keine Gewinne gemacht werden könnten, hätten wir keine ICBMs, (Interkontinentalraketen (englisch Intercontinental Ballistic Missile, ICBM)»

    In der Schweiz ist die Gesetzeslage eigentlich klar: Die Schweiz unterstützt den Irrsinn der Aufrüstung atomaren Aufrüstung nicht und es ist auch Verboten diesen Wahnsinn zu finanzieren.

    Im Bundesgesetz über das Kriegsmaterial: heisst es:
    "Art. 8b1Verbot der direkten Finanzierung
    1 Die direkte Finanzierung der Entwicklung, der Herstellung oder des Erwerbs von verbotenem Kriegsmaterial ist verboten.» (das sind auch Atomwaffen)
    auch: «1 Die indirekte Finanzierung der Entwicklung, der Herstellung oder des Erwerbs von verbotenem Kriegsmaterial ist verboten, wenn damit das Verbot der direkten Finanzierung umgangen werden soll."

    Trotz dieser klaren Bestimmungen investiert die Credit Suisse, die UBS und auch die Schweizerische Nationalbank und Pensionskassen in Unternehmen, die an der Produktion von Atombomben und Raketen beteiligt sind. Diese Geldanlagen dokumentierte die Organisation ICAN, die internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung.

    Bei all diesen Institutionen die in Konzerne investieren die Raketen und Atombomben herstellen wird sicher nie die Polizei auftauchen. Haben dies Deals den Segen des Bundesrates, des Parlamentes und des Bundesgerichtes und der Bundespolizei?

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